Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die ordnungsgemäße Besetzung der Richterbank, die Öffentlichkeit des Verfahrens und die Begründung des Urteils

 

Leitsatz (NV)

1. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG fordert nicht, daß in jedem konkreten Einzelfall vorab feststeht, welche Mitglieder des Senats im Laufe des Geschäftsjahres bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung mitwirken.

2. Mit der Behauptung, die Sache sei nicht ordnungsgemäß aufgerufen worden, kann die Rüge mangelnder Öffentlichkeit des Verfahrens nicht schlüssig begründet werden.

3. Die Rüge, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen, ist nicht schlüssig erhoben, wenn geltend gemacht wird, das Finanzgericht habe sich in den Urteilsgründen nicht mit den Einwendungen des Beteiligten gegen die mangelnde Öffentlichkeit des Verfahrens auseinandergesetzt.

 

Normenkette

GG Art. 101 Abs. 1; FGO § 52 Abs. 1, § 105 Abs. 2, § 116 Abs. 1 Nrn. 3-5; GVG § 169

 

Tatbestand

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wegen Einkommensteuer 1990 abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen.

Die Kläger haben gegen das Urteil des FG Revision und Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen Rechts (§§ 90, 91, 119 Nrn. 1, 4, 5 und 6 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- sowie der Art. 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --). Sie machen geltend, sie seien in dem Verfahren vor dem FG nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen, weil die Ladungen zur mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 1993 nicht ordnungsgemäß zugestellt worden seien. Nach § 53 FGO seien Anordnungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt werde, nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) zuzustellen. Im Streitfall seien die Ladungen zwar mit Postzustellungsurkunde vom 12. Dezember 1992 grundsätzlich rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung vom 27. Januar 1993 erfolgt. Die Zustellung sei aber nicht wirksam gewesen, weil die Postzustellungsurkunde und/oder der Briefumschlag als Geschäftsnummer lediglich das allgemein gehaltene Aktenzeichen des FG ... trage (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 1. Dezember 1992 VIII R 85/90, BFH/NV 1993, 701; vom 14. November 1968 I R 9/68, BFHE 94, 202, BStBl II 1969, 151; vom 29. April 1982 IV R 52/81, BFHE 136, 179, BStBl II 1982, 715). Die Unwirksamkeit der Zustellung habe zwar nicht zur Folge, daß die Ladung selbst unwirksam sei; sie bewirke nur, daß der Fristlauf nicht beginne (§ 9 Abs. 2 VwZG). Eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 9 Abs. 1 VwZG sei zumindest bei Rechtsmittelfristen ausgeschlossen. Entsprechendes müsse für die Zweiwochenfrist des § 91 FGO gelten.

Das FG habe somit die Ladungsfrist von zwei Wochen (§ 91 FGO) nicht eingehalten; damit sei zugleich das rechtliche Gehör des Klägers verletzt worden. Der Kläger habe sich auf die mündliche Verhandlung nicht ausreichend vorbereiten können.

Das angefochtene Urteil sei auf eine mündliche Verhandlung ergangen, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit verletzt worden seien. Das FG habe die Sache nicht ordnungsgemäß aufgerufen. Die Öffentlichkeit sei nur gewahrt, wenn sich jeder Interessierte ohne Schwierigkeit über Ort und Zeit der Verhandlung Kenntnis verschaffen könne. Das sei nur möglich, wenn in der Zeugenhalle des Gerichts ein Aufruf zur Sache (§ 92 Abs. 2 FGO) mit Angabe des Sitzungssaales erfolge; das gelte jedenfalls dann, wenn von der Zeugenhalle mehrere Sitzungssäle abgingen und gleichzeitig mehrere Sitzungen verschiedener Senate stattfänden. Der Aushang am Eingang zum jeweiligen Verhandlungssaal sei nicht ausreichend.

Im Streitfall sei die Verletzung des Öffentlichkeitsgebots (durch fehlenden Aufruf der Sache in der Zeugenhalle) auch auf den Willen des Gerichts zurückzuführen. Wie der Prozeßbevollmächtigte der Kläger in anderen Verfahren dargelegt habe, verfahre das FG regelmäßig in der gleichen fehlerhaften Weise.

Das angefochtene Urteil setzte sich nicht mit den Einwendungen der Kläger in der mündlichen Verhandlung gegen die fehlende Öffentlichkeit des Verfahrens und gegen die Besetzung des FG auseinander. Insoweit sei das Urteil nicht mit Gründen versehen. Das FG habe ein selbständiges Angriffs- und Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen.

