Leitsatz (amtlich)

Die Bestimmungen des § 7 Abs. 3 Satz 2 und 3 StAnpG, daß es dem Finanzamt freisteht, an welchen Gesamtschuldner es sich halten will, räumen dem Finanzamt nur ein durch die Vorschriften des § 2 StAnpG gebundenes Ermessen ein.

2 Soweit nicht besondere Umstände vorliegen, entspricht es der Billigkeit, daß sich das Finanzamt zunächst an den Steuerschuldner wendet.

 

Normenkette

StAnpG § 7 Abs. 1, 3 Sätze 2-3; MinöStG § 8 Abs. 2; MinöStDV § 23 Abs. 1, 3 Nr. 4

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) lieferte auf Grund einer ihm erteilten Erlaubnis in der Zeit vom 25. März bis 21. April 1975 an G der weder eine Verteiler- noch eine Verwendererlaubnis besaß steuerbegünstigtes Heizöl. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt – HZA –) forderte deshalb vom Kläger durch Bescheid vom 26. Mai 1975, den es am 6. Juni 1975 berichtigte, Mineralölsteuer an. Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage machte der Kläger geltend:

Vor der ersten Lieferung habe G. erklärt, er besitze Erlaubnisscheine, die bei der Firma X. lägen und dort verbleiben sollten, da die Geschäftsbeziehungen zu dieser Firma aufrechterhalten bleiben sollten; er habe aber für die Belieferung durch ihn einen weiteren Erlaubnisschein beantragt. Um Verzögerungen in der Lieferung des Heizöls zu vermeiden, habe ihm G. als Sicherheit dreizehn (gefälschte) Verwenderscheine übergeben, die er für echt gehalten habe. Es sei unverständlich, daß sich das HZA nicht in erster Linie an G. halte, obwohl er dies der Zollfahndung vorgeschlagen und auf die Möglichkeit hingewiesen habe, bei G. die Steuer beizutreiben.

Das HZA trug unter Bezugnahme auf seine Einspruchentscheidung vor: Die Behörde sei grundsätzlich verpflichtet, Steueransprüche gegenüber dem Steuerschuldner geltend zu machen. Außerdem werde der Kläger nicht als Alleinschuldner, sondern zusammen mit G. als Gesamtschuldner in Anspruch genommen. Soweit der Behörde bei der Inanspruchnahme des Steuerschuldners überhaupt ein Ermessensspielraum bleibe, sei die Inanspruchnahme des Klägers neben der des Hinterziehers jedenfalls gerechtfertigt, weil sich der Kläger als Lieferer des Heizöls entgegen den mineralölsteuerrechtlichen Vorschriften nicht von der Bezugsberechtigung des Empfängers überzeugt und dadurch die Hinterziehung der Mineralölsteuer durch G. erst möglich gemacht habe. Wenn er – wie in § 22 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung zur Durchführung des Mineralölsteuergesetzes (MinöStDV) vorgeschrieben – einen gültigen Erlaubnisschein des G. zu sehen verlangt hätte, wäre es zu der unzulässigen Lieferung an G. gar nicht gekommen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit folgender Begründung ab:

Für das nach § 8 Abs. 2 des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) steuerbegünstigte Heizöl sei bei seiner Entfernung aus dem Herstellungsbetrieb nach § 3 MinöStG in der Person des Inhabers des Herstellungsbetriebs eine bedingte Steuerschuld entstanden. Diese bedingte Steuerschuld sei auf dem weiteren Weg des Heizöls gemäß § 8 Abs. 4 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) durch ordnungsgemäße Weitergabe an den jeweiligen Erwerber auf diesen übergegangen, zuletzt auf den Kläger. Ein weiterer Übergang der bedingten Steuerschuld vom Kläger auf G. habe nicht stattgefunden, da der Kläger das Heizöl an G. nicht ordnungsgemäß weitergegeben habe. Der Kläger habe die Vorschrift des § 22 Abs. 2 Satz 1 MinöStDV nicht beachtet, wonach der Lieferer steuerbegünstigtes Mineralöl nur übergeben dürfe, wenn ihm oder seinem Beauftragten spätestens bei der Übergabe ein gültiger Erlaubnisschein des Empfängers vorliege. Durch die verbotswidrige Abgabe des Heizöls an G. sei die Steuerschuld gemäß § 23 Abs. 3 Nr. 4 MinöStDV unbedingt geworden. Das HZA habe die geforderte Steuer richtig berechnet.

