Leitsatz (amtlich)

Übernimmt das FA die Rechtsauffassung des Betriebsprüfers über die Ordnungsmäßigkeit einer vorgefundenen Buchführung ohne eigene Kenntnis der dieses Urteil begründenden (oder nicht begründenden) Tatsachen, so muß es diese Tatsachen als ihm bekannt gegen sich gelten lassen.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 2; AO § 162 Abs. 7, § 222 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Sache befindet sich im II. Rechtsgang. Der Senat nimmt für die Darstellung des Tatbestands und seine rechtliche Beurteilung im I. Rechtsgang auf sein Urteil vom 20. Oktober 1971 I R 63/70 (BFHE 104, 154, BStBl II 1972, 273) Bezug. Danach erfordert die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung, daß für jede Nebenkasse, die neben der Hauptkasse geführt wird, ein Kassenbuch oder eine Kassenkladde geführt wird. Da der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) jedoch bereits vor dem FG darauf hingewiesen hatte, daß sein von diesem Erfordernis abweichendes Verfahren dem Beklagten und Revisionskläger (FA) seit Jahren bekanntgewesen sei und dessen Billigung gefunden habe, mußte die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurückverwiesen werden zur Prüfung, ob dieser Einwand zutreffe und ob gegebenenfalls das FA nach Treu und Glauben als gehalten anzusehen sei, die Buchführung des Klägers als ordnungsmäßig anzuerkennen.

Das FG hat im II. Rechtsgang in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die in den Jahren 1953, 1958 und 1962 durchgeführten Betriebsprüfungen dem FA ausweislich der Betriebsprüfungsberichte keinen Anlaß gegeben haben, die Buchführung des Klägers als nichtordnungsmäßig zu beanstanden. Dem Kläger sei vielmehr im Bericht vom 19. Mai 1958 unbeschadet kleinerer Mängel (wie die Verbuchung von Provisionen erst bei Zahlungseingang) sowie im Bericht vom 22. Juni 1962 die Ordnungsmäßigkeit seiner Buchführung ausdrücklich bestätigt worden.

Grundsätzlich komme es für die Frage, ob das FA sich nach Treu und Glauben an die langjährige gleichbleibende Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts gebunden halten lassen müsse, auf das Wissen der zuständigen Veranlagungsbeamten des FA, nicht auf das Wissen der Betriebsprüfer um diesen Sachverhalt an (Urteil des BFH vom 22. August 1968 IV R 1/67, BFHE 94, 179, BStBl II 1969, 118). Daß die zuständigen Veranlagungsbeamten des FA vor Durchführung der Betriebsprüfung vom Jahre 1966 von der Art der Kassenbuchführung des Klägers im einzelnen Kenntnis gehabt hätten, habe sich nach den Akten nicht feststellen lassen. Der Kläger selbst habe eingeräumt, daß auch ihm ein entsprechender Nachweis nicht möglich sei. Dagegen habe das FG festgestellt, daß den Betriebsprüfern die Art der Kassenführung des Klägers bekanntgewesen sei. Gegenstand einer jeden Betriebsprüfung sei, wie gerichtsbekannt, die eingehende Kontrolle der Buchführung auf ihre formelle und sachliche Richtigkeit hin. Diese erfordere insbesondere die Durchsicht der Verbuchung des baren und unbaren Zahlungsverkehrs. Entsprechend sei ausweislich der Betriebsprüfungsberichte auch bei den beim Kläger durchgeführten Betriebsprüfungen verfahren worden, deren Ergebnisse die Prüfer veranlaßt hätten, dem Kläger die Ordnungsmäßigkeit seiner Buchführung ausdrücklich zu bestätigen. Zwar sei die Auffassung der Prüfer nach dem BFH-Urteil I R 63/70 insofern unrichtig gewesen, als sie die Beurteilung der vom Kläger - wie er unwidersprochen behauptet habe - in unveränderter Form in den Jahren 1950 bis 1965 gehandhabten Kassenbuchführung betreffe. Indes habe diese unrichtige Beurteilung der Vorprüfer den Kläger vom Jahre 1952 ab in seiner Überzeugung bestärkt, daß seine Buchführung, insbesondere auch seine Kassenbuchführung, in Ordnung sei und er sie beibehalten dürfe, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Das FA müsse deshalb das Verhalten der Betriebsprüfer nach Treu und Glauben für die Streitjahre gegen sich gelten lassen (BFH-Urteil vom 23. September 1966 VI 117/65, BFHE 87, 73, BStBl III 1967, 23).

