Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhältnis von Fortschreibungen wegen Änderung tatsächlicher Verhältnisse und zur Fehlerbeseitigung; "Saldierung" gegenläufiger Auswirkungen nur bei übereinstimmendem Fortschreibungszeitpunkt

 

Leitsatz (NV)

1. Der Fortschreibungszeitpunkt ist in §22 Abs. 4 Satz 3 BewG je nach dem Anlaß der Fortschreibung unterschiedlich geregelt. Bei einer Fortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist Fortschreibungszeitpunkt der Beginn des Kalenderjahres, das auf die Änderung folgt (§22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BewG). Liegt der Grund zur Fortschreibung nicht in einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern in einem Fehler bei der vorangegangenen Feststellung (§22 Abs. 3 Satz 1 BewG), so ist Fortschreibungszeitpunkt grundsätzlich der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird (§22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 1. Alternative BewG).

2. Aus der unterschiedlichen Regelung des Fortschreibungszeitpunktes folgt, daß die Fortschreibung wegen Änderung tatsächlicher Verhältnisse und die fehlerbeseitigende Fortschreibung selbständig nebeneinanderstehen. Fehler einer vorangegangenen Feststellung, deren Beseitigung zu einer Erhöhung des Einheitswerts führen würde, können deshalb anläßlich einer Wertfortschreibung wegen Änderung tatsächlicher Verhältnisse nur dann gleichzeitig beseitigt werden, wenn für beide Fortschreibungen derselbe Fortschreibungszeitpunkt in Betracht kommt. Dies gilt entsprechend für Fälle, in denen die Beseitigung von Fehlern einer vorangegangenen Feststellung zu einer Verminderung des Einheitswerts führen würde, und zwar auch dann, wenn die einheitswertmindernden Auswirkungen eines Fehlers bei der vorangegangenen Einheitswertfeststellung mit den gegenläufigen Auswirkungen einer Einheitswerterhöhung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zusammentreffen (so bereits BFH-Urteil vom 12. März 1982 III R 63/79, BFHE 135, 341, BStBl II 1982, 451).

 

Normenkette

BewG § 22 Abs. 4 S. 3 Nrn. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die u. a. ein Kurhaus betreibt. Im Wege der Rechtsnachfolge wurde sie 1979 Eigentümerin mehrerer Grundstücke, auf denen sich das 1959/60 erbaute Kurhaus sowie ein Musikpavillon und ein sog. Wandelgang befinden, die im Jahre 1971 errichtet wurden. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) rechnete der Klägerin die Grundstücke mit Einheitswertbescheid vom 14. Juli 1983 als wirtschaftliche Einheit der Grundstücksart Geschäftsgrundstück auf den 1. Januar 1980 zu. Das FA führte auf diesen Stichtag zugleich eine Wertfortschreibung durch und stellte den Einheitswert auf ... DM fest. Die Wertfortschreibung fand statt, weil in die wirtschaftliche Einheit des Kurhauses im Zusammenhang mit der Rechtsnachfolge weitere Grundstücke des Kurparks einbezogen wurden, die bisher anderen Eigentümern zugerechnet waren. Bei der Ermittlung des Einheitswerts legte das FA für das Kurhaus den in den bisherigen Einheitswertfeststellungen angesetzten Gebäudewert ( ... DM/m3) sowie für den Musikpavillon einen Kubikmeterpreis von ... DM und für den Wandelgang einen Quadratmeterpreis von ... DM zugrunde. Der Einheitswertbescheid vom 14. Juli 1983 wurde nicht angefochten.

Wegen eines 1982 fertiggestellten Erweiterungsbaus zum Kurhaus stellte das FA mit Bescheid vom 2. Juli 1987 den Einheitswert auf den 1. Januar 1983 im Wege der Wertfortschreibung auf ... DM fest. Dabei wurde für den Erweiterungsbau ein Kubikmeterpreis von ... DM angesetzt. Im übrigen wurden -- zum Teil vermindert um Flächenabschläge -- die bisherigen Gebäude- und Bodenwerte übernommen und wie bisher die Wertzahl 80 angewendet. Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein. Sie war der Auffassung, sowohl für den Erweiterungsbau als auch für die vorhandenen Gebäude seien überhöhte Kubikmeter- bzw. Quadratmeterpreise angesetzt. Im Anschluß an eine gemeinsame Besprechung schlug das FA mit Schreiben vom 21. April 1989 eine Bewertung des Erweiterungsbaus mit ... DM/m3 in der bisherigen Gebäudeklasse "Theater" vor. Allerdings sei anders als bisher die Wertzahl 60 anzuwenden. Der Wandelgang solle mit dem bisherigen Gebäudewert angesetzt werden, der Kurhausaltbau mit ... DM/m3 und der Musikpavillon mit ... DM/m3. Die Bewertung der Altgebäude könne jedoch als Fehlerbeseitigung nach §22 Abs. 4 des Bewertungsgesetzes (BewG) erst auf den 1. Januar 1988 geändert werden, da dem FA die fehlerhaften Wertansätze erst mit einem Schreiben der Klägerin vom 7. März 1988 bekannt geworden seien. Die Klägerin, die sich mit den vorgeschlagenen Grundstückswerten einverstanden erklärte, begehrte weiterhin die Berücksichtigung der ermäßigten Gebäudewerte im Rahmen der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1983.

Mit Bescheid vom 27. Juli 1989 änderte das FA die Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1983 und setzte den Einheitswert auf ... DM herab. Dabei wurde für den Erweiterungsbau ein Kubikmeterpreis von ... DM/m3 zugrunde gelegt. Kurhaus(altbau), Musikpavillon und Wandelgang wurden hingegen mit den bisherigen Werten angesetzt. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat der dagegen erhobenen Klage stattgegeben und den Einheitswert auf den 1. Januar 1983 unter Änderung des Einheitswertbescheids vom 27. Juli 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf ... DM festgestellt. Das FG ist der Ansicht, die zutreffenden Wertansätze für die Altgebäude seien nicht erst bei einer fehlerbeseitigenden Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1988, sondern bereits bei der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1983 zu berücksichtigen. Zumindest im Rechtsbehelfsverfahren könnten gegen einen Feststellungsbescheid alle Einwendungen vorgebracht werden, die gegen die Richtigkeit der festgestellten Besteuerungsgrundlagen sprächen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 1996, 91 veröffentlicht.

Mit der Revision macht das FA Verletzung von §22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 und Nr. 2 BewG geltend. Die Selbständigkeit der Fortschreibungszeitpunkte sei auch dann maßgeblich, wenn eine einheitswerterhöhende Wertfortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse mit einer einheitswertmindernden fehlerbeseitigenden Fortschreibung zusammentreffe.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Das Urteil des FG beruht auf einer Verletzung von §22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG. Der Senat folgt nicht der Auffassung des FG, die bei der Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 1980 unterlaufenen und dem FA erst 1988 bekannt gewordenen Bewertungsfehler (z. T. zu hohe Wertansätze für den Gebäudealtbestand) könnten bei der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1983 wegen der Errichtung des Erweiterungsbaus mit der daraus folgenden Erhöhung des Einheitswerts verrechnet werden.

Nach §22 Abs. 1 Nr. 1 BewG wird der Einheitswert beim Grundbesitz im Wege der Wertfortschreibung u. a. neu festgestellt, wenn der nach §30 BewG abgerundete Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, nach oben um mehr als den zehnten Teil, mindestens aber um 5 000 DM vom Einheitswert des letzten Feststellungszeitpunktes abweicht. Eine Wertfortschreibung findet nach §22 Abs. 3 BewG auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt. Die Fortschreibung ist vorzunehmen, wenn der Finanzbehörde bekannt wird, daß die Voraussetzungen für sie vorliegen (§22 Abs. 4 Satz 1 BewG). Der Fortschreibung sind dabei vorbehaltlich des §27 BewG die Verhältnisse im Fortschreibungszeitpunkt zugrunde zu legen (§22 Abs. 4 Satz 2 BewG). Der Fortschreibungszeitpunkt ist in §22 Abs. 4 Satz 3 BewG je nach dem Anlaß der Fortschreibung unterschiedlich geregelt. Bei einer Fortschreibung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ist Fortschreibungszeitpunkt der Beginn des Kalenderjahres, das auf die Änderung folgt (§22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BewG). Liegt der Grund zur Fortschreibung nicht in einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, sondern in einem Fehler bei der vorangegangenen Feststellung (§22 Abs. 3 Satz 1 BewG), so ist Fortschreibungszeitpunkt grundsätzlich der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird (§22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 1. Alternative BewG).

Aus der unterschiedlichen Regelung des Fortschreibungszeitpunktes folgt, daß die Fortschreibung wegen Änderung tatsächlicher Verhältnisse und die fehlerbeseitigende Fortschreibung selbständig nebeneinanderstehen. Fehler einer vorangegangenen Feststellung, deren Beseitigung zu einer Erhöhung des Einheitswerts führen würde, können deshalb anläßlich einer Wertfortschreibung wegen Änderung tatsächlicher Verhältnisse nur dann gleichzeitig beseitigt werden, wenn für beide Fortschreibungen derselbe Fortschreibungszeitpunkt in Betracht kommt (Senatsurteil vom 16. September 1987 II R 240/84, BFHE 150, 567, BStBl II 1987, 843 im Anschluß an die Urteile des III. Senats vom 15. Oktober 1981 III R 96/80, BFHE 134, 184, BStBl II 1982, 15, und vom 12. März 1982 III R 63/79, BFHE 135, 341, BStBl II 1982, 451). Dies gilt entsprechend für Fälle, in denen die Beseitigung von Fehlern einer vorangegangenen Feststellung zu einer Verminderung des Einheitswerts führen würde, und zwar entgegen der Auffassung des FG auch dann, wenn die einheitswertmindernden Auswirkungen eines Fehlers bei der vorangegangenen Einheitswertfeststellung mit den gegenläufigen Auswirkungen einer Einheitswerterhöhung wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zusammentreffen (so bereits BFH-Urteil in BFHE 135, 341, BStBl II 1982, 451; Erlaß des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 10. Mai 1982 S 3106 A -- 9/68, Bewertungs- Kartei der Oberfinanzdirektionen Freiburg, Karlsruhe und Stuttgart §22 Karte 7; vgl. auch Felix/Carlé, Steuererlasse in Karteiform, Bewertungsgesetz 1965, §22 Nr. 21; Gürsching/Stenger, Kommentar zum Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, §22 BewG Anm. 148; Rössler/Troll, Bewertungsgesetz, Kommentar, 18. Aufl., §22 Anm. 80 und 83).

