Urteilsbegründung ohne wesentliches Parteivorbringen fehlerhaft

Berücksichtigt eine finanzgerichtliche Urteilsbegründung ein wesentliches Parteivorbringen nicht, so liegt darin ein wesentlicher Verfahrensmangel, der zur Aufhebung des Urteils führt: Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO sei ein finanzgerichtliches Urteil zwingend mit Entscheidungsgründen zu versehen.

Der BFH hat ein Urteil des FG München wegen einer fehlerhaften Urteilsbegründung aufgehoben, weil das FG eine wesentliche Argumentation des Klägers im Urteil nicht erwähnt hat.

Finanzamt erkannte Vorsteuerabzug für geleasten Lamborghini nicht an

Das für den Kläger und Beschwerdeführer zuständige Finanzamt hatte im Anschluss an eine Außenprüfung den vom Kläger geltend gemachten Vorsteuerabzug aus Leasingraten für einen Lamborghini um zwei Drittel gekürzt. Begründung: Der Kläger nutze den Lamborghini überwiegend privat. Dies sei offensichtlich, da der Kläger, der als Sachverständiger tätig ist, als weiteres Fahrzeug einen BMW besitze, der ausschließlich unternehmerisch genutzt werde.

Finanzgericht wies Klage des Steuerpflichtigen überwiegend ab

Gegen die hierauf ergangenen Änderungsbescheide legte der Kläger Einspruch ein und erhob Untätigkeitsklage vor dem FG, nach dem das Finanzamt längere Zeit über den Einspruch nicht entschieden hatte. Das FG gab der Klage nur insoweit statt, als es eine Kürzung des Vorsteuerabzugs wegen Unangemessenheit nach § 15 Absatz 1a UStG ablehnte.

Beschwerde beim BFH erfolgreich

Der BFH gab der hiergegen eingelegten Beschwerde des Klägers statt und hob das finanzgerichtliche Urteil auf. Der BFH bemängelte, das Urteil des FG sei auf wesentliche Aspekte der vom Kläger eingereichten Klage nicht eingegangen. Gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO sei ein finanzgerichtliches Urteil zwingend mit Entscheidungsgründen zu versehen.

  • Aus diesen Entscheidungsgründen müssten die Parteien erkennen können, welche tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen für das Urteil maßgeblich waren.
  • Ein Urteil enthalte dann keine hinreichend Entscheidungsgründe, wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel übergeht und in den Urteilsgründen nicht berücksichtigt (BFH, Beschluss v. 17.8.2020, II B 32/20).

Lücke in der Urteilsbegründung ist wesentlicher Verfahrensfehler

Leide ein Urteil unter einem solchen Mangel, so werde der Partei die Möglichkeit entzogen, die getroffene Entscheidung in einem oder mehreren wesentlichen Streitpunkten auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Damit liege ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne von § 119 Nr. 6 FGO vor, der zur Aufhebung des Urteils führe (BFH, Beschluss v. 8.5.2018, XI B 5/18).

FG überging maßgebliches Verteidigungsvorbringen

Im konkreten Fall bemängelte der BFH, dass ein selbständiges Angriffs- und Verteidigungsmittel des Klägers zur Frage einer privaten Mitbenutzung der Fahrzeuge in dem Urteil keine Erwähnung findet. Der Kläger habe geltend gemacht, den Lamborghini ausschließlich geschäftlich genutzt zu haben. Als privates Fahrzeug besitze er einen Ferrari. Diesen benutze er zur klareren Trennung von Geschäft und privater Tätigkeit ausschließlich zu privaten Zwecken, niemals aber den geschäftlich genutzten Lamborghini.

Auf dieses Vorbringen gehe das Urteil mit keinem Wort ein. Falls das Gericht dieses Argument überhaupt bedacht habe, sei anhand der Urteilsgründe nicht festzustellen, welche Überlegungen für das Gericht maßgeblich gewesen sind, dennoch eine private Mitverwendung auch des Lamborghini anzunehmen. Eine Vermutung dafür, dass ein solch hochwertiges Fahrzeug grundsätzlich auch privat genutzt werde, existiere jedenfalls nicht.

Fahrtenbücher vom Finanzamt verschlampt?

Schließlich wies das Gericht auf die Besonderheit hin, dass der Kläger seine Originalfahrtenbücher nicht mehr vorlegen konnte. Diese hatte er aber unstreitig beim Finanzamt eingereicht. Allerdings konnte nicht geklärt werden, ob das Finanzamt die Fahrtenbücher wieder an den Kläger zurückgereicht hatte. Damit ging der BFH davon aus, dass die Fahrtenbücher im Verantwortungsbereich des Finanzamts abhandengekommen waren.

Weitere Sachaufklärung durch die Vorinstanz erforderlich

In all diesen Punkten besteht nach Auffassung des BFH noch erheblicher Aufklärungsbedarf. Zu diesem Zweck hat der BFH das Verfahren zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

(BFH, Beschluss v. 2.7.2021, V B 34/20)

Hintergrund

Das Fehlen von Urteilsgründen ist nicht nur in der Finanzgerichtsbarkeit, sondern auch in der Zivilgerichtsbarkeit zunehmend häufiger Gegenstand von Rechtsmittelverfahren. Als Argument für knappe Urteilsbegründungen wird häufig auf die Überlastung der Gerichte hingewiesen. Die Rechtsmittelgerichte lassen dieses Argument allerdings regelmäßig nicht gelten.

Anwältin erhob Verfassungsbeschwerde wegen fehlender Urteilsbegründung

So hatte der VerfGH NRW kürzlich über die Verfassungsbeschwerde einer Rechtsanwältin zu entscheiden. Diese hatte nach einem Rechtsstreit auf Erstattung ihrer Rechtsanwaltsgebühren beanstandet, dass das AG ihre ausführlichen Ausführungen zur Rechtsprechung des BGH nicht berücksichtigt habe. Wegen der erheblichen Lücken in der Begründung des Urteils hatte sie Verfassungsbeschwerde beim VerfGH eingelegt

Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt

Der VerfGH gab der Beschwerde statt und stellte fest, dass das Urteil des AG die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 4 Abs. 1 der Landesverfassung NRW in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Begründung: Das Urteil des AG habe sich in den Entscheidungsgründen mit dem Kernvorbringen der Beschwerdeführerin nicht auseinandergesetzt (VerfGH NRW, Beschluss v. 14.9.2021, VerfGH 137/21.VB-2).

Gerichte müssen sich mit dem rechtlichen und tatsächlichen Vorbringen der Verfahrensbeteiligten auseinandersetzen

Der VerfGH NRW hat zuvor bereits in mehreren Entscheidungen herausgestellt, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 4 Abs. 1 der Landesverfassung NRW in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG ein Recht der Verfahrensbeteiligten statuiert, dass die Gerichte ihr Vorbringen zur Kenntnis nehmen und sich damit auseinandersetzen (VerfGH NRW, Beschluss v. 13.4.2021, VerfGH 24/21.VB-3;). Die Pflicht zur Berücksichtigung der Argumente der Beteiligten umfasst nach der Rechtsprechung des BVerfG dabei sowohl das tatsächliche Vorbringen als auch die Rechtsausführungen (BVerfG, Beschluss v. 27.2.2018, 2 BvR 2821/14).

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Schlagworte zum Thema:  Urteil, Rechtliches Gehör