Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermittlung anteiliger Umsatzsteuerquote im Haftungsfall; Zahlungsverpflichtungen; Vorsteuerüberschüsse; Zahlungen auf Umsatzsteuerschulden

 

Leitsatz (amtlich)

In der Vergleichsrechnung zur Ermittlung der anteiligen Umsatzsteuerquote im Haftungsfall (§§ 69, 34 AO 1977) sind bei Gegenüberstellung der Zahlungsverpflichtungen und der auf diese geleisteten Zahlungen auch

vom FA verrechnete Vorsteuerüberschüsse als Zahlungen auf die Umsatzsteuerschulden anzusetzen (Anschluß an die BFH-Urteile vom 12.Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657, und vom 14.Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172).

 

Orientierungssatz

1. Die Verrechnung von Steuerguthaben beinhaltet eine Aufrechnung nach § 226 AO 1977, die gemäß § 47 AO 1977 der Zahlung gleichsteht und ―wie diese― zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis führt (vgl. BFH-Rechtsprechung).

2. Die abzugsfähigen Vorsteuerbeträge sind eine der Besteuerungsgrundlagen (§ 157 Abs. 2 AO 1977) der Steuerschuld des betreffenden Vorauszahlungszeitraums, die in die Steuerberechnung eingehen. Von einer Steuertilgung kann insoweit keine Rede sein. Anders zu beurteilen ist es jedoch, wenn die in einem Vorauszahlungszeitraum verbliebene Steuerschuld mit Vorsteuerüberschüssen eines anderen

Vorauszahlungszeitraums verrechnet wird (vgl. BFH-Rechtsprechung).

3. NV: Zahlt das FA die sich aufgrund der abgegebenen Vorsteueranmeldungen ergebenden Vorsteuerüberschüsse aus und ergibt sich nach Durchführung (hier:) einer Umsatzsteuersonderprüfung ein geringerer Vorsteuerjahresüberschuß, der vom FA jedoch erst nach Konkurseröffnung festgesetzt wird, so hat das FA insoweit eine Steuervergütung "ohne rechtlichen Grund" ausgezahlt und damit einen

Rückzahlungsanspruch, der steuerrechtlich als Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 einzuordnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 21.5.1985 VII R 191/82). Dieser Rückzahlungsanspruch ist ―mangels Geltendmachung durch einen Bescheid (§ 218 Abs. 1 AO 1977)― jedenfalls nicht vor der Konkurseröffnung fällig geworden und seine Nichterfüllung durch den Steuerpflichtigen stellt schon deshalb ―unbeschadet

seiner Entstehung― keine schuldhaften Pflichtverletzung (§ 69 AO 1977) dar. Dies gilt jedoch nicht, sofern eine Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen durch Nichtabgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung gegeben ist, die die nicht rechtzeitige Festsetzung des Rückzahlungsanspruchs und in Folgewirkung hiervon die mangelnde Realisierung des Anspruchs auf Rückzahlung der überhöhten Vorsteuerüberschüsse vor Konkurseröffnung nach sich gezogen hat.

 

Normenkette

AO 1977 § 37 Abs. 2, §§ 47, 69, 157 Abs. 2, § 218 Abs. 1, § 226; UStG 1980 § 15 Abs. 1, §§ 16, 18; AO 1977 § 34 Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit dem 4.August 1978 der alleinige Vorstand einer im Baubereich tätigen AG. Aufgrund des von ihm am 6.März 1981 gestellten Antrags wurde am 11.März 1981 über das Vermögen der AG das Konkursverfahren eröffnet und am 13.November 1985 mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Konkursmasse eingestellt (§ 204 der Konkursordnung ―KO―).

Nach den von der AG für die Jahre 1979 und 1980 abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen ergaben sich die folgenden Umsatzsteuervorauszahlungen bzw. Vorsteuerüberschüsse:

1979:

Januar bis Dezember

- 37 431,47 DM (an die AG ausgezahlt)

1980:

Januar

- 39 883,60 DM (an die AG ausgezahlt)

Februar

- 27 581,30 DM (an die AG ausgezahlt)

März

- 20 459,10 DM (an die AG ausgezahlt)

April

- 32 593,70 DM (an die AG ausgezahlt)

Mai

- 27 329,75 DM

Juni

- 77 106,35 DM

Juli

- 71 698,50 DM

August

+ 94 566,20 DM

September

- 55 314,95 DM

Oktober

+ 174 545,69 DM

November

- 11 348,15 DM

Dezember

+ 50 288,85 DM.

