[Ohne Titel]

RiFG Lukas Münch, LL.M.[*]

Im finanzgerichtlichen Verfahren kommt es nicht selten zu der Situation, dass Beteiligte nach Schluss der mündlichen Verhandlung, aber vor Ergehen eines Urteils ergänzend vortragen. Unter anderem in diesem Fall stellt sich die Frage, ob die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen ist. Aus Sicht der Kläger- bzw. Beklagtenseite ist – trotz des aufgrund des drohenden Urteils bestehenden Zeitdrucks – sehr genau zu prüfen, welcher Vortrag geeignet ist, eine Wiedereröffnung zu ermöglichen, um mit den eigenen Argumenten noch durchzudringen. Aus Sicht des Gerichts ist Vorsicht geboten, da eine fehlerhafte Ablehnung der Wiedereröffnung regelmäßig eine Aufhebung der Entscheidung durch den BFH rechtfertigen wird.

[*] Dipl.-Finw. (FH) Lukas Münch, LL.M., Richter am FG Düsseldorf. Der Beitrag ist nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst.

I. Begriffsabgrenzung

Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung ist abzugrenzen von der Fortsetzung einer unterbrochenen bzw. vertagten mündlichen Verhandlung sowie von der Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Wiedereröffnung ist seit Schaffung der FGO im Jahre 1965 (BGBl. I 1965, 1477 [1489]) in § 93 Abs. 3 FGO geregelt, wo es heißt:

"1Nach Erörterung der Streitsache erklärt der Vorsitzende die mündliche Verhandlung für geschlossen. 2Das Gericht kann die Wiedereröffnung beschließen."

Hieran zeigt sich, dass die Wiedereröffnung – im Gegensatz zur Fortsetzung[1] – eine bereits geschlossene mündliche Verhandlung betrifft. Die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 134 FGO i.V.m. §§ 578 ff. ZPO betrifft hingegen das bereits rechtskräftig beendete Verfahren.

[1] A.A. Wendl in Gosch, AO/FGO, § 93 FGO Rz. 61 (6/2017): Vertagung auch nach Schluss der mündlichen Verhandlung möglich; dann dürfte es allerdings an einer sinnvollen Abgrenzung zwischen Vertagung und Wiedereröffnung fehlen. Die Abgrenzung ist aber insb. mit Blick auf die Besetzung des Gerichts im nächsten Sitzungstermin erforderlich (s. unten IV.4.). Für die hier vertretene Auffassung sprechen m.E. die Ausführungen des BFH, Beschl. v. 8.4.1998 – VIII R 32/95, BStBl. II 1998, 676 Rz. 67; s. auch Loschelder, AO-StB 2004, 259, 260 und Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 Rz. 5 (2/2019), § 93 Rz. 8 (2/2019): "Wiedereröffnung entspricht in der Sache einem vor dem Schließen der mündlichen Verhandlung gefassten Vertagungsbeschluss".

II. Wiedereröffnung nach Schluss der mündlichen Verhandlung und vor Wirksamwerden des Urteils

Schluss der mündlichen Verhandlung: In zeitlicher Hinsicht kommt eine Wiedereröffnung nur nach Schluss der mündlichen Verhandlung und vor dem Wirksamwerden des Urteils in Betracht. Das Schließen der mündlichen Verhandlung stellt keinen förmlichen Beschluss dar, sondern eine grundsätzlich zu protokollierende[2] Erklärung der Person, die die Verhandlung leitet – i.d.R. der oder die Vorsitzende bzw. der oder die Einzelrichter*in.

Verkündung unmittelbar nach mündlicher Verhandlung oder am Ende des Sitzungstags: Der Zeitpunkt, in dem das Urteil wirksam wird, hängt vom Vorgehen des Gerichts ab: Das Urteil wird unmittelbar wirksam, wenn es mündlich verkündet (§ 104 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 FGO) wird. Senate, die diese Variante wählen, verkünden in der Praxis häufig gleichwohl nicht im direkten Anschluss an die mündliche Verhandlung, sondern am Ende des Sitzungstages. Verkündet werden dann ggf. alle Urteile des Sitzungstages und zwar i.d.R. – trotz erneutem Aufruf der Sache – in Abwesenheit der Beteiligten, d.h. vor leerem Gerichtssaal. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach Verkündung ist ausgeschlossen (BFH v. 25.10.2000 – VII B 198/00, BFH/NV 2001, 471, Rz. 5; v. 26.9.2008 – VIII B 23/08, juris Rz. 45 f.).

Zustellung an Verkündungs statt: An den meisten FG dürfte allerdings die schriftliche Zustellung der Entscheidung – Zustellung an Verkündungs statt – (§ 104 Abs. 2 FGO) der Regelfall sein (so auch Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 104 FGO Rz. 2 [4/2019). Entscheidender Unterschied ist die Ausdehnung des Zeitraums, in dem eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung möglich ist. Der Spruchkörper gewinnt Bedenk- und ggf. Beratungszeit für die zu treffende Entscheidung, muss allerdings auch etwaiges Vorbringen bis zum Wirksamwerden des Urteils berücksichtigen und erforderlichenfalls die mündliche Verhandlung wiedereröffnen.

Gesonderter Verkündungstermin: Ähnliche Wirkung hat die ebenfalls mögliche sofortige Anberaumung eines gesonderten Verkündungstermins (§ 104 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 FGO), die nach der gesetzlichen Regelung allerdings nur in besonderen Fällen möglich sein soll und i.d.R. gegenüber der Zustellungsvariante keine Vorteile bieten wird.

Wirksamwerden des Urteils bei Zustellung: Im Falle der Zustellung tritt die Bindungswirkung nach vorzugswürdiger Auffassung mit der Aufgabe zur Post ein (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 104 FGO Rz. 13 [11/2016]; Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 93 FGO Rz. 7 f.)[3], da das Urteil in diesem Moment den gerichtsinternen Bereich verlässt und das Gericht somit auch nach außen zu erkennen gibt, dass die Entscheidungsfindung abgeschlossen ist. Dies wird man fü...

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