Wie sich die Norm des § 169 Abs. 1 S. 3 AO auf eine Steuerverkürzung auswirken kann

[Ohne Titel]

RA Dr. Lukas Wionzeck / Carsten Odinius[*]

[*] Dr. Lukas Wionzeck, LL.M. Oec. ist Rechtsanwalt bei Flick Gocke Schaumburg, Bonn. Carsten Odinius ist Rechtsreferendar in dieser Sozietät.

I. Einleitung

Die Regelungen des § 171 AO sind in Theorie und Praxis häufiger Anknüpfungspunkt für Diskussionen über Inhalt und Reichweite der Ablaufhemmung. Gegenstand zahlreicher Streitpunkte ist die Hemmung nach § 171 Abs. 10 AO sowie das Verhältnis von Grundlagenbescheid zu Folgebescheid bei unrichtigen Angaben im Grundlagenbescheid. Anders als in den überwiegenden Fällen des § 171 AO ist bei § 171 Abs. 10 AO nicht ein Ereignis ausschlaggebend, das den zu hemmenden Bescheid betrifft. Vielmehr bewirkt ein Umstand aus der Sphäre des Grundlagenbescheides, die Bekanntgabe, eine Hemmung der Festsetzungsfrist beim Folgebescheid. Sofern die Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid nur aufgrund des § 169 Abs. 1 S. 3 AO gewahrt ist, ist fraglich, ob § 171 Abs. 10 AO für den Folgebescheid noch anwendbar ist. In diesem Zusammenhang stellt sich bei steuerstrafrechtlichen Fallgestaltungen die Frage, ob im Einzelfall überhaupt eine Steuerverkürzung vorliegen kann.

II. Folgen unrichtiger Angaben im Grundlagenbescheid

Die Problematik, ob eine Steuerhinterziehung bzw. leichtfertige Steuerverkürzung gem. § 378 Abs. 1 i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO durch eine unrichtige Angabe in einem Grundlagenbescheid verwirklicht werden kann, soll anhand eines Beispiels samt Abwandlung veranschaulicht werden.

 

Beispiel

Ausgangsfall: A erzielt Einkünfte aus VuV gem. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 i.V.m. § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG i.H.v. 100.000 EUR. In seiner Einkommensteuererklärung werden leichtfertig nur 50.000 EUR angegeben. Im Einkommensteuerbescheid werden daraufhin Einkünfte aus VuV i.H.v. 50.000 EUR festgesetzt.

Indem A leichtfertig die Einkünfte zu niedrig angab, hat er gegenüber der Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben gemacht und dadurch Steuern verkürzt, ergo verwirklicht er den Tatbestand der leichtfertigen Steuerverkürzung gem. § 378 Abs. 1 i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO.

Der Fall könnte anders zu lösen sein, wenn er geringfügig modifiziert wird.

 

Beispiel

Abwandlung des Ausgangsfalls: A ist Gesellschafter der AB-GbR. Die AB-GbR erzielt Einkünfte aus VuV gem. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 i.V.m. § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG i.H.v. 100.000 EUR. In ihrer Feststellungserklärung werden leichtfertig nur 50.000 EUR angegeben. Im Feststellungsbescheid zur einheitlichen und gesonderten Feststellung werden daraufhin Einkünfte aus VuV i.H.v. 50.000 EUR festgestellt.

Unterschiede zum Ausgangsfall: Ausgehend von der Lösung des ersten Beispiels fällt auf, dass die Tathandlungen identisch sind, so dass man aus einer strafrechtlichen Sichtweise verleitet wäre, den Unrechtsgehalt als identisch zu werten. Die Fälle unterscheiden sich aus steuerrechtlicher Sicht indes insoweit, als sie einerseits eine Einkommensteuererklärung (§ 25 Abs. 3 S. 1 EStG) und andererseits eine Feststellungserklärung (§ 181 Abs. 2 S. 1, S. 2 Nr. 1 AO) betreffen. Nach der Einkommensteuererklärung erfolgt die Einkommensteuerfestsetzung und in letzteren Fall nur die grundlegende Feststellung der Einkünfte und Besteuerungsgrundlagen der GbR, der die zeitlich nachfolgenden Einkommensteuerfestsetzungen für die Gesellschafter folgen. Es liegt ein Grundlagenbescheid vor, der gem. § 182 Abs. 1 S. 1 AO Bindungswirkung entfaltet. Diese Systematik führt zu der Frage, ob eine unrichtige Angabe in einer grundlegenden Feststellungserklärung zu einer Steuerhinterziehung führt, insb. ob dadurch eine Steuerverkürzung i.S.d. § 370 Abs. 4 S. 1 AO vorliegt.

Unzutreffender Grundlagenbescheid als ungerechtfertigter Steuervorteil: Nach der Rspr. des BGH handelt es sich bei einer unrichtigen Feststellung aufgrund unzutreffender Angaben des Steuerpflichtigen auch bei einem Feststellungs- bzw. Grundlagenbescheid um einen ungerechtfertigten Steuervorteil i.S.d. § 370 Abs. 1 AO (BGH v. 22.11.2012 – 1 StR 537/12, BGHSt 58, 50–59 Rz. 21; v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, Rz. 94; v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99–108 Rz. 21 f.). Als Begründung führt der BGH in seinem Beschluss vom 10.12.2008 aus: "Der in Feststellung unrichtiger Besteuerungsgrundlagen mit Bindungswirkung liegende Vorteil ist ein Vorteil spezifisch steuerlicher Art, der auf dem Tätigwerden der Finanzbehörde beruht, und damit Steuervorteil." (BGH v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99–108 Rz. 22.) Insofern wird an das Tatbestandsmerkmal des ungerechtfertigten Steuervorteils angeknüpft, der in einem inhaltlich unzutreffend ergangenen Grundlagenbescheid zu sehen ist. Denn die für den Steuerpflichtigen vorteilhaften Feststellungen sind in dem Folgebescheid gem. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 182 Abs. 1 S. 1 AO zwingend zu übernehmen und werden nicht inhaltlich durch den zuständigen Finanzbeamten erneut überprüft (BGH v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, BGHSt 53, 99–108 Rz. 21; FG München v. 23.2.2010 – 13 K 1694/07, Rz. 36).

Bindun...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge