Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs
Hintergrund: Gesetzliche Regelungen
Erwirbt der Veräußerer das Eigentum an dem veräußerten Grundstück zurück, wird nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG auf Antrag sowohl für den Rückerwerb als auch für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang die Steuer nicht festgesetzt oder eine bereits erfolgte Steuerfestsetzung aufgehoben, wenn der Rückerwerb innerhalb von 2 Jahren seit der Entstehung der Steuer für den vorausgegangenen Erwerbsvorgang stattfindet. Die Vorschrift betrifft über ihren Wortlaut hinaus auch Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG. Dies folgt aus § 16 Abs. 5 GrEStG, wonach § 16 Abs. 1 bis 4 GrEStG nicht gilt, wenn einer der in § 1 Abs. 2 bis 3a GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge rückgängig gemacht wird, der nicht ordnungsgemäß angezeigt war.
Sachverhalt: Vereinigung von 100 % der Anteile
Die Klägerin war an einer Objektgesellschaft (GmbH) mit 90,1 % beteiligt. Die restlichen 9,9 % hielt eine AG. Die GmbH war Eigentümerin eines Wohn- und Geschäftshauses.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 22.12.2016 verkaufte die AG ihren Anteil an der GmbH an die Klägerin. Die Klägerin wurde bei Vertragsschluss durch ihren alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer (A) vertreten. Die AG wurde durch eines ihrer Vorstandsmitglieder (B) vertreten.
Nach der Vertretungsregelung der AG konnte die Gesellschaft nur durch zwei Vorstandsmitglieder (zusammen) vertreten werden. B handelte daher zum einen als Vorstand der AG und zum anderen für den Mitvorstand (C). Insoweit stand seine Erklärung unter dem Vorbehalt einer nachträglichen Genehmigung, die nach der ausdrücklichen Regelung im Vertrag mit Zugang beim Notar wirksam werden sollte. C genehmigte den Vertrag am 23.12.2016. Die Genehmigung des C ging dem Notar am 30.12.2016 zu.
Am 30.12.2016 übersandte der beurkundende Notar eine Kopie des Vertrags an das für die Besteuerung von Körperschaften zuständige Finanzamt. Bei dem für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer zuständigen Finanzamt (FA) ging die Veräußerungsanzeige samt Kopie des Vertrags vom 22.12.2016 (erst) am 12.1.2017 ein.
Mit Bescheid vom 2.5.2018 setzte das FA gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer fest.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 12.6.2018 trat die Klägerin 9,9 % ihrer Anteile an der GmbH wieder entgeltlich an die AG ab. Am 19.6.2018 beantragte sie die Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG.
Mit Schreiben vom 28.6.2018 lehnte das FA den Antrag auf Aufhebung der Steuerfestsetzung ab. Der Aufhebung stehe § 16 Abs. 5 GrEStG entgegen. Der Vertrag vom 22.12.2016 sei erst am 12.1.2017 und damit nicht fristgerecht im Sinne des § 18 Abs. 3 GrEStG beim FA angezeigt worden. Gegen die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung legte die Klägerin am 1.8.2018 Einspruch ein.
Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Die Klage auf Aufhebung der geänderten Grunderwerbsteuerfestsetzung nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung des FG stand der Aufhebung die Frist des § 16 Abs. 5 GrEStG entgegen. Weder die Klägerin noch der beurkundende Notar hätten den Erwerbsvorgang der Grunderwerbsteuerstelle des FA nach §§ 18, 19 GrEStG fristgerecht angezeigt
Entscheidung: BFH verpflichtet FA zur Bescheidaufhebung
Auf die Revision der Klägerin hin hat der BFH die Vorentscheidung aufgehoben und das FA verpflichtet, die streitigen Grunderwerbsteuerbescheide aufzuheben. Die Voraussetzungen für die Aufhebung der Steuerfestsetzung nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG seien erfüllt. § 16 Abs. 5 GrEStG stehe der Aufhebung der Steuerfestsetzung nicht entgegen.
Anzeigepflichten für Notar und Steuerschuldner bestehen grundsätzlich selbständig nebeneinander
§ 16 Abs. 5 GrEStG schließt den Anspruch auf Aufhebung der Steuerfestsetzung aus, wenn ein Erwerbsvorgang i. S. des § 1 Abs. 3 GrEStG zwar innerhalb von 2 Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht, aber nicht fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt wurde. Die Vorschrift dient einerseits der Sicherung der Anzeigepflichten aus §§ 18 und 19 GrEStG und soll andererseits dem Anreiz entgegen wirken, durch Nichtanzeige einer Besteuerung den in dieser Vorschrift genannten Erwerbsvorgängen zu entgehen. Den Beteiligten soll die Möglichkeit genommen werden, die dort benannten Erwerbsvorgänge ohne weitere steuerliche Folgen wieder aufheben zu können, sobald den Finanzbehörden ein solches Geschäft bekannt wird.