Soweit der BFH den Urteilfall VI 117/65 als einen Sonderfall bezeichnet habe (so der IV. Senat im Urteil IV R 1/67), könne ihm das FG nicht folgen. Es sei vielmehr die Regel, daß der Betriebsprüfungsbericht keine so detaillierten Angaben über die vorgefundene Buchführung enthalte, daß er es den Veranlagungsbeamten erlaube, sich selbst eine abschließende Meinung über die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu bilden. Wenn aber über einen Zeitraum von 14 Jahren hinweg der gleiche Sachverhalt von mehreren Prüfern gleich beurteilt worden sei und das FA diese - wenn auch sachlich unzutreffende - Beurteilung durch die Prüfer hingenommen habe, ohne selbst eigene Feststellungen zu treffen, so müsse es diese Beurteilung durch die Prüfer sich als eigene zurechnen lassen. Gegebenenfalls hätten dem FA schon die Ausführungen im Betriebsprüfungsbericht vom 19. Mai 1958 zu Zweifeln Anlaß geben müssen, nach denen die Bestände aus einer Kassenkladde nicht täglich, sondern etwa alle zwei Tage festgestellt worden seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Zur Begründung führt es aus:

Das FG habe es entgegen dem Beschluß des BFH vom 16. Dezember 1968 GrS 3/68 (BFHE 94, 436, BStBl II 1969, 192) und dem BFH-Urteil vom 19. Februar 1969 I R 52/68 (BFHE 95, 164, BStBl II 1969, 349) unter Verletzung der Vorschrift des § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO unterlassen, den Steuerbetrag selbst festzusetzen, sich vielmehr auf die Festsetzung der Gewinne des Klägers aus Gewerbebetrieb beschränkt und dabei die vom Prüfer gebildeten Gewerbesteuerrückstellungen außer acht gelassen. Darüber hinaus habe es die Vorschrift des § 126 Abs. 5 FGO dadurch verletzt, daß es das Wissen der Prüfer dem FA als eigenes zugerechnet habe. Es sei nach der eindeutigen Weisung des BFH im Urteil I R 63/70 nicht berechtigt gewesen, insoweit eigene allgemeine Überlegungen anzustellen (BFH-Urteil vom 17. April 1969 V R 112/67, BFHE 95, 372, BStBl II 1969, 447). Angesichts des Grundsatzes der Abschnittsbesteuerung sei für ein Festhalten des FA an früheren Fehlern zugunsten des Steuerpflichtigen nur in seltenen Ausnahmefällen Raum.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Das FA habe nicht bestritten, daß - wie behauptet - die tatsächliche Handhabung der Buchführung seit dem Jahre 1950 unverändert geblieben sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Das FG ist mit seiner Entscheidung der Weisung des BFH im Urteil I R 63/70 nachgekommen. Es hat seiner Entscheidung auch die - von seiner eigenen ursprünglichen Rechtsauffassung abweichende - Rechtsauffassung des BFH zugrunde gelegt, nach der das festgestellte Fehlen von Kassenbüchern oder Kassenkladden für die Nebenkassen der Buchführung des Klägers die Ordnungsmäßigkeit nehmen mußte.

Die Weisung zu prüfen, inwieweit dem FA "bestimmte buchtechnische Voraussetzungen (wie hier die Art der Kassenführung) bekannt waren" und welche Folgerungen sich daraus nach dem Grundsatz von Treu und Glauben für die Anerkennung der Buchführung als ordnungsmäßig etwa ergäben, schließt das Recht des FG ein, in eigener Verantwortung die Frage zu entscheiden, ob das Wissen bzw. das Urteil der Prüfer im Streitfall dem FA als eigenes Wissen bzw. als eigenes Urteil zuzurechnen sei.