Die Kläger erheben ferner Einwendungen gegen die Besetzung des erkennenden Senats. Der senatsinterne Mitwirkungsplan entspreche nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen. Der Vorsitzende bestimme selbst nach seinem Ermessen den Berichterstatter und nehme damit Einfluß auf die Besetzung der Richterbank bei der Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

1. Die Zusammensetzung des erkennenden Senats entspricht den Anforderungen an den gesetzlichen Richter i. S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Entgegen der Ansicht der Kläger ergibt sich aus dieser Vorschrift nicht, daß der Berichterstatter von vornherein festgelegt sein muß (vgl. BFH-Urteil vom 2. Dezember 1992 I R 54/91, BFHE 170, 119, BStBl II 1993, 311). Auch fordert Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht, daß in jedem konkreten Einzelfall vorab feststeht, welche Mitglieder des Senats im Laufe des Geschäftsjahres bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung mitwirken. Anhand dieser Vorschrift ist lediglich zu prüfen, ob der Vorsitzende bei der Bestimmung von Berichterstatter und Mitberichterstatter willkürfrei verfahren ist (vgl. BFH-Beschluß vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252). Anhaltspunkte für eine willkürliche Maßnahme des Vorsitzenden sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Bestimmung von Berichterstatter und Mitberichterstatter entspricht vielmehr dem nach § 21 g des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) aufgestellten Geschäftsverteilungsplan des VIII. Senats für das Geschäftsjahr 1994 vom 16. Dezember 1993 und dem Vermerk des Senatsvorsitzenden vom 20. Dezember 1991, geändert durch Verfügung vom 10. März 1992, über die Grundsätze über die Zuschreibung der Streitfälle auf die einzelnen Senatsmitglieder. Danach ist für das Aufgabengebiet Gerichtsverfahrensrecht neben Richter am Bundesfinanzhof X Richter am Bundesfinanzhof Y zuständig. Die Bestimmung des Mitberichterstatters entspricht ebenfalls dem senatsinternen Mitwirkungsplan vom 16. Dezember 1993. Nach dessen Abschn. III Nr. 1 ergibt sich der Mitberichterstatter in der Regel aus den Endziffern der Aktenzeichen des erkennenden Senats, die den einzelnen Richtern in genau festgelegter Reihenfolge zugeordnet sind. Abweichend von der Zuständigkeitsbestimmung nach Endziffern kann der Vorsitzende einen anderen Richter zum Mitberichterstatter bestimmen, wenn dieser mit einer zuvor zugeschriebenen Sache befaßt war oder ist, die mit der neuen Sache sachlich zusammenhängt (Abschn. III Nr. 2 des Geschäftsverteilungsplans 1994). Diese Regelung greift ein für die Übernahme der Mitberichterstattung in der Sache VIII R 83/93, für die nach der Endziffernregelung Richter am Bundesfinanzhof Z als Mitberichterstatter zuständig gewesen wäre. Wegen des sachlichen Zusammenhangs mit den Sachen ... , bei denen ebenfalls Richter am Bundesfinanzhof A zum Mitberichterstatter bestellt wurde, ist dieser auch für die Sache VIII R 83/93 zuständig.

2. Die Revision ist nicht nach § 116 Abs. 1 FGO statthaft.

Die zulassungsfreie Verfahrensrevision ist nur zulässig, wenn innerhalb der Revisionsbegründungsfrist zumindest einer der in dieser Vorschrift abschließend aufgezählten Verfahrensfehler schlüssig gerügt worden ist, d. h., wenn die zur Begründung des Verfahrensverstoßes angeführten Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen Mangel i. S. des § 116 Abs. 1 FO ergeben (BFH-Beschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568). Die vorliegende Revision genügt diesen Anforderungen nicht.

a) Die Rüge, die Kläger seien nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen worden, ist nicht geeignet, einen Verfahrensmangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO schlüssig darzutun.

Nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO ist die Revision ohne Zulassung statthaft, wenn gerügt wird, ein Beteiligter sei im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen. Aus dem Zusammenhang dieser Vorschrift mit den übrigen in § 116 Abs. 1 FGO aufgeführten Verfahrensmängeln wird deutlich, daß die zulassungsfreie Revision nur bei Vorliegen besonders schwerer Verstöße gegen die Verfahrensordnung gegeben ist, insbesondere dann, wenn ein Beteiligter im Prozeß überhaupt nicht vertreten ist (BFH-Beschluß vom 25. Juli 1979 VI R 3/79, BFHE 128, 176, BStBl II 1979, 654). Mit dem Vorbringen der Kläger, nicht ordnungsgemäß geladen worden zu sein, ist ein schwerwiegender Verfahrensverstoß in diesem Sinne nicht vorgetragen worden (BFH- Beschluß vom 15. Dezember 1986 IV B 59-- 61/86, IV B 66/86, BFH/NV 1988, 643). Die Kläger machen nicht schlüssig geltend, sie seien im Verfahren nicht vertreten gewesen, denn es ist unstreitig, daß ihr Prozeßbevollmächtigter von dem Termin Kenntnis hatte und an ihm teilgenommen hat. Sie behaupten vielmehr, wegen eines Zustellungsmangels sei die Ladungsfrist nicht gewahrt und sie seien deshalb nicht in der Lage gewesen, sich ausreichend auf den Termin vorzubereiten.

