Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Arzt, der neben einer nichtselbständigen Tätigkeit eine selbständige Praxis ausübt, kann für die Einkünfte, die aus der im Rahmen seiner freiberuflichen Betätigung erfolgten Erstattung wissenschaftlicher Gutachten herrühren, nicht die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 5 EStG 1949/1954 (ß 34 Abs. 4 EStG 1955) in Anspruch nehmen.

 

Normenkette

EStG § 34 Abs. 5, § 34/4, § 18 Abs. 1 Nr. 1, § 19/1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Beschwerdeführer (Bf.), der als angestellter Chefarzt und daneben freiberuflich als Fachchirurg tätig ist, für die Einkünfte, die aus der Erstattung von Gutachten im Rahmen der freiberuflichen Tätigkeit herrühren, der ermäßigte Steuersatz des § 34 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes - EStG - (1953) zusteht.

In seiner Einkommensteuererklärung für 1953 hat der Bf. neben seinen Einkünften als Chefarzt (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit) einen Gewinn aus seiner Facharztpraxis von 42.821 DM (Einkünfte aus selbständiger Arbeit) angegeben und gleichzeitig beantragt, die in diesem Betrag enthaltenen Einkünfte aus der Erstattung wissenschaftlicher Obergutachten in Höhe von 3.232 DM nach dem ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 5 EStG 1949/1954 zu besteuern.

Finanzamt und Steuerausschuß lehnten dies im Veranlagungs- und Einspruchsverfahren mit der Begründung ab, die Erstattung der Gutachten falle in den Rahmen der freiberuflichen Tätigkeit des Bf. und sei von dieser sachlich nicht abgrenzbar.

Das Finanzgericht bestätigte die Einspruchsentscheidung und führte aus:

§ 34 Abs. 5 EStG solle nicht die Möglichkeit eröffnen, Einkünfte aus einer Betätigung, die ihrer Art nach in den Rahmen der Haupttätigkeit des Steuerpflichtigen falle, der normalen Besteuerung zu entziehen. Es komme infolgedessen für die Frage der Abgrenzbarkeit darauf an, ob die ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische oder schriftstellerische Tätigkeit ihrer Art nach nicht als Teil der hauptberuflichen Tätigkeit erscheine. Im Hinblick hierauf bestehe kein Anlaß, für die Einkünfte freiberuflich tätiger ärzte aus der Erstattung wissenschaftlicher Gutachten auf ihrem Fachgebiet die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 5 EStG zuzubilligen. Die Gutachtertätigkeit, die von einem praktizierenden Facharzt auf seinem Fachgebiet ausgeübt werde, stehe - trotz gewisser Besonderheiten in arbeitstechnischer Hinsicht - in einem so engen inneren Zusammenhang mit der Haupttätigkeit, daß sie als ein Teil derselben erscheine. Unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung und der Entwicklung der Verhältnisse gehöre die gutachtliche Tätigkeit zum hauptberuflichen Aufgabengebiet eines Facharztes.

In der Rechtsbeschwerde vertritt der Bf. die Auffassung, daß es sich bei der in § 34 Abs. 5 EStG vorgesehenen Abgrenzbarkeit nur um eine technische bzw. rechnerische handle. Jedenfalls seien ein enger innerer Zusammenhang zwischen Haupttätigkeit und gutachtlicher Tätigkeit, gleiche Vorbildung und die Ausnutzung der im Hauptberuf gesammelten Erfahrungen bei der Nebentätigkeit der Abgrenzbarkeit nicht hinderlich. Das Finanzgericht habe übersehen, daß die sozialen Versicherungsträger und auch die Haftpflichtverbände eigene ärzte beschäftigten, die für gutachtliche Aufgaben herangezogen würden. Die Betrauung von außerhalb dieser Behörden stehenden ärzten beruhe ausschließlich darauf, daß die betreffenden ärzte sich besondere Kenntnisse erworben hätten und in der Lage seien, eine schwierige Materie in wissenschaftlicher Form zu bearbeiten. Nach der Verkehrsauffassung seien allenfalls Routinegutachten zur ärztlichen Haupttätigkeit zu rechnen, bei den wissenschaftlich qualifizierten Obergutachten sei dies aber nicht der Fall.

 

Entscheidungsgründe

Auch der Rechtsbeschwerde muß der Erfolg versagt bleiben.