Die Vorauszahlungen für August, Oktober und Dezember 1980 in Höhe von insgesamt 319 400,74 DM (94 566,20 DM + 174 545,69 DM + 50 288,85 DM) hat die AG nicht entrichtet. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) verrechnete daraufhin diese Steuerschulden mit den sich aus den Umsatzsteuervoranmeldungen für Mai bis Juli, September und November 1980 ergebenden Vorsteuerüberschüssen von insgesamt 242 797,70 DM sowie mit anderen Steuerguthaben der AG von 14 814,46 DM, zusammen 257 612,16 DM. Nach dieser Verrechnung verblieb noch ein Umsatzsteuerrückstand für 1980 in Höhe von 61 788,58 DM (319 400,74 DM ./. 257 612,16 DM), der mit 11 499,73 DM auf die

Umsatzsteuervorauszahlung für Oktober 1980 und mit 50 288,85 DM auf die Umsatzsteuervorauszahlung Dezember 1980 entfiel.

Nach Konkurseröffnung setzte das FA aufgrund einer Umsatzsteuersonderprüfung die Umsatzsteuer 1979 fest. Dabei ergab sich für 1979 statt des von der AG angemeldeten

Vorsteuerüberschusses von

./. 37 431,47 DM

ein Vorsteuerüberschuss von nur

./. 27 432,00 DM

und damit eine Rückforderung des

FA von

9 999,47 DM.

Wegen der dieser Rückforderung für 1979 und der ―nach Verrechnung mit Steuerguthaben― verbliebenen Vorauszahlungsschulden für 1980 nahm das FA den Kläger mit Haftungsbescheid vom 8.Februar 1983 in Form der Einspruchsentscheidung vom 25.August 1983 als Haftungsschuldner in Höhe von 9 999 DM und 20 615 DM in Anspruch (§§ 69, 34 der AbgabenordnungAO 1977―).

Die Haftungssumme für 1979 deckt sich mit der Rückforderung in Höhe von 9 999,47 DM.

Die Haftungssumme für 1980 ermittelte das FA unter Berücksichtigung der von der AG auf andere ―nichtsteuerliche― Verbindlichkeiten erbrachten Zahlungen wie folgt:

Gesamtverbindlichkeiten (November 1980 bis Februar 1981)

lt. Status des Konkursverwalters

1 503 000 DM

insgesamt erbrachte Zahlungen

1 085 126 DM

./. ausgezahlte Löhne

178 800 DM

906 326 DM

insgesamt

2 409 326 DM.

Der Anteil der ―ohne Löhne― erbrachten Tilgungen (906 326 DM) auf die gesamten Verbindlichkeiten (2 409 326 DM) betrug demnach 37,6 v.H.

Das FA vertrat den Standpunkt, daß die AG an das FA bei einer in etwa gleichmäßigen Tilgung der steuerlichen und der anderen Verbindlichkeiten mindestens 1/3 der für Oktober und Dezember rückständigen Vorauszahlungsschulden hätte bezahlen müssen, so daß die Haftungssumme jeweils mit rd. 1/3 des

für Oktober 1980

nach Verrechnung mit Vorsteuerüberschüssen

verbliebenen Rückstandes

von 11 499,73 DM =

3 833 DM

und des für Dezember 1980

in voller Höhe verbliebenen Rückstandes

von 50 288 DM =

16 782 DM

1)

sonach für 1980 auf insgesamt

20 615 DM

festzusetzen sei.

1) richtig: 16 762 DM

Zuzüglich der Haftung für die Rückzahlungsschuld 1979 mit 9 999,47 DM ergab sich eine Haftungssumme von 30 614 DM (20 615 DM + 9 999 DM).

Auf die Klage hat das Finanzgericht (FG) den Haftungsbescheid vom 8.Februar 1983 in Form der Einspruchsentscheidung vom 25.August 1983 aufgehoben.

