Entscheidungsstichwort (Thema)

Zu den Anforderungen an eine Verfügung nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG

 

Leitsatz (NV)

Ergibt sich aus der Klageschrift, daß deren Unterzeichner und der als Prozeßbevollmächtigte Benannte nicht indentisch sind, löst eine Verfügung nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG, die sich nur an letzteren richtet und nur von ihm eine Prozeßvollmacht anfordert, keine Präklusionswirkung aus.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 3; VGFGEntlG Art. 3 § 1

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Im Namen der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden in zwei getrennten Schriftsätzen - jeweils auf Kanzleipapier des Steuerberaters X - am 16. Juni 1987 beim Finanzgericht (FG) zwei Anfechtungsklagen ,,wegen unzutreffender Steuerfestsetzung" erhoben: Zum einen im Namen der Kläger (zu 1) wegen Einkommensteuer 1974 bis 1981 und zum anderen im Namen des Klägers (zu 2) wegen Umsatzsteuer 1974 bis 1981. Im Rubrum der Klageschriften war jeweils als alleiniger Bevollmächtigter ebenfalls der Steuerberater X benannt. Unterzeichnet waren die Klageschriften dagegen von Steuerberater Y; dieser ist am Ende der Schriftstücke auch durch entsprechenden Maschinenausdruck als Verfasser ausgewiesen; im übrigen findet sich in den Klageschriften kein Hinweis auf seine verfahrensrechtliche Stellung.

Nachdem wiederholte Aufforderungen zur Vorlage der Prozeßvollmachten erfolglos geblieben waren, forderte der Berichterstatter den Steuerberater X mit Verfügung vom 20. Januar 1988 unter Berufung auf Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (VGFGEntlG) auf, für beide Gerichtsverfahren auf ihn lautende Vollmachten vorzulegen, und setzte hierfür eine Ausschlußfrist bis zum 10. Februar 1988.

Am 10. Februar 1988 gingen mit einer vom Steuerberater Y unterzeichneten ,,Kurznachricht" zwei auf den Steuerberater X lautende Vollmachten der Kläger vom 5. Februar 1988 ein. Nach Terminsanberaumung gingen dem FG am 15. bzw. 22. Juli 1988 die Klagebegründungen zu. Auch diese Schriftsätze weisen, in gleicher Weise wie zuvor die Klageschriften, als Bevollmächtigten allein den Steuerberater X aus, waren aber ebenfalls von Steuerberater Y unterschrieben. Nachdem der Vorsitzende mit Verfügung vom 21. Juli 1988 auf diesen Umstand und hieraus abzuleitende Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klagen hingewiesen hatte, legte Steuerberater Y im Termin vom 10. August 1988 für beide Verfahren eine auf ihn lautende Vollmacht des Steuerberaters X vom 9. August 1988 vor. Außerdem erklärten sich die im Termin anwesenden Kläger mit der Vertretung durch den Steuerberater Y einverstanden.

Das FG wies die Klagen mit der Begründung als unzulässig ab, die innerhalb der Ausschlußfrist vorgelegten Vollmachten enthielten keine Befugnis zur Unterbevollmächtigung. Die von Steuerberater Y in der mündlichen Verhandlung überreichte Untervollmacht sei verspätet vorgelegt worden. Die darin enthaltenen Prozeßerklärungen seien daher unbeachtlich. Darauf, daß der Berichterstatter in der Verfügung vom 20. Januar 1988 auf die Unterzeichnung der Klageschriften durch einen Dritten nicht hingewiesen habe, komme es nicht an. Es sei nicht Sache des Gerichts, auf die mit einer solchen Verfahrensweise verbundenen Besonderheiten aufmerksam zu machen.

Mit den Revisionen rügen die Kläger Verletzung des Art. 3 § 1 VGFGEntlG.

 

Entscheidungsgründe

I. Die vom Senat gemäß den §§ 121, 73 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Revisionen sind begründet.

Zu Unrecht hat das FG die Klagen als unzulässig angesehen. Die am 9. August 1988 erteilte und in der mündlichen Verhandlung von den Klägern bestätigte Untervollmacht wurde nicht verspätet vorgelegt.

