Tenor

Die Revisionen der Beklagten und des Beigeladenen zu 1) gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. August 1988 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte und der Beigeladene zu 1) haben der Klägerin je zur Hälfte die außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Klägerin verlangt als Vollstreckungsgläubigerin von dem beklagten Rentenversicherungsträger Auszahlung des von ihr gepfändeten Altersruhegeldes der Beigeladenen zu 2).

Die im Jahre 1916 geborene Beigeladene zu 2) bezog von der Beklagten Altersruhegeld in Höhe eines Zahlbetrages von 1.027,52 DM (Stand: 1. Juli 1984) bzw 1.041,90 DM (Stand: 1. August 1985). Wegen verschiedener bislang nicht vollständig beglichener titulierter Forderungen der Klägerin gegen die Beigeladene zu 2) pfändete das Amtsgericht (AG) Hannover auf Antrag der Klägerin den pfändbaren Teil der Rente gemäß § 54 Erstes Buch des Sozialgesetzbuches (SGB 1), § 850c Zivilprozeßordnung (ZPO) und überwies ihn der Klägerin zur Einziehung. Bis März 1985 zahlte die Beklagte der Klägerin den nach § 850 c ZPO pfändbaren Teil der Rente (zuletzt 186,20 DM mtl) aus.

Der Beigeladene zu 1) gewährte der zu 2) beigeladenen Versicherten seit dem 17. Dezember 1984 als Hilfe in besonderen Lebenslagen (§§ 27 ff Bundessozialhilfegesetz BSHG-) Hilfe zur Pflege in einem Alten- und Pflegeheim. Mit einem am 11. Januar 1985 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben nahm er die Beklagte gemäß § 104 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB 10) auf Aufwendungsersatz in Anspruch, und zwar in voller Rentenhöhe, also auch in Höhe des gepfändeten Teils der Rente. Diesen Anspruch erfüllte die Beklagte gegenüber dem Beigeladenen zu 1) nur in Höhe des nach § 850c ZPO unpfändbaren Teils der Rente. Den gepfändeten Teil behielt sie ab April 1985 zurück. Sie zahlte ihn auch nicht an die Klägerin aus.

Die Klägerin hat Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin den gepfändeten Teil der Rente der Beigeladenen zu 2) auszuzahlen (Urteil vom 7. Januar 1987). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen zu 1) zurückgewiesen (Urteil vom 10. August 1988). Es hat im wesentlichen ausgeführt: Nach § 54 SGB 1 könnten Ansprüche auf laufende Geldleistungen hier Rentenleistungen wie Arbeitseinkommen (§§ 850 ff ZPO) wegen anderer Ansprüche als Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen und Ansprüche auf einmalige Leistungen (Abs 1 und 2) gepfändet werden, soweit die in Abs 2 genannten Voraussetzungen vorlägen, dh soweit die Pfändung nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspreche und der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfebedürftig iS der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt werde (Abs 3 Nr 2). Diese Voraussetzungen seien gegeben. Kein Beteiligter habe Bedenken gegen die Billigkeit der Pfändung erhoben. Sie sei auch nicht anzuzweifeln. Die zweite negative tatbestandliche Voraussetzung des § 54 Abs 3 Nr 2 SGB 1 liege ebenfalls vor. Die Beigeladene zu 2) sei am 17. Dezember 1984, als der Beigeladene zu 1) zu leisten begonnen habe, nicht hilfebedürftig iS der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 11 ff BSHG) geworden, sondern lediglich hilfebedürftig iS der Vorschriften über die Hilfe in besonderen Lebenslagen (§§ 27 ff BSHG, insbesondere § 43 Abs 1 BSHG). Auch die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB 10 greife nur ein, soweit der Leistungsträger, also der Beigeladene zu 1), einen Erstattungsanspruch erworben habe. Doch gerade, soweit der Anspruch der Beigeladenen zu 2) gepfändet worden sei, habe der Beigeladene zu 1) keinen Erstattungsanspruch erworben.

Sowohl die Beklagte als auch der Beigeladene zu 1) haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügen eine Verletzung des § 54 Abs 1 SGB 1 sowie der §§ 104, 106, 107 SGB 10.

Die Beklagte und der Beigeladene zu 1) beantragen,

das angefochtene Urteil und das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 7. Januar 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und die Beigeladene zu 2) sind im Revisionsverfahren nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.

II

Die Revisionen der Beklagten und des Beigeladenen zu 1) sind unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Recht verurteilt, der Klägerin den gepfändeten Teil der Rente der Beigeladenen zu 2) auszuzahlen.

Das LSG hat ohne Rechtsfehler die Wirksamkeit der Pfändungen des pfändbaren Teils der Rente der Beigeladenen zu 2) durch die Klägerin gemäß § 54 Abs 3 Nr 2 SGB 1 bejaht. Bedenken gegen die Billigkeit der Pfändung (§ 54 Abs 2 SGB 1) bestehen nach den für das Revisionsgericht gemäß § 163 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht. Auch die der Beigeladenen zu 2) vom Beigeladenen zu 1) seit dem 17. Dezember 1984 gewährte Hilfe in besonderen Lebenslagen iS der §§ 27 ff, 43 Abs 1 BSHG durch Heimunterbringung steht der Wirksamkeit der Pfändung gemäß § 54 Abs 3 Nr 2 SGB 1 nicht entgegen, weil nach dieser Vorschrift die Pfändung der Rente nur ausgeschlossen wäre, wenn dadurch der Leistungsberechtigte hilfsbedürftig iS der Vorschriften des BSHG über die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 11 ff BSHG) geworden wäre. Dies ist hier indes nicht geschehen.

Die Revisionsführer wollen zwar die Pfändungsbeschränkung des § 54 Abs 3 Nr 2 SGB 1 im Wege der Rechtsfortbildung auch auf die Sozialhilfe in besonderen Lebenslagen ausgedehnt wissen. Dies würde aber eine dem Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschrift unbewußte Gesetzeslücke voraussetzen. In solchen Fällen hat die Rechtsprechung aber zunächst davon auszugehen, daß der Wortlaut der Vorschrift den Willen des Gesetzgebers zutreffend zum Ausdruck bringt, sofern sich nicht aus der Entstehungsgeschichte sowie aus Inhalt und Zweck der Vorschrift Anhaltspunkte ergeben, die mit hinreichender Sicherheit den Schluß auf ein planwidriges Unterlassen des Gesetzgebers zulassen (vgl das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 29. Juni 1989 5 RJ 23/88 – mwN). Da der Gesetzgeber im BSHG selbst von unterschiedlichen Sozialhilfeleistungen ausgeht und er der Hilfsbedürftigkeit in besonderen Lebenslagen im Rahmen des § 54 Abs 3 Nr 2 SGB 1 keinerlei Relevanz beigemessen hat (ebenso bereits Bundessozialgericht –BSG– in SozR 1300 § 104 Nr 4), kann die von den Revisionsklägern befürwortete richterliche Rechtsfortbildung nicht in Betracht kommen.