Es hat ausgeführt: Umsatzsteuer 1979

Eine Haftung des Klägers nach §§ 69, 34 AO 1977 wegen der nicht getilgten Forderung des FA auf Rückzahlung der überhöht ausgezahlten Vorsteuerbeträge 1979 von 9 999,47 DM (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 21. Mai 1985 VII R 191/82, BFHE 143, 412, BStBl II 1985, 488) komme nur in Betracht, wenn die Rückzahlungsforderung ―der Erstattungsanspruch des FA (§ 37 Abs. 2 AO 1977)

vor Konkurseröffnung, also vor dem 11. März 1983― entstanden und fällig geworden sei (Hinweis auf Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 69 AO 1977 Tz. 4, und Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 69 AO 1977 Anm. 3).

Das sei hier nicht der Fall gewesen, weil der Erstattungsanspruch des FA nach § 37 Abs. 2 AO 1977 erst mit Erlaß eines entsprechenden Steuerbescheids entstehe (Hinweis auf Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., Anm. 49 zu § 37 AO 1977; Kühn/Kutter/Hofmann, a.a.O. Anm. 6 zu § 37 AO 1977; Schwarz, Abgabenordnung, Anm. 10 zu § 37; a.A. Tipke/Kruse, a.a.O., 12. Aufl., Tz. 12 zu § 37 AO 1977). Ein solcher Steuerbescheid sei hier vor Eröffnung des Konkursverfahrens aber nicht erlassen worden. Eine Haftung des Klägers für den Erstattungsanspruch hinsichtlich der überhöht ausgezahlten Vorsteuerbeträge 1979 scheide damit aus.

Umsatzsteuer 1980

Das FG ist hier davon ausgegangen, daß die AG unter Berücksichtigung der auf die

Umsatzsteuervorauszahlungsschulden Oktober 1980 und Dezember 1980 von insgesamt rd. 224 834 DM (174 545,69 DM + 50 288,85 DM) nach Abzug der ―durch Verrechnung― verbliebenen Restschuld von rd. 61 788 DM (11 499,73 DM für Oktober + 50 288,85 DM für Dezember 1980) insgesamt rd. 163 046 DM getilgt habe (224 834 DM ./. 61 788 DM).

Die Haftungssumme errechne sich somit wie folgt:

Gesamte Verbindlichkeiten November 1980

bis Februar 1981

Schuldenstand am 25.Februar 1981 (wie FA)

1 503 000 DM

Zahlungen auf

Lieferantenschulden

906 326 DM (wie FA)

+ Zahlungen für Löhne

178 800 DM

1 085 126 DM

+ Zahlungen auf Umsatzsteuer

163 046 DM

2 751 172 DM.

Gesamte im gleichen Zeitraum geleistete Zahlungen:

Auf Lieferantenschulden

906 326 DM

für Löhne

178 800 DM

auf Umsatzsteuerschulden

(durch Verrechnung mit Steuerguthaben)

163 046 DM

insgesamt

1 248 172 DM.

Der Anteil der im Vergleichszeitraum angefallenen Umsatzsteuervorauszahlungen Oktober und Dezember 1980 von rd. 224 834 DM an den Gesamtverbindlichkeiten von 2 751 172 DM betrage 8,17 v.H. Bei Anlegung dieser Verhältnisquote hätten auf die Umsatzsteuervorauszahlungen somit 101 975 DM (8,17 v.H. von 1 248 172 DM) gezahlt werden müssen (anteiligeUmsatzsteuerquote). Da tatsächlich ―durch Verrechnung mit

Vorsteuerüberschüssen― 163 046 DM gezahlt worden seien, also mehr als die angemessene anteilige Umsatzsteuerquote ausmache, komme eine Haftung des Klägers auch für Umsatzsteuer 1980 nicht in Betracht.

Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und die Abweisung der Klage.

Das FA rügt hinsichtlich der Umsatzsteuer 1979 unrichtige Anwendung von § 37 AO 1977. Es vertritt die Auffassung, es sei ohne Einfluß auf die Entstehung des Erstattungsanspruchs des FA (§ 37 Abs. 2 AO 1977), ob die ursprüngliche Steuerfestsetzung, die zu überhöhten Vorsteuerauszahlung geführt habe, aufgehoben oder geändert worden sei (Hinweis auf Tipke/Kruse, a.a.O., 12. Aufl., Tz. 14 zu § 37 AO 1977, und Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts ―BVerwG― vom 14. Dezember 1984 8 B 112/84,

Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR― 1985, 483).

