Leitsatz (amtlich)

Hat ein Finanzgericht rechtskräftig entschieden, daß ein nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO erlassener Berichtigungsbescheid aufzuheben ist, weil keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorliegen, so steht die Rechtskraft dieses Urteils einer erneuten Berichtigung des ursprünglich erlassenen Bescheides nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO entgegen.

 

Normenkette

FGO §§ 68, 110 Abs. 1-2, § 123 S. 2; AO § 222 Abs. 1 Nrn. 1, 3

 

Tatbestand

Das FA hatte den Vater des Klägers zur Vermögensabgabe herangezogen. Dabei war eine gegenüber einer Witwenstiftung bestehende Nießbrauchslast als immerwährende Last berücksichtigt worden. Der Vermögensabgabebescheid ist in dieser Form unanfechtbar geworden.

Entsprechend hatte auch das für die Witwenstiftung zuständige FA bei der Vermögensabgabeveranlagung der Stiftung das dieser zustehende Nießbrauchsrecht als immerwährendes Recht behandelt und gemäß § 15 Abs. 2 BewG 1934 mit dem 18fachen Jahreswert der Nutzung kapitalisiert. Den Einspruch der Stiftung wies das FA zurück. Auf ihre Berufung hob das FG die Einspruchsentscheidung und den ihr zugrunde liegenden Vermögensabgabebescheid des FA ersatzlos auf und stellte die Stiftung von der Vermögensabgabe frei. Das FG begründete seine Entscheidung damit, daß es sich bei dem Nießbrauchsrecht der Stiftung nicht um eine immerwährende Nutzung gehandelt habe, sondern um eine Nutzung von unbestimmter Dauer, so daß der Jahresbetrag der Nießbrauchsnutzung nur mit dem 9fachen zu vervielfältigen sei.

Nachdem das für den Kläger zuständige FA von diesem Urteil des FG Kenntnis erlangt hatte, erließ es einen gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigten Vermögensabgabebescheid, in dem das abgabepflichtige Vermögen um 46 300 DM höher angesetzt war. Der Kläger erhob hiergegen Einspruch.

Auf einen Bericht des FA an die OFD teilte diese dem FA durch Verfügung vom 7. August 1961 mit, daß sie die Berichtigung des Vermögensabgabebescheides gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO für angängig halte; sie gab aber keine Weisung, die Berichtigung gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO durchzuführen, weil sie eine solche Weisung nach dem damaligen Stand des Verfahrens nicht als zulässig ansah. Das FA wies nunmehr den Einspruch gegen den nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigten Vermögensabgabebescheid als unbegründet zurück.

In dem nachfolgenden Klageverfahren hob das FG mit Vorbescheid vom 6. Juni 1967 die Einspruchsentscheidung des FA sowie den ihr zugrunde liegenden Berichtigungsbescheid vom 19. Oktober 1960 wieder auf, weil es neue Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO, die zu einer Berichtigung des Vermögensabgabebescheides hätten Veranlassung bieten können, nicht für gegeben erachtete.

Auf Grund eines erneuten Berichts des FA an die OFD wies diese nunmehr durch Verfügung vom 21. Juli 1967 das FA an, einen nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO berichtigten Vermögensabgabebescheid gleichen Inhalts zu erlassen. Das FA erließ daraufhin am 21. August 1967 einen auf § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO gestützten Berichtigungsbescheid. Der Einspruch des Klägers gegen diesen Bescheid blieb erfolglos. Auch das FG wies in dem anschließenden Klageverfahren die Klage ab, und zwar durch Urteil vom 25. Juni 1970 unter Bezugnahme auf die neuere Rechtsprechung des BFH (Urteile III 203/61 U vom 26. November 1964, BFH 81, 344, BStBl III 1965, 124, und II 36/62 vom 12. Oktober 1966, BFH 87, 43, BStBl III 1967, 34).

Mit der Revision beantragt der Kläger:

a) den Vermögensabgabebescheid des FA vom 21. August 1967, die Einspruchsentscheidung vom 7. August 1968 sowie das Urteil des FG vom 25. Juni 1970 aufzuheben;

b) den Vermögensabgabebescheid vom 26. April 1958 in seiner Fassung vom 23. Juni 1958 wiederherzustellen.

