Entscheidungsstichwort (Thema)

Grunderwerbsteuer, Kfz-Steuer, sonstige Verkehrsteuern

 

Leitsatz (amtlich)

Nicht valutierte Grundschulden sind bürgerlich-rechtlich nicht als Eigentümergrundschulden und damit nicht als dem Eigentümer gehörige Grundpfandrechte im Sinne des § 9 Abs. 4 GrEStG anzusehen.

Bei Anträgen auf Erlaß der Grunderwerbsteuer nach § 31 Abs. 2 des schleswig-holsteinischen Gesetzes zur Ergänzung bundesrechtlicher Bestimmungen über die Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten vom 28. April 1954 - Ergänzungsgesetz - (GVBl für Schleswig-Holstein 1954 S. 77 ff.) können die Steuergerichte erst angerufen werden, wenn die nach § 237 AO zulässigen Rechtsbehelfe ausgeschöpft sind.

 

Normenkette

GrEStG § 9 Abs. 4; GrEStErgGSH 31/2

 

Tatbestand

Der Beschwerdeführer (Bf.) und seine damalige Ehefrau erwarben am 23. März 1956 als Miteigentümer je zur Hälfte einen in X. (Schleswig-Holstein) belegenen Bauplatz. Auf dem Bauplatz wurde ein Wohnhaus errichtet, in dem auch Räume für die Praxis des Bf. enthalten waren. Der Bau wurde mit Mitteln des Bf. und seiner damaligen Ehefrau sowie mit Fremdmitteln finanziert. Das Haus wurde vom Bf. am 1. September 1956 bezogen.

Die Ehe des Bf. wurde am 15. Februar 1957 rechtskräftig geschieden. Um zu vermeiden, daß das Grundstück zum Zwecke der Auseinandersetzung der damals bestehenden Gemeinschaft versteigert wurde (§§ 180 bis 184 des Zwangsversteigerungsgesetzes), erwarb der Bf. durch Vertrag vom 3. März 1958 - der Gegenstand des Rechtsstreits ist - auch den Miteigentumsanteil seiner geschiedenen Ehefrau. Das Finanzamt hat für diesen Erwerbsvorgang unter Zugrundelegung einer auf 43.500 DM geschätzten Gegenleistung die Grunderwerbsteuer festgesetzt. Der Bf. macht geltend:

Der Erwerb sei ein steuerbegünstigter Rettungserwerb im Sinne des § 9 Abs. 1 und 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG), weil die auf dem Grundstück lastende, aber nicht voll finanzierte Grundschuld als Eigentümergrundschuld anzusehen sei und damit ein zu seinen - des Bf. - Gunsten im Grundbuch eingetragenes Grundpfandrecht im Sinne des § 9 Abs. 4 GrEStG darstelle;

er sei Vertriebener und habe den Grundstücksanteil seiner geschiedenen Ehefrau erworben, um sich Wohn- und Büroräume zu schaffen, so daß die Steuer nach § 31 Abs. 2 des Gesetzes zur Ergänzung bundesrechtlicher Bestimmungen über die Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten vom 28. April 1954 - Ergänzungsgesetz - (Gesetz- und Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein 1954 S. 77 ff.) zu erlassen sei.

Das Finanzamt hat durch Entscheidung vom 20. Mai 1958, die die überschrift "Einspruchsentscheidung" trägt,

den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen,

den Antrag auf Erlaß der Steuer nach § 31 des Ergänzungsgesetzes abgelehnt.

Die Rechtsmittelbelehrung ist dahin gegangen, daß gegen die Zurückweisung des Einspruchs die Berufung, gegen die Ablehnung des Erlaßantrages die Beschwerde an die Oberfinanzdirektion gegeben sei.

Die Berufung wurde als unbegründet zurückgewiesen, und zwar auch insoweit, als das Finanzamt den Antrag auf Erlaß der Steuer nach § 31 des Ergänzungsgesetzes abgelehnt hatte. Eine Entscheidung der Oberfinanzdirektion war nicht eingeholt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist teilweise erfolglos, teilweise führt sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Der Auffassung des Finanzgerichts, daß die Befreiungsvorschrift des § 9 Abs. 1 und 3 GrEStG nicht anwendbar sei, ist zuzustimmen. Eine Steuervergünstigung auf Grund der bezeichneten Vorschrift käme nur dann in Betracht, wenn der Bf. als Grundpfandgläubiger im Sinne des § 9 Abs. 5 GrEStG angesehen werden könnte. Das ist jedoch nicht der Fall. Es handelt sich hier um eine nur teilweise valutierte Grundschuld. Wird eine Grundschuld nicht valutiert, so entsteht, zivilrechtlich betrachtet, keine Eigentümergrundschuld; die Vorschrift des § 1163 Abs. 1 Satz 2 BGB, auf die sich der Bf. bezieht, gilt nur bei Hypotheken und ist auf Grundschulden nicht entsprechend anwendbar. Siehe dazu: Urteile des Reichsgerichts V 208/11 vom 6. Dezember 1911 (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 78 S. 60) und II 95/34 vom 18. September 1934 (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 145 S. 155); Urteil des Bundesgerichtshofs V ZR 191/55 vom 26. Juni 1957 (Juristenzeitung 1957 S. 623); Soergel, Kommentar zum BGB, 8. Aufl., 1955, Anm. 2 a zu § 1191 (S. 427); Palandt, Kommentar zum BGB, 18. Aufl., 1959, § 1191, Anm. 2 b (S. 1029). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist als Hypothek, Grundschuld usw. im Sinne des § 9 Abs. 4 GrEStG eine solche im Sinne des Zivilrechts anzusehen. Siehe dazu das Urteil des Senats II 294/55 U vom 25. Juli 1956 (BStBl 1956 III S. 285, Slg. Bd. 63 S. 229). Soweit der Bf. geltend macht, daß die Befreiungsvorschrift des § 9 Abs. 1 und 3 GrEStG anwendbar sei, war die Rechtsbeschwerde somit als unbegründet zurückzuweisen.

Soweit dagegen das Finanzgericht auch über den Antrag auf Erlaß der Steuer gemäß § 31 des Ergänzungsgesetzes entschieden hat, war das angefochtene Urteil ersatzlos aufzuheben. § 31 Abs. 1 und 2 des Ergänzungsgesetzes lautet wie folgt:

"(1) Erwirbt ein Vertriebener oder Sowjetzonenflüchtling ein Grundstück, so ist ihm die Grunderwerbsteuer zu stunden, wenn er das Grundstück zur Schaffung einer neuen Erwerbsgrundlage oder zur Beschaffung von Wohnraum für den eigenen Bedarf erwirbt und zur sofortigen Bezahlung der Grunderwerbsteuer nicht in der Lage ist. In diesem Falle ist die Unbedenklichkeitsbescheinigung dem Steuerpflichtigen ohne Sicherheitsleistung zu erteilen.

Unter denselben Voraussetzungen ist die Grunderwerbsteuer zu Lasten der Steuergläubiger insoweit zu erlassen, als ihre Zahlung unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Erwerbers für diesen eine unbillige Härte darstellen würde."

Der Senat ist der Auffassung, daß bei Entscheidungen auf Grund des § 31 des Ergänzungsgesetzes nicht, wie das Finanzgericht meint, das Einspruchsverfahren nach §§ 229, 259 der Reichsabgabenordnung (AO), sondern das Beschwerdeverfahren nach §§ 237, 303 AO gegeben ist.

Dem Finanzgericht ist darin zuzustimmen, daß die Vergünstigungsvorschrift des § 31 Abs. 2 nicht nur, wie die Billigkeitsvorschrift des § 131 AO, eine Kannregelung, sondern außerdem entsprechend dem Willen des Landesgesetzgebers eine Mußregelung enthält; denn die Entscheidung darüber, ob die Voraussetzung der Vertriebeneneigenschaft oder der Sowjetzonenflüchtlingseigenschaft und die Voraussetzung des Erwerbs des Grundstücks zur Schaffung einer neuen Erwerbsgrundlage gegeben sind, ist nicht in das Ermessen der Finanzverwaltungsbehörden gestellt. Demgegenüber ist die weitere Voraussetzung für einen Erlaß der Steuer, nämlich ob und inwieweit ihre Zahlung unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Erwerbers eine unbillige Härte darstellen würde, sachlich eine Ermessensentscheidung. Damit ist, da über die Anwendung der Vergünstigungsvorschrift des § 31 Abs. 2 des Ergänzungsgesetzes nur einheitlich entschieden werden kann, die zu treffende Entscheidung letztlich eine Ermessensentscheidung. Diese Auffassung steht auch mit der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (vgl. Begründung zu § 26 des Gesetzentwurfs - S. 238 des Wortprotokolls über die 3. Tagung des 4. Schleswig-Holsteinischen Landtages am 12. und 13. Oktober 1950 sowie die Ausführungen des Berichterstatters im Wortprotokoll über die 16. Tagung des 4. Schleswig-Holsteinischen Landtages am 21. Januar 1952 S. 33) nicht in Widerspruch, zumal damals das Gutachten des Großen Senats des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951 (BStBl 1951 III S. 107, Slg. Bd. 55 S. 277) noch nicht vorlag oder offenbar noch nicht hinreichend bekannt war. Beabsichtigt war, wie der Senat annimmt, lediglich eine steuergerichtliche Kontrolle des Erlaßverfahrens; daß darüber hinaus eine selbständige Entscheidungsbefugnis der Steuergerichte auch insoweit gewollt war, als eine Entscheidung darüber ergeht, ob die Zahlung der Steuer unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Erwerbers eine unbillige Härte darstellen würde, ist aus der Entstehungsgeschichte nicht ersichtlich.

Die Vorschrift des § 31 Abs. 2 des Ergänzungsgesetzes ähnelt der des § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) 1955. Siehe dazu das Urteil des Senats II 40/58 U vom 6. August 1958 (BStBl 1958 III S. 403, Slg. Bd. 67 S. 334). Auch bei der Entscheidung über die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG 1955 handelt es sich letztlich um eine Ermessensentscheidung (siehe dazu das vorbezeichnete Urteil vom 6. August 1958). Im Gegensatz dazu stehen die in anderen Steuergesetzen enthaltenen Befreiungsvorschriften, die selbst die Befreiung von der Steuer aussprechen, bei denen also die Gewährung oder Versagung der Vergünstigung nicht irgendwie in das Ermessen des Finanzamts gestellt ist. Als Beispiele seien § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1955 sowie §§ 9 und 17 GrEStG genannt. Siehe zu § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG das Urteil des Senats II 14/58 U vom 7. Mai 1958 (BStBl 1958 III S. 337, Slg. Bd. 67 S. 172) und zu § 9 GrEStG das Urteil II 97/57 U vom 30. Oktober 1957 (BStBl 1957 III S. 451, Slg. Bd. 65 S. 567).

Aus dieser Auffassung folgt unter anderem:

In den Fällen des § 31 des Ergänzungsgesetzes usw. ist das Beschwerdeverfahren gegeben (siehe dazu das Gutachten des Großen Senats); in den Fällen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1955 ist das Einspruchsverfahren gegeben.

In den Fällen des § 31 des Ergänzungsgesetzes usw. kann die Freistellung noch nach Rechtskraft der Steuerfestsetzung beantragt werden. In den Fällen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG usw. ist die Entscheidung nur im Steuerfestsetzungsverfahren und in dem sich daran anschließenden Rechtsmittelverfahren zulässig (siehe dazu das vorerwähnte Urteil II 14/58 U); der Antrag kann im schwebenden Rechtsmittelverfahren nur gestellt werden, solange noch neues tatsächliches Vorbringen gestattet ist (Urteil des Reichsfinanzhofs III A 544/21 vom 25. November 1921, Slg. Bd. 7 S. 270).

In den Fällen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG, des § 9 GrEStG usw. ist eine Berichtigung der rechtskräftigen Steuer- oder Freistellungsbescheide grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen der §§ 222 ff. AO zulässig; in den Fällen des § 31 des Ergänzungsgesetzes usw. sind Voraussetzungen besonderer Art nicht vorhanden.

In den Fällen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG usw. ergeht die berichtigte Entscheidung durch berichtigte Steuerfestsetzung oder Freistellungsbescheid; in den Fällen des § 31 des Ergänzungsgesetzes usw. wird der Erlaß formlos ausgesprochen.

Daraus, daß es sich bei der Entscheidung über die Anwendung des § 31 Abs. 2 des Ergänzungsgesetzes um eine Ermessensentscheidung handelt, auch wenn die Beurteilung eines Teils der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit nicht in das Ermessen der Verwaltungsbehörden gestellt ist, und daraus, daß bei Ermessensentscheidungen die Anrufung der Steuergerichte erst nach Ausschöpfung der gemäß § 237 AO zugelassenen Rechtsbehelfe bei den Finanzverwaltungsbehörden möglich ist (vgl. Gutachten des Bundesfinanzhofs Gr.S. D 1/51 S vom 17. April 1951, siehe oben), ergibt sich weiter, daß das Finanzgericht zur Entscheidung über das gegen die Ablehnung des Billigkeitserlasses eingelegte Rechtsmittel nicht zuständig war. Die Entscheidung mußte insoweit vielmehr durch die Oberfinanzdirektion getroffen werden. Daran wird auch nichts dadurch geändert, daß der vom Bf. begehrte Steuererlaß gleichzeitig deshalb abgelehnt wird, weil die im § 31 genannten sonstigen Voraussetzungen, deren Beurteilung nicht dem Ermessen der Finanzverwaltungsbehörden unterliegen, ganz oder teilweise nicht vorliegen.

Da das Finanzgericht dies verkannt hat, war die angefochtene Entscheidung ersatzlos aufzuheben, soweit sie sich auf den Steuererlaß bezieht. Aufgabe des Finanzamts ist es nunmehr, die Sache zur Entscheidung über die vom Bf. eingereichte Beschwerde der Oberfinanzdirektion zuzuleiten.

 

Fundstellen

BStBl III 1959, 431

BFHE 1960, 457

BFHE 69, 457

StRK, GrEStG:9 R 13

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