Im übrigen könne ein bestimmtes pflichtgemäßes Verhalten des Steuerpflichtigen ―hier der AG― auch schon vor der Entstehung des Erstattungsanspruchs geboten sein, wenn damit gerechnet werden müsse, daß es zu einer Rückzahlung geltend gemachter und ausgezahlter Vorsteuerüberschüsse kommen könne (Hinweis auf das BFH-Urteil vom 5. Februar 1985 VII R 124/80, BFH/NV 1987, 2). Dies sei hier der Fall gewesen, nachdem die AG im Veranlagungszeitraum 1979 höhere Umsätze als erklärt getätigt und überdies die Jahressteuererklärung nicht fristgerecht abgegeben habe. Hätte sie diese fristgerecht

abgegeben, so wären dann nach Durchführung der Umsatzsteuerveranlagung 1979 noch ausreichende Gelder zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs des FA vorhanden gewesen, so daß auch die nach § 69 AO 1977 erforderliche Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Haftungsschaden gegeben sei. Hinsichtlich der Umsatzsteuer 1980 rügt das FA unrichtige Festsetzung der Haftungssumme.

Es ist der Meinung, das FG hätte die Vorsteuerüberschüsse, soweit sie das FA mit der rückständigen Oktober-Vorauszahlung 1980 verrechnet habe (163 046 DM), in der Vergleichsrechnung zur Ermittlung der anteiligen Umsatzsteuer nicht als Zahlung ansetzen dürfen. Vorsteuerüberschüsse ständen in engem Zusammenhang mit der Umsatzsteuerzahllast, so daß sie im Aufrechnungsfall nicht als Zahlung des

Steuerpflichtigen gewertet werden könnten. Dies zeige sich insbesondere in solchen Fällen, in denen die in einem Vorauszahlungszeitraum angefallene Umsatzsteuer durch Anrechnung von abzugsfähigen Vorsteuerbeträgen gekürzt werde. Würde hier nach der Auffassung des FG verfahren, so müßten auch solche Vorsteuerbeträge in die Vergleichsrechnung für die anteilige Umsatzsteuerquote einbezogen werden.

Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt hinsichtlich der Haftung für Umsatzsteuer 1979 unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das FG; hinsichtlich der Umsatzsteuer 1980 ist die Revision unbegründet.

I. Umsatzsteuer 1979

1. Die Haftungsinanspruchnahme für Umsatzsteuer 1979 hat ihre Ursache darin, daß das FA an die AG aufgrund der in den Voranmeldungen angegebenen Vorsteuerüberschüsse den Betrag von 37 431,47 DM ausgezahlt hatte, während sich bei der ―wie vom FG festgestellt― erst nach Konkurseröffnung (11.März 1981) festgesetzten Umsatzsteuerjahresschuld 1979 nur Vorsteuerüberschüsse mit 27 432 DM ergaben, die AG somit 9 999,47 DM (37 431,47 DM ./. 27 432 DM) zuviel ausgezahlt erhalten hat. Insoweit hat das FA eine Steuervergütung "ohne rechtlichen Grund" ausgezahlt und damit einen Rückzahlungsanspruch, der steuerrechtlich als Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO 1977 einzuordnen ist (vgl. BFH-Urteil vom 21.

Mai 1985 VII R 191/82, BFHE 143, 412, BStBl II 1985, 488, und die ―erst ab 1. Januar 1987 anwendbare― Neufassung von § 69 Satz 1 AO 1977 durch das Steuerbereinigungsgesetz vom 19. Dezember 1985, BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735).

Zur Haftung für die Rückzahlung der überhöht ausgezahlten Vorsteuerüberschüsse 1979 hat das FG entschieden, daß der Rückzahlungsanspruch nicht (mehr) vor der Eröffnung des Konkursverfahrens im März 1981 entstanden sei und deshalb eine Inanspruchnahme des Klägers nach § 69 AO 1977 ausscheide (Hinweis auf § 6 Abs. 2 KO). Diese Beurteilung ist insofern richtig, als der Rückzahlungsanspruch als solcher ―mangels Geltendmachung durch einen Bescheid (§ 218 Abs. 1 AO 1977)― jedenfalls nicht vor der Konkurseröffnung fällig geworden ist, und schon deshalb ―unbeschadet seiner Entstehung― seine Nichterfüllung durch den Kläger keine schuldhafte Pflichtverletzung (§ 69 AO 1977) darstellt.

