Leitsatz (amtlich)

1. Der Nichterhebungsbescheid gemäß § 17 GrEStG ist eine Verfügung im Sinne des § 96 AO.

2. Eine rechtliche Gestaltung kann nur nach Maßgabe des allgemeinen steuerrechtlichen Verfahrensrechts - ggf. gemäß § 96 AO - dann mit der Wirkung des § 6 Abs. 2 StAnpG beanstandet werden.

 

Normenkette

GrEStG § 17 Abs. 1 Nr. 1; StAnpG § 6; AO § 96

 

Tatbestand

Die Klägerin erwarb durch Vertrag vom 9. Juni 1960 (Vertrag I) von den Eheleuten F ein Grundstück, dessen Kaufpreis von notariell 45 000 DM durch Ergänzungsvertrag vom 21. Juli 1960 auf notariell 55 000 DM erhöht wurde. Mit Vertrag vom 2. November 1960 (Vertrag II) hoben die Parteien diese Verträge auf. Die Eheleute F verkauften das Grundstück mit Vertrag vom selben Tag (Vertrag III) an die Eheleute B für notariell 55 000 DM.

Das FA hatte auf Grund des Vertrags I mit Ergänzungsvertrag eine Grunderwerbsteuer von 3 850 DM aus einer Gegenleistung von 55 000 DM durch Steuerbescheid vom 6. September 1960 festgesetzt. Mit Schreiben vom 17. November 1960 beantragte der beurkundende Notar unter Übersendung einer Ausfertigung des Vertrages II, den Grunderwerbsteuerbescheid aufzuheben und eine eventuell entrichtete Grunderwerbsteuer zu erstatten, da der Vertrag I aufgehoben worden sei. Daraufhin beschied das FA die Klägerin am 1. Dezember 1960, daß antragsgemäß eine Grunderwerbsteuer gemäß § 17 Abs. 1 GrEStG nicht erhoben werde, da der Kaufvertrag I (mit Ergänzungsvertrag) aufgehoben worden sei.

Auf Grund nachträglicher Feststellungen kam das FA zur Überzeugung, daß die Verträge II und III vom 2. November 1960 der Steuerumgehung (§ 6 StAnpG) gedient hätten, da tatsächlich die Klägerin selbst das Grundstück für 65 000 DM an die Eheleute B verkauft habe. Es forderte durch Steuerbescheid vom 21. September 1962 von der Klägerin erneut eine Grunderwerbsteuer von 3 850 DM an.

Einspruch und Berufung waren erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Rechtsbeschwerde - jetzt Revision - führt, wenn auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen (vgl. § 118 Abs. 3 Satz 2 FGO), zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Die Entscheidung hängt davon ab, ob das FA trotz seiner schriftlichen Mitteilung vom 1. Dezember 1960, daß eine Grunderwerbsteuer (aus dem im Betreff bezeichneten Grunderwerbsteuerbescheid vom 6. September 1960) gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG antragsgemäß nicht erhoben werde, erneut aus demselben Sachverhalt eine Grunderwerbsteuer anfordern durfte. Eine Rechtsgrundlage für seine "Nachforderung" hat das FA im Steuerbescheid vom 21. September 1962 nicht genannt. Der in der Begründung - auch in der Einspruchsentscheidung - erwähnte § 6 Abs. 2 StAnpG enthält nur eine Vorschrift, "wie" die Steuern im Umgehungsfalle zu erheben sind, d. h. auf welcher Besteuerungsgrundlage (mit welchem Steuermaßstab), rechtfertigt jedoch nicht eine voraussetzungslose "Nachforderung" oder "Berichtigung". Anders als in § 4 StAnpG (vgl. dessen Abs. 2) oder in § 5 StAnpG (vgl. dessen Abs. 5) ist in § 6 StAnpG eine besondere Verfahrensregelung nicht getroffen, so daß eine rechtliche Gestaltung als Mißbrauch nur nach Maßgabe des allgemeinen steuerrechtlichen Verfahrensrechts mit der Wirkung des § 6 Abs. 2 StAnpG beanstandet werden kann (vgl. Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, 9. Aufl., Bd. I § 6 StAnpG, Anm. 3a (3); Kühn, Reichsabgabenordnung, 9. Aufl., § 6 StAnpG, Anm. 5 am Ende; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2.-3. Aufl., hier zu § 6 StAnpG, Tz. 6).

Der erkennende Senat hat in dem Urteil II 73/62 vom 11. Mai 1966 (BFH 86, 308, BStBl III 1966, 491) entschieden, daß ein Nichterhebungsbescheid im Sinne des § 17 GrEStG kein Freistellungsbescheid, sondern eine Verfügung im Sinne des § 96 AO ist. Wegen der Gründe im einzelnen wird auf dieses Urteil Bezug genommen. Daraus ergibt sich, daß eine Verfügung (ein Steuerbescheid) nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 96 AO zurückgenommen werden kann.

Das FG hat sich mit den vorstehend erörterten Rechtsfragen nicht befaßt. Der Nichterhebungsbescheid des FA vom 1. Dezember 1960 enthält keinen Widerrufsvorbehalt. Das FG hat in seinem Urteil keine Feststellungen darüber getroffen, ob eine der Voraussetzungen vorliegt, unter denen trotz fehlenden Widerrufsvorbehaltes der Nichterhebungsbescheid vom 1. Dezember 1960 gemäß § 96 AO zurückgenommen werden konnte. Die bloße Schilderung, das FA habe den Nichterhebungsbescheid erteilt, nachdem der beurkundende Notar die Aufhebung des Kaufvertrages I mitgeteilt habe, reicht für sich allein - trotz der gesamten übrigen Umstände dieses Falles - noch nicht aus, die Voraussetzungen des § 96 AO als gegeben anzunehmen, zumal der Vertrag III vom selben Tag durch denselben Notar am selben Tag (17. November 1960) derselben Grunderwerbsteuerstelle übersandt worden ist.

Unter diesen Umständen mußte die Vorentscheidung wegen nicht ausreichender tatsächlicher Feststellungen der Vorinstanz aufgehoben werden (vgl. auch Urteil des Senats II R 36/67 vom 5. März 1968, BFH 92, 416, BStBl II 1968, 610). Das FG wird zunächst prüfen müssen, ob die Voraussetzungen des § 96 AO für eine Rücknahme des Nichterhebungsbescheids vom 1. Dezember 1960 im Streitfall vorlagen. Bei dieser Sachlage beschränkt sich der Senat auf den Hinweis, daß nach seiner neueren Rechtsprechung die Frage eines Gestaltungsmißbrauchs unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles (vgl. Urteil II 119/62 U vom 20. Oktober 1965, BFH 83, 545, BStBl III 1965, 697) bei eindeutigem Nachweis der Steuerumgehungsabsicht zu beantworten ist (Urteil II 149/63 vom 21. Dezember 1966, BFH 87, 458, BStBl III 1967, 189). Das letztgenannte Urteil äußert sich außerdem zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen Beweisanträge nicht übergangen werden dürfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 68606

BStBl II 1969, 563

BFHE 1969, 30

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