Schluss der mündlichen Verhandlung: In zeitlicher Hinsicht kommt eine Wiedereröffnung nur nach Schluss der mündlichen Verhandlung und vor dem Wirksamwerden des Urteils in Betracht. Das Schließen der mündlichen Verhandlung stellt keinen förmlichen Beschluss dar, sondern eine grundsätzlich zu protokollierende[2] Erklärung der Person, die die Verhandlung leitet – i.d.R. der oder die Vorsitzende bzw. der oder die Einzelrichter*in.

Verkündung unmittelbar nach mündlicher Verhandlung oder am Ende des Sitzungstags: Der Zeitpunkt, in dem das Urteil wirksam wird, hängt vom Vorgehen des Gerichts ab: Das Urteil wird unmittelbar wirksam, wenn es mündlich verkündet (§ 104 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 FGO) wird. Senate, die diese Variante wählen, verkünden in der Praxis häufig gleichwohl nicht im direkten Anschluss an die mündliche Verhandlung, sondern am Ende des Sitzungstages. Verkündet werden dann ggf. alle Urteile des Sitzungstages und zwar i.d.R. – trotz erneutem Aufruf der Sache – in Abwesenheit der Beteiligten, d.h. vor leerem Gerichtssaal. Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach Verkündung ist ausgeschlossen (BFH v. 25.10.2000 – VII B 198/00, BFH/NV 2001, 471, Rz. 5; v. 26.9.2008 – VIII B 23/08, juris Rz. 45 f.).

Zustellung an Verkündungs statt: An den meisten FG dürfte allerdings die schriftliche Zustellung der Entscheidung – Zustellung an Verkündungs statt – (§ 104 Abs. 2 FGO) der Regelfall sein (so auch Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 104 FGO Rz. 2 [4/2019). Entscheidender Unterschied ist die Ausdehnung des Zeitraums, in dem eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung möglich ist. Der Spruchkörper gewinnt Bedenk- und ggf. Beratungszeit für die zu treffende Entscheidung, muss allerdings auch etwaiges Vorbringen bis zum Wirksamwerden des Urteils berücksichtigen und erforderlichenfalls die mündliche Verhandlung wiedereröffnen.

Gesonderter Verkündungstermin: Ähnliche Wirkung hat die ebenfalls mögliche sofortige Anberaumung eines gesonderten Verkündungstermins (§ 104 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 FGO), die nach der gesetzlichen Regelung allerdings nur in besonderen Fällen möglich sein soll und i.d.R. gegenüber der Zustellungsvariante keine Vorteile bieten wird.

Wirksamwerden des Urteils bei Zustellung: Im Falle der Zustellung tritt die Bindungswirkung nach vorzugswürdiger Auffassung mit der Aufgabe zur Post ein (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 104 FGO Rz. 13 [11/2016]; Herbert in Gräber, 9. Aufl. 2019, § 93 FGO Rz. 7 f.)[3], da das Urteil in diesem Moment den gerichtsinternen Bereich verlässt und das Gericht somit auch nach außen zu erkennen gibt, dass die Entscheidungsfindung abgeschlossen ist. Dies wird man für den bloß internen Vorgang der Übermittlung an die Geschäftsstelle nicht sagen können. Die finanzgerichtliche Rspr. (anders etwa BVerwG v. 26.1.1994 – 6 C 2/92, BVerwGE 95, 64, Rz. 16) hingegen stellt i.d.R. – offenbar aber ohne dass es auf den Unterschied zum Zeitpunkt der Postaufgabe bislang angekommen wäre – auf den Zeitpunkt der Zustellung ab (etwa BFH v. 14.1.2016 – III B 48/15, juris Rz. 13).

Beraterhinweis Die Bindungswirkung tritt aber auch nach der Rspr. des BFH bereits früher ein, wenn der Tenor des an die Geschäftsstelle übermittelten Urteils einem Beteiligten formlos, etwa auf telefonische Nachfrage, bekanntgegeben wird (BFH v. 23.10.2003 – V R 24/00, BStBl. II 2004, 89, Rz. 23; v. 7.5.2015 – VI R 44/13, BStBl. II 2015, 890, Rz. 20) – hierauf haben die Beteiligten nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 104 Abs. 2 S. 2 FGO einen Rechtsanspruch (BFH v. 20.11.2007 – VII B 340/06, BFH/NV 2008, 581, Rz. 5).

Verfahren ohne mündliche Verhandlung: Auch in Verfahren, in denen die Beteiligten nach § 90 Abs. 2 FGO auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet haben und eine solche bislang nicht durchgeführt wurde, gelten im Ergebnis die zu § 93 Abs. 3 S. 2 FGO entwickelten Grundsätze.

Beraterhinweis Insb. müssen nach abschließender Beratung des Spruchkörpers eingehende Schriftsätze zur Kenntnis genommen und dahingehend geprüft werden, ob sie Anlass geben, die Entscheidung zu überdenken (s. hierzu unten III.).

Für den Fall, dass eine neuerliche Beratung für erforderlich gehalten und am bislang gefundenen Urteil nicht festgehalten wird, hält das FG Köln einen Beschluss über die Wiederöffnung (des schriftlichen Verfahrens) für erforderlich (FG Köln v. 21.9.1990 – 7 K 4586/87, EFG 1991, 210, Rz. 7). Dies ist m.E. nicht zwingend. § 93 Abs. 3 FGO ist seinem Wortlaut nach nicht einschlägig (so auch das FG Köln v. 21.9.1990 – 7 K 4586/87, EFG 1991, 210, Rz. 7) und eine analoge Anwendung dürfte jedenfalls im Regelfall nicht erforderlich sein. Denn in der Situation, in der Kläger- oder Beklagtenseite nach Schluss der mündlichen Verhandlung ergänzend vortragen, besteht zwar grundsätzlich ein Interesse beider Seiten zu erfahren, dass das Gericht den Vortrag zum Anlass nimmt, neu zu verhandeln und zu entscheiden. Haben die Beteiligten hingegen auf mündliche Verhandlung verzichtet, erfahren sie in de...

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