2. Das FG hat aber das Vorbringen des FA unberücksichtigt gelassen, durch die Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 1979 sei der Rückzahlungsanspruch nicht rechtzeitig und damit auch nicht zu einem Zeitpunkt festgesetzt worden, zu dem seine Realisierung dem FA ―möglicherweise durch Einbehaltung von (Verrechnung mit) tatsächlich entstandenen Vorsteuerüberschüssen 1980― noch möglich gewesen wäre. Dieses Vorbringen des FA, das immerhin in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführt gewesen war, ist insofern entscheidungserheblich, als ―im Fall seiner Richtigkeit― eine Pflichtverletzung

des Klägers durch Nichtabgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung 1979 gegeben sein könnte, die die nicht rechtzeitige Festsetzung des Rückzahlungsanspruchs nach § 69 Satz 1, 2. Alternative AO 1977 bewirkt und in Folgewirkung hiervon die mangelnde Realisierung des Anspruchs auf Rückzahlung der überhöhten Vorsteuerüberschüsse vor Konkurseröffnung nach sich gezogen haben könnte.

Da das FG diesem ―möglicherweise entscheidungserheblichen― Gesichtspunkt nicht nachgegangen ist und der erkennende Senat als Revisionsinstanz die hierfür notwendigen Ermittlungen seinerseits nicht vornehmen kann, ist das finanzgerichtliche Urteil hinsichtlich der Umsatzsteuer für das Jahr 1979 aufzuheben und die Sache insoweit an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat Ermittlungen darüber anzustellen, ob die Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung 1979 vor der Konkurseröffnung eine zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung des Klägers darstellt. Falls dies der Fall sein sollte, ist zu

ermitteln, ob und in welcher Höhe bei der gebotenen zeitgerechten Abgabe der Erklärung der

Rückzahlungsanspruch des FA noch realisierbar gewesen wäre.

II. Umsatzsteuer 1980

1. Das FA und das FG sind davon ausgegangen, daß die bei den Vorauszahlungen des Jahres 1980 angefallenen Vorsteuerüberschüsse von 242 797,70 DM und andere Steuerguthaben der AG von 14 814,46 DM, insgesamt somit 257 612,16 DM, auf die rückständigen Vorauszahlungen August 1980 mit 94 566,20 DM und die rückständigen Vorauszahlungen Oktober 1980 mit 163 045,96 DM (257 612,16 DM ./. 94 566,20 DM) verrechnet wurden. Da die Verrechnung eine Aufrechnung beinhaltet (vgl. unten Ziff.3 c), war damit die Vorauszahlungsschuld für August 1980 in voller Höhe (94 566,20 DM) getilgt und diejenige für Oktober 1980 in Höhe der noch verbliebenen Steuerguthaben von 163 045,96 DM. Rückständig blieben noch Vorauszahlungsschulden für Oktober 1980 in Höhe von 11 499,73 DM (174 545,69 DM ./. 163 045,96 DM) und für Dezember 1980 in Höhe von 50 288,85 DM, insgesamt somit 61 788,58 DM.

2. Da sich die AG bei Fälligkeit dieser Vorauszahlungsschulden in Zahlungsschwierigkeiten befand (Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens am 6.März 1981), sind das FA und das FG in Anwendung der ständigen Rechtsprechung des BFH zutreffend davon ausgegangen, daß eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers in seiner Eigenschaft als Vorstand der AG und damit eine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner (§§ 69, 34 AO 1977) in dem Umfang in Frage kommt, in dem die AG ihre anderen Zahlungsverpflichtungen in höherem Maße getilgt hat als die ―nach Verrechnung der Steuerguthaben noch verbliebenen― Steuerschulden von 61 788 DM (vgl. BFH-Urteile vom 26.März 1985 VII R 139/81, BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539; vom 12.Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657;

vom 12.Mai 1987 VII R 156/84, BFH/NV 1988, 74, und vom 14.Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172; Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 1987, 334). Denn für die Haftung gilt, daß die Umsatzsteuerschulden bei Liquiditätsschwierigkeiten des Unternehmers in dem ―in etwa― gleichen Verhältnis zu erfüllen sind wie die anderen Zahlungsverpflichtungen (vgl. BFH-Urteil vom 26.April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776). Es kommt also darauf an, denjenigen Betrag zu ermitteln, mit dem dieses Verhältnis bei den Steuerschulden nicht eingehalten wurde, mithin unterschritten ist (vgl.

dasgenannte Urteil in BFHE 143, 488, BStBl II 1985, 539). Dies ist die Haftungssumme.

