Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur bindenden Zusage des FA unter der Geltung der RAO

 

Leitsatz (NV)

Auch unter der Geltung der RAO setzt eine bindende Zusage des Finanzamts eine ausdrückliche Erklärung des Finanzamts voraus, in der es sich für einen bestimmten Sachverhalt zu einer bestimmten rechtlichen Beurteilung verpflichtet.

 

Normenkette

EStG bis 1982 § 34 Abs. 4; AO 1977 § 204 ff.

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 10.03.1987; Aktenzeichen 1 BvR 34/86)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Medizinaldirektor. Er besitzt u. a. die Qualifikation als Laborarzt und ist Sachverständiger für gerichtliche Blutgruppengutachten zur Feststellung der Vaterschaft. 1962 gründeten Prof. X und der Kläger eine Arbeitsgemeinschaft, in deren Rahmen der Kläger derartige serologische Gutachten zur Vaterschaftsfeststellung erstellte.

In Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerbescheide 1963 bis 1965 vertrat der Kläger gegenüber dem derzeit für die Veranlagung zuständigen Finanzamt (FA) R die Ansicht, daß ihm die Steuervergünstigung für Nebeneinkünfte aus wissenschaftlicher Tätigkeit gemäß § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zustehe, wie sie ihm das FA R bei der Veranlagung für 1962 und für seine frühere, allein ausgeübte Gutachtertätigkeit schon seit dem Veranlagungszeitraum 1958 zugebilligt hatte.

In einer Verhandlung beim FA R, die in Anwesenheit des Klägers und seiner steuerlichen Berater unter Leitung des ständigen Vertreters des Vorstehers des FA R und unter Beteiligung des Sachgebietsleiters und des Veranlagungsachbearbeiters am 28. Mai 1968 über die Einsprüche des Klägers und über die Einkommensteuererklärung 1966 stattfand, wurde bezüglich der Anwendung des begünstigten Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 4 EStG Übereinstimmung dahin erzielt, daß sämtliche aus der Arbeitsgemeinschaft fließenden Einkünfte aus wissenschaftlicher Nebentätigkeit stammen und dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, soweit die weiteren Voraussetzungen des § 34 EStG erfüllt sind.

Die Arbeitsgemeinschaft wurde im Jahre 1966 aufgelöst. Seither übt der Kläger seine Tätigkeit als Sachverständiger für Blutgruppengutachten wieder allein aus.

Für die Veranlagungszeiträume 1967 bis 1970 wurden die Einkünfte des Klägers aus seiner Gutachtertätigkeit - und zwar ab 1968 - durch das inzwischen zuständig gewordene FA, den Beklagten und Revisionskläger (FA), ebenfalls dem begünstigten Steuersatz nach § 34 Abs. 4 EStG unterworfen.

Die Einkommensteuerveranlagungen der Kläger für die Streitjahre (1971 und 1972) führte das FA mit Bescheiden vom 26. September 1973 und vom 4. November 1974 gemäß § 100 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung (AO) vorläufig durch.

Dabei betrugen für 1971 die Einkünfte des Klägers

aus selbständiger Arbeit als Gutachter 82 732 DM

aus nichtselbständiger Arbeit 98 348 DM

aus Kapitalvermögen 30 DM

aus Vermietung und Verpachtung ./. 7 500 DM.

Für 1972 betrugen die Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Gutachter 104 975 DM

aus nichtselbständiger Arbeit 107 304 DM

aus Kapitalvermögen 931 DM

aus Vermietung und Verpachtung ./. 7 500 DM.

Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zählten in beiden Streitjahren auch Aufwandsentschädigungen standesrechtlicher Organisationen in jeweils gleichbleibender Höhe.

Auf die streitbefangenen Einkünfte aus der Gutachtertätigkeit des Klägers wandte das FA wiederum den ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 4 EStG an.

Im Anschluß an eine Betriebsprüfung wurde vom FA die Auffassung vertreten, daß die vom Kläger bezogenen Aufwandsentschädigungen nicht wie bisher als Einkünfte aus nichtselbständiger, sondern als Einkünfte aus selbständiger Arbeit zu behandeln seien, mit der Folge, daß die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht mehr die Einkünfte aus selbständiger Nebentätigkeit überwogen und die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 4 EStG auf die Einkünfte aus der Gutachtertätigkeit entfiel. Mit gemäß § 225 AO berichtigten Bescheiden vom 6. Oktober 1976 unterwarf das FA daher die Einkünfte des Klägers aus selbständiger Gutachtertätigkeit für die Streitjahre dem normalen Steuersatz.

Mit dem Einspruch gegen diese Bescheide machten die Kläger geltend, daß es sich bei den streitigen Aufwandsentschädigungen um Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit handele. Gleichzeitig legten sie Beschwerde gegen den Einkommensteuervorauszahlungsbescheid für 1976 und 1977 ein. Mit Beschwerdeentscheidung vom 14. Dezember 1976 wies die Oberfinanzdirektion (OFD) die Beschwerde zurück, u. a. mit der Begründung, daß hinsichtlich der aus der Gutachtertätigkeit erzielten Einkünfte eine Anwendung des begünstigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 4 EStG mangels Abgrenzbarkeit zur nichtselbständigen Haupttätigkeit nicht in Betracht komme. Mit Einspruchsentscheidung vom 20. Januar 1978 folgte das FA der Auffassung der Kläger hinsichtlich der Aufwandsentschädigungen, lehnte jedoch die begünstigte Versteuerung der Einkünfte aus der Gutachtertätigkeit als Einkünfte aus wissenschaftlicher Nebentätigkeit unter Beachtung der Rechtsauffassung der OFD ab.

Im Klageverfahren hielten die Kläger ihr Begehren auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die Einkünfte aus der Gutachtertätigkeit aufrecht.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.

Es vertrat die Auffassung, die streitigen Nebeneinkünfte des Klägers stammten nicht aus einer typischen freien Katalogberufstätigkeit, insbesondere nicht aus einer Tätigkeit als Arzt. Zwar sei auch eine laufende ärztliche Gutachtertätigkeit als praktische ärztliche Berufstätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG anzusehen. Es treffe auch zu, daß der Kläger eine laufende Gutachtertätigkeit - im Gegensatz zur Erstellung einzelner umfangreicherer wissenschaftlicher Gutachten - im Hinblick auf die große Zahl der von ihm erstellten Gutachten (ca. 200 pro Jahr) und den verhältnismäßig geringen Zeitaufwand je Gutachten (ca. 4 bis 5 Stunden) zweifelsfrei ausübe. Trotzdem seien diese Gutachten nach Gegenstand und Methode keine ärztlichen Gutachten.

Sie hätten lediglich den Sinn, einen oder mehrere Männer als Erzeuger eines bestimmten Kindes auszuschließen oder zusätzlich die Möglichkeit der Vaterschaft zu bejahen. Die Kläger wiesen auch zutreffend darauf hin, daß die Blutgruppengutachten bei der Umsatzsteuer, die die Umsätze aus heilberuflicher Tätigkeit steuerfrei lasse (§ 14 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes - UStG), von der Rechtsprechung als nicht steuerbefreit behandelt würden. Die nichtärztliche Gutachtertätigkeit des Klägers stelle auch keinen praktischen Beruf dar, der dem eines Katalogberufs ähnlich sei, da bei der Erstellung von Blutgruppengutachten keine typischen Aufgaben eines der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG namentlich aufgeführten praktischen Berufe wahrgenommen würden.

Auch wenn man die Gutachtertätigkeit des Klägers als ärztliche Tätigkeit einstufe, könnte ihm für die Streitjahre die begehrte Tarifermäßigung nach Treu und Glauben nicht versagt werden. Denn die Gewährung der Tarifermäßigung für die Gutachtereinkünfte seit dem Veranlagungszeitraum 1962, unter Berücksichtigung insbesondere auch der eingehenden Verhandlung über die Gewährung der Vergünstigung im Jahre 1968, stelle insgesamt ein Verhalten des FA dar, an das es nach Treu und Glauben wie bei einer verbindlichen Rechtsauskunft gebunden sei.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 34 Abs. 4 EStG a. F.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurückzuverweisen. Als Gegenrüge bringen sie vor, das FG habe die beantragte Vernehmung der an der Verhandlung am 28. Mai 1968 beteiligten Beamten unterlassen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet.1., 2., und 3. Der BFH versagte die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG a. F. Hinsichtlich der Begründung im einzelnen wird auf die wörtlich übereinstimmenden Ausführungen im Urteil vom 7. Februar 1985 IV R 102/82 (BFHE 143/82, BStBl II 1985, 293) verwiesen.4. Nicht haltbar ist schließlich die Meinung des FG, die langjährige Gewährung der Tarifermäßigung in den Veranlagungsjahren vor den Streitjahren sei unter Berücksichtigung der eingehenden Verhandlung darüber am 28. Mai 1968 nach Treu und Glauben einer verbindlichen Rechtsauskunft oder einer Zusage des FA gleichzusetzen, ,,weil es im Kläger die feste Annahme wecken mußte, daß er sich bei seinen Dispositionen darauf verlassen konnte". Die vom FG aus dem Verhalten des FA abgeleitete Bindungswirkung könnte nur bejaht werden, wenn - wie der Kläger jetzt in der Revision behauptet - das FA in der Verhandlung am 28. Mai 1968 eine bindende Zusage für die Zukunft erteilt hätte. Eine solche Zusage setzt eine ausdrückliche Erklärung des FA voraus, in der es sich für einen bestimmten Sachverhalt zu einem bestimmten künftigen Verhalten, d. h. hier zu einer bestimmten rechtlichen Beurteilung der Einkünfte aus der Gutachtertätigkeit verpflichtet (vgl. Schick in Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Anm. 23 vor § 204 AO 1977). Selbst wenn man davon ausgeht, daß eine solche Zusage unter der Geltung der AO im Streitfall nicht unbedingt hätte schriftlich erteilt werden müssen, so fehlen für ihre Bejahung die tatsächlichen Voraussetzungen. Das FG hat ihr Vorliegen ausdrücklich verneint. Wenn der Kläger insoweit mangelnde Sachaufklärung rügt, weil das FG die beantragte Vernehmung der an der Verhandlung vom 28. Mai 1968 beteiligten Beamten unterlassen habe, so übersieht er, daß er diesen Mangel in der mündlichen Verhandlung vor dem FG oder schon im vorausgegangenen Erörterungstermin hätte geltend machen müssen. Als entscheidend kommt hier hinzu, daß sich auch aus dem gesamten eigenen Vorbringen des Klägers im finanzgerichtlichen Verfahren nicht entnehmen läßt, daß dem Kläger eine solche bindende Zusage im obigen Sinne im Jahre 1968 erteilt worden ist. Dagegen sprechen nicht nur die vom FA angefertigte Aktennotiz über diese Verhandlung, auf die sich das FG bezogen hat, sondern auch alle anderen Umstände, die damit im Zusammenhang stehen und vorgetragen wurden. Logische Schlußfolgerungen, die man hinsichtlich der zukünftigen Behandlung der Gutachtereinkünfte aufgrund der Verhandlung vom 28. Mai 1968 ziehen konnte, führen allein zu keiner verbindlichen Zusage im dargelegten Sinne.

Das FA hat die ursprünglichen Veranlagungen der Streitjahre gemäß § 100 Abs. 2 AO für vorläufig erklärt, um die Einkünfte des Klägers aufgrund der Feststellungen einer Betriebsprüfung in vollem Umfange überprüfen zu können. Daran war es daher durch keine Zusage gehindert. Wäre die Auffassung des FG zutreffend, die aus dem Verhalten des FA insgesamt eine Bindungswirkung ableiten will, wären die FÄ gezwungen, an einer jahrelangen falschen rechtlichen Beurteilung von Einkünften auch nach dem Erkennen ihrer Unrichtigkeit bei den noch offenen Veranlagungen festzuhalten. Für eine solche Annahme fehlt jede Rechtsgrundlage.

Wenn das Urteil des FG Köln vom 23. März 1982 VIII 776/77 E (Entscheidungen der Finanzgerichte 1982, 567), auf das die Kläger Bezug nehmen, zur Stützung seiner gegenteiligen Auffassung darauf hinweist, daß auch die Steuerbefreiung des § 4 Abs. 14 UStG für heilberufliche Tätigkeiten nicht für die Tätigkeit als Blutgruppengutachter gelte, so verkennt es Sinn und Zweck der Vorschrift. Sie will nicht die ärztliche Tätigkeit als solche mit allen ihren Nebengebieten begünstigen; ihr Zweck ist es vielmehr, die ausschließlich heilberuflichen Leistungen sämtlicher einschlägiger Berufe, zu denen keineswegs alle Leistungen der Ärzte gehören, zugunsten der Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten (vgl. Eckhardt / Weiß, Umsatzsteuergesetz, Anm. 1 zu § 4 Nr. 14).

Das FG hat daher zu Unrecht dem Kläger für seine Einkünfte als gerichtlicher Sachverständiger für serologische Vaterschaftsgutachten die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 4 EStG a. F. gewährt. Die Vorentscheidung war daher aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414216

BFH/NV 1987, 613

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