Die Kläger rügen damit der Sache nach, das FG habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Dieser Verfahrensmangel gehört zwar zu den absoluten Revisionsgründen (§ 119 Nr. 3 FGO), jedoch nicht zu den Verfahrensfehlern, die die zulassungsfreie Verfahrensrevision nach § 116 Abs. 1 FGO eröffnen.

b) Mit dem Vorbringen, das FG habe die Sachen des Klägers nicht ordnungsgemäß aufgerufen, ist ein Mangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 4 FGO nicht schlüssig dargetan.

Der Senat kann offenlassen, ob der Vorsitzende des FG die Sachen des Klägers deutlich hörbar und verständlich vor dem Sitzungssaal aufgerufen hat, wie es nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 5. Oktober 1976 2 BvR 558/75 (BVerfGE 42, 364, 370 f.) zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs der Beteiligten erforderlich ist. Denn mit der Behauptung, die Sache sei nicht ordnungsgemäß aufgerufen worden, kann die Rüge mangelnder Öffentlichkeit des Verfahrens nicht schlüssig begründet werden (ebenso: BFH-Beschluß vom 2. Oktober 1984 IX R 129/83, nicht veröffentlicht -- NV --). Die von § 52 Abs. 1 FGO i. V. m. § 169 Satz 1 GVG geforderte Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung ist gewahrt, wenn ein unbestimmter Personenkreis die Möglichkeit hat, die Verhandlung an Ort und Stelle zu verfolgen (BFH-Urteil vom 27. November 1991 X R 98--100/90, BFHE 166, 524, BStBl II 1992, 411). Hierfür genügt es, daß der Raum, in dem die Verhandlung stattfindet, grundsätzlich für jedermann zugänglich ist. Hingegen ist es nicht erforderlich, daß jedermann weiß, wann und wo eine mündliche Verhandlung in welcher Sache stattfindet (BFH-Urteil vom 15. März 1977 VII R 122/73, BFHE 121, 392, BStBl II 1977, 431).

Soweit in dem Vorbringen des Klägers die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu sehen sein sollte, handelt es sich, wie oben ausgeführt, um keinen Verfahrensmangel i. S. des § 116 Abs. 1 FGO.

c) Die Verfahrensrüge des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO dient wie die Bestimmung des § 105 Abs. 2 Nr. 4 und 5 FGO, wonach das Urteil einen Tatbestand und Entscheidungsgründe enthalten muß, der Sicherstellung, daß die Beteiligten ihre prozessualen Rechte wahrnehmen können. Die Wiedergabe des Tatbestandes ist erforderlich, damit die Beteiligten erkennen können, welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zugrunde liegen. Die Wiedergabe der Entscheidungsgründe dient der Mitteilung der wesentlichen rechtlichen Erwägungen, die aus der Sicht des Gerichts für die getroffene Entscheidung maßgebend waren. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen liegt deshalb nur vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung zu überprüfen. Das ist nach ständiger Rechtsprechung nur dann der Fall, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht begründet oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat, mithin das Urteil bezüglich eines wesentlichen Streitpunktes nicht mit Gründen versehen war (BFH-Beschluß vom 17. September 1991 X R 19/91, BFH/NV 1992, 750 m. w. N.). Ob das Gericht auf alle Gesichtspunkte sowie den gesamten Akteninhalt eingegangen ist und zutreffende Schlußfolgerungen gezogen hat, ist keine Frage der fehlenden Begründung i. S. des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO. Mängel dieser Art können zwar formelles oder materielles Recht verletzen, sie eröffnen jedoch keine zulassungsfreie Revision. Das angefochtene Urteil enthält einen Tatbestand und Entscheidungsgründe i. S. des § 105 Abs. 2 FGO.

Die Kläger machen lediglich geltend, das FG habe sich nicht mit ihren Einwendungen gegen die mangelnde Öffentlichkeit des Verfahrens auseinandergesetzt. Diese Rüge betrifft nach den vorstehenden Ausführungen nicht das Fehlen einer rechtlichen Begründung der Entscheidung selbst, sondern allenfalls einen Fehler des -- vor oder bei der Entscheidungsfindung -- zu beachtenden Verfahrens (vgl. BFH-Beschluß vom 12. April 1994 III R 44/93, NV). Dieser Verfahrensfehler kann allenfalls mit der Nichtzulassungsbeschwerde (Verletzung des Rechts auf Gehör durch fehlerhaften Aufruf der Sache) geltend gemacht werden.

3. Die Kläger haben neben der vorliegenden Verfahrensrevision Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision eingelegt. Der Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde hat keine Auswirkungen auf die wegen mangelhafter Begründung unzulässig erhobene Verfahrensrevision (BFH-Beschluß vom 12. April 1991 III R 181/90, BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638; a. A. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 116 Rz. 6 a).

 

Fundstellen

BFH/NV 1996, 223

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