3. a) Da die Berechnung der Haftungssumme zeitraumbezogen, d.h. hinsichtlich der vorhandenen Zahlungsverpflichtungen und der hierauf geleisteten Zahlungen auf den ganzen Haftungszeitraum abzustellen ist (Urteil in BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657) und die Vorauszahlung Dezember 1980 erst am 10.Februar 1981 fällig geworden ist (Dauerfristverlängerung), haben das FA und das FG der Vergleichsrechnung für die

anteilige Umsatzsteuer zutreffend die Verhältnisse (gesamte Zahlungsverpflichtungen einerseits und hierauf erbrachte Zahlungen andererseits) in der Zeit von November 1980 bis Februar 1981 zugrunde gelegt. Nach den revisionsrechtlich verbindlichen Feststellungen des FG bestanden in dieser Zeit Gesamtverbindlichkeiten von 2 751 172 DM (einschließlich Löhne und Lohnsteuer, vgl. hierzu Urteil in BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172, unter Ziff.II). In diesen Verbindlichkeiten ist die Umsatzsteuer mit 224 834 DM enthalten (Vorauszahlungssoll Oktober 1980: 174 545,69 DM + Dezember 1980: 50 288,85 DM).

Das Verhältnis der Umsatzsteuerschulden zu den Gesamtverbindlichkeiten betrug somit im

Haftungszeitraum ―wie vom FG zutreffend ermittelt― 8,17 v.H.

b) Hinsichtlich des Umfangs ―d.h. der Höhe― der von der AG auf die Umsatzsteuerschulden erbrachten Zahlungen weichen die Auffassungen des FA und des FG in einem entscheidungserheblichen Punkt voneinander ab. Während das FA die mit der Vorauszahlungsschuld für Oktober 1981 (174 545,69 DM) verrechneten Steuerguthaben der AG von 163 045,96 DM (vgl. oben ++/ Ziff. II /++ Nr.1) in der Vergleichsrechnung zur Ermittlung der anteiligen Umsatzsteuerquote nicht als Zahlung der AG anerkennt,

hat das FG diese Verrechnung als Zahlungsvorgang gewertet und als solchen in die Vergleichsrechnung einbezogen. Diese unterschiedliche Beurteilung führt zwangsläufig in der Vergleichsrechnung für die sog. anteilige Umsatzsteuerquote zu voneinander abweichenden Ergebnissen. Das Revisionsbegehren des FA zielt deshalb darauf ab, den verrechneten Betrag von 163 045,96 DM aus der Vergleichsrechnung zur Ermittlung der anteiligen Umsatzsteuerquote wieder herauszunehmen.

c) Mit diesem Begehren kann das FA keinen Erfolg haben. Seiner Auffassung, Vorsteuerüberschüsse dürften im Fall der Verrechnung mit Umsatzsteuerschulden eines anderen Vorauszahlungszeitraumes in der Vergleichsrechnung nicht als Zahlung angesetzt werden, schließt sich der erkennende Senat nicht an. Die Verrechnung von Steuerguthaben ―hier überwiegend Vorsteuerüberschüsse― mit Steuerschulden aus den Vorauszahlungszeiträumen August und ―teilweise― Oktober 1980 beinhaltet eine Aufrechnung nach § 226 AO 1977, die gemäß § 47 AO 1977 der Zahlung gleichsteht und ―wie diese― zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis führt (vgl. hierzu BFH-Urteile vom 5.April 1984 V R 118/78, BFHE 140, 429, BStBl II 1984, 418, und vom 5.August 1986 VII R 167/82, BFHE 147, 398, BStBl II 1987, 8). Für die Auffassung des FA, daß die Verrechnung von Steuerguthaben aus Vorsteuerüberschüssen, also Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs.1 AO 1977) mit Vorauszahlungsschulden aus anderen Voranmeldungszeiträumen zwar als Tilgungsvorgang anzuerkennen, nicht aber als Zahlungsvorgang in die Vergleichsrechnung zur Ermittlung der anteiligen Umsatzsteuer

einzubeziehen ist, ergibt sich kein gesetzlicher Anhaltspunkt. Steht nämlich die Verrechnung von Steuerschulden des Unternehmers mit dessen Auszahlungsansprüchen aus Vorsteuerüberschüssen der Zahlung von Steuerschulden ex lege (§ 47 AO 1977) gleich (vgl. auch Abschn.225 Abs.2 der Umsatzsteuer-Richtlinien), so besteht kein Grund, solche Verrechnungen bei Ermittlung der anteiligen Umsatzsteuerquote als Zahlungsvorgang außer Betracht zu lassen.

