Hemmungstatbestand vor Fristablauf: Die in § 171 AO kodifizierte Ablaufhemmung beeinflusst den Ablaufzeitpunkt der Festsetzungsfrist. Grundsätzlich greift die Hemmung der Verjährung nur in den Fällen ein, in denen der jeweilige Hemmungstatbestand vor Fristablauf erfüllt ist (FG München v. 11.5.1990 – 15 K 4481/89, Rz. 28; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 171 AO, Rz. 1 [Okt. 2020]). Das bedeutet, die jeweilige Frist darf im Hemmungszeitpunkt nicht bereits abgelaufen sein (Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler AO/FGO, § 171 AO Rz. 3 [Okt. 2020]; vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 171 AO Rz. 1 [Okt. 2020]). Dieser Grundsatz ergibt sich aus der Systematik der Hemmung selbst. Die Hemmung soll lediglich einen Stillstand der Verjährung bewirken und gerade keine Änderung der Fristdauer (Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Vor. §§ 169–171 AO, Rz. 31 [Okt. 2020]; Cöster in Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 171 AO Rz. 1).

Der Zweck dieser Regelung ist, den planmäßigen Ablaufzeitpunkt der jeweiligen Frist zu verschieben (BFH v. 14.9.2007 – VIII B 20/07, Rz. 10; vgl. Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, Vor. §§ 169–171 AO Rz. 31 [Okt. 2020]). Diese Verschiebung des Verjährungseintritts ist jedoch nur dann möglich, wenn die Frist nicht bereits abgelaufen ist (Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 171 AO Rz. 3 [Okt. 2020]; vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, Oktober 2020, § 171 AO Rz. 1 [Okt. 2020]). Andernfalls wird nicht der planmäßige Ablauf, sondern die Frist selbst rückwirkend verändert. Die beschriebene Systematik eines "ruhenden" Fristlaufes steht einer nachträglichen Hemmung damit grundsätzlich entgegen (vgl. FG Nds. v. 10.2.2011 – 6 K 241/09 – rkr., Rz. 38).

Eine rückwirkende Hemmung käme vielmehr einer Wiedereinsetzung i.S.d. § 110 AO gleich (BFH v. 24.1.2008 – VII R 3/07, BStBl. II 2008, 462, Rz. 15). Der Ablauf einer Festsetzungsfrist lässt sich allerdings nicht durch eine Wiedereinsetzung nach § 110 AO rückwirkend beseitigen (BFH v. 24.1.2008 – VII R 3/07, BStBl. II 2008, 462, Rz. 15; v. 19.8.1999 – III R 57/98, BStBl. II 2000, 330, Rz. 11; Brandis in Tipke/Kruse AO/FGO, § 110 AO, Rz. 5 [Okt. 2020]). Eine nachträgliche Hemmung wäre demnach eine Umgehung der Regelung und steht der dogmatischen Einordnung entgegen. Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG kommt in § 169 Abs. 1 S. 1 AO zum Ausdruck und fordert Rechtssicherheit hinsichtlich abgelaufener Fristen (vgl. BFH v. 24.1.2008 – VII R 3/07, BStBl. II 2008, 462, Rz. 19; FG Nds. v. 10.2.2011 – 6 K 241/09, rkr., Rz. 38; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 169 Rz. 5 [Okt. 2020]).

Im Ergebnis resultiert hieraus, dass eine rückwirkende Hemmung grundsätzlich ausgeschlossen ist und somit im Umkehrschluss eine Hemmung nur innerhalb des offenen Fristlaufes möglich sein soll. Diese Schlussfolgerung führt folglich zu dem Grundsatz, dass eine einmal abgelaufene Frist nicht durch eine Ablaufhemmung erneut anlaufen kann. Für die Zulässigkeit einer Hemmung kommt es damit immer auch auf den Zeitpunkt des Hemmungseintritts an, der sich nach dem jeweiligen Tatbestand des § 171 AO richtet. Die Voraussetzungen des Hemmungstatbestandes müssen vor Fristablauf vorliegen und sind insofern entscheidend für eine wirksame Hemmung der Frist.

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