Er rügt fehlerhafte Anwendung der §§ 222 Abs. 1 Nr. 1 und 3 AO, 110 Abs. 1 und 2 FGO sowie 100 Abs. 1 FGO. Er beanstandet weiterhin, daß das FG den Wert der Nießbrauchslast nur mit 46 800 DM festgestellt habe, ohne dies näher zu begründen. Diese Bewertung verstoße gegen die §§ 15, 16 BewG 1934; denn die Nießbrauchslast sei gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 3 BewG 1934 mit dem 16fachen der Jahresnutzung zu bewerten. Wenn in dem Urteil ausgeführt sei, daß die rechnerische Vermögensermittlung als solche nicht bestritten sei, liege außerdem ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten vor.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, der Einspruchsentscheidung des FA sowie des ihr zugrunde liegenden, gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO berichtigten Vermögensabgabebescheides.

Das FG hat seine Entscheidung im wesentlichen mit der vom BFH in den Urteilen III 203/61 U vom 26. November 1964 (a. a. O.) und II 36/62 vom 12. Oktober 1966 (a. a. O.) vertretenen Rechtsansicht begründet. Dabei hat das FG aber nicht beachtet, daß das Urteil III 203/61 U noch vor dem Inkrafttreten der FGO ergangen ist, das Urteil II 36/62 zwar nach diesem Zeitpunkt, daß es aber ebenso wie das erstgenannte Urteil die vor dem Inkrafttreten der FGO bestehende Rechtslage zum Gegenstand hat, obwohl § 110 Abs. 1 Satz 1 FGO ausdrücklich in die rechtlichen Erwägungen einbezogen worden ist. Das ergibt sich nicht nur daraus, daß der II. Senat in seinem Urteil den Begriff des Streitgegenstandes enger gefaßt hat, als er später vom Großen Senat des BFH in dem Beschluß Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967 (BFH 91, 393, BStBl II 1968, 344) ausgelegt worden ist, sondern auch daraus, daß für die Entscheidung des II. Senats u. a. von ausschlaggebender Bedeutung war, daß nach der vor dem Inkrafttreten der FGO bestehenden Rechtslage eine erst nach Erlaß des Berichtigungsbescheides durchgeführte Fehleraufdeckung durch die Aufsichtsbehörde vom FA nicht mehr in ein bereits schwebendes Verfahren eingeführt und darin geltend gemacht werden konnte.

Gerade in dem letzteren Punkt hat sich die Rechtslage nach dem Inkrafttreten der FGO eindeutig verändert. Das gerichtliche Verfahren ist nicht mehr verlängertes Veranlagungsverfahren, sondern es dient nur noch der Überprüfung, ob der Kläger durch den angefochtenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt ist. Dem entspricht es, daß das FA trotz Rechtshängigkeit den angefochtenen Verwaltungsakt ändern (§ 93 Abs. 2 AO) und der Kläger den geänderten Bescheid zum Gegenstand des Verfahrens machen kann (§ 68 FGO). Auch wenn der Steuerpflichtige als Kläger nicht unbedingt gehalten ist, den neuen Verwaltungsakt zum Gegenstand des Klageverfahrens zu machen, so bliebe dieser doch zumindest insofern für dieses anhängige Verfahren von Bedeutung, als der Kläger, wenn er den neu erlassenen Verwaltungsakt nicht in das Verfahren einbeziehen wollte, nur noch die Wahl hätte, die Sache, soweit seinem Begehren entsprochen worden ist, in der Hauptsache für erledigt zu erklären, ggf. auch einen Antrag nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO zu stellen oder den Prozeßverlust zu riskieren. Auf keinen Fall aber ist der Kläger nach Erlaß eines solchen den im Streit befangenen Bescheid abändernden Verwaltungsaktes noch in der Lage, eine Sachentscheidung des Inhalts zu erzwingen, daß der ursprünglich erlassene Bescheid entsprechend dem Antrag des Klägers aufgehoben oder vom Gericht abgeändert wird (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, Tz. 2 zu § 68; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Tz. 16, 17 zu § 68 FGO).

