Leitsatz (amtlich)

Werden neben der Hauptkasse Sonderkassen geführt, erfordert die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung das Vorliegen von Nebenkassenbüchern (Kladden) für jede einzelne Sonderkasse. Mit seiner Vereinnahmung in die Sonderkasse ist das Entgelt dem Unternehmer zugeflossen.

 

Normenkette

EStG § 6 Abs. 2; AO § 162 Abs. 7

 

Tatbestand

Streitig ist die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung des Revisionsbeklagten (des Steuerpflichtigen) in den Streitjahren (1961 bis 1965).

Der Steuerpflichtige betrieb in diesen Jahren den Groß- und Einzelhandel mit Schmucksachen; daneben unterhielt er eine Handelsvertretung für Uhren und Lederwaren. Nach den Feststellungen des Revisionsklägers (des FA) im Betriebsprüfungsbericht vom 21. Oktober 1966 erfolgte die Aufzeichnung der aus Barverkäufen an private Abnehmer erzielten Einnahmen "offensichtlich nicht am Tag der Vereinnahmung, sondern in unregelmäßigen Abständen". Die aus diesen Verkäufen erzielten Erlöse wurden nach den vom Prüfer getroffenen Feststellungen nicht täglich, sondern nach Maßgabe ihrer Abrechnung und Ablieferung durch die jeweiligen Verkäuferinnen an zwei bis acht nicht aufeinanderfolgenden Tagen des jeweiligen Monats verbucht. Das FA versagte daraufhin der Buchführung die Anerkennung als ordnungsmäßig, so daß die vom Steuerpflichtigen in Anspruch genommenen, an das Vorliegen einer ordnungsmäßigen Buchführung geknüpften steuerrechtlichen Vergünstigungen entfielen.

Der Einspruch des Steuerpflichtigen gegen die Bescheide vom 26. Juli 1967 blieb ohne Erfolg. Das FG, dessen Entscheidung in den EFG 1970, 435 veröffentlicht ist, gab der zu ihm erhobenen Klage statt. Es führte aus:

Sachliche, das Ergebnis der Buchführung beeinflussende Mängel habe das FA nicht festgestellt. Die Art der Kassenbuchführung stelle keinen die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung beeinträchtigenden Mangel dar. Nach § 162 Abs. 7 AO seien Kasseneinnahmen mindestens täglich aufzuzeichnen. Eine Kasseneinnahme liege vor, wenn der Unternehmer über den von ihm vereinnahmten Geldbetrag durch Ausgabe desselben verfügen könne. Der Zeitpunkt der kassenmäßigen Vereinnahmung eines Betrages und der Verpflichtung zur Aufzeichnung desselben decke sich daher nicht in jedem Falle mit dem Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts im Sinne von § 20 UStG 1967. - Im Streitfalle seien die Erlöse aus den Barverkäufen an private Abnehmer dem Unternehmen umsatzsteuerrechtlich bereits an dem Tage zugeflossen, an dem die jeweilige Verkäuferin die Entgelte vereinnahmt habe. Auf Anordnung des Steuerpflichtigen habe sie sie jedoch bis zur Abrechnung mit ihm persönlich in einer verschlossenen Kassette aufbewahren müssen, so daß die Beträge ausgabemäßig dem Unternehmen erst an diesem Tage zur Verfügung gestanden hätten. Bis dahin habe das Unternehmen eine Forderung gegen die Verkäuferin gehabt. Das Verfahren entspreche dem zwischen einer Versicherungsgesellschaft und dem für sie tätigen Inkassovertreter, der ebenfalls die vom ihm vereinnahmten Gelder periodisch mit der Gesellschaft abrechne und an sie abliefere. - Da es sich im Streitfalle um Entgelte aus Barverkäufen handele, hätten die Entgelte ohne weitere Angaben in einer Summe verbucht werden dürfen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Zur Begründung seiner Revision führt es aus:

Entgegen der Darstellung des FG habe es sich im Streitfalle nicht um private Barverkäufe, sondern um Barverkäufe an private Abnehmer gehandelt. Da die Verkäuferinnen bei diesen Geschäften Erfüllungsgehilfinnen des Steuerpflichtigen gewesen seien, seien die Entgelte mit ihrer Vereinnahmung durch sie in den Verfügungsbereich des Steuerpflichtigen gelangt und am Tage der Vereinnahmung zu verbuchen gewesen. Wolle man der Auffassung des FG folgen, so würde die Buchführung des Steuerpflichtigen zu keinem Zeitpunkt (auch nicht am Bilanzstichtage) sein Betriebsvermögen zutreffend wiedergeben, da die Waren nicht mehr im Bestand enthalten, die Gegenwerte indes unter den Aktiven nicht ausgewiesen gewesen seien. Das sei mit den im Urteil des BFH IV 63/63 vom 26. März 1968 (BFH 92, 264, BStBl II 1968, 527) enthaltenen Grundsätzen nicht vereinbar. - Der Hinweis auf den Inkassovertreter gehe insofern fehl, als dieser nach dem BFH-Urteil IV 233/59 U vom 27. Juni 1963 (BFH 77, 325, BStBl III 1963, 439) - wie jeder andere Handelsvertreter mit selbständig verwaltetem Auslieferungslager - die für den Vertretenen vereinnahmten Gelder laufend und leicht nachprüfbar aufzuzeichnen habe. Die Verkäuferinnen - als unselbständige Vertreterinnen des Steuerpflichtigen - hätten die von ihnen vereinnahmten Entgelte ggf. in einem Nebenkassenbuch (Kladde) aufzeichnen müssen.

Der Steuerpflichtige beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Er habe die in seinem Unternehmen gehandhabte und bisher durch keinen Prüfer beanstandete Abrechnungsmethode gewählt, weil sie ihn am besten vor Diebstahl und Unterschlagung schütze. Am Bilanzstichtag seien alle Sonderkassen der Verkäuferinnen verbucht gewesen; das Vorliegen aller Voraussetzungen für einen Buchabschluß auf jeden beliebigen Zeitpunkt der Vergangenheit könne nicht verlangt werden, scheitere auch am Fehlen einer Inventur. Wenn das FA nunmehr der Buchführung, die anläßlich dreier vorangegangener Betriebsprüfungen gerade im Streitpunkt anerkannt worden sei, die Ordnungsmäßigkeit abspreche, verstoße es damit gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Entgegen der Auffassung des FG sind die von den verschiedenen Verkäuferinnen vereinnahmten Barbeträge mit ihrer Vereinnahmung in den Verfügungsbereich des Steuerpflichtigen gelangt, da die Verkäuferinnen im Anstellungsverhältnis für ihn tätig waren und ihm nicht als selbständige Vertreter, Forderungen aus den Verkäufen begründend, gegenübertraten.

Wie der BFH in den Urteilen VI R 33/67 vom 12. Januar 1968 (BFH 91, 361, BStBl II 1968, 341), IV 63/63 (a. a. O.), I R 8/66 vom 2. Oktober 1968 (BFH 94, 319, BStBl II 1969, 157) und I R 73/66 vom 1. Oktober 1969 (BFH 97, 21, BStBl II 1970, 45) ausgeführt hat, müssen sämtliche Geschäftsvorfälle fortlaufend, vollständig und richtig durch Grundaufzeichnungen so zeitnah wie möglich festgehalten werden; dabei kann unter bestimmten Voraussetzungen die Ablage der Rechnungsbelege über den unbaren Geschäftsverkehr die Funktion der Grundaufzeichnungen übernehmen (Offene-Posten-Buchhaltung: BFH-Urteil IV 42/61 U vom 16. September 1964, BFH 80, 500, BStBl III 1964, 654; Abschn. 29 EStR 1969). Die Pflicht zur Vornahme zeitnaher Verbuchung gilt vor allem für die Kassenbuchführung, deren Ordnungsmäßigkeit eine wesentliche Voraussetzung für die Ordnungsmäßigkeit der (gesamten) Buchführung überhaupt ist. Sie dient der Überprüfung des Istbestandes der Kasse anhand des (kassenbuchmäßigen) Sollbestandes. Werden Nebenkassen geführt, gilt dies für sie entsprechend. Eine Ausnahme gilt nur dort, wo die Tageslosung zulässigerweise über einen Kassenbericht ermittelt wird (vgl. BFH-Urteil IV 472/60 vom 12. Mai 1966, BFH 86, 118, BStBl III 1966, 371 [373 r. Sp.]).

