Leitsatz

Dem EuGH werden folgende Fragen zur Auslegung von Art. 30a Nr. 2 und Art. 30b Unterabs. 2 MwStSystRL zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Liegt ein Einzweck-Gutschein i.S. von Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL vor, wenn

  • zwar der Ort der Erbringung von Dienstleistungen, auf die sich der Gutschein bezieht, insoweit feststeht, als diese Dienstleistungen im Gebiet eines Mitgliedstaats an Endverbraucher erbracht werden sollen,
  • aber die Fiktion des Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 MwStSystRL, nach der auch die Übertragung des Gutscheins zwischen Steuerpflichtigen zur Erbringung der Dienstleistung, auf die sich der Gutschein bezieht, zu einer Dienstleistung im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats führt?

2. Falls die Frage 1 verneint wird (und damit im Streitfall ein Mehrzweck-Gutschein vorliegt): Steht Art. 30b Abs. 2 Unterabs. 1 MwStSystRL, wonach die tatsächliche Erbringung der Dienstleistungen, für die der Erbringer der Dienstleistungen einen Mehrzweck-Gutschein als Gegenleistung oder Teil einer solchen annimmt, der Mehrwertsteuer gemäß Art. 2 MwStSystRL unterliegt, wohingegen jede vorangegangene Übertragung dieses Mehrzweck-Gutscheins nicht der Mehrwertsteuer unterliegt, einer anderweitig begründeten Steuerpflicht (EuGH-Urteil Lebara vom 03.05.2012 ‐ C‐520/10, EU:C:2012:264) entgegen?

 

Normenkette

§ 3 Abs. 13, Abs. 14 Sätze 1 und 2, § 3a Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 Nr. 3 UStG, Art. 30a Nr. 2, Art. 30b Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1, Abs. 2 Unterabs. 1 EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), Art. 267 Abs. 3 AEUV

 

Sachverhalt

Die Klägerin vertrieb im Streitjahr (2019) über ihren Internetshop Guthabenkarten und Gutscheincodes (X-Cards) für den Erwerb digitaler Inhalte im X-Store. Herausgeber der X-Cards war im Streitjahr die Y mit Sitz im Vereinigten Königreich. Die Gutscheincodes ermöglichten dem Erwerber die Aufladung seines Nutzerkontos mit dem erworbenen Nenn­wert (in EUR). Mit dem Guthaben konnten vom Kontoinhaber im X-Store digitale Inhalte der Y zu den dort angeführten Preisen erworben werden.

Die von der Klägerin verkauften Guthabenkarten oder Gutscheincodes waren mit der Länderkennung "DE" versehen (für Kunden mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort im Inland und einem deutschen X-Nutzerkonto). Y war der Vertragspartner für alle Käufe im X-Store.

Im Streitjahr bezog die Klägerin die X-Cards der Y von Lieferanten aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet (L) unter Angabe ihrer deutschen USt-IdNr. Sie erklärte keine innergemeinschaftlichen Erwerbe und meldete die Übertragung der X-Cards an die Endkunden auch nicht als steuerbare Umsätze an, weil es sich bei den X-Cards um Mehrzweck-Gutscheine handele. Die Länderkennung reiche zur sicheren Bestimmung des Leistungsorts nicht aus.

Das FA sah die Umsätze der Klägerin mit den X-Cards als im Inland steuerbar an. Die X-Cards mit der Kennung DE seien ausschließlich für Endkunden mit Wohnsitz im Inland und einem deutschen Nutzerkonto bestimmt, weshalb sich der Leistungsort im Inland befinde. Für die Einordnung der Karten als Einzweck-Gutscheine spreche auch, dass Y die Karten als solche in Verkehr gebracht habe und diese in der weiteren Leistungskette auch so behandelt worden seien.

Nachdem die Klägerin im Einspruchsverfahren glaubhaft gemacht hatte, dass Umsätze auch an nicht im Inland ansässige Leistungsempfänger ausgeführt worden waren, half das FA insoweit dem Einspruch ab, aber wies ihn im Übrigen als unbegründet zurück.

Das FG (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 10.3.2021, 4 K 62/19, Haufe-Index 14473525, EFG 2021, 1322) wies die Klage ab.

 

Entscheidung

Der BFH hat den EuGH um Vorabentscheidung ersucht.

 

Hinweis

Ein- oder Mehrzweck-Gutschein, das ist hier die Frage. Beantworten soll sie der EuGH, nachdem der BFH bereits im AdV-Verfahren ernstliche Zweifel bejaht hatte (BFH, Beschluss vom 16.8.2022, XI S 4/21 (AdV), BFH/NV 2022, 1261, BFH/PR 2022, 348). Die Rechtslage in Bezug auf Art. 30a ff. MwStSystRL i.d.F. der Richtlinie 2016/1065/EU vom 27.6.2016 (ABlEU Nr. L 177 vom 1.7.2016, 9 ff.; sog. Gutschein-Richtlinie) ist weitgehend unklar (vgl. dazu bisher nur EuGH, Urteil vom 28.4.2022, C-637/20, DSAB Destination Stockholm, Rz. 21, 29 f., BFH/NV 2022, 795). Nun erhält der EuGH eine weitere Gelegenheit, sich zu deren Auslegung zu äußern.

1. Nach Art. 30a Nr. 2 MwStSystRL ist ein "Einzweck-Gutschein" ein Gutschein, bei dem der Ort der Leistung, auf die sich der Gutschein bezieht, und die für diese Leistung geschuldete MwSt zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins feststehen.

2. a) Der BFH hat Zweifel, ob die Formulierung "auf die sich der Gutschein bezieht" in einem Fall, in dem der Gutschein weiterverkauft wird, nur die "verkörperte" Leistung, die später in Anspruch genommen wird, oder auch den Übertragungsumsatz meinen könnte. Dies ist nicht nur bei sonstigen Leistungen, sondern z.B. auch für die Einstufung einer in einem Einzweck-Gutschein verkörperten Lieferung von Bedeutung, die die Finanzverwaltung stets als Lieferung ohne Warenbewegung ansieht (vgl. Abschnitt 6.11...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge