Leitsatz (amtlich)

Unterbleibt der durch § 4 Abs. 2 VwZG geforderte Aktenvermerk, so ist die Zustellung ordnungswidrig und unwirksam.

 

Normenkette

VwZG § 4 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Kläger erhoben gegen den ihnen im Januar 1967 erteilten Einkommensteuer-Bescheid für 1965 durch ihre Steuerbevollmächtigte und jetzige Prozeßbevollmächtigte Einspruch. Das FA übersandte der Bevollmächtigten der Kläger eine Ausfertigung seiner den Einspruch zurückweisenden Entscheidung durch einen eingeschriebenen Brief, der den Poststempel vom 6. April 1967 erhielt. Einen Absendevermerk nach § 4 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) nahm der zuständige Beamte des FA in die Akten nicht auf. Nach Eingang der Einspruchsentscheidung ließ die Bevollmächtigte einen Schriftsatz anfertigen, der die Erklärung enthielt, sie erhebe im Namen der Kläger wegen des Steuerbescheides und der Einspruchsentscheidung Klage. Infolge eines Versehens warf sie den Schriftsatz, ohne ihn unterzeichnet zu haben, am 27. April 1967 in den Briefkasten des FA. Nachdem das FA den Schriftsatz dem FG vorgelegt hatte, gab ihn dieses der Bevollmächtigten unter Hinweis auf das Fehlen der Unterschrift zurück. Am 17. Mai 1967 ging der nunmehr mit der Unterschrift versehene Schriftsatz beim FG wieder ein. Dieses nahm an, daß die Klage erst am 17. Mai 1967 erhoben worden sei, und wies sie durch Urteil VIII 71/67 vom 11. Oktober 1967 (EFG 1968, 210) mit folgender Begründung als unzulässig ab:

Die Ausfertigung der Einspruchsentscheidung, die das FA durch den mit dem Poststempel vom 6. April 1967 versehenen eingeschriebenen Brief der Bevollmächtigten zugesandt habe, gelte dieser gemäß § 4 Abs. 1 VwZG mit dem 9. April 1967 als zugestellt. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß das Schriftstück erst zu einem späeren Zeitpunkt oder gar nicht zugegangen sei. Die Zustellung des Schriftstückes sei ungeachtet der Tatsache wirksam gewesen, daß der zuständige Beamte des FA den durch § 4 Abs. 2 VwZG vorgeschriebenen Absendevermerk in die Akten nicht aufgenommen habe (vgl. auch Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, § 4 VwZG Anm. 3). In der Rechtsprechung über die im § 17 VwZG geregelte Zusendung durch einfachen Brief sei zwar hin und wieder die Auffassung vertreten worden, daß das Fehlen eines gesetzlich vorgeschriebenen Absendevermerks die Zusendung unwirksam mache. Aus dieser ohnehin bedenklichen Auffassung könne aber für die Auslegung des § 4 Abs. 2 VwZG nichts hergeleitet werden, weil eingeschriebene Briefe im Gegensatz zu einfachen Briefen Gegenstand von Aufzeichnungen der Post seien, durch die sich ihre Zustellung jederzeit nachweisen lasse. Deshalb erscheine die Aufnahme eines zusätzlichen Aktenvermerks entbehrlich. Das Fehlen des Aktenvermerks könne im übrigen auch deshalb die Rechtswirksamkeit der Zustellung nicht beeinträchtigen, weil es dem Adressaten, der den Empfang des eingeschriebenen Briefes ordnungsgemäß gegenüber der Postanstalt quittiert habe, in der Regel unbekannt bleibe. Somit habe die Klagefrist am 9. April 1967 begonnen und mit Ablauf des 9. Mai 1967 geendet. Die Klage sei erst in dem Zeitpunkt erhoben worden, in dem die mit einer Unterschrift versehene Klageschrift beim FG eingegangen sei, also erst am 17. Mai 1967 und somit erst nach Ablauf der Frist. Nach dem Urteil des BVerwG IV B 140/65 vom 14. Februar 1966 (HFR 1966, 331) könne die Frage, ob jemand einen Rechtsbehelf einlegen wollte, mit ausreichender Sicherheit nur auf Grund der unterschriftlichen Vollziehung des betreffenden Schriftsatzes beantwortet werden. Von diesem Grundsatz habe die Rechtsprechung zwar Ausnahmen dann zugelassen, wenn sich der auf die Einlegung des Rechtsbehelfs gerichtete Wille auf sonstige Weise zweifelsfrei ermitteln lasse. Das sei aber hier nicht der Fall. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht entsprochen werden, weil die Bevollmächtigte die Fristversäumung verschuldet habe und die Kläger sich dieses Verschulden wie ein eigenes Verschulden anrechnen lassen müßten.

Mit ihrer Revision machen die Kläger geltend, das FG-Urteil verstoße gegen Bundesrecht. Sie führen u. a. aus: der § 4 Abs. 2 VwZG schreibe bindend vor, daß in den Akten zu vermerken sei, wann der Brief zur Post gegeben worden sei. Dieser Vorschrift entspreche die des § 17 Abs. 4 VwZG, wonach die Absendestelle die in den Akten verbleibende Urschrift mit dem Vermerk „Zur Post am …” zu versehen habe. Wenn dieser Vermerk fehle, sei die Zusendung gemäß dem Urteil des BFH V z 152/56 vom 19. September 1957 (StRK, Verwaltungszustellungsgesetz, § 17, Rechtsspruch 5) ordnungswidrig. Das müsse auch gelten, wenn der im § 4 Abs. 2 VwZG vorgeschriebene Vermerk fehle. Beim Erlaß der Vorschrift des § 4 Abs. 2 VwZG sei dem Gesetzgeber bekannt gewesen, daß eingeschriebene Briefe Gegenstand besonderer Aufzeichnungen der Postbehörden seien. Der Gesetzgeber habe somit durch den § 4 Abs. 2 VwZG bekundet, daß ihm diese Aufzeichnungen als Zustellungsnachweis nicht genügten. Der Verstoß gegen § 4 Abs. 2 VwZG habe bewirkt, daß die Klagefrist nicht in Lauf gesetzt worden sei. Das FA könne sich auch nicht darauf berufen, daß in seinem Posteinlieferungsbuch unter dem 6. April 1967 ein für ihre Bevollmächtigte bestimmter eingeschriebener Brief ausgewiesen sei. Denn diese Eintragung lasse nicht erkennen, daß dieser Brief die gegenwärtige Sache betreffe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist zulässig und hat Erfolg.

Nach § 4 Abs. 2 VwZG „ist” bei der Zustellung durch eingeschriebenen Brief in den Akten zu vermerken, an welchem Tag der Brief zur Post gegeben wurde. Für die Zusendung durch einfachen Brief schreibt der § 17 Abs. 4 VwZG vor, daß die Absendestelle auf der bei den Akten verbleibenden Urschrift des Schriftstückes zu vermerken „hat”: „Zur Post am …” In beiden Fällen handelt es sich also um zwingende Formvorschriften, die von der Verwaltung auch dann zu beachten sind, wenn ihre Bedeutung im Einzelfall minimal sein sollte (vgl. BFH-Urteil I 199/65 vom 9. August 1966, BFH 87, 233, BStBl III 1967, 134, 137). In bezug auf eine Verletzung des § 17 Abs. 4 VwZG hat der BFH bereits im Urteil V z 152/56 (a. a. O.) ausgesprochen, daß ohne den vorgeschriebenen Aktenvermerk auf der Urschrift des Schriftstückes eine ordnungsgemäße Zusendung im Sinne des § 17 VwZG nicht vorliegt. Er hat an dieser vom Niedersächsischen Finanzgericht (Zwischen-Urteil V B 29-30/59 vom 21. Februar 1961, EFG 1961, 428) und von Tipke-Kruse (Reichsabgabenordnung, Kommentar, 2. Aufl., § 17 VwZG Anm. 5b) geteilten Auffassung im Urteil I 199/65 (a. a. O.) festgehalten und lediglich zugestanden, daß dem § 17 Abs. 4 VwZG auch dann noch Genüge getan sei, wenn der Aktenvermerk nicht genau dem Gesetzeswortlaut entspricht. Im Urteil II R 57/66 vom 16. Juli 1968 (BFH 93, 129, BStBl II 1968, 728) hat der BFH erneut zum Ausdruck gebracht, daß eine Verletzung der Formvorschriften des § 17 Abs. 4 VwZG die Zusendung ordnungswidrig und unwirksam macht.

Da auch der § 4 Abs. 2 VwZG die Aufnahme eines Aktenvermerks zwingend vorschreibt, besteht kein Anlaß, hier das Fehlen des Aktenvermerkes weniger streng zu beurteilen als im Falle des § 17 Abs. 4 VwZG. Unterbleibt also der durch § 4 Abs. 2 VwZG geforderte Aktenvermerk, so ist die Zustellung ordnungswidrig und unwirksam. Auf die gegenteilige Auffassung von Tipke-Kruse (a. a. O.) kann der Senat nicht eingehen, weil für sie eine Begründung nicht angegeben ist. Die Tatsache, daß die Einlieferung und die Zustellung eingeschriebener Briefe von der Post in Einlieferungsbüchern und in sonstigen Aufzeichnungen bescheinigt und vermerkt werden, kann zu keiner anderen Beurteilung führen. Denn der Gesetzgeber hat selbst davon abgesehen, an sie irgendwelche Rechtsfolgen zu knüpfen; er hat vielmehr ohne Rücksicht auf sie die Anbringung des Aktenvermerkes ausdrücklich verlangt. Es steht weder der Verwaltung noch der Rechtsprechung zu, diese Entscheidung des Gesetzgebers zu korrigieren. Es ist auch nicht gerechtfertigt, über die Verletzung der zwingenden Vorschrift des § 4 Abs. 2 VwZG etwa deshalb hinwegzusehen, weil sie den Klägern zunächst nicht bekannt wurde. Selbst wenn der § 4 Abs. 2 VwZG wegen der Möglichkeit, die Absendung eines eingeschriebenen Briefes auf andere Weise als durch den geforderten Aktenvermerk zu belegen, nur noch als „reine Ordnungsvorschrift” aufzufassen wäre, könnte das FA nicht aus seiner Verpflichtung entlassen werden, auch zwingende Ordnungsvorschriften zu beachten, und die unter Verletzung einer „reinen Ordnungsvorschrift” vorgenommene Zustellung gleichwohl nicht als ordnungsgemäß behandelt werden. Für das Verlangen des FA, hier das Posteinlieferungsbuch an die Stelle des von ihm pflichtwidrig unterlassenen Aktenvermerks treten zu lassen, fehlt es an einer Rechtsgrundlage.

Die Heilungsvorschrift des § 9 Abs. 1 VwZG, daß ein unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangenes Schriftstück in dem Zeitpunkt als zugestellt gilt, in dem es der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat, ist gemäß § 9 Abs. 2 VwZG im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil hier mit der Zustellung eine Frist für die Klageerhebung beginnen sollte.

Da die Zustellung der Einspruchsentscheidung ordnungswidrig und unwirksam war, wurde durch sie die Klagefrist nicht in Lauf gesetzt (vgl. BFH-Urteil I R 9/68 vom 14. November 1968, BFH 94, 202, BStBl II 1969, 151). Es kann deshalb dahinstehen, ob der Klageschriftsatz schon vor oder erst nach seiner Unterzeichnung als Klage zu behandeln war. Auch wenn man die strengere Auffassung vertritt, daß nur ein unterzeichneter Schriftsatz als Klageschrift anerkannt werden könne, ist die Klage inzwischen rechtzeitig erhoben worden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 557394

BStBl II 1969, 476

BFHE 1969, 419

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