1. Ein Beteiligter am finanzgerichtlichen Verfahren, der sich gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 FGO durch einen Bevollmächtigten vertreten läßt, hat eine schriftliche Vollmacht zu erteilen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO). Diese kann nachgereicht werden. Hierzu kann der Vorsitzende oder der von ihm nach § 79 FGO bestellte Richter eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen (§ 62 Abs. 3 Satz 2 FGO i. V. m. Art. 3 § 1 VGFGEntlG). Wird die Vollmacht innerhalb dieser Frist nicht bei Gericht eingereicht, ist die Klage grundsätzlich (d. h., sofern nicht Wiedereinsetzungsgründe - § 56 FGO - vorliegen) wegen Fehlens einer Sachentscheidungsvoraussetzung durch Prozeßurteil abzuweisen (vgl. u. a. die Urteile des Bundesfinanzhof - BFH - vom 11. Januar 1980 VI R 11/79, BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229, und vom 28. Februar 1989 VIII R 181/84, BFH/NV 1989, 716 m. w. N.). Gleiches gilt, wenn die rechtzeitig vorgelegte Prozeßvollmacht mit einem wesentlichen Mangel behaftet ist (vgl. BFH-Urteile vom 17. Juli 1984 VIII R 20/82, BFHE 141, 463, BStBl II 1984, 802 und vom 10. März 1988 IV R 218/85, BFHE 153, 195, BStBl II 1988, 731, 732 m. w. N.).

Der Umfang solcher prozessualer Folgen richtet sich im Einzelfall nach der gemäß § 62 Abs. 3 Satz 2 FGO i. V. m. Art. 3 § 1 VGFGEntlG erlassenen richterlichen Verfügung: Die Präklusionswirkung reicht nicht weiter als der (eindeutig ausgedrückte) Inhalt dieser Maßnahme (zu den formellen Voraussetzungen vgl. BFH-Urteil vom 30. März 1988 I R 140/87, BFHE 153, 388, BStBl II 1988, 836, 838 zu III., m. w. N.).

Die Verfügung vom 20. Januar 1988 enthält keinerlei Hinweise auf das Fehlen einer Untervollmacht. Sie wendet sich nur an den in der Klageschrift als (Haupt-)Bevollmächtigten Benannten, den Steuerberater X, und beschränkt sich darauf, von ihm eine auf ihn lautende Prozeßvollmacht zu verlangen. Dieser Aufforderung sind die Kläger durch die Vorlage der Vollmachten vom 5. Februar 1988 rechtzeitig nachgekommen. Daß hiervon die Unterzeichnung der Klageschriften durch den Steuerberater Y nicht gedeckt war, hätte nur dann zu den vom FG angenommenen Folgen führen können, wenn auch dieser Umstand zuvor ausdrücklich zum Gegenstand der Verfügung vom 20. Januar 1988 oder einer entsprechenden ergänzenden richterlichen Anordnung gemacht worden wäre. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich - wie im Streitfall - aus der Klageschrift selbst deutlich ergibt, daß der als Vertreter Benannte und der Unterzeichner des Schriftstückes nicht identisch sind.

Bei einer derartigen Fallgestaltung fällt die prozessuale Mitverantwortung der Beteiligten (§§ 155 FGO, 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) gegenüber der richterlichen Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 76 Abs. 2 FGO, § 155 FGO i. V. m. § 139 ZPO) nicht entscheidend ins Gewicht.

Unter den gegebenen Umständen hätte das FG die Vollmacht vom 9. August 1988 sowie die hierzu in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebenen Prozeßerklärung der Kläger nicht als verspätet ansehen dürfen.

2. Es kann dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen die Erteilung einer Untervollmacht im Prozeßrecht zulässig ist (vgl. dazu Thomas/Putzo, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 15. Aufl. 1987, § 81 Anm. 3b, und Zöller, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 15. Aufl. 1987, § 81 Rdnr. 6, jeweils m. w. N.), ob der Unterbevollmächtigte als Vertreter des Hauptbevollmächtigten oder des Vertretenen anzusehen ist (vgl. dazu J. W. Gerlach, die Untervollmacht, Berlin 1967, S. 15 ff. und S. 106 ff.; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl. 1986, S. 301 und S. 311) und an wen demgemäß in solchen Fällen eine Verfügung nach § 62 Abs. 3 FGO i. V. m. Art. 3 § 1 VGFGEntlG zu richten ist (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., 1987, § 62 Rz. 77 m. w. N.). Denn alle insoweit denkbaren Verfahrensmängel sind noch immer heilbar.

II. Da die angefochtenen Urteile keine Feststellungen enthalten, die eine Revisionsentscheidung in der Sache erlauben (§ 118 Abs. 2 FGO), war nach § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zu verfahren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1 und Abs. 2 FGO.

 

Fundstellen

BFH/NV 1991, 179

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