Angesichts dieser dem FA durch § 93 AO, § 68 FGO eröffneten Möglichkeiten, einen im Streit befindlichen Verwaltungsakt noch während eines schwebenden Prozeßverfahrens und sogar noch in der Revisionsinstanz abzuändern oder durch einen anderen Bescheid zu ersetzen, ist es nach dem in dem Beschluß des Großen Senats des BFH Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967 (a. a. O.) weitgefaßten Streitwertbegriff geboten, die bisher vertretene Rechtsauffassung zu revidieren. Nach dem Beschluß Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967 bildet die Festsetzung und Anforderung eines bestimmten Steuer- bzw. Abgabenbetrages den Streitgegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens. Das bedeutet, daß ein angefochtener Steuer- oder Abgabenbescheid von den Steuergerichten seinem gesamten Umfang und Inhalt nach dahin überprüft wird, ob der festgesetzte Steuer- oder Abgabenbetrag nach den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen zu Recht festgesetzt und angefordert worden ist. Im Rechtsmittelverfahren über einen berichtigten Abgabenbescheid ist deshalb auch der Gesamtinhalt dieses Bescheides, der sowohl die formelle als auch die materielle Seite des Berichtigungstatbestandes - die Feststellung des Veranlagungsfehlers in gleicher Weise wie die Feststellung der sonstigen Berichtigungsvoraussetzungen (neue Tatsachen, Aufdeckung durch die Aufsichtsbehörde, Offenkundigkeit des Fehlers u. a. ) - umfaßt, Gegenstand des Streits. Führt die Überprüfung des berichtigten Abgabenbescheides im Rechtsmittelverfahren zu seiner Bestätigung durch das erkennende Gericht, so ist damit nicht nur die Zulässigkeit der Berichtigung, sondern zugleich auch die materielle Richtigkeit der im Berichtigungsbescheid erhobenen Abgabenforderung festgestellt. Im umgekehrten Falle gilt das gleiche. Wird also der berichtigte Abgabenbescheid durch Gerichtsentscheid aus welchen Gründen auch immer aufgehoben, so ist damit festgestellt, daß der Kläger durch diesen Bescheid in seinen Rechten verletzt war. Die Rechtskraftwirkung einer solchen Entscheidung schließt, selbst wenn die Aufhebung des Bescheides nur damit begründet worden ist, daß das Vorliegen der formalen Voraussetzungen der angefochtenen Berichtigung wie "neue Tatsachen", "Fehleraufdeckung" nicht festzustellen sei, eine weitere Berichtigung aus. Nur diese Rechtsauffassung wird der Gewaltentrennung (Art. 20 Abs. 3 GG) gerecht. Außerdem hat das FA seit dem Inkrafttreten der FGO die Möglichkeit, auch noch während eines gerichtlichen Verfahrens sämtliche Fakten zu setzen (z. B. Fehleraufdekkung durch die Aufsichtsbehörde) und in den Prozeßeinzuführen, die die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts begründen.

Das bedeutet für den Streitfall, in dem der jetzt gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO durchgeführten Berichtigung ein nach § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO berichtigter, aber ebenfalls angefochtener Bescheid vorangegangen war, daß die Rechtskraft der in dem vorangegangenen Berichtigungsverfahren erlassenen gerichtlichen Entscheidung einer erneuten Berichtigung nach § 222 Abs. 1 Nr. 3 AO entgegensteht, weil mit dieser Entscheidung auch die Feststellung bzw. Nichtfeststellung des materiell-rechtlichen Fehlergehalts des ursprünglichen Abgabenbescheides konsumiert ist.

Das angefochtene Urteil, das von einer anderen Rechtsauffassung ausgeht, war deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, weil aus den gleichen rechtlichen Erwägungen außer dem angefochtenen Urteil auch die Einspruchsentscheidung des FA und der ihr zugrunde liegende Berichtigungsbescheid des FA vom 21. August 1967 der Aufhebung unterliegen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413224

BStBl II 1972, 740

BFHE 1972, 173

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