Wie der erste Senat des BSG in den Urteilen vom 14. November 1984 (BSGE 57, 218 = SozR 1300 § 104 Nr 3) und 30. Januar 1985 (SozR 1300 § 104 Nr 4) bereits entschieden hat, schließt § 104 Abs 3 SGB 10 den Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Erstattung erbrachter Sozialleistungen (§ 104 Abs 1 Sätze 1 und 4 SGB 10) gegen den vorrangigen Leistungsträger der gesetzlichen Rentenversicherung insoweit aus, als dieser aufgrund früherer wirksamer Abtretung des Leistungsanspruchs durch den Rentenberechtigten nach § 53 Abs 3 SGB 1 an einen Dritten zu leisten verpflichtet ist. Sowohl der Gläubigerschutz wie auch die Freiheit der Verfügung des Rentners über seinen Rentenanspruch, wie sie beide durch § 53 Abs 3 SGB 1 gezielt neu ausgeformt sind, verbieten das. Ein solch tiefer Eingriff bedürfte einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung. An ihr fehlt es bis dato. Diese bisherige vom Gesetzgeber gewollte grundsätzliche Prioritätsregelung bei der Übertragung von Ansprüchen auf laufende Geldleistungen nach § 53 Abs 3 SGB 1 gilt für die Pfändung iS des § 54 Abs 3 SGB 1 gleichermaßen. Diese wird mit Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wirksam (§§ 829 Abs 3, 835 Abs 3 ZPO). Die Beklagte ist daher aufgrund der vor Beginn der Hilfe zur Pflege in einem Altenheim (17. Dezember 1984) durch den Beigeladenen zu 1) wirksam gewordenen Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse zur Leistung an die Klägerin verpflichtet.

Wie das LSG ebenfalls zutreffend erkannt hat, ändert an diesem Ergebnis auch nicht die sogenannte Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB 10, weil diese nur eingreift, „soweit” ein Erstattungsanspruch besteht. Gerade dieser ist indes zugunsten des Beigeladenen zu 1) infolge der zeitlichen Prioritätsregelung in § 104 Abs 3 SGB 10 zu verneinen.

Der erkennende Senat hatte zwar in einem Beschluß vom 8. April 1987 – 5a RKn 11/85 – an den 1. Senat des BSG seine Bedenken gegen den zu Lasten des nachrangig verpflichteten Sozialhilfeträgers gehenden Regelungsgehalt der §§ 104 Abs 3, 107 Abs 1 SGB 10 zum Ausdruck gebracht und deshalb beim 1. Senat angefragt, ob an der in den Urteilen vom 14. November 1984 und 30. Januar 1985 aaO vertretenen Rechtsauffassung festgehalten wird. Dies hat der 1. Senat in seiner Anfragebeantwortung vom 22. Juni 1988 – 1 S 4/87 – bejaht. Das Erste Gesetz zur Änderung des SGB – 1. SGBÄndG – vom 20. Juli 1988 (BGBl I 1046) hat dem erkennenden Senat die Erkenntnis vermittelt, daß die Auslegung der §§ 104, 107 SGB 10 durch den 1. Senat des BSG dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Denn dieser hatte in Kenntnis der Rechtsprechung des 1. Senats und der hiergegen vom erkennenden Senat geäußerten Bedenken im 1. SGBÄndG zunächst eine Ergänzung von § 107 Abs 1 SGB 10 vorgesehen, wonach die Erfüllungsfiktion dieser Regelung auch Anwendung finden sollte, „wenn” der Anspruch übertragen oder verpfändet worden ist. Diese Ergänzung ist dann aber in das 1. SGBÄndG nicht aufgenommen worden (vgl Sasdrich, SGB-Änderungen und Ergänzungen, in BArbBl 1988 Heft 12, Seite 5, 8). Die zunächst beabsichtigte gesetzliche Änderung kann hier nicht – wie Sasdrich aaO meint – auf die „Initiative” des BSG übergegangen sein. Dem erkennenden Senat ist die Anrufung des Großen Senats des BSG in der genannten Anfragesache ohnehin verwehrt, weil diese in die Zuständigkeit des 8. Senats des BSG übergegangen ist. Im übrigen kann einer sozialpolitisch nicht immer befriedigenden Lösung – wie auch der 1. Senat in seinem Beschluß vom 22. Juni 1988 aaO abschließend betont hat – nicht durch die Rechtsprechung abgeholfen werden. Das ist vielmehr allein Sache des Gesetzgebers.

Den Revisionen der Beklagten und des Beigeladenen zu 1) mußte nach alledem der Erfolg versagt bleiben. Sie waren zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 605864

BSGE, 258

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