2. Der Senat stimmt dem FG darin zu, daß in der Regel - d. h. soweit die Frage nach der Ordnungsmäßigkeit oder Nichtordnungsmäßigkeit der Buchführung nicht anhand von Einzelfeststellungen aufgeworfen wird - der Prüfer nicht nur tatsächliche Feststellungen hinsichtlich der jeweils gehandhabten Buchführung trifft, sondern zugleich auch mit Billigung des FA die rechtlichen Schlußfolgerungen aus den von ihm getroffenen Tatsachenfeststellungen zieht (vgl. für die Überschneidung von Tatfragen und Rechtsfragen bei der Beurteilung einer Buchführung als ordnungsmäßig: BFH-Urteil vom 7. Mai 1965 VI 128, 129/64, StRK, Einkommensteuergesetz, § 5, Rechtspruch 533).

Das FA läßt danach in den Fällen, in denen die vorgefundene Buchführung dem Betriebsprüfer keinen Anlaß zur Beanstandung gibt, die Frage nach der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung durch den Betriebsprüfer abschließend beurteilen. Bezeichnet der Prüfer die Buchführung in seinem Bericht als ordnungsmäßig, ohne daß er - im Einvernehmen mit dem FA - die seinem Urteil zugrunde liegenden Tatsachen im Prüfungsbericht im einzelnen darstellt, "so muß die Finanzverwaltung das Wissen des Prüfers über die Form und den Zustand der Buchführung als Wissen der zur Entscheidung berufenen Beamten des FA im Sinne von § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO gegen sich gelten lassen" (BFH-Urteil VI 117/65).

Wie der IV. Senat des BFH im Urteil IV R 1/67 ausgeführt, sah der VI. Senat die Besonderheit dieses Falles darin, daß (im damals entscheidenden Falle VI 117/65) der Prüfer nur spärliche Angaben über die Art der Buchführung des Steuerpflichtigen gemacht und dann die Buchführung für den Prüfungszeitraum für ordnungsmäßig erklärt hatte. Der IV. Senat des BFH hat es dahingegestellt gelassen, ob er der Auffassung des VI. Senats beipflichten würde. Er hat damit indes die Möglichkeit eingeräumt, den hier in Rede stehenden Sachverhalt als einen Sonderfall im Rahmen der Rechtsprechung zu § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO anzusehen. Dem tritt der erkennende Senat bei.

Im Streitfalle haben die jeweiligen Betriebsprüfer in den Berichten vom 21. März 1953, vom 19. Mai 1958 und vom 22. Juni 1962 teils nur spärliche, teils auch eingehendere, die Streitfrage indes nicht berührende Ausführungen über den Zustand der vorgefundenen Buchführung gemacht und diese im Ergebnis als ordnungsmäßig bezeichnet. Unbeschadet der Tatsache, daß an der Schlußbesprechung am 18. März 1958 und am 18. Juni 1962 Beamte des FA teilgenommen haben und nach dem Vortrag des Klägers vor dem FG (im Schriftsatz vom 10. Mai 1972) der Prüfer am 18. März 1958 - vom FA unwidersprochen - erklärt hat, daß nur noch die strittigen Fragen durchzusprechen seien, da er das andere bereits mit dem FA geklärt habe, hat das FA damit die Rechtsauffassung der Prüfer akzeptiert und deshalb die Tatsachen gegen sich gelten zu lassen, auf denen sie beruht, sofern es sie nicht als ihm bekannt anerkannt hat.

Es ist deshalb nicht zu beanstanden, daß sich nach der angefochtenen Entscheidung des FA in einem Falle, in dem der Steuerpflichtige sich durch das Urteil mehrerer Prüfer in seinem buchtechnischen Vorgehen bestätigt gesehen (oder gar ihr Urteil zur Richtschnur seines weiteren buchtechnischen Vorgehens gemacht) hat, bis zum "Widerruf" an das von ihm als sein eigenes Urteil übernommene Urteil des Prüfers gebunden gehalten lassen muß.

Das FG konnte danach ohne Rechtsverstoß zu seiner Entscheidung gelangen.

3. Die Entscheidung des FG mußte auf Rüge des FA indes gleichwohl aufgehoben werden, weil das FG die Vorschrift des § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO übersehen oder unrichtig angewendet hat. Es wird deshalb die Richtigstellung seiner Entscheidung noch nachzuholen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70939

BStBl II 1974, 525

BFHE 1974, 339

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