Entscheidungsstichwort (Thema)

Ergänzende Urteilsbegründung durch Verweis auf ein anderes Urteil

 

Leitsatz (NV)

Ein Urteil kann auch dann mit Gründen versehen sein, wenn sich das FG zur ergänzenden Begründung auf ein anderes Urteil bezieht, von dem es den Prozeßbeteiligten vor der Urteilsverkündung einen neutralisierten Entscheidungsabdruck ausgehändigt hat.

 

Normenkette

FGO § 105 Abs. 2 Nr. 5, § 116 Abs. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, deren Gegenstand der Vertrieb von Handelsware auf Provisionsbasis in Form einer Handelsvertretung ist. An ihrem Stammkapital sind jeweils zur Hälfte X und Y beteiligt. Beide sind zugleich alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer. Für diese Tätigkeit hat die Klägerin ihnen ein monatliches Festgehalt von jeweils ... DM zuzüglich Urlaubs- und Weihnachtsgeld in gleicher Höhe sowie eine besondere Vergütung für Mehr-, Sonn- und Feiertagsarbeit zugesagt. Darüber hinaus erhalten die Gesellschafter-Geschäftsführer eine Tantieme in Höhe von 3 v. H. des Nettoumsatzes.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) behandelte die umsatzabhängige Vergütung als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA).

Einsprüche und Klage blieben ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, Umsatztantiemen seien steuerrechtlich nur bei Vorliegen eines sie rechtfertigenden besonderen Grundes anzuerkennen, wenn dies eine besondere Leistungssteigerung der Geschäftsführer nach sich ziehen könne, die durch eine Gewinntantieme nicht zu erreichen sei. Ein solcher Grund liege im Streitfall nicht vor. Im Streitfall komme hinzu, daß die Umsatztantiemen an den Gesamtumsatz der Klägerin geknüpft seien. Wie bereits "durch Senatsurteil vom 7. Dezember 1993 Az. ... (Seite 10)" entschieden worden sei, seien Tantiemevereinbarungen indes nicht anzuerkennen, wenn Bemessungsgrundlage ihrer Berechnung der Gesamtumsatz, nicht aber der von jedem der beiden Geschäftsführer selbst erzielte Teilumsatz sei. -- Das angeführte Urteil des FG vom 7. Dezember 1993 ist der Klägerin auszugsweise -- von Seite 7 bis 10 -- vor der mündlichen Verhandlung zugeleitet worden.

Ihre Revision stützt die Klägerin auf Verletzung von § 116 Abs. 1 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das angefochtene Urteil sei insoweit nicht mit Gründen versehen, als es auf das FG-Urteil vom 7. Dezember 1993 verweise, ohne daß dieses jedoch in neutralisierter Form beigefügt worden sei.

Das FA hat keinen ausdrücklichen Antrag gestellt und vorgetragen, das vom FG in seiner Urteilsbegründung in bezug genommene FG-Urteil vom 7. Dezember 1993 sei ihm nicht zugänglich gemacht worden. Es könne deshalb auch nicht beurteilen, ob es sich hierbei um eine Voll- oder nur um eine Teilablichtung gehandelt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat sein Urteil ordnungsgemäß mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO).

Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO muß ein Urteil Entscheidungsgründe enthalten. Darin sind die wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgeblich waren, den Beteiligten mitzuteilen (Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 105 Rdnr. 23 m. w. N.). Ein Urteil enthält daher Entscheidungsgründe, wenn die Beteiligten anhand des Urteilstextes die Möglichkeit haben, die getroffene Entscheidung auf ihre Richtigkeit und Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Dabei müssen die Entscheidungsgründe den Beteiligten in einer Weise mitgeteilt werden, die gewährleistet, daß ihnen für die Prüfung die volle Rechtsmittelfrist zur Verfügung steht (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 14. Mai 1992 V R 96/90, BFHE 168, 306, BStBl II 1992, 1040).

Dies kann auch durch Verweisung auf die Entscheidungsgründe eines anderen Urteils erfolgen, wenn die Beteiligten von diesen Entscheidungsgründen hinreichend Kenntnis nehmen können. Handelt es sich bei dem Urteil, auf das verwiesen wird, um eine Entscheidung, die -- wie im Streitfall -- nicht zwischen den Beteiligten ergangen ist, kommt es darauf an, ob die Bezugnahme lediglich der weiteren eingehenden Darlegung der Entscheidungsgründe dient (begründungsergänzende Bezugnahme) oder ob sie an die Stelle der Entscheidungsgründe tritt (begründungsersetzende Bezugnahme). Die ergänzende Bezugnahme ist unbedenklich, weil die wesentlichen Erwägungen des Gerichts im Urteils selbst enthalten sind. Ersetzt die Verweisung jedoch die Darlegung der Entscheidungsgründe im Urteil, muß gewährleistet sein, daß dem beschwerten Beteiligten die volle Revisionsfrist zur Prüfung zur Verfügung steht. Grundsätzlich setzt dies voraus, daß die in bezug genommene Entscheidung dem getroffenen Urteil als Anlage beigefügt worden ist (BFH-Urteil in BFHE 168, 306, BStBl II 1992, 1040). Es genügt statt dessen aber auch, wenn das Urteil den Beteiligten vor der Urteilsverkündung in einem neutralisierten Abdruck ausgehändigt worden ist (BFH-Urteil vom 4. Dezember 1992 VI R 11/92, BFHE 170, 129, BStBl II 1993, 722).

Im Streitfall handelt es sich bei der Verweisung auf das Urteil des FG-Senats vom 7. Dezember 1993 Az. ... lediglich um eine begründungsergänzende Bezugnahme. Das FG hat sich mit den einleitenden Worten "wie bereits durch Senatsurteil vom 7. Dezember 1993 Az. ... (Seite 10) entschieden worden ist" zwar auf dieses Urteil bezogen. Es hat dann aber die tragenden Gründe dieser Entscheidung, soweit sie Gegenstand der Bezugnahme waren, als eigenständige Begründung in dem angefochtenen Urteil wiedergegeben. Diese Begründung ist aus sich heraus verständlich und wird durch die Bezugnahme auf das erwähnte Urteil lediglich unterstützt. Unter diesen Umständen war es nicht erforderlich, den Text der angezogenen Entscheidung dem angefochtenen Urteil in vollem Wortlaut als Anlage beizufügen oder den Beteiligten vorab zur Kenntnis zu geben. Den Begründungsanforderungen des § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO ist auch so genügt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 420982

BFH/NV 1996, 552

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