Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermessensausübung beim Verlangen nach Vermögensverzeichnis und eidesstattlicher Versicherung

 

Leitsatz (NV)

1. Eine auf § 284 AO 1977 gestützte Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist auch dann ermessensgerecht, wenn der Vollstreckungsschuldner eine eidesstattliche Versicherung nach § 95 AO 1977 anbietet.

2. Eine mit der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis verbundene berufsrechtliche Folge führt nicht zu einer Begrenzungdes der Finanzbehörde zustehenden Ermessens (1.).

3. Die noch nicht eingetretene Bestandskraft der vollstreckten Steuerforderung läßt für sich allein die Aufforderung (1.) noch nicht ermessensfehlerhaft erscheinen.

 

Normenkette

AO 1977 § 284 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 6, §§ 95, 251 Abs. 1, § 5; FGO § 102

 

Tatbestand

Das beklagte und revisionsklagende Finanzamt (FA) forderte den als Steuerberater tätigen Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wegen Steuerrückständen, hinsichtlich derer die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Klägers im wesentlichen erfolglos verlaufen war, zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 der Abgabenordnung (AO 1977) auf. Das Finanzgericht (FG) hob diese Aufforderung und die diese bestätigende Beschwerdeentscheidung auf. Die Anordnung verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das FA könne sich auf andere, weniger belastende Weise Überblick über die Vermögensverhältnisse des Vollstreckungsschuldners verschaffen. Es könne das Vermögensverzeichnis und eine eidesstattliche Versicherung dazu gemäß § 249 Abs. 2, § 95 AO 1977 verlangen, was nicht zur Eintragung in das Schuldnerverzeichnis und den damit verbundenen Nachteilen führe. Zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung aufgrund von § 95 AO 1977 sei der Kläger bereit.

Mit der Revision gegen dieses Urteil macht das FA im wesentlichen geltend, das FG habe die Anwendungsbereiche der §§ 95 und 284 AO 1977 verkannt. Für die eidesstattliche Versicherung als Hilfsmittel der Zwangsvollstreckung liege in § 284 AO 1977 eine spezielle Regelung vor. Ein Teilbetrag des Gesamtrückstands sei überdies bereits bestandskräftig festgesetzt.

Der Kläger weist auf die mit einer Eintragung in das Schuldnerverzeichnis verbundene Gefahr eines Widerrufs seiner Bestellung als Steuerberater hin (vgl. § 46 Abs. 2 Nr.6 des Steuerberatungsgesetzes) und meint, bei einem Steuerberater müßten insoweit für die Ermessensausübung nach § 284 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 andere Grundsätze als bei sonstigen Steuerpflichtigen gelten. Das Hauptverfahren über die Steuerfestsetzung, derentwegen im wesentlichen die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung betrieben werde, sei im übrigen noch nicht bestandskräftig abgeschlossen; das FG habe der gegen die Steuerfestsetzung erhobenen Klage zwar nur in geringem Umfang stattgegeben, doch sei die Revision zugelassen worden. Die Rechtsprechung zur Verpflichtung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung beziehe sich aber ganz offensichtlich auf bestandskräftig festgesetzte Steuern. Angesichts der einschneidenden wirtschaftlichen Folgen der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung im Streitfall sei deren Anforderung ermessensfehlerhaft (Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluß vom 27. Juni 1956 II 284/55 U, BFHE 63, 81, BStBl III 1956, 228).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist die angefochtene Aufforderung nicht ermessensfehlerhaft.

Wie der Senat entschieden hat (grundlegend Urteil vom 24. September 1991 VII R 34/90, BFHE 165, 477, BStBl II 1992, 57; seither mehrfach, vgl. etwa Beschlüsse vom 10. Dezember 1991 VII B 219/91, BFH/NV 1992, 508, und vom 8. Januar 1992 VII S 29/91, BFH/NV 1992, 578), ist eine auf § 284 AO 1977 gestützte Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch dann ermessensgerecht, wenn der Vollstreckungsschuldner eine eidesstattliche Versicherung nach § 95 AO 1977 anbietet. Die angefochtenen Verwaltungsakte, für die die tatbestandliche Voraussetzung nach § 284 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gegeben ist, sind nach dieser Rechtsauffassung, an der festzuhalten ist, nicht zu beanstanden.

Die berufsrechtliche Folge, die die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis auszulösen vermag, führt nicht zu einer Begrenzung des der Finanzbehörde zustehenden Ermessens, deren Überschreitung gerichtlich nachprüfbar wäre (§ 102 FGO). Gegen die Auffassung des Klägers spricht, daß eine entsprechende Ermessensbeschränkung eine Privilegierung solcher Vollstreckungsschuldner bedeuten würde, die bei einer Eintragung in das Schuldnerverzeichnis berufsrechtliche Konsequenzen zu befürchten hätten. Eine derartige Besserstellung - mit der Wirkung, daß auf das Druckmittel der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 2 AO 1977 und den mit der Aufnahme in das Schuldnerverzeichnis (§ 284 Abs. 6 AO 1977) verbundenen Gläubigerschutz von vornherein zu verzichten wäre - kann aber Steuerberatern (und ggf. Angehörigen vergleichbarer Berufsgruppen) nicht zugebilligt werden. Eine Privilegierung verbietet sich sowohl im Hinblick auf die gebotene Gleichbehandlung aller Vollstreckungsschuldner - gleich, welchen Berufs - als auch deshalb, weil es nicht angängig erscheint, der Finanzbehörde bei der Vollstreckung gegen Angehörige bestimmter Berufsgruppen Beschränkungen aufzuerlegen, denen Privatgläubiger solcher Personen vollstreckungsrechtlich nicht unterliegen (in diesem Sinne im Anschluß an BFHE 165, 477, Urteil vom 4. August 1992 VII R 40/91).

Entgegen der Ansicht des Klägers vermag auch der Hinweis auf die noch nicht eingetretene Bestandskraft der Steuerfestsetzung, deretwegen vollstreckt wird, nicht zu begründen, daß die angefochtene Entscheidung des FA - von vornherein - ermessensfehlerhaft gewesen sei. Selbst wenn die Rückstände insgesamt noch nicht bestandskräftig festgesetzt wären - Feststellungen hinsichtlich der Bestandskraft hat das FG, von seinem Standpunkt aus mit Recht, nicht getroffen -, würde sich diese Folge noch nicht ohne weiteres ergeben. Die Aufforderung zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist eine Maßnahme im Rahmen der Vollstreckung. Vollstreckt werden können grundsätzlich auch noch nicht bestandskräftige Verwaltungsakte (§ 251 Abs. 1 AO 1977). Daraus ergibt sich, daß die Berufung auf die mangelnde Bestandskraft der Steuerfestsetzung als solche noch nicht dazu führen kann, daß tatbestandlich in Betracht kommende Vollstreckungsmaßnahmen als ermessensfehlerhaft anzusehen wären. Der vom Kläger angeführten Rechtsprechung läßt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Nur in der zur Rechtslage nach früherem Abgabenrecht ergangenen Entscheidung in BFHE 63, 81, 83 ist offengelassen worden, ob das Verlangen auf Ablegung des Offenbarungseides ,,unter Umständen" bei noch nicht unanfechtbar gewordenen Veranlagungen ermessensmißbräuchlich sein könnte. Auch der Senat braucht die Frage nicht zu entscheiden. Bejaht werden könnte sie allenfalls, wenn - über das Fehlen der Bestandskraft einer der Vollstreckung zugrundeliegenden, also nicht in der Vollziehung ausgesetzten Steuerfestsetzung hinaus - Gründe vorgebracht würden, die die Aufforderung gemäß § 284 AO 1977 als ermessensfehlerhaft erscheinen lassen (vgl. in diesem Zusammenhang, ebenfalls zu dem früheren Abgabenrecht, etwa FG Düsseldorf, Beschluß vom 22.September 1954 IV 40/54 B, Entscheidungen der Finanzgerichte 1954, 273 - Vollstreckung bis zur Offenbarungseidleistung trotz seit länge-rer Zeit ausstehender Einspruchsentscheidung -). Die besonderen Umstände müßten zudem bereits im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung vorgelegen haben (Senat, Urteil vom 26. März 1991 VII R 66/90, BFHE 164, 7, 10, BStBl II 1991, 545). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Im Hinblick auf die mit der Eintragung in das Schuldnerverzeichnis etwa verbundene Folge läßt sich, wie bereits ausgeführt, ein Ermessensfehler nicht belegen. Weitere Gründe für eine Ermessensfehlerhaftigkeit sind nicht vorgebracht worden. Aus dem eigenen Vortrag des Klägers ergibt sich vielmehr, daß auch das FG die Klage gegen die Steuerfestsetzung im wesentlichen abgewiesen hat.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Möglichkeit künftiger Erstattungsansprüche hingewiesen hat, kann dieser Vortrag schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil es sich insoweit um neues tatsächliches Vorbringen handelt.

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 220

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