Allein aus dieser Argumentation heraus – die sich mehr oder weniger gleichlautend in vielen vorangegangenen EuGH-Entscheidungen so findet[13] – kommt der EuGH im Besprechungsfall zu dem Ergebnis, dass beim Vorliegen von Betrug oder Missbrauch immer die gänzliche Versagung aller "Rechte" geboten ist. Das stellt eine klare Antwort auf den Vorlagebeschluss des FG dar, die immerhin etwas weniger deutlich "abweisend" dargelegt wird, als die Antwort des EuGH auf eine vorangegangene Vorlagefrage des FG Berlin-Brandenburg[14] im Zusammenhang mit der Rechtsversagung bei Betrug und Missbrauch.[15]

Für die Rechtsanwendung in Deutschland ist jedenfalls von einer gefestigten EuGH-Rechtsprechung beim Vorliegen von Betrug oder Missbrauch auszugehen, die nach Auffassung des EuGH zwingend anzuwenden ist. Liegen derartige Handlungen eines Steuerpflichtigen vor und sind diese nachgewiesen, dann hat die Finanzverwaltung diesem und u.U. weiteren Steuerpflichtigen immer alle Rechte zu versagen, welche diese Steuerpflichtige aus dem UStG und der MwStSystRL ansonsten ableiten könnten. Der Gesetzgeber hat diese Rechtsfolge m.W. ab dem 1.1.2020 mit § 25f UStG überwiegend auch zum Inhalt des deutschen Umsatzsteuerrechts gemacht.[16] Diese zwingende Rechtsfolge kann (besser: muss) zu einer mehrfachen Rechtsversagung führen, wenn entweder mehrere (bösgläubige) Unternehmer in einer Lieferkette tätig geworden sind oder wenn ein Steuerpflichtiger z.B. die Steuerbefreiung und den Vorsteuerabzug begehrt; der Steuerschaden kann hier also mehrfach kumuliert werden. Dies mag zwar auf einen ersten Blick gegen den unionsrechtlichen Neutralitätsgrundsatz bei der Umsatzsteuer verstoßen, aber auch diesem Argument ist der EuGH schon entgegengetreten.[17] Interessant ist m.E. noch, dass der EuGH auch im Besprechungsfall konsequent daran festhält, dass auch die "eigene Steuerhinterziehung" relevant für die Rechteversagung ist.[18] Das findet sich so in § 25f UStG nicht.[19]

[13] Genau auf diese Rechtsprechung verweist der EuGH in den vorgenannten Rz. seiner Entscheidung.
[15] Der EuGH hatte hier mit einem Beschluss nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung entschieden (EuGH, Beschl. v. 14.4.2021 – C-108/20, ECLI:EU:C:2021:266 – Finanzamt Wilmersdorf, UR 2021, 433). Das ist nur dann möglich, wenn die vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der Frage keinem Raum für vernünftige Zweifel lässt.
[16] Eingefügt durch Gesetz vom 12.12.2019, BGBl. I 2019, 2151.
[17] EuGH, Urt. v. 18.12.2014 – C-131/13, ECLI:EU:C:2014:2217 – Schoenimport "Italmoda" Mariano Previti, DStR 2015, 573 Rz. 48.
[18] Vgl. dazu in Rz. 25 des EuGH, Urt. v. 24.11.2022 – C-596/21, ECLI:EU:C:2022:921 – Finanzamt M (Étendue du droit à déduction de la TVA), UR 2022, 942.
[19] Vgl. dazu nur Grommes in Rolletschke/Kemper/Roth, Kommentar zum Steuerstrafrecht, § 25f UStG Rz. 20 und Widmann in Schwarz/Widmann/Radeisen, Kommentar zum UStG, § 25f UStG Rz. 25.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge