Leitsatz (amtlich)

Zum Merkmal der wirtschaftlichen Eingliederung, wenn Organträger und Organgesellschaft verschiedenen Geschäftszweigen angehören.

 

Normenkette

KStG § 7a

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, die eine Glasfabrik betreibt, schloß am 5. Dezember 1969 mit dem Einzelunternehmen J L, das den Handel mit Produkten eines anderen Geschäftszweigs betreibt, einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag mit Wirkung vom 1. Januar 1969 ab. Der Inhaber des Einzelunternehmens J L ist der alleinige Gesellschafter der Klägerin und nach den mit der Revision angefochtenen Feststellungen des FG deren Geschäftsführer.

Die Klägerin beantragte am 12. Dezember 1969, die Vorauszahlungen auf die Körperschaftsteuer und Ergänzungsabgabe IV/1969 auf 0 DM herabzusetzen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte diesen Antrag ab. Die OFD wies die Beschwerde der Klägerin als unbegründet zurück, weil es für die Annahme einer Organschaft zwischen der Klägerin und dem Einzelunternehmen J L an der wirtschaftlichen Eingliederung fehle.

Auch die Klage blieb ohne Erfolg. Das FG hat ausgeführt, die Klägerin sei zwar finanziell und organisatorisch, nicht aber wirtschaftlich in das Einzelunternehmen J L eingegliedert. Denn sie sei nicht nach Art einer unselbständigen Betriebsabteilung in das Einzelunternehmen J L eingeordnet. Wenn es auch nicht erforderlich sei, daß die Organgesellschaft und der Organträger im gleichen Geschäftszweig tätig seien, müsse dennoch die Organgesellschaft durch ihre gewerbliche Tätigkeit dem Organträger dienen. Ein solches untergeordnetes Dienen, wie es etwa der Einkauf, der Verkauf, die Verarbeitung von Waren, die Vermittlung von Versicherungen und die Erstellung von Anlagen oder deren Projektierung für das Unternehmen des Organträgers darstellten, fehle im Streitfall. Vielmehr bestehe wirtschaftlich eine Nebenordnung, was sich aus dem Lauf der Waren, die beide Unternehmen lieferten, ergebe: Die Waren liefen parallel zueinander auf verschiedenen Wegen und jedes der beiden Unternehmen betätige sich ausschließlich auf einem dieser Wege.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der unrichtige Anwendung des § 7 a Abs. 1 Nr. 2 KStG gerügt wird und verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Vorschrift geltend gemacht werden. Die Klägerin rügt außerdem unvollständige Sachaufklärung über die Bedeutung und den Umfang der gewerblichen Tätigkeit des Einzelunternehmens J L. Im einzelnen führt die Klägerin aus:

Das Merkmal der wirtschaftlichen Eingliederung, das in § 7 a Abs. 1 Nr. 2 KStG gefordert werde, sei dermaßen unbestimmt, daß nicht mehr erkennbar sei, was ihm unterfalle und was ihm nicht unterfalle. Es handle sich um eine Definitionslücke, die auch mit hermeneutischen Mitteln nicht zu schließen sei.

Die wirtschaftliche Eingliederung - die Gültigkeit der Vorschrift einmal unterstellt - sei nicht auf die Verbundenheit in der betrieblichen Produktionstechnik, der Produktionsarten oder des Vertriebs zu reduzieren. Vielmehr genüge jeder wirtschaftliche Zusammenhang, die Tatsache einer wirtschaftlichen Bedeutung der Betriebe füreinander. Im Streitfall habe das Einzelunternehmen J L nach Rang und Umfang für sich und den Organkreis bedeutendes Gewicht. Der Alleininhaber des Einzelunternehmens J L und Alleingesellschafter der Klägerin übe der Klägerin gegenüber die unumschränkte und ungeteilte Leitungsmacht aus. Die Klägerin stelle die Betriebs- und Geschäftsabteilung "Glas" in seinem unternehmerischen Wirkungsbereich dar.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG und die Beschwerdeentscheidung der OFD aufzuheben und die Freistellung von der Vorauszahlung an Körperschaftsteuer IV/1969 und der Vorauszahlung auf die Ergänzungsabgabe IV/1969 zu verfügen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

Der Antrag der Klägerin, die Vorauszahlungen auf die Körperschaftsteuer und Ergänzungsabgabe IV/1969 herabzusetzen, ist begründet, wenn die Klägerin durch den Gewinnabführungsvertrag vom 5. Dezember 1969 für den Veranlagungszeitraum 1969 Organgesellschaft des Einzelunternehmens J L geworden ist. Denn ihr Einkommen ist in diesem Fall dem Einzelunternehmen J L als Organträger zuzurechnen (§ 7 a KStG, § 24 KStG 1969). Die Vorauszahlungen können der Steuer angepaßt werden, die sich aus der Anerkennung der Organschaft für die Klägerin ergibt (§ 20 KStG, § 35 Abs. 2 EStG). Das FA würde von dem hier eingeräumten Ermessen (vgl. Urteil des BFH vom 5. Juli 1966 I 65/64, BFHE 86, 646, BStBl III 1966, 605) in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch machen, wenn es die Vorauszahlungen auch bei Vorliegen der Voraussetzungen der Organschaft nicht anpassen würde (§ 102 FGO).

2. Der Senat kann nicht abschließend prüfen, ob die Voraussetzungen der Organschaft zwischen der Klägerin und dem Einzelunternehmen J L erfüllt sind. Das FG hat dazu - ausgehend von einer unrichtigen Auslegung des Merkmals der wirtschaftlichen Eingliederung (§ 7 a Abs. 1 Nr. 2 KStG) - nicht die notwendigen tatsächlichen Feststellungen getroffen.

a) Der Senat kann der Klägerin nicht in der Ansicht folgen, § 7 a Abs. 1 Nr. 2 KStG sei verfassungswidrig, soweit in dieser Vorschrift das Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Eingliederung enthalten sei. Das Gesetz verwendet hier mit den Worten "wirtschaftlich eingegliedert" einen Begriff, dessen Inhalt durch Auslegung ermittelt werden kann und der sich in nichts von unbestimmten Rechtsbegriffen unterscheidet.

b) Die wirtschaftliche Eingliederung der Organgesellschaft in ein gewerbliches Unternehmen des Organträgers war neben der finanziellen und organisatorischen Eingliederung und dem Ergebnisabführungsvertrag schon vor Inkrafttreten des § 7 a KStG Voraussetzung für die Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft (BFH-Urteil vom 18. April 1973 I R 120/70, BFHE 110, 17, BStBl II 1973, 740). Nach ständiger Rechtsprechung ist eine wirtschaftliche Eingliederung anzunehmen, wenn das Unternehmen der Organgesellschaft "nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung" in das Unternehmen des Organträgers eingefügt ist (BFH-Urteil I R 120/70 mit weiteren Angaben über die Rechtsprechung). Diese Beschreibung der wirtschaftlichen Eingliederung bedarf weiterer Konkretisierung, bei der die neuere Rechtsprechung des BFH und moderne Erscheinungsformen der Unternehmensführung zu berücksichtigen sind.

Beherrscht der Organträger nur eine Organgesellschaft, so muß, wenn eine wirtschaftliche Eingliederung angenommen werden soll, zur leitenden Tätigkeit in bezug auf die Organgesellschaft eine andere gewerbliche Tätigkeit des Organträgers hinzukommen. In dieser gewerblichen Tätigkeit braucht aber, wie der BFH inzwischen klargestellt hat, nicht der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit des Konzerns zu liegen. Vielmehr genügt es, wenn die eigene gewerbliche Tätigkeit des herrschenden Unternehmens, die neben der Leitung des abhängigen Unternehmens ausgeübt wird, mit der Tätigkeit des abhängigen Unternehmens in einem wirtschaftlichen Zusammenhang dergestalt steht, daß sich beide Unternehmen als Teile einer wirtschaftlichen Einheit darstellen und die eigene gewerbliche Tätigkeit des herrschenden Unternehmens im Rahmen der wirtschaftlichen Einheit nicht von untergeordneter Bedeutung ist (BFH-Urteil I R 120/70).

Zur wirtschaftlichen Einheit verschmelzen mehrere Unternehmen durch die einheitliche Leitung (Begründung zum Regierungsentwurf eines Aktiengesetzes, abgedruckt bei Kropff, Aktiengesetz, Vorbem. zu §§ 329 bis 338; Urteil des BGH vom 3. November 1975 II ZR 67/73, BB 1976, 9). Erforderlich ist daher, daß das herrschende Unternehmen einheitliche Leitungsmacht ausübt über die eigene gewerbliche Tätigkeit und über die gewerbliche Tätigkeit des abhängigen Unternehmens. Das setzt nicht voraus, daß beide Unternehmen dem gleichen Geschäftszweig angehören (Adler-Düring-Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 4. Aufl., Bd. 3, § 329 Tz. 17; Bühler, Steuerrecht der Gesellschaften und Konzerne, 3. Aufl., 318; Urteil des RFH vom 13. Dezember 1940 V 25/39, RFHE 50, 34; BFH-Urteil vom 21. Januar 1970 I R 90/67, BFHE 98, 168, BStBl II 1970, 348). Notwendig ist allein, daß beide Unternehmen nach einer einheitlichen Gesamtkonzeption geführt werden (Adler-Düring-Schmaltz, a. a. O.; Biedenkopf/Koppensteiner in Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 18 Anm. 6).

Was im Einzelfall die einheitliche Gesamtkonzeption zu umfassen hat, läßt sich nicht in ein starres Schema pressen. Der Unternehmensführung muß hier, wenn sie sich im Wirtschaftsleben behaupten soll, ein weiterer Spielraum verbleiben. Die Gesamtkonzeption muß sich - ebensowenig wie im Einheitsunternehmen - nicht unbedingt auf technische und marktstrategische Faktoren beziehen. Auch die Zusammenfassung der Unternehmen zum Zweck der Gesamtgewinnmaximierung kann genügen (Biedenkopf/Koppensteiner, a. a. O.). Die Gesamtkonzeption kann auch darin bestehen, daß Unternehmen, die verschiedenartigen Geschäftszweigen angehören, unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefaßt werden, um einen Risikoausgleich zu erreichen. Viele Unternehmen, Einzelunternehmen wie Konzerne, sehen heute in der "Diversifikation" (weite Streuung des Programms der wirtschaftlichen Tätigkeit) eine ihrer entscheidenden unternehmenspolitischen Strategien.

Hand in Hand mit dieser Entwicklung vollzieht sich ein Wandel von zentraler zu dezentraler Unternehmensführung. Das Unternehmen wird in weitgehend selbständige Geschäftsbereiche gegliedert. Die Einfügung des Unternehmens der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers "nach Art einer bloßen Geschäftsabteilung" (BFH-Urteil I R 120/70) schließt daher ein gewisses Maß wirtschaftlicher Selbständigkeit der Organgesellschaften nicht aus. Im Fall dezentraler Unternehmensführung wird sich die Konzernleitung darauf beschränken, die obersten Zielgrößen festzusetzen und die Tätigkeit aller Konzernunternehmen auf diese Zielgrößen