Die Anzeigepflichten für den Notar nach § 18 GrEStG und für den Steuerschuldner nach § 19 GrEStG bestehen grundsätzlich selbständig nebeneinander. Die Wirkungen der Anzeigen können jedoch bei der Anwendung des § 16 Abs. 5 GrEStG unter bestimmten Voraussetzungen dem anderen Anzeigepflichtigen zugerechnet werden.
Verschiedene Ereignisse für Beginn der Anzeigepflicht maßgebend
Die Anzeigepflichten nach §§ 18, 19 GrEStG sind innerhalb von 2 Wochen zu erfüllen, knüpfen jedoch für die verschiedenen Anzeigepflichtigen an verschiedene Ereignisse an und können deshalb zu unterschiedlichen Zeitpunkten beginnen.
Ein Notar hat über einen Rechtsvorgang, den er beurkundet hat, nach § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 GrEStG innerhalb von 2 Wochen nach der Beurkundung Anzeige zu erstatten, auch wenn die Wirksamkeit des Rechtsvorgangs von einer Genehmigung abhängig ist.
Ein Gesellschafter hat ein Rechtsgeschäft i. S. v. § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG nach § 19 Abs. 3 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und § 13 Nr. 5 GrEStG innerhalb von 2 Wochen, nachdem er von dem anzeigepflichtigen Vorgang Kenntnis erhalten hat, anzuzeigen. Voraussetzung dafür ist, dass das Rechtsgeschäft wirksam ist. Anderenfalls ist der Erwerbsvorgang noch nicht verwirklicht. Hängt die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts von einer Genehmigung ab, ist der Erwerbsvorgang erst im Zeitpunkt des Eintritts der Genehmigung erfüllt (§ 14 Nr. 2 GrEStG). In diesem Fall beginnt die Frist für die Anzeige nach § 19 Abs. 3 GrEStG erst mit Kenntnis von dem Vorliegen der Genehmigung.
Notar wahrte Frist des Steuerschuldners
Der BFH hat bereits entschieden, dass es für § 16 Abs. 5 GrEStG ausreicht, wenn einer von mehreren Anzeigeverpflichteten seiner Anzeigepflicht ordnungsgemäß und fristgerecht nachkommt. Danach wirkt die Anzeige des Notars für Zwecke des § 16 Abs. 5 GrEStG auch für den Steuerschuldner. Ausgehend vom Wortlaut und Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG reicht es aus, dass der Erwerbsvorgang innerhalb der für den Notar nach § 18 Abs. 3 Satz 1 GrEStG oder der für den Steuerschuldner nach § 19 Abs. 3 Satz 1 GrEStG geltenden Anzeigefrist in allen Teilen vollständig angezeigt war, und zwar unabhängig davon, von wem und für wen die Anzeige erfolgt ist.
Nach den vorstehenden Grundsätzen reicht es daher aus, wenn der Notar eine Anzeige erstattet, die zwar nach der für den Notar laufenden Frist verspätet ist, die dem zuständigen Finanzamt aber innerhalb der für den Steuerschuldner geltenden Frist zugeht. In einem solchen Fall wird der Zweck des § 16 Abs. 5 GrEStG gewahrt, nämlich auf Grundlage einer entsprechenden Anzeige dem Finanzamt die ordnungsgemäße Prüfung des Steuerfalls zu ermöglichen. Dies gilt auch dann, wenn die Verwirklichung des Erwerbstatbestands des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG von der Genehmigung einer Vertragspartei abhängt und diese für die Berechnung der in § 19 GrEStG benannten Fristen für die Anzeigepflicht eines Beteiligten maßgebend ist. Es ginge in diesem Fall über den Normzweck des § 16 Abs. 5 GrEStG hinaus, den Verlust der Rechte aus § 16 Abs. 1 und 2 GrEStG an die fehlende Erstattung einer Anzeige des Notars zu einem Zeitpunkt zu knüpfen, in dem der Erwerbsvorgang des Anteilskaufs mangels der erforderlichen Genehmigung einer der Vertragsparteien noch nicht verwirklicht worden ist und deshalb die Anzeigepflicht des Steuerschuldners noch nicht zu laufen begonnen hat.
BFH, Urteil v. 21.6.2023, II R 2/21; veröffentlicht am 5.10.2023
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