Leitsatz (amtlich)

Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß ein Vorauszahlungsbescheid nach § 35 Abs. 2 EStG auch dann noch erteilt werden kann, nachdem eine Einkommensteuererklärung für den abgelaufenen Veranlagungszeitraum abgegeben wurde.

 

Normenkette

FGO § 69; EStG § 35 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Antragsteller, Beschwerdegegner und Anschlußbeschwerdeführer (Antragsteller) und seine Ehefrau veräußerten im Jahre 1972 in ihrem Privatvermögen gehaltene Aktien ...

Nachdem der Antragsgegner, Beschwerdeführer und Anschlußbeschwerdegegner (FA) von diesen Vorgängen erfahren hatte und der Antragsteller sowie dessen Ehefrau eine unter Vorbehalt unterzeichnete Einkommensteuererklärung für 1972 über ein negatives Einkommen abgegeben hatten, erging im April 1973 ein Vorauszahlungsbescheid für 1972, in welchem die fünfte Rate Einkommensteuer auf ... DM und Ergänzungsabgabe auf ... DM festgesetzt wurde. Die Beschwerde hiergegen hatte lediglich insoweit Erfolg, als durch Abhilfe die fünfte Rate auf ... DM Einkommensteuer und ... DM Ergänzungsabgabe herabgesetzt wurde. Die weitergehende Beschwerde wurde durch Entscheidung der OFD vom 17. September 1974 zurückgewiesen. Der Antragsteller hatte zuvor, am 23. Mai 1973, eine "endgültige" Einkommensteuererklärung für 1972 abgegeben. Bei ihm wurde in der Zeit vom 5. September 1972 bis März 1974 eine Betriebsprüfung durchgeführt; der Bericht darüber datiert vom 19. Juni 1975.

Der Antragsteller hat den Vorauszahlungsbescheid 1972 mit seinem geänderten Inhalt durch Klage angefochten. Gleichzeitig hat er beim FG Aussetzung der Vollziehung beantragt. Diesem Antrag gab das FG im Umfange von ... DM Einkommensteuer und ... DM Ergänzungsabgabe statt ...

Mit der Beschwerde beantragt das FA, nur einen Teilbetrag von ... DM, hilfsweise, einen Teilbetrag von ... DM gegen Sicherheitsleistung auszusetzen ...

Mit der Anschlußbeschwerde beantragt der Antragsteller, die Vollziehung hinsichtlich der nicht ausgesetzten Beträge auszusetzen, hilfsweise, den Beschluß des FG aufrechtzuerhalten. Dazu macht der Antragsteller u. a. geltend:

Der Vorauszahlungsbescheid 1972 sei formal nicht in Ordnung, weil er nicht erkennen lasse, wer Adressat und wer Zustellungsbevollmächtigter ist.

Die Erteilung dieses Bescheids sei ermessensfehlerhaft. Nach Abgabe der Einkommensteuererklärung dürfe kein Vorauszahlungsbescheid mehr erlassen werden; der Steuerpflichtige habe dann Anspruch auf - notfalls vorläufige - Veranlagung. Ansonsten werde auch der Grundsatz der Prozeßökonomie verletzt ...

 

Entscheidungsgründe

I. Die Beschwerde des FA ist zum Teil begründet.

Aus den nachfolgenden Ausführungen unter II. ergibt sich, daß die Einwendungen des FA gegen die Vorentscheidung, soweit darin dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattgegeben wurde, teilweise durchgreifen.

II. Die Anschlußbeschwerde des Antragstellers ist im Ergebnis nicht begründet.

Die Vollziehung des angefochtenen Vorauszahlungsbescheids über die fünfte Rate Einkommensteuer und Ergänzungsabgabe für 1972 ist in geringerem Umfange als in der Vorentscheidung auszusetzen und von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen.

