Tz. 189a

Stand: EL 104 – ET: 12/2021

Die vorstehend angesprochene (Vor-)Frage der zivilrechtlich identitätswahrenden Sitzverlegung (ob dabei auf den satzungsmäßigen und/oder den tatsächlichen Verwaltungssitz abzustellen ist, hängt vom jeweiligen rechtlichen Kontext ab) ist durch die Rspr des EuGH stark verändert worden (dazu ausführlich auch Kahle/Cortez, FR 2014, 673). Der Stand für nach nationalem Recht eines EU-Staats errichtete Gesellschaften (der ebenso auch für Gesellschaften aus EWR/EFTA-Staaten gelten dürfte, s Urt des BGH v 19.09.2005, DStR 2005, 1870; nicht aber für Drittstaaten, s Urt des OLG Hbg v 30.03.2007, DB 2007, 1245) lässt sich wie folgt zusammenfassen (s auch § 1 KStG Tz 68 ff und s § 12 KStG Tz 37 ff; s Forsthoff, DB 2002, 2471ff; Birk, IStR 2003, 469ff; Geyrhalter/Gänßler, DStR 2003, 2167ff; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58ff; Micker/Schwarz, IWB 2019, 512, 518ff; Martini, IStR 2021, 37):

Im Urt zur Rs Daily Mail (s Urt des EuGH v 27.09.1988, NJW 1989, 2186ff) hat der EuGH festgestellt, dass die Niederlassungsfreiheit nicht den Fortbestand einer Gesellschaft garantiert, sondern die Grenzen dieses Fortbestands durch die nationalen Rechtsordnungen bestimmt werden. Wenn also der Gründungs-Staat (zB weil er die Sitztheorie anwendet) an die Sitzverlegung die Auflösung der Gesellschaft knüpft, ist dies EU-rechtlich nicht zu beanstanden mit der Folge, dass auch die anderen EU-Staaten die Konsequenzen dieser Auflösung ziehen können. Die nachfolgenden Urteile des EuGH haben dies nicht in Frage gestellt. Vielmehr betrafen sie sämtlich Konstellationen, in denen der "aufnehmende" Staat einer Gesellschaft, welche nach den Regeln ihres Gründungsstaats unzweifelhaft bestand, die Anerkennung bzw Gleichbehandlung versagen wollte (so in den Urt der Rs Centros; s Urt des EuGH v 09.03.1999, DB 1999, 625ff; Überseering; s Urt des EuGH v 05.11.2002, DB 2002, 2424ff; Inspire Art; s Urt des EuGH v 30.09.2003, DB 2003, 2219ff); dies wurde jeweils vom EuGH als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit angesehen. Später hat der EuGH sodann die durch "Daily Mail" eingeschlagene Linie nochmals bestätigt (EuGH v 16.12.2008, IStR 2009, 59ff mit Anm Richter, Rs Cartesio). Entsch für die Identitätswahrung ist also letztlich immer (nur) die Behandlung im Gründungsstaat; diese Folgerung zieht auch die Fin-Verw (s Schr des BMF v 20.05.2005, BStBl I 2005, 727 zur GewSt). In der Rs VALE hat der EuGH (v 12.07.2012, BB 2012, 2069 mit Anm Messenzehl/Schwarzfischer; dazu auch Rinas, IWB 2016, 834) dies dann noch dahingehend ergänzt, dass Mitgliedstaaten einen grenzüberschreitenden Formwechsel in eine Gesellschaftsform des Zuzugsstaates zulassen müssen, wenn sie Solches auch innerstaatlich vorsehen.

Hingegen besteht für die Europäische AG (SE) bzw Gen (SCE) bzgl der identitätswahrenden Sitzverlegung überhaupt keine Bindung an die nationalen Rechtsordnungen mehr; vielmehr ist diese durch die Regelungen der entspr europarechtlichen Verordnungen gedeckt (s § 1 KStG Tz 66; näher zB s Kessler/Achilles/Huck, IStR 2003, 715ff; Schön/Schindler, IStR 2004, 571ff).

Für in Drittstaaten gegründete Gesellschaften gelten allerdings in D nach wie vor die althergebrachten Regeln der Sitztheorie (zB s BGH v 27.10.2008, BB 2009, 14; auch Kahle/Cortez FR 2014, 673, 677f), soweit sich nicht aus einem Abkommen mit dem Drittstaat Abw ergibt (zB s Urt des BGH v 29.01.2003, DStR 2003, 948 zum sog dt-amerikanischen Freundschaftsvertrag; zur rein strechtlichen Gleichbehandlung nach DBA-USA s Urt des BFH v 29.01.2003, BStBl II 2004, 1043 und dazu s Schr des BMF v 08.12.2004, BStBl I 2004, 1181). Drittstaat idS ist seit dem "Brexit" auch Großbritannien (BGH v 16.02.2021, BB 2021, 715; OLG München v 05.08.2021, BB 2021, 2306; s auch Geyer/Ullmann, DStR 2019, 305).

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