Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Berichtigung nach § 92 Abs. 3 AO ist auch dann nicht möglich, wenn eine die Höhe einer Steuervergünstigung regelnde Vorschrift, z. B. § 10 Abs. 2 Ziff. 3 Buchst. e EStG 1949, bei der Veranlagung übersehen worden ist.

 

Normenkette

AO § 92 Abs. 3, § 92/2

 

Tatbestand

Streitig ist die Auslegung des § 92 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO).

Der Beschwerdeführer (Bf.) hatte in seiner Steuererklärung für 1949 Sonderausgaben nach § 10 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1949 in Höhe von insgesamt 10.644 DM geltend gemacht, die im einzelnen entfielen auf:

I. Versicherungsbeiträge (ß 10 Abs. I Ziff. 2 a EStG 1949) ------------------------------------------------ 84 DM 2. Aufwendungen für Wiederbeschaffung von Haus= rat und Kleidung (ß 10 Abs. I Ziff. 2 f a. a. O.) -- 3.782 DM 3. Nicht entnommenen Gewinn (ß 10 Abs. I. Ziff. 3 a. a. O.) ----------------------------------------- 6.538 DM 4. Bezahlte Vermögensteuer (ß 10 Abs. I Ziff. 6 a. a. O.) 240 DM ---------------------------------------------------- 10.644 DM In dem rechtskräftig gewordenen Steuerbescheid vom 27. Februar 1951 setzte das Finanzamt Sonderausgaben im Betrage von 9.711 DM von dem Gesamtbetrage der Einkünfte ab, darunter 2.932 DM für die unter § 10 Abs. I Ziff. 2 a bis f EStG 1949 fallenden Aufwendungen.

Im Jahre 1952 beanstandete der Rechnungshof diese Berechnung, weil bei ihr der § 10 Abs. 2 Ziff. 3 e EStG 1949 nicht beachtet worden sei; es hätten danach nur insgesamt 1.500 DM zum Abzug für die Sonderausgaben nach § 10 Abs. I Ziff. 2 a bis zum Abzug zugelassen werden dürfen.

Daraufhin änderte das Finanzamt mit Schreiben vom 7. Oktober 1953 unter Berufung auf § 92 Abs. 3 AO den bereits rechtskräftigen Bescheid für 1949 und forderte eine um 1.170 DM höhere Steuer.

Auf den Einspruch des Bf., mit dem die Zulässigkeit der änderung nach § 92 Abs. 3 AO bestritten wurde, hob der Steuerausschuß den beanstandeten Bescheid ersatzlos auf.

Die dagegen vom Vorsteher des Finanzamts erhobene Berufung hatte Erfolg. Das Finanzgericht kam zu dem Ergebnis, daß die änderung des rechtskräftigen Steuerbescheids nach § 92 Abs. 3 AO zulässig gewesen sei. Wenn auch die gesetzliche Regelung für die Begrenzung der Höhe der Sonderausgaben im § 10 Abs. 2 Ziff. 3 EStG 1949 zu den unübersichtlichsten Bestimmungen des EStG gehöre, so sei es einem geübten Veranlagungsbeamten doch zuzumuten, sie richtig anzuwenden. Das übersehen des Abs. 2 Ziff. 3 e, einer Berechnungsvorschrift, die in ihrer Art den tariflichen Bestimmungen gleichzuachten sei, sei nicht auf überlegungen rechtlicher Natur zurückzuführen und stelle ein bloßes Versehen dar. Als solches müsse es als eine offenbare Unrichtigkeit gewertet werden, so daß zur Berichtigung nach § 92 Abs. 3 AO Raum sei.

Diese Auffassung des Finanzgerichts wird mit der Rechtsbeschwerde als irrig gerügt; sie bedeute eine Ausdehnung des § 92 Abs. 3 AO auf Fälle, in denen die Möglichkeit einer unrichtigen Rechtsanwendung vorliege.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Wie der Bundesfinanzhof in mehreren Entscheidungen (vgl. Urteile II 113/53 U vom 10. Juni 1953, Slg. Bd. 57 S. 558, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1953 III S. 214; IV 320/53 U vom 18. Februar 1954, Slg. Bd. 58 S. 585, BStBl. 1954 III S. 133) zum Ausdruck gebracht hat, kann der § 92 Abs. 3 AO nicht angewendet werden, sobald auch nur die Möglichkeit eines Rechtsirrtums besteht. Das Finanzgericht räumt diese Möglichkeit selbst ein, indem es sich darin der Ansicht von Blümich-Falk (ß 10 Anm. 9 Abs. 2) anschließt, nach der die Vorschrift des § 10 EStG 1949 zu den unübersichtlichsten Bestimmungen des EStG gehört. Ein Blick in die Einkommensteuerrichtlinien II/1948 und 1949 bestätigt dieses, denn in nicht weniger als 29 Abschnitten beschäftigen sich diese unter Anführung zahlreicher Berechnungsbeispiele mit der Auslegung der Bestimmungen des § 10 EStG 1949. Daß bei einer solchen Schwierigkeit Irrtümer bei der Anwendung der Bestimmungen unterlaufen, liegt auf der Hand. Damit werden diese Irrtümer aber nicht, wie das Finanzgericht meint, zu solchen, die einem Schreib- oder Rechenfehler "ähnlich" sind. Im Gegenteil, es handelt sich um irrige Rechtsanwendung, zum mindesten um die Möglichkeit einer solchen, und nicht um einen mechanischen Fehler, der als offenbare Unrichtigkeit gewertet werden müßte. Wie in dem oben erwähnten Urteil des erkennenden Senats IV 320/53 U vom 18. Februar 1954 ausgeführt, kann in dem übersehen einer Rechtsvorschrift, hier des § 10 Abs. 2 Ziff. 3e EStG 1949, nichts anderes als ein Rechtsirrtum erblickt werden. Die Auffassung des Finanzgerichts würde geraden Weges zu der heute vom gesamten Schrifttum und der Rechtsprechung abgelehnten Ansicht des Gutachtens des Großen Senats des Reichsfinanzhofs Gr.S. D 9/36 vom 7. August 1936 (Reichssteuerblatt 1936 S. 919) führen, nach der die Zulässigkeit einer Berichtigung von den Kenntnissen eines durchschnittlich brauchbaren Veranlagungsbeamten abhängig gemacht wird. Auch das Finanzgericht stellt in seiner Begründung darauf ab, daß die Handhabung der Bestimmungen "einem Veranlagungsbeamten zuzumuten sei". Die Auffassung des Finanzgerichts ist deshalb abzulehnen. Die Möglichkeit einer falschen Rechtsanwendung ist hier gegeben und damit die Anwendbarkeit des § 92 Abs. 3 AO ausgeschlossen.

Die angegriffene Entscheidung ist deshalb aufzuheben und die Einspruchsentscheidung des Steuerausschusses beim Finanzamt vom 28. Januar 1953 wiederherzustellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 408067

BStBl III 1955, 19

BFHE 1955, 52

BFHE 60, 52

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