Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortschreibungszeitpunkt für eine fehlerbeseitigende Artfortschreibung

 

Leitsatz (NV)

Für eine fehlerbeseitigende Artfortschreibung nach § 22 Abs. 3 BewG ist gemäß § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG Fortschreibungszeitpunkt in jedem Fall der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird, und zwar unabhängig davon, ob sich als Folge der Artfortschreibung auch (zu einem anderen Stichtag) der Einheitswert erhöht oder sich für den Steuerpflichtigen hierdurch bei an die Artfeststellung anknüpfenden Steuern steuerliche Mehrbelastungen ergeben. Die Ausnahmeregelung in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2, 2. Alternative BewG gilt nur für den Fall einer wert erhöhenden Fortschreibung des Einheitswertes.

 

Normenkette

BewG § 22 Abs. 3, 4 S. 3 Nr. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erwarb 1978 ein Erbbaurecht an einem Grundstück. Im Jahre 1979 bebaute er das Grundstück mit einem Wohnhaus. Die Baugenehmigung wurde am 28. Juni 1978 für ein "Einfamilienhaus mit Einliegerwohnung" erteilt. Für Zwecke der Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 1980 erklärte der Kläger bezüglich der Einliegerwohnung: "Gesamtfläche 22 qm; kein Bad bzw. Dusche."

Mit Einheitswertbescheid auf den 1. Januar 1980 bewertete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) das Grundstück als Zweifamilienhaus (Zweifamilienhaus-Einheitswert: 64 400 DM).

Am 12. Februar 1985 ging bei der Bewertungsstelle des FA eine Kontrollmitteilung der Veranlagungsdienststelle ein, wonach die Einliegerwohnung vom Kläger selbst genutzt werde. Die Wohnfläche der Einliegerwohnung betrage 22 qm; ein Bad bzw. eine Dusche sei in dieser nicht vorhanden.

Mit Einheitswertbescheiden vom 12. März bzw. 9. April 1986 nahm das FA eine fehlerberichtigende Artfortschreibung zum Einfamilienhaus auf den 1. Januar 1985 und eine Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1986 mit einem Einheitswert von 79 500 DM nach § 22 Abs. 3 und 4 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes (BewG) vor. Es verwies zur Begründung darauf, daß "die Einliegerwohnung" die erforderliche Mindestgröße von 25 qm unterschreite und über kein Bad bzw. keine Dusche verfüge; sie erfülle deshalb nicht den bewertungsrechtlichen Wohnungsbegriff. Es sei folglich ein Einfamilienhaus anzunehmen. Da ihm, dem FA, der Fehler erst 1985 durch die Kontrollmitteilung der Veranlagungsdienststelle bekannt geworden sei, könne nach § 22 Abs. 4 Nr. 2 BewG zwar die Artfeststellung noch in 1986 rückwirkend auf den 1. Januar 1985 geändert werden, nicht jedoch die Wertfeststellung.

Mit Einspruchsentscheidung vom 26. August 1987 ermäßigte das FA lediglich wegen Wegfalls der Grundsteuervergünstigung den Einheitswert auf den 1. Januar 1985 auf 58 800 DM und auf den 1. Januar 1986 auf 66 200 DM. Im übrigen wies es die Einsprüche des Klägers als unbegründet zurück.

Mit der Klage machte der Kläger geltend, das FA habe zu Unrecht auf den 1. Januar 1985 sein Wohnhaus als Einfamilienhaus bewertet. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) komme es auf die Frage, ob bewertungsrechtlich eine Wohnung gegeben sei, auf die bauliche Gestaltung des Hauses im Einzelfall an. Es müsse sich um die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen handeln, die die Führung eines selbständigen Haushalts ermögliche. Hierfür reiche ein Toilettenraum, in dem sich lediglich ein Handwaschbecken befinde, aus. Im übrigen habe er Ende 1986 die Einliegerwohnung um ein Bad von ca. 5,3 qm erweitert. Die Wohnungsgröße von 22,15 qm sei ausreichend. Auch eine Artfortschreibung zu seinen Ungunsten stelle eine Erhöhung des Einheitswerts i. S. von § 22 Abs. 4 Nr. 2 BewG dar, so daß die Artfortschreibung zum 1. Januar 1985 unzulässig sei.

Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben. Es könne dahinstehen, ob das FA zu Recht angenommen habe, bei dem Wohnhaus des Klägers handele es sich zum hier streitigen Stichtag um ein Einfamilienhaus. Jedenfalls sei der Artfortschreibungsbescheid aufzuheben, weil das FA die zeitliche Grenze des § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 (2. Alternative) BewG nicht beachtet habe. Dem Schutzgedanken dieser Vorschrift entspreche es nämlich, daß jegliche fehlerbeseitigende Fortschreibung, die -- auch ohne Erhöhung des Einheitswerts -- zu einer Mehrbelastung an Steuern führe, nicht für die Vergangenheit vorgenommen werden dürfe. Das FA habe deshalb im Jahre 1986 keine Artfortschreibung mehr auf den 1. Januar 1985 vornehmen dürfen. Mit der Aufhebung des Artfortschreibungsbescheides entfalle auch die Rechtsgrundlage für den Wertfortschreibungsbescheid, da der Artfortschreibungsbescheid Grundlagenbescheid für den Wertfortschreibungsbescheid sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das FG zu anderweitiger Verhandlung und Entscheidung.

1. Das finanzgerichtliche Urteil ist aufzuheben, weil es § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG verletzt.

Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG findet eine Fortschreibung des Einheitswerts hinsichtlich des Werts, der Art und der Zurechnung auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt. Fortschreibungszeitpunkt ist bei dieser fehlerbeseitigenden Fortschreibung nach § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird, bei einer Erhöhung des Einheitswerts jedoch frühestens der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. November 1991 II R 15/89 (BFHE 166, 571) ausgeführt hat, stehen sich die beiden in Nr. 2 des § 22 Abs. 4 Satz 3 BewG behandelten Fallgruppen in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis gegenüber. Abweichend von der Regel, daß bei einer fehlerbeseitigenden Fortschreibung Fortschreibungszeitpunkt der Beginn des Kalenderjahres ist, in dem der Fehler dem FA bekannt wird, ist Fortschreibungszeitpunkt im Ausnahmefall der werterhöhenden Fortschreibung des Einheitswerts der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fortschreibungsbescheid erlassen wird. Da die Feststellungen in einem Einheitswertbescheid zur Höhe, zur Art und zur Zurechnung jeweils selbständig (und selbständig anfechtbar) sind (vgl. Urteile des BFH vom 13. November 1981 III R 116/78, BFHE 135, 85, BStBl II 1983, 88, und vom 10. Dezember 1986 II R 88/85, BFHE 148, 329, BStBl II 1987, 292), gilt die in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 (2. Alternative) BewG normierte Ausnahme nur für die werterhöhende (Wert-)Fortschreibung, nicht aber auch für die Artfortschreibung.

Im Gegensatz zur Auffassung des FG kommt eine sich zwar am Sinn und Zweck der Vorschrift orientierende, jedoch über den Wortlaut des § 22 Abs. 4 Satz 3 BewG hinausgehende Auslegung der Vorschrift dahingehend, daß die 2. Alternative auch in jedem Fall gelten solle, in dem die Feststellung zur Art zu steuerlicher Mehrbelastung führt bzw. führen kann, nicht in Betracht. Das folgt zum einen daraus, daß keine Gesetzeslücke vorliegt, weil das Gesetz für den Fall der fehlerbeseitigenden Artfortschreibung in § 22 Abs. 4 Satz 3 BewG eine Regelung hinsichtlich des maßgebenden Fortschreibungszeitpunkts enthält. Zum anderen ergibt sich auch kein Überhang des Gesetzeswortlauts über den Sinn und Zweck der Regelungen zum Fortschreibungszeitpunkt bei fehlerbeseitigenden Fortschreibungen. Denn die Ausnahmeregelung für werterhöhende Fortschreibungen aufgrund des § 22 Abs. 3 BewG beruht ersichtlich darauf, daß die Erhöhung des Einheitswerts unmittelbare Auswirkungen bei den einheitswertabhängigen Steuern zeitigt. Dagegen ist bei einer Artfortschreibung die Auswirkung auf die Steuerbela stung nicht ohne weiteres ersichtlich, weil sie sowohl eine höhere als auch eine niedrigere Steuerlast bewirken oder ggf. insoweit steuerneutral sein kann. Die Ausnahmeregelung des § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 2. Alternative BewG (Fortschreibungszeitpunkt erst Beginn des Kalenderjahres, in dem der Feststellungsbescheid erteilt wird) gilt deshalb nur bei Erhöhung des Einheitswerts, nicht jedoch für die fehlerberich tigende Artfortschreibung, auch wenn sich als Folge der Artfortschreibung die Höhe des Einheitswerts ändert oder ändern kann.

2. Die Sache ist nicht spruchreif.

Das FG hat -- von seinem rechtlichen Ausgangspunkt verständlich -- keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob es sich bei dem Wohnhaus des Klägers am hier maßgeblichen Feststellungszeitpunkt 1. Januar 1985 um ein Einfamilienhaus oder Zweifamilienhaus handelte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419758

BFH/NV 1995, 93

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge