Auszahlung der betrieblichen Altersversorgung als außerordentliche Einkünfte
Hintergrund: Auszahlung eines Versorgungsguthabens
Streitig war, ob die Auszahlung bei der Auflösung eines Versorgungsguthabens aus einer betrieblichen Altersversorgung tarifermäßigt besteuert wird.
A war bis Mai 2013 nichtselbständig beschäftigt. Aufgrund einer Konzernbetriebsvereinbarung hatte ihr Arbeitgeber ein betriebliches Versorgungswerk geschaffen, das aus dem vom Unternehmen finanzierten Basiskonto und dem optional durch Entgeltumwandlung vom Arbeitnehmer finanzierten Aufbaukonto besteht.
A hatte bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Unternehmen im Wege der Gehaltsumwandlung in den Versorgungsplan eingezahlt.
In 2013 erhielt sie bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, von der ein Teil (120.000 EUR) im Wege der Entgeltumwandlung in das Aufbaukonto eingezahlt wurde. Der ausbezahlte Abfindungsbetrag wurde ermäßigt besteuert. Die Zahlungen in die betriebliche Altersversorgung blieben nach § 3 Nr. 63 EStG unbesteuert.
Im Streitjahr 2015 löste A das Aufbaukonto auf und erhielt das darauf ausgewiesene Versorgungsguthaben von 144.000 EUR als Einmalbetrag ausbezahlt. Daneben bezog sie im Streitjahr und in den Folgejahren vom Arbeitgeber ein laufendes Überbrückungsgeld wegen Erwerbsminderung. Das Basiskonto blieb bestehen.
A beantragte für die im Streitjahr zugeflossene Auszahlung des Aufbaukontos ebenfalls die ermäßigte Besteuerung (Tarifermäßigung). Das FA lehnte das mit der Begründung ab, die Kapitalauszahlung rechne zu den Einkünften i.S. des § 22 Nr. 5 EStG, sodass wegen des bereits in der Konzernbetriebsvereinbarung enthaltene Wahlrecht auf Kapitalauszahlung § 34 EStG nicht anwendbar sei.
Dem widersprach das FG und gab der Klage statt.
Entscheidung: Tarifermäßigung nach § 34 EStG
Der BFH bestätigte das FG-Urteil. Die Auszahlung des auf dem Aufbaukonto ausgewiesenen Versorgungsguthabens ist nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG ermäßigt zu besteuern.
Entgeltumwandlung führt noch nicht zum Zufluss
Mit der Auszahlung des Versorgungsguthabens aus dem Aufbaukonto (144.000 EUR) erzielte A in 2015 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Bei dem Pensionsplan handelt es sich um eine Direktzusage. Diese Einnahmen sind - auch soweit der entgeltumgewandelte Betrag von 120.000 EUR betroffen ist - im Streitjahr 2015 zu erfassen. In Höhe der Entgeltumwandlung ist es in 2013 nicht zu einem Zufluss gekommen. Denn die bloße Einräumung von Ansprüchen gegenüber dem Arbeitnehmer führt noch nicht zum Zufluss, sondern erst der Eintritt des Leistungserfolgs durch die Erfüllung der Ansprüche (BFH v. 12.4.2007, VI R 6/02, BStBl II 2007, 581, Rz 13).
Keine Begünstigung als Entschädigung i.S.v. § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG
Die Auszahlung des Versorgungsguthabens stellt keine Entschädigung als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen i.S.v. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG dar. Eine solche Entschädigung muss unmittelbar durch den Verlust von steuerbaren Einnahmen bedingt sowie dazu bestimmt sein, diesen Schaden auszugleichen (BFH v. 25.8.2009, IX R 3/09, BStBl II 2010, 1030, Rz 11). Dies mag auf die im Jahr 2013 anlässlich des Verlusts des Arbeitsplatzes gezahlte Abfindung zutreffen. Die Auszahlung des Versorgungsguthabens in Höhe von 144.000 EUR im Jahr 2015 ist jedoch nicht als Bestandteil dieser Abfindung anzusehen. Sie diente allein der Erfüllung des Anspruchs auf Auszahlung der auf dem Aufbaukonto gutgeschriebenen Kapitalbausteine.
Die Auszahlung ist jedoch als Vergütung für mehrjährige Tätigkeit begünstigt
Die Voraussetzung der Mehrjährigkeit i.S.v. § 34 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist erfüllt, wenn die früheren Beitragszahlungen sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstrecken und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfassen (BFH v. 23.10.2013, X R 3/12, BStBl II 2014, 58, Rz 70). Dies ist hier der Fall. Das Guthaben auf dem Aufbaukonto setzte sich in einer Gesamtschau aus Entgeltumwandlungen aus verschiedenen Veranlagungszeiträumen zusammen.
Außerordentlichkeit der der Einkünfte
Durch die Zusammenballung der Einkünfte würde – ohne die Anwendung des § 34 EStG – eine erhöhte steuerliche Belastung entstehen. Der Außerordentlichkeit der Auszahlung des Versorgungsguthabens in 2015 steht nicht entgegen, dass die Einzahlung in das Aufbaukonto weit überwiegend aus der Abfindung aus 2013 für den Verlust des Arbeitsplatzes aufgebracht worden ist. Eine (schädliche) Auszahlung einer einheitlichen Entschädigung in zwei Teilbeträgen ist hierin nicht zu sehen. Denn die Zahlungen beruhten auf unterschiedlichen Rechtsgründen. Die Verlagerung des Besteuerungszugriffs vom Zeitpunkt der Gehaltsherabsetzung auf den (späteren) Eintritt des Versorgungsfalles bewirkt, dass das steuerliche Schicksal der entgeltumgewandelten Beträge losgelöst von dem des übrigen Arbeitsentgelts (verbleibender Teil der Abfindung) zu sehen ist.
Keine schädliche Teilauszahlung
Es liegt auch keine schädliche Teilauszahlung eines einheitlichen Versorgungsanspruchs vor. Denn das Überbrückungsgeld wurde unabhängig von dem Anspruch auf das jeweilige Versorgungsguthaben als zusätzliche Leistung erbracht und unterlag anderen Voraussetzungen. Auch bei den Versorgungsguthaben auf dem Basiskonto und auf dem Aufbaukonto handelte es sich um zwei selbständige und von den Vertragspartnern getrennt behandelte Ansprüche.
Hinweis: Vertragsauslegung durch das FG
Der BFH teilt die Auslegung des Pensionsplans durch das FG, dass keine schädliche Teilkapitalauszahlung eines einheitlichen Versorgungsanspruchs vorliegt. Da der BFH diese Auslegung für zutreffend hält, konnte dahinstehen, ob der BFH an die - zum Bereich der tatsächlichen Feststellung gehörende - Vertragsauslegung des FG nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, d.h. ob die Auslegung den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (BFH v. 8.11.2017, IX R 36/16, BFH/NV 2018, 215, Rz 10).
BFH Urteil vom 23.04.2021 - IX R 3/20 (veröffentlicht am 29.07.2021)
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