Auch die Inanspruchnahme des Klägers sei rechtmäßig. Die Finanzbehörde sei gemäß § 210 Abs. 1 der Reichsabgabenordnung (AO), § 4 Abs. 2 Satz 1 StAnpG grundsätzlich verpflichtet, die Steuer gegenüber dem Steuerschuldner geltend zu machen; insoweit habe die Behörde keinen Ermessensspielraum (so auch Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Juni 1975, § 7 StAnpG Rdnr. 4; anderer Ansicht: Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. Februar 1973 II R 57/71, BFHE 109, 164 BStBl II 1973, 573; vom 19. Juli 1962 V 268/59, Steuerrechtsprechung in Karteiform – StRK –, Steueranpassungsgesetz, § 7, Rechtsspruch 22; vom 27. März 1968 II 98/62, BFHE 91, 434, BStBl II 1968, 376). Aus diesem Grunde sei es unerheblich, ob der Kläger, wie er behaupte, nicht gewußt habe, daß G. keine Erlaubnis besessen habe, und ob das HZA den Steuerbetrag leichter aus dem Vermögen des G. erlangen könnte.

Die Inanspruchnahme des Klägers wäre jedoch auch dann rechtmäßig, wenn das HZA insoweit einen Ermessensspielraum gehabt hätte. Es sei nicht festzustellen, daß das HZA sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Das HZA sei in seiner Einspruchsentscheidung zutreffend davon ausgegangen, daß die Behörde grundsätzlich verpflichtet sei, Steueransprüche gegenüber dem Steuerschuldner gellend zu machen. Aus der Gegenüberstellung von Steuerschuld und Steuerhaltung in § 7 Abs. 1 StAnpG folge, daß in der Regel zuerst der Steuerschuldner in Anspruch genommen werden soll, der Haltende dagegen nur aus besonderem Grund (BFH-Urteile II 98/62 und 11 R 57/71).

Im Streitfall habe kein Anlaß bestanden, von dieser Regel zugunsten des Klägers abzuweichen. Dieser habe – worauf das HZA mit Recht hinweise – die Hinterziehung durch G. erst möglich gemacht, weil er geliefert habe, ohne sich von G. einen eigenen gültigen Erlaubnisschein vorlegen zu lassen. Daraus, daß das HZA sich nur „grundsätzlich” zur Steuerfestsetzung für verpflichtet gehalten habe, gehe zugleich hervor, daß es sein Ermessen auch ausgeübt habe.

Der Kläger hat durch Schriftsätze zweier Rechtsanwälte vom 20. Mai und 18. Juni 1976 Revision eingelegt und vorgetragen:

Er rüge die Verletzung materiellen Rechts.

Das FG gehe zu Unrecht davon aus, daß das HZA ihn rechtmäßig in Anspruch genommen habe. Die Finanzbehörde habe sehr wohl einen gewissen Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Frage, wem gegenüber im vorliegenden Fall die Steuerschuld geltend gemacht werden solle. Das verkenne auch das FG nicht ganz, da es im Gegensatz zu vorausgehenden Ausführungen den Ermessensspielraum der Behörde auf das Vorliegen eines Ermessensfehlers überprüft habe.

Das HZA habe hier sein Ermessen – wenn überhaupt – fehlerhaft ausgeübt. Es könne nicht bestreiten, daß er gegenüber G. völlig gutgläubig gewesen sei. Da G. ihm die Verwenderscheine vorgelegt habe, sei ihm allerhöchstens leichte Fahrlässigkeit anzulasten. Bei diesem Sachverhalt habe das HZA nicht ihn in Anspruch nehmen dürfen, sondern den ebenfalls haftenden G., der ihn durch die Vorlage gefälschter Verwenderscheine getäuscht habe. Das gelle um so mehr, als er selbst die Behörde darauf hingewiesen habe, wo für sie eine einfache Zugriffsmöglichkeit bei G. bestehe.

Die Behörde habe ihre ihm gegenüber bestehende Schadensminderungspflicht verkannt. Er müßte wegen des bei ihm in Höhe des Betrages seiner Inanspruchnahme bei G. Regreß nehmen, wenn da jetzt überhaupt noch Vermögen vorhanden sei. Deshalb hätte das HZA G. unmittelbar belasten müssen. Da dies nicht geschehen sei, habe das HZA sein Ermessen entweder überhaupt nicht oder doch eklatant fehlerhaft ausgeübt. In beiden Füllen sei der Bescheid als ermessensfehlerhaft aufzuheben.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil abzuändern und nach seinem in der ersten Instanz gestellten Antrag zu erkennen. Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Mit Schreiben vom 22. August 1977 haben die Rechtsanwälte erklärt, sie legten das Mandat des Klägers nieder.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig.

Sie entspricht den Vorschriften des Art. 1 Nr. 1 und des Art. 2 Nr. 1 Satz 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BFG-EnlastG), wonach sich vor dem BFH jeder Beteiligte durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Steuerbevollmächtigten vertreten lassen muß, und zwar auch bei der Einlegung der Revision. Der Kläger hat die Revision durch zwei Rechtsanwälte gemäß den Form- und Fristvorschriften des § 120 de Finanzgerichtsordnung (FGO) eingelegt und begründet. Es fehlt zwar die ausdrückliche Bezeichnung der als verletzt gerügten Rechtsnorm; die Begründung läßt aber mit der Rüge eines Ermessensfehlers keinen Zweifel daran, daß der Kläger die Vorschriften des § 7 Abs. 3 Satz 2 und 3 StAnpG als verletzt ansieht, die bestimmen, daß es dem Finanzamt (FA) freisteht, an welchen Gesamtschuldner es sich halten will und daß es die geschuldete Leistung von jedem Gesamtschuldner ganz oder zum Teil fordern kann. Der Kläger wendet sich gegen die Auffassung des FG, das HZA habe bei der Entscheidung der Frage, ob es ihn als den Steuerschuldner oder G, als für die Steuer Haftenden in Anspruch nehmen solle, keinen Ermessensspielraum gehabt, jedenfalls aber einen dennoch vorhanden gewesenen Ermessensspielraum ordnungsgemäß genutzt.

Die Revision ist nicht dadurch unzulässig geworden, daß die Vertreter des Klägers durch das Schreiben vom 22. August 1977 ihr Mandat niedergelegt haben (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. November 1977 und vom 29. August 1978 VII R 17/77, BFHE 123, 430 und 125, 364, BStBl II 1978, 66 und 604).

Die Revision ist nicht begründet.

Das FG hat die Klage gegen den berichtigten Steuerbescheid vom 26. Mai 1975 i. d. F. des Änderungsbescheids vom 6. Juni 1975 zu Recht abgewiesen.

Die von der Revision nicht angegriffenen Ausführungen des FG über die Entstehung einer bedingten Steuerschuld für das vom Kläger an G. gelieferte Heizöl, den Übergang dieser bedingten Steuerschuld auf den Kläger und ihr Unbedingtwerden in der Person des Klägers lassen keinen Rechtsirrtum erkennen.

Der Kläger rügt zu Unrecht, daß das FG auch seine Inanspruchnahme als Schuldner der Steuer gebilligt hat.