Die vom FG vertretene Rechtsauffassung steht nicht in Einklang mit der gesetzlichen Sonderregelung des §22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG. Diese Vorschrift enthält in bezug auf die fehlerbeseitigende Fortschreibung zwei Rechtsfolgen, die in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis stehen (Senatsurteil vom 2. Februar 1994 II R 31/91, BFH/NV 1994, 689). Der regelmäßige Fortschreibungszeitpunkt ist danach der Beginn des Kalenderjahres, in dem der Fehler dem FA bekannt wird. Dies gilt für sämtliche (fehlerbeseitigende) Fortschreibungen hinsichtlich Art und Zurechnung des Gegenstandes; ferner gilt die Grundregel für Fortschreibungen hinsichtlich des Werts des Gegenstandes, soweit die (Wert-)Fortschreibung zu einer Verminderung des Einheitswerts führt. Im Ausnahmefall der einheitswerterhöhenden (Wert-)Fortschreibung wird der Fortschreibungszeitpunkt zum Schutz des Steuerpflichtigen zeitlich sogar auf den Beginn des Kalenderjahres hinausgeschoben, in dem der Fortschreibungsbescheid erlassen wird. Allgemein sieht die Regelung des §22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG danach vor, daß unrichtige Steuerfestsetzungen, denen ein fehlerhafter Einheitswertbescheid zugrunde liegt, nur für die Zukunft ausgeschaltet werden sollen, soweit nicht die Voraussetzungen einer rückwirkenden Änderung nach den Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977) gegeben sind (BFH-Urteil vom 15. Oktober 1981 III R 96/80, BFHE 134, 184, BStBl II 1982, 15); dies gilt auch für den im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt.

Der Senat verkennt dabei nicht, daß das FG zu Recht davon ausgeht, die Bestandskraft einer (vorangegangenen) Einheitswertfeststellung erstrecke sich nicht auf die Besteuerungsgrundlagen und stehe deshalb der Beseitigung eines Bewertungsfehlers im Rahmen der nachfolgenden Einheitswertfeststellung nicht entgegen. Dem FG ist ferner darin zu folgen, daß die Rechtmäßigkeit eines Einheitswertbescheids im Rechtsbehelfsverfahren nach §367 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 grundsätzlich umfassend zu überprüfen ist und gegen einen Wertfortschreibungsbescheid insbesondere auch geltend gemacht werden kann, der neu festgestellte Wert sei zu hoch. Bei der Beseitigung von Bewertungsfehlern einer vorangegangenen Feststellung treten diese allgemeinen Regeln jedoch hinter die spezialgesetzliche Vorschrift des §22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG zurück. Durch den Erlaß dieser Regelung wurde in die (frühere) Rechtslage eingegriffen, wonach bei einer Fortschreibung eine vollständige und umfassende Neubewertung der gesamten wirtschaftlichen Einheit erfolgte, die sowohl Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse als auch aufgedeckte Fehler der Bewertung erfaßte (vgl. Stöckel/Wadepuhl, Bewertungsgesetz, Vermögensteuer, Kommentar, §22 BewG Anm. 2 und Anm. 15, m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen konnten im Streitfall die Fehler bei der Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 1980 erst auf den 1. Januar 1988 beseitigt werden, da sie dem FA erst mit Schreiben der Klägerin vom 7. März 1988 bekanntgeworden sind (§22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG). Eine Verrechnung mit der Einheitswerterhöhung wegen der Errichtung des Erweiterungsbaus war nicht zulässig. Der Gebäudealtbestand war deshalb bei der Wertfortschreibung auf den 1. Januar 1983 noch mit den Gebäudewerten aus der Einheitswertfeststellung auf den 1. Januar 1980 anzusetzen. Eine andere Beurteilung ergibt sich entgegen der Auffassung des FG auch nicht aus einer -- direkten oder entsprechenden -- Anwendung des §177 AO 1977. Denn auch im Verhältnis zu §177 AO 1977, sofern diese Vorschrift auf Wertfortschreibungen bei der Einheitsbewertung grundsätzlich anwendbar wäre, enthielte §22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG eine vorrangige Sonderregelung.

2. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 67609

BFH/NV 1998, 1070

DStRE 1998, 841

HFR 1998, 810

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