1. Rechtlich zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß nach § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ausgesetzt werden kann, wenn an dessen Rechtmäßigkeit ernstliche Zweifel in dem Sinne bestehen, daß neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Der Vorentscheidung ist jedoch nicht zu folgen, wenn sie nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen des angefochtenen Vorauszahlungsbescheids eine Zweifelhaftigkeit im Sinne von § 69 FGO in dem von ihr angenommenen Umfange bejaht hat. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen erst recht nicht in dem Umfange, wie der Antragsteller sie sieht.

a) Entgegen der Meinung des Antragstellers ergeben sich solche Zweifel nicht schon hinsichtlich der Wirksamkeit oder der Zulässigkeit des angefochtenen Vorauszahlungsbescheids.

Es ist richtig, daß für die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes aus ihm selbst heraus objektiv und für jeden klar erkennbar sein muß, an wen der Bescheid sich richtet (vgl. z. B. Urteil des BFH vom 24. März 1970 I R 141/69, BFHE 98, 531, BStBl II 1970, 501). Der Adressat eines Bescheids braucht indessen nicht aus dem Anschriftenfeld hervorzugehen; es genügt, wenn er sich aus dem Bescheid insgesamt mit Sicherheit entnehmen läßt (vgl. BFH-Urteil vom 17. Mai 1974 VI R 197/71, BFHE 112, 452, BStBl II 1974, 648). Im vorliegenden Falle ist aus der in den Steuerakten befindlichen Urschrift des angefochtenen Bescheids ohne vernünftigen Zweifel ersichtlich, daß Adressat dieses Bescheids der Antragsteller war. Zutreffend ist, daß dem FA für den Erlaß eines Vorauszahlungsbescheids nach § 35 Abs. 2 EStG ein Ermessen eingeräumt wird, von dem es in einer dem Zweck der Vorschrift entsprechenden Weise Gebrauch machen muß (vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 1976 I R 21/74, BFHE 118, 169, BStBl II 1976, 389). Das zwingt jedoch - entgegen der Meinung des Antragstellers - nicht zu der Annahme, das Erteilen eines Vorauszahlungsbescheids nach Abgabe der Einkommensteuererklärung für den abgelaufenen Veranlagungszeitraum sei ermessensfehlerhaft. Für eine dahingehende Einschränkung des dem FA eingeräumten Ermessens ist aus § 35 Abs. 2 EStG nichts zu entnehmen. Die Vorschrift bezweckt, dem FA die Möglichkeit einer raschen Anpassung der Steuerzahlung an veränderte Verhältnisse zu geben, und zwar ebenso zum Nachteil des Steuerpflichtigen wie zu dessen Vorteil bei der Herabsetzung von Vorauszahlungen. Dieser vom Gesetz verfolgte Zweck ist mit dem Erlaß eines vorläufigen oder endgültigen Bescheids nicht gleich einfach zu erreichen. Während ein Vorauszahlungsbescheid aufgrund eines vorläufig ermittelten Sachverhalts ergehen kann (vgl. BFH-Beschluß vom 13. Mai 1971 V B 61/70, BFHE 102, 31, BStBl II 1971, 492), ist der vorläufige Bescheid von den in § 100 Abs. 1 und 2 AO aufgeführten Voraussetzungen und der endgültige Bescheid vom Abschluß eines Ermittlungsverfahrens (§ 210 Abs. 1 AO) abhängig. Nicht zu ersehen ist, daß durch den Erlaß eines Vorauszahlungsbescheids der Anspruch des Steuerpflichtigen auf Veranlagung beeinträchtigt würde. Schließlich gibt auch die vom Antragsteller angeführte Rechtsprechung zur Entscheidung von im Steuerabzugsverfahren einbehaltenen Steuern zu der hier maßgebenden Frage nichts her. Diese Rechtsprechung betrifft andersgelagerte Sachverhalte, in denen es darum ging, ob eine Steuer beim Haftenden oder beim Schuldner zu erfassen ist ...

 

Fundstellen

BStBl II 1977, 33

BFHE 1977, 217

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