Es ist zwar richtig, daß abzugsfähige Vorsteuerbeträge (§ 15 Abs.1 des Umsatzsteuergesetzes ―UStG― 1980) eines Vorauszahlungszeitraums, die lediglich zu einer Minderung der in demselben Vorauszahlungszeitraum verbleibenden Steuerschuld, nicht aber zur Entstehung von Vorsteuerüberschüssen (Rotbeträgen) führen, nicht in die Vergleichsrechnung aufzunehmen sind. Der von der Revision hieraus gezogene Schluß, die mit Steuerschulden eines anderen Vorauszahlungszeitraums verrechneten Vorsteuerüberschüsse dürften deshalb ebenfalls nicht in die Vergleichsrechnung einbezogen werden, geht jedoch fehl: Verbleibt nämlich nach Anrechnung abzugsfähiger Vorsteuerbeträge auf die sich aus den getätigten Umsätzen ergebende Steuer in einem Vorauszahlungszeitraum ein Steuermehrbetrag,

so entsteht die Steuerschuld für diesen Vorauszahlungszeitraum nur in Höhe des verbliebenen Mehrbetrags (§ 18 Abs.1 Satz 2 i.V.m. § 16 Abs.1 und Abs.2 Satz 1 UStG 1980). Die abzugsfähigen Vorsteuerbeträge sind eine der Besteuerungsgrundlagen (§ 157 Abs.2 AO 1977) eben dieser Steuerschuld (BFH-Urteil vom 30.September 1976 V R 109/73, BFHE 120, 562, BStBl II 1977, 227); sie gehen in die Steuerberechnung ein (vgl. BFH-Urteil vom 24.März 1983 V R 8/81, BFHE 138, 498, BStBl II 1983, 612; Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, 6.Aufl., Tz.25 zu § 16 UStG). Von einer Steuertilgung kann

insoweit keine Rede sein. Wird hingegen die in einem Vorauszahlungszeitraum verbliebene Steuerschuld mit Vorsteuerüberschüssen eines anderen Vorauszahlungszeitraums verrechnet, so findet hier, wie dargetan, ein Tilgungsvorgang statt. Die beiden Fälle liegen also rechtssystematisch unterschiedlich und sind nicht miteinander vergleichbar.

d) Der erkennende Senat kommt daher zu dem Ergebnis, daß der hier aus Vorsteuerüberschüssen verrechnete Betrag von 163 045,96 DM als Zahlung auf die Umsatzsteuerschuld für Oktober 1980 in die Vergleichsrechnung einzubeziehen ist. Angesichts des im Haftungszeitraum bestehenden Verhältnisses zwischen den Gesamtverbindlichkeiten und den Umsatzsteuerschulden von 8,17 v.H. (vgl. oben Ziff.II Nr.3 a am Ende) waren daher bei Zahlungen von insgesamt 1 248 172 DM (davon entfallend auf verrechnete Vorsteuerüberschüsse 163 045,96 DM) die Umsatzsteuerschulden im Vergleichszeitraum bei in etwa anteiliger Befriedigung des Steuergläubigers mit 101 975 DM (8,17 v.H. von 1 248 172 DM) zu tilgen. Da tatsächlich mehr, nämlich 163 045,96 DM, getilgt wurde, kommt eine Haftung des Klägers nicht in Betracht.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 18

BFH/NV 1990, 618

BStBl II 1990, 201

BFHE 159, 106

BFHE 1990, 106

BB 1990, 409

BB 1990, 409 (Leitsatz 1 und Gründe)

DStR 1990, 280 (Kurzwiedergabe)

DStZ 1990, 259 (Kurzwiedergabe)

HFR 1990, 233 (Leitsatz und Gründe)

StE 1990, 88 (Kurzwiedergabe)

WPg 1990, 267 (red. Leitsatz)

UVR 1990, 150 (Kurzwiedergabe)

AG 1990, 363 (Leitsatz und Gründe)

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