Im Streitfall haben die Verkäuferinnen auf Weisung des Steuerpflichtigen Sonderkassen geführt, in denen sie die Verkaufserlöse und die von den verkauften Gegenständen abgehefteten Etiketten aufbewahrten, bis sie die mehrere Tageslosungen umfassenden Beträge an den Steuerpflichtigen oder seine Ehefrau, die die Hauptkasse führte, abliefern konnten. An diesem Tage erfolgte die Aufzeichnung der abgelieferten Beträge im Kassenbuch und wurden als Buchungsbelege Aufstellungen angefertigt, aus denen sich die Art des verkauften Gegenstandes, der erzielte Einzelverkaufspreis sowie der Gesamterlös für den vorangegangenen Zeitraum ergaben. Einzelaufzeichnungen über die Verkäufe (Kassenkladde; Nebenkassenbuch) oder auch nur Kassenberichte, die die Höhe der jeweiligen Tageslosungen festgehalten hätten, lagen für die Sonderkassen nicht vor. Eine Ablage der Etiketten oder von Verkaufsbelegen, die etwa die Anforderungen an die Grundaufzeichnungspflicht hätte erfüllen sollen, haben weder das FA noch das FG festgestellt. Die besonderen Verhältnisse des mit BFH-Urteil I R 38/68 vom 24. März 1970 (BFH 99, 120, BStBl II 1970, 540) entschiedenen Falles lagen im Streitfalle nicht vor. Danach konnte das hier geübte Verfahren die erforderlichen Grundaufzeichnungen für jede einzelne der geführten Sonderkassen nicht ersetzen.

2. Der Einwand des Steuerpflichtigen, daß dem FA die Art seiner Abrechnung und Verbuchung von Barverkäufen bekannt gewesen sei, muß indes auch für sich allein zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache führen. Zwar sind nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung die Besteuerungsgrundlagen für jedes Jahr selbständig festzustellen und zu prüfen (BFH-Urteil VI R 174/67 vom 7. Februar 1969, BFH 95, 41, BStBl II 1969, 314). Ergibt sich aber bei der Prüfung des Sachverhalts, daß dem FA bestimmte buchtechnische Voraussetzungen (wie hier die Art der Kassenführung) bekannt waren und daß es sie jahrelang ohne Beanstandung hingenommen hat, so ist es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht vereinbar, der Buchführung im Streitjahr die Anerkennung als ordnungsmäßig zu versagen.

Nachdem der Steuerpflichtige bereits vor dem FG im Schriftsatz vom 15. Dezember 1969 auf die Kenntnis des FA von der Art seiner Kassenführung und ihre Billigung durch das FA hingewiesen hatte, wird das FG nunmehr Feststellungen darüber zu treffen haben, ob diese Behauptung des Steuerpflichtigen zutrifft, ob sie insbesondere in den Betriebsprüfungsberichten vom 21. März 1953, vom 19. Mai 1958 und vom 22. Juni 1962 eine Stütze findet, das heißt ob in den Berichten zum Ausdruck kommt, daß die Verkäuferinnen Sonderkassen führten, deren Bestände jeweils periodisch unregelmäßig an die Hauptkasse abgeführt wurden, und ob dieser Punkt Gegenstand der Prüfung war. Das FG wird darüber zu befinden haben, ob es im Streitfalle (die Feststellung der vom Steuerpflichtigen behaupteten Tatsache unterstellt) einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben bedeutet, wenn das FA nunmehr hinsichtlich der Verbuchung einen anderen Standpunkt einnahm. Daß dieser Punkt Gegenstand der Schlußbesprechungen war, hat das FA im Schriftsatz vom 23. Juli 1970 verneint.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413012

BStBl II 1972, 273

BFHE 1972, 154

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