Leitsatz (amtlich)

Hat ein Vertriebener seinen Unterhalt vor der Vertreioung auch aus anderen Erwerbsquellen bestritten, so steht ihm die Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns nur dann zu, wenn er aus der Erwerbsgrundlage, die er durch die Vertreibung verloren hat, seinen Unterhalt im wesentlichen bestritten hat.

 

Normenkette

EStG § 10a

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) als Vertriebener im Sinne des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) für die Streitjahre 1962 bis 1964 die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns nach § 10a EStG beanspruchen kann, da er durch die Vertreibung seine frühere Erwerbsgrundlage verloren habe.

Der Kläger ist seit dem Jahre 1959 Inhaber eines Einzelhandelgeschäfts für Elektroartikel. Für die Jahre 1962 bis 1964 beanspruchte er die Steuerbegünstigung des § 10a EStG und machte zur Begründung geltend, er sei im Jahre 1940 durch das Arbeitsamt bei der Fa. X in Berlin dienstverpflichtet worden. Die Dienstverpflichtung habe bis zum Kriegsende bestanden. Seinen Hauptwohnsitz habe er jedoch während dieser Zeit in A/Sudetenland gehabt. Im Jahre 1943 habe er sich mit einer Einlage von 5 000 RM an der Gründung der Fa. Y in B/ Sudetenland, etwa 30 km von seinem Heimatort entfernt, beteiligt und später weitere Einlagen erbracht. Für diese Firma sei er auch regelmäßig tätig gewesen. Er habe die Tätigkeit von Berlin aus ausüben können. Er habe die Organisationspläne ausgearbeitet sowie Aufträge und Rohstoffe beschafft. Außerdem habe er nach Möglichkeit freie Tage und das Wochenende in B verbracht. Im Zeitpunkt der Vertreibung habe sich seine Beteiligung einschließlich der ihm gutgeschriebenen Vergütungen und Gewinnanteile auf 15 000 RM belaufen. Für seine Tätigkeit bei der Fa. X habe er jeweils den tariflich vorgeschriebenen Lohn von monatlich 200 bis 300 RM erhalten. Dieses Geld habe der Kläger für seinen Lebensunterhalt verwendet. Daneben habe er bis zum Jahre 1943 Zuschüsse von seinen Eltern und seinem Großvater, im wesentlichen Lebensmittel, erhalten. Erst ab 1944 habe er auch Geld bei der Fa. Y entnommen und für seinen Lebensunterhalt verwendet. Seine Einkünfte bei der Fa. Y seien jedoch ausreichend hoch gewesen, so daß er seinen Lebensunterhalt auch allein davon hätte bestreiten können.

Die durch die Vertreibung verlorene Beteiligung habe seine eigentliche Erwerbsgrundlage dargestellt. Dagegen halte er seine Tätigkeit bei der Fa. X nicht für seine Erwerbsgrundlage, weil er zu dieser Tätigkeit zwangsverpflichtet gewesen sei.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte die begehrte Steuerbegünstigung mit der Begründung ab, daß die Tätigkeit für die Fa. X die eigentliche Erwerbsgrundlage des Klägers dargestellt habe, da es sich bei seiner Beteiligung bei der Fa. Y lediglich um den Aufbau einer in Aussicht genommenen eigenen Erwerbsgrundlage gehandelt habe.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das FA ging hierbei davon aus, daß der Kläger nach seinen eigenen Angaben in den Jahren 1940 bis 1945 ganz überwiegend von seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit von der Fa. X in Berlin gelebt habe. Es komme daher den Umständen, daß der Kläger nicht freiwillig, sondern durch das Arbeitsamt bei der Fa. X tätig gewesen ist, keine Bedeutung zu. Selbst wenn man seine Tätigkeit in Berlin nicht als Erwerbsgrundlage werten könne, weil sie unfreiwillig gewesen sei, würde damit die Beteiligung an der Fa. Y noch nicht zur Erwerbsgrundlage werden, da der Kläger hieraus seinen Lebensunterhalt nicht im wesentlichen bestritten habe. Die Beteiligung an der Fa. Y sei im Zeitpunkt der Vertreibung im übrigen lediglich als Aussicht auf eine künftige eigene Erwerbsgrundlage anzusehen, deren Verlust die Inanspruchnahme der Steuerbegünstigung des § 10a EStG nicht rechtfertige.

 

Entscheidungsgründe

Auch die Revision ist unbegründet.

Der Senat tritt der Vorentscheidung im Ergebnis bei.

Das Verfahren der Vorinstanz ist bedenkenfrei. Dies gilt insbesondere für die Rüge des Klägers, das FG habe den Verlust der Erwerbsgrundlage im Ostsektor Berlins, die er im Mai 1953 aus politischen Gründen verloren habe, nicht berücksichtigt und insoweit auch jede Sachaufklärung unterlassen. Wohl hatte der Kläger in der Klageschrift (S. 6, V) in anderem Zusammenhang hierauf hingewiesen, der Kläger hatte sich jedoch ausdrücklich unter Vorlage des Vertriebenenausweises A auf den Verlust der Erwerbsgrundlage durch Vertreibung aus dem Sudetenland berufen. Von einem etwaigen Verlust der Erwerbsgrundlage im Ostsektor von Berlin war im weiteren Verfahren nicht mehr die Rede. So bezog sich auch die persönliche Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 29. Januar 1969 ausschließlich auf Einzelheiten seiner Tätigkeit bei der Fa. X und seiner Beteiligung bei der Fa. Y in B. Da auch der Antrag des Klägers zum Schluß der mündlichen Verhandlung keine Bezugnahme auf den Verlust einer etwaigen Erwerbsgrundlage im Ostsektor Berlins enthält, hatte das FG keine Veranlassung, das Vorbringen des Klägers unter diesem Gesichtspunkt rechtlich zu würdigen. Tatsächliche Feststellungen in dieser Hinsicht hat die Vorinstanz daher zu Recht unterlassen. Im übrigen hätte der Kläger einen etwaigen insoweit vorliegenden Mangel der Sachaufklärung in der mündlichen Verhandlung rügen müssen. Da der Kläger dies nicht getan hat, obgleich er zur mündlichen Verhandlung erschien, und ihm der Mangel bekannt war oder bekannt sein mußte, hat der Kläger sein Rügerecht insoweit verloren (§ 295 ZPO i. V. m. § 155 FGO).

In der Sache hat die Vorinstanz die Stuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns zu Recht versagt.

Nach § 10a Abs. 1 Nr. 1 EStG können Vertriebene die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns in Anspruch nehmen, wenn sie eine frühere Erwerbsgrundlage verloren haben, wobei der Verlust der Erwerbsgrundlage die Folge der Vertreibung sein muß (Urteil des BFH vom 23. September 1960 VI 147/60 S, BFHE 71, 570, BStBl III 1960, 462). Wohl ist der Begriff der Erwerbsgrundlage "nicht eng auszulegen" (BFH-Urteil vom 25. Juni 1953 IV 58/53 U, BFHE 57, 698, BStBl III 1953, 267). Es genügt der Verlust einer selbständigen oder unselbständigen Tätigkeit oder auch der Verlust von Vermögen, vorausgesetzt, daß der Steuerpflichtige zur Zeit der Vertreibung aus der Tätigkeit oder dem Vermögen im wesentlichen seinen Lebensunterhalt bestritt.

Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger mit der Beteiligung an der Fa. Y in B eine eigene Erwerbsgrundlage in diesem Sinne hatte. Der Kläger hatte hieraus jedenfalls, wie die Vorinstanz festgestellt hat, nicht im wesentlichen seinen Lebensunterhalt bestritten. Der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben in den Jahren 1940 bis 1945 ganz überwiegend von seinen Einkünften bei der Fa. X in Berlin gelebt. Diese Einkünfte beliefen sich monatlich zwischen 200 bis 300 RM und entsprachen den damaligen tariflichen Bestimmungen. Dieser Feststellung steht auch nicht entgegen, daß der Kläger bis zum Jahre 1943 von seinen Eltern und seinem Großvater Zuschüsse im wesentlichen in Form von Lebensmitteln erhielt, und vom Jahre 1944 ab Geldbeträge aus seiner Beteiligung an der Fa. Y entnahm und sie zusätzlich zu seinen sonstigen Einkünften für seinen Lebensunterhalt verwendete. An diese Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz, die im wesentlichen auf dem eigenen Vorbringen des Klägers beruhen, ist der BFH gebunden (§ 118 Abs. 2 BGB). Insofern sind begründete und zulässige Revisionsgründe auch nicht vorgetragen. Insbesondere widerspricht die tatsächliche Würdigung, daß der Kläger seinen Unterhalt überwiegend, also im wesentlichen aus seiner Berliner Tätigkeit bestritt, auch unter Berücksichtigung der damaligen Kriegsverhältnisse nicht der Lebenserfahrung.

Daß der Kläger bei der Fa. X in Berlin als Dienstverpflichteter tätig war, ändert auch nichts daran, daß er seine wesentliche Erwerbsgrundlage in Berlin und nicht im Sudetenland hatte. Selbst wenn man die Tätigkeit des Klägers in Berlin als lediglich kriegsbedingt oder mit dem Kläger sogar als Zwangsarbeit ansehen wollte (vgl. BFH-Urteil vom 7. Juli 1960 VI 58/59, StRK, Einkommensteuergesetz, § 10 a, Rechtsspruch 57, und vom 20. Oktober 1961 VI 61/61, StRK, Einkommensteuergesetz, § 10 a, Rechtsspruch 68), so führt dies nicht dazu, seine etwaige Erwerbsgrundlage im Sudetenland als für die Gewährung der Vergünstigung nach § 10a EStG als ausreichend anzunehmen. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hatte er ja aus dieser Erwerbsgrundlage jedenfalls nicht, wie es nach § 10a EStG vorausgesetzt ist, seinen Unterhalt im wesentlichen bestritten.

Da der Kläger somit durch die Vertreibung seine wesentliche Erwerbsgrundlage nicht verloren hat, hat ihm die Vorinstanz die erstrebte Steuerbegünstigung zu Recht versagt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70750

BStBl II 1974, 167

BFHE 1974, 261

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