Das FG ist davon ausgegangen, daß G. die vom Kläger geschuldete Steuer hinterzogen habe, daher neben dem Kläger für die Steuer hafte und somit der Kläger und G. nach § 7 Abs. 1 StAnpG Gesamtschuldner seien. Für einen solchen Fall bestimmen die Vorschriften des § 7 Abs. 3 Satz 2 und 3 StAnpG, daß es dem FA freisteht, an welchen Gesamtschuldner es sich halten will, und daß es die geschuldete Leistung von jedem Gesamtschuldner ganz oder zu einem Teil fordern kann. Trotz ihrer sehr weiten Fassung räumen diese Bestimmungen dem FA keine völlige Freiheit, sondern nur ein durch die Vorschriften des § 2 StAnpG gebundenes Ermessen ein. § 2 Abs. 2 StAnpG verlangt, Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu treffen. Bei der Entscheidung darüber, ob es sich an den Steuerschuldner oder an den für die Steuer Haftenden halten will, muß das FA berücksichtigen, daß zwar beide im Sinne des § 7 Abs. 1 StAnpG als Gesamtschuldner angesehen worden, aber doch nur unechte Gesamtschuldner sind. Soweit daher nicht besondere Umstände vorliegen, entspricht es der Billigkeit, daß sich das FA zunächst an den Steuerschuldner wendet, also an denjenigen, in dessen Person der Steuertatbestand entstanden ist (vgl. BFH-Urteile II 98/62 und II R 57/71).

Ein für die Ermessensentscheidung maßgeblicher besonderer Umstand kann darin liegen, daß das Gesetz die Inanspruchnahme des Steuerschuldners ausdrücklich eingeschränkt hat, wie das z. B. in § 38 Abs. 4 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geschehen ist. Eine derartige Regelung enthält das Mineralölsteuerrecht nicht. Auch aus dessen Grundzügen läßt sich kein besonderer Umstand herleiten, der es rechtfertigen könnte, die Steuer grundsätzlich nicht von demjenigen zu fordern, der sie schuldet, sondern von dem, der für sie nur haftet. Wer sich am Handel mit verbrauchsteuerbaren Erzeugnissen beteiligt, geht das Risiko ein, bei der Verwirklichung eines die Steuerschuld begründenden Tatbestandes für die Steuer einstehen zu müssen. Es ist nicht unbillig, einen Heizölhändler besonders dann als Steuerschuldner heranzuziehen, wenn die nur bedingt entstandene Steuerschuld durch sein eigenes pflichtwidriges Verhalten unbedingt geworden ist.

Das FG hat zutreffend entschieden, daß das HZA beim Erlaß des Steuerbescheides gegen den Kläger das ihm durch § 7 Abs. 3 Satz 2 und 3 StAnpG eingeräumte gebundene Ermessen in diesem Sinne ausgeübt hat. Die Ausübung des Ermessens kann mit dem FG darin gesehen werden, daß das HZA in seiner Einspruchsentscheidung von einer nur „grundsätzlichen” Pflicht zur Inanspruchnahme des Steuerschuldners ausgegangen ist. Die Auffassung des HZA, es bestehe kein Anlaß, von diesem Grundsatz hier abzuweichen, weil der Kläger durch die Lieferung des Heizöls ohne Verlangen nach Vorlage eines gültigen Erlaubnisscheins des G. diesem die Hinterziehung erst möglich gemacht habe, genügt der für die Ermessensentscheidung erforderlichen Billigkeit (vgl. BFH-Urteil II 98/62). Da der Kläger seine Pflicht aus § 22 Abs. 2 Satz 1 MinöStDV verletzt hatte, von G. die Vorlage eines gültigen Verteilererlaubnisscheines zu verlangen, bevor er ihm das Heizöl übergab, brauchte das HZA nicht auf die Frage einzugehen, ob G. ihn bezüglich der Echtheit der vorgelegten Verwenderscheine getäuscht hatte. Für die vom Kläger angenommene „Schadensminderungspflicht” des HZA besteht keine Rechtsgrundlage. Der vom HZA geltend gemachte Steueranspruch ist kein Schadensersatzanspruch im Sinne der §§ 249 ff. BGB. Auf ihn sind daher die Vorschriften des § 254 Abs. 2 BGB über die Pflicht des Geschädigten zur Minderung des Schadens nicht anwendbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 510553

BFHE 1979, 121

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge