Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Anrufung der Steuergerichte ist gemäß Art. 19 Abs. 4 GG unter den in dem Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951 (BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277) angegebenen Voraussetzungen auch dann zulässig, wenn ein Steuerpflichtiger unter Hinweis auf § 78 Abs. 1 AO die Verlagerung von Steuerangelegenheiten an ein anderes Finanzamt als das Wohnsitzfinanzamt beantragt.

Ein Antrag auf Verlagerung von Steuerangelegenheiten an ein anderes Finanzamt als das Wohnsitzfinanzamt ist im Regelfall nicht begründet, wenn sich der Mittelpunkt des Lebenskreises und der wirtschaftlichen Interessen des Steuerpflichtigen im Bezirk des Wohnsitzfinanzamts befindet. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige an einer Personengesellschaft beteiligt ist, die in dem Bezirk eines anderen Finanzamts ihren Sitz hat.

 

Normenkette

AO §§ 251, 242, 286/1; FGO § 115/1

 

Tatbestand

Der Bf. hat bei dem für ihn zuständigen Wohnsitzfinanzamt beantragt, daß seine Besteuerung, mindestens soweit sie sein Vermögen und seine Einkünfte in C. betrifft, von dem Finanzamt B bearbeitet wird. Dieser Antrag, dem die Verwaltungsbehörden nicht entsprochen haben - auch die Berufung hatte keinen Erfolg -, bildet auch den Gegenstand der vorliegenden Rechtsbeschwerdesache.

Außerdem bat der Bf. das Finanzamt um Stundung von Steuern in bestimmter Form. Insoweit wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom heutigen Tage in der Sache IV 363/58 U (BStBl 1961 III S. 292) Bezug genommen.

Dem im Berufungsverfahren von dem Bf. gestellten Antrag, in dieser Sache getrennt zu entscheiden, hat das Finanzgericht entsprochen. In sachlicher Hinsicht hat das Finanzgericht die Zurückweisung der Berufung, die sich, wie schon bemerkt, gegen die Ablehnung des Antrages auf Verlagerung von Steuerangelegenheiten an das Finanzamt B. richtete, wie folgt begründet: Weder § 78 noch § 79 AO gebe dem Bf. die rechtliche Möglichkeit, die Frage der örtlichen Zuständigkeit, losgelöst von einer Verfügung des Finanzamts, durch die er in seinen Rechten verletzt sei, als selbständigen, im Rechtsmittelverfahren verfolgbaren Anspruch geltend zu machen. Dem Rechtsschutzbedürfnis des Bf. bei Nichtbeachtung der örtlichen Zuständigkeit sei hinreichend durch die Vorschrift des § 79 Abs. 2 AO Rechnung getragen; da die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht gegeben seien, sei die Berufung nicht begründet.

Mit der Rb. trägt der Bf. vor, die Ablehnung der Abgabe der Besteuerungssache an das Finanzamt B. stelle einen Ermessensmißbrauch dar. Seinem Antrag hätte aus Zweckmäßigkeitsgründen entsprochen werden müssen. Das Finanzgericht habe überhaupt nicht geprüft, ob das Ermessen richtig, das heißt im Sinne des § 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG), ausgeübt worden sei. Im übrigen wiederholt der Bf. die schon in den Vorinstanzen von ihm vorgebrachten Gründe, die nach seiner Ansicht in seinem Falle die Verlagerung von Steuerangelegenheiten an das Finanzamt B. rechtfertigen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Für die Besteuerung nach dem Einkommen und dem Vermögen ist bei natürlichen Personen das Finanzamt zuständig, in dessen Bezirk der Steuerpflichtige seinen Wohnsitz hat (ß 73 a Abs. 1 und 2 AO). Im Streitfall ist Wohnsitzfinanzamt das Finanzamt A.

Im Einvernehmen mit dem Finanzamt, das nach den Vorschriften der Steuergesetze örtlich zuständig ist, kann (insbesondere wenn ein Steuerpflichtiger es beantragt) für einen einzelnen Fall oder für gewisse Arten von Fällen ein anderes Finanzamt die Besteuerung übernehmen, wenn dies zweckmäßig ist (ß 78 Abs. 1 AO). Das örtlich zuständige Finanzamt A. hat dem Antrag des Bf., in seinem Falle Steuerangelegenheiten an das Finanzamt B. zu verlagern, nicht entsprochen. Die angefochtene Entscheidung hat die Möglichkeit, das Verlangen des Bf. als selbständigen, im Rechtsmittelverfahren verfolgbaren Anspruch geltend zu machen, verneint.

Der erkennende Senat vermag dieser Auffassung nicht beizutreten. Er ist vielmehr der Ansicht, daß auch gegen die Ablehnung eines Antrags der vorliegenden Art, die einen reinen Ermessensakt darstellt, die Anrufung der Steuergerichte zulässig ist (vgl. im einzelnen Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277).

Der Senat vermag jedoch nicht anzuerkennen, daß die Ablehnung des Antrags des Bf. auf Verlagerung von Steuerangelegenheiten an das Finanzamt B. einen Ermessensfehlgebrauch des Finanzamts darstellt. Mittelpunkt des Lebenskreises des Bf. und seiner Interessen ist A., wo der Bf. auch seinen Wohnsitz hat. Aus diesen Gründen war es gerechtfertigt, es bei der Zuständigkeit des Wohnsitzfinanzamts zu belassen. Daß der Bf. auch an einer Gesellschaft beteiligt ist, die außerhalb des Bezirks des Wohnsitzfinanzamts in dem Bezirk eines anderen Finanzamts ihren Sitz hat, ist nach den Umständen des Falles kein hinreichender Grund, die Bearbeitung der Steuerangelegenheiten des Bf. an dieses andere Finanzamt zu verlagern. Dies muß auch dann gelten, wenn die Stundung von Steuern beantragt wird, die auf der Beteiligung an dieser Gesellschaft beruhen. Das zuständige Wohnsitzfinanzamt ist in der Lage, die Verhältnisse des Steuerpflichtigen, soweit dies nach § 127 AO erforderlich ist, zu ermitteln und alsdann, notwendigenfalls im Benehmen mit dem für die Gesellschaft und für die Mehrzahl der übrigen Gesellschafter zuständigen Finanzamt, zu entscheiden. Auch insoweit nimmt der Senat auf das Urteil IV 363/58 U vom heutigen Tage Bezug.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410053

BStBl III 1961, 294

BFHE 1962, 71

BFHE 73, 71

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