Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Revision nach § 116 Abs. 1 FGO

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Zulässigkeit der Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO bei angeblich geschäftsplanwidriger Besetzung des Gerichts.

2. Die Revision ist unzulässig, wenn die Revisionsbegründung nicht erkennen läßt, welche wesentlichen Mängel des Verfahrens i.S. von § 116 Abs. 1 Nrn.2 bis 5 FGO der Kläger rügen will.

 

Normenkette

GG Art. 101 Abs. 1 S. 2; GVG § 21g; FGO §§ 4, 79 S. 1, §§ 116, 120 Abs. 2 S. 2, § 155; ZPO § 216

 

Tatbestand

Das Finanzamt (FA) drohte dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) ein Zwangsgeld an und setzte ein solches fest. Ferner drohte es ein weiteres erhöhtes Zwangsgeld an. Nachdem die angeforderte Anlage L zur Einkommensteuererklärung eingegangen war, beendete das FA das Zwangsverfahren gemäß § 335 der Abgabenordnung (AO 1977) und hob seine Pfändungsverfügung auf.

Sowohl gegen die Androhung des Zwangsgeldes als auch gegen seine Festsetzung erhob der Kläger jeweils Beschwerde. Diese Beschwerden verwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (Oberfinanzdirektion - OFD -) als unzulässig.

Mit der daraufhin gegen die OFD gerichteten Klage wendete sich der Kläger lediglich gegen diese Beschwerdeentscheidung.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es hielt die Klage mit der Begründung für unzulässig, sie richte sich gegen die OFD, der die Passivlegitimation in diesem Verfahren fehle. Der Beschwerdeentscheidung der OFD fehle nicht die Rechtsgrundlage, denn die Mitteilung des FA über die Beendigung des Zwangsverfahrens nach § 335 AO 1977 stelle keine Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte über die Festsetzung und Androhung der Zwangsgelder dar. Solange der Kläger die Beschwerde gegen die Verwaltungsakte aufrechterhalten habe, habe die OFD eine förmliche Beschwerdeentscheidung erlassen müssen.

Mit seiner nicht zugelassenen Revision macht der Kläger u.a. geltend, daß das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei. Nach dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan habe der Senat in einer anderen Sitzgruppe entscheiden müssen, als er tatsächlich entschieden habe. Durch die im Verhältnis zu der sonstigen Praxis des FG ungewöhnlich frühen Terminierung des Sitzungstermins habe der Vorsitzende einen ,,Vertretungszwang" für die wegen Mutterschaftsurlaubs an diesem Termin verhinderte Berichterstatterin, die Richterin X, geschaffen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig (§ 124 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Gemäß Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH EntlG) findet abweichend von § 115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat oder wenn ein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 FGO gegeben ist. Hierauf wurde der Kläger durch die der angefochtenen Vorentscheidung beigefügte Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich hingewiesen.

Weder das FG noch der BFH haben die Revision des Klägers zugelassen.

2. Zwar kann mit der zulassungsfreien Revision gerügt werden, daß das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO). Ein solcher Verfahrensmangel ist hier jedoch nicht schlüssig gerügt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die zur Begründung des Verfahrensmangels vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - einen Mangel i.S. von § 116 Abs. 1 FGO ergeben würden (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO, vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568, und vom 24. August 1990 X R 45-46/90, BFHE 161, 427, BStBl II 1990, 1032). Die Geschäftsverteilung innerhalb des mit einem Richter überbesetzten erkennenden Senats der Vorinstanz war in Übereinstimmung mit § 4 FGO und § 21g des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) durch einen senatsinternen Geschäftsverteilungsplan geregelt. Danach hätte die Entscheidung in Sachen des Klägers zwar - entsprechend dessen Vorbringen - in einer anderen Sitzgruppe getroffen werden müssen. Da die dieser Sitzgruppe zugehörige Richterin X zum Zeitpunkt der Entscheidung jedoch wegen ihres Mutterschaftsurlaubs an der Wahrnehmung ihrer Tätigkeiten verhindert war, griff für diesen Fall die Vertretungsregelung unter A II 2 Buchst. b des Geschäftsverteilungsplans des FG für das Geschäftsjahr 1991 ein. Danach wurde Richterin X durch Richter Z vertreten.

Hinsichtlich der Bestimmung des Sitzungstermins nach § 155 FGO i.V.m. § 216 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist der Vorsitzende im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Fristen grundsätzlich frei. Unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters könnte sich insoweit lediglich dann eine Beschränkung dieser Freiheit ergeben, wenn durch die Terminsbestimmung bewußt und willkürlich die geschäftsplanmäßige Zusammensetzung der Sitzgruppe in der betreffenden Sache beeinflußt werden sollte. Dafür hat der Kläger jedoch substantiiert nichts vorgetragen. Der bloße Hinweis darauf, daß die vorliegende Sache im Vergleich zu anderen Verfahren ungewöhnlich kurzfristig terminiert worden sei, reicht für den substantiierten Vortrag einer bewußten Manipulation in dieser Sache nicht aus. Wegen der nicht nur kurzfristigen Verhinderung der Richterin X erscheint es im übrigen im Hinblick auf eine zügige Rechtsprechung gerechtfertigt, sämtliche Sachen, in denen nach dem Geschäftsverteilungsplan die Richterin mitzuwirken gehabt hätte, nicht erst auf einen Zeitpunkt nach ihrer Rückkehr aus dem Mutterschaftsurlaub und aus einem sich möglicherweise daran anschließenden Erziehungsurlaub zu terminieren.

Der Umstand, daß die Richterin X zunächst in dieser Sache zur Berichterstatterin bestimmt war, aber an der Entscheidung nicht teilnahm, ändert an der vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts im vorliegenden Fall ebenfalls nichts.

Der Vorsitzende kann den Berichterstatter nach § 79 Satz 1 FGO frei bestimmen oder selbst als Berichterstatter tätig werden (vgl. BFH-Urteil vom 27. Januar 1988 VIII R 95/86, BFH/NV 1989, 585), solange sich dadurch an der konkreten Besetzung der geschäftsplanmäßig zur Entscheidung berufenen Sitzgruppe nichts ändert. Denn nur die Sitzgruppe als solche, nicht aber der Berichterstatter, ist in diesem Fall Entscheidungsträger und damit als gesetzlicher Richter i.S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) anzusehen (Bundesgerichtshof - BGH -, Urteile vom 15. Juni 1967 I StR 516/66, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1967, 1622; vom 8. Mai 1980 X ZB 15/79, Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR - 1980, 843; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 4 FGO Tz.27). Dafür, daß die Sitzgruppe durch die Bestellung eines anderen Berichterstatters geändert wurde, hat der Kläger aber nichts vorgetragen. Er hat vielmehr nur behauptet, daß sich die Sitzgruppe infolge des Eingreifens der geschäftsplanmäßigen Vertretungsregelung geändert habe.

3. Die über die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung der Vorinstanz hinausgehenden Ausführungen des Klägers, die sich im wesentlichen gegen die Rechtmäßigkeit der Beschwerdeentscheidung richten, lassen nicht erkennen, welche weiteren wesentlichen Mängel des Verfahrens i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 FGO der Kläger rügen will. Insoweit genügt die Revisionsbegründung des Klägers den durch § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO an die Revisionsbegründung gestellten Anforderungen ebenfalls nicht. Der im Schriftsatz des Klägers vom 23. März 1992 gestellte Antrag, ,,die Anlagen sowie das zur weiteren Klärung weitergeführte Verfahren. . . zu Begründung und zum Nachweis zuzulassen", ist als Bezugnahme auf das Vorbringen des Klägers in dem genannten Verfahren zu werten. Eine solche Bezugnahme wird jedoch den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO an eine aus sich heraus verständliche Revisionsbegründung nicht gerecht.

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 256

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