§ 34 Abs. 5 EStG 1949/1954 (ß 34 Abs. 4 EStG 1955) gestattet die Anwendung eines ermäßigten Steuersatzes u. a. auf solche Einkünfte, die Angehörigen eines freien Berufes im Sinne des § 18 Abs. 1 Ziff. 1 EStG für wissenschaftliche, künstlerische oder schriftstellerische Tätigkeit zufließen, sofern sie von den Einkünften aus der Berufstätigkeit abgrenzbar sind. Im vorliegenden Fall ist zwischen den Beteiligten unstreitig, daß die vom Bf. ausgeführte Gutachtertätigkeit als eine wissenschaftliche anzusehen ist und daß die Gutachtenerstattung nicht im Zusammenhang mit der Tätigkeit als nichtselbständiger Chefarzt steht. Es kommt daher für die Zubilligung der begehrten Tarifvergünstigung entscheidend darauf an, ob es sich bei der Gutachtertätigkeit des Bf. um eine außerhalb des Rahmens der chirurgischen Fachpraxis ausgeübte Nebentätigkeit handelt, und ob die aus dieser Nebentätigkeit erzielten Einkünfte von denen der Fachpraxis abgrenzbar sind. Das Finanzgericht hat dies mit im Ergebnis zutreffender Begründung verneint. Der ärztliche Beruf ist dem Dienst an der Gesundheit des einzelnen Menschen im weitesten Sinne gewidmet. Die Heilung erkrankter Menschen steht dabei zwar im Vordergrund, der Beruf des Arztes erschöpft sich jedoch in dieser Tätigkeit nicht. Es gehört vor allem dazu auch die Aufgabe, Krankheiten zu verhüten. So hat der Arzt gesunde Menschen zu untersuchen, um festzustellen, ob und für welche Krankheiten sie anfällig sind. Dies kann in behördlichem Auftrag (z. B. bei Schuluntersuchungen, Röntgenreihenuntersuchungen oder für gerichtliche Zwecke) oder in privatem Auftrag (z. B. Untersuchung der Arbeitnehmer eines Unternehmens) geschehen. Selbst im Rahmen einer Heilbehandlung wird sich der Facharzt mitunter darauf beschränken, nach Untersuchung eine Diagnose zu stellen und die weitere Behandlung dem praktischen Arzt zu überlassen. Inwieweit ein Arzt sich mehr der einen oder anderen Aufgabe zuwendet, hängt von seiner Ausbildung und persönlichen Einstellung ab. Man kann daher weder in der Tätigkeit, die sich lediglich auf Untersuchungen beschränkt, noch umgekehrt in der heilbehandelnden Tätigkeit eine Nebentätigkeit zur Haupttätigkeit des Arztes im Sinne des § 34 Abs. 5 EStG erblicken. Es handelt sich vielmehr im Rahmen der steuerlichen Betrachtung um eine einheitliche Tätigkeit des hauptberuflich tätigen Arztes.

Im vorliegenden Fall hat der Bf., der neben seiner Chefarzttätigkeit freiberuflicher Facharzt für Chirurgie ist, mit der Erstattung wissenschaftlicher Obergutachten eine Tätigkeit als Sachverständiger für Sozialversicherungsträger und Haftpflichtverbände entfaltet. Der Erstattung dieser Gutachten liegt eine eingehende Untersuchung und Diagnostizierung von Einzelpersonen zugrunde. Die Gutachten erstrecken sich auf das eigentliche Fachgebiet des Bf., die Chirurgie. Eine von seiner freiberuflichen Tätigkeit als Facharzt sich abhebende wissenschaftliche Nebentätigkeit ist mit der Erstattung derartiger Gutachten nicht gegeben. Diese bildet vielmehr mit seiner sonstigen Tätigkeit als freiberuflicher Facharzt eine Einheit. Demgegenüber kann sich der Bf. nicht auf die in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 104/52 U vom 13. November 1952 (Slg. Bd. 57 S. 83, Bundessteuerblatt - BStBl - 1953 III S. 33) entwickelten Grundsätze berufen, da in jenem Falle der Steuerpflichtige neben seiner nicht selbständigen ärztlichen Tätigkeit ausschließlich wissenschaftlich als Gutachter tätig war. Im Gegensatz hierzu übt der Bf. im vorliegenden Fall neben seiner nichtselbständigen Arbeit als Chefarzt zusätzlich eine freiberufliche Fachpraxis für Chirurgie aus, mit der die gutachtliche Tätigkeit in einem untrennbaren Zusammenhang steht. Ebensowenig können auch die in der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 193/50 U vom 6. April 1951 (Slg. Bd. 55 S. 274, BStBl 1951 III S. 106) entwickelten Grundsätze zum Zuge kommen. Unter dem Gesichtspunkt einer zweiten Haupttätigkeit kann die Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 5 EStG schon deshalb nicht gewährt werden, weil hier eine einheitliche freiberufliche Tätigkeit ohne steuerbegünstigte Nebeneinkünfte vorliegt.

Infolgedessen sind die Einkünfte des Bf. aus der Gutachtenerstattung, ungeachtet der wissenschaftlichen Charakterisierung dieses Teiles der freiberuflichen Tätigkeit mit den übrigen Einkünften aus der sonstigen freiberuflichen Tätigkeit als Facharzt zum normalen Steuersatz zu versteuern.

Die Rechtsbeschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408491

BStBl III 1956, 247

BFHE 1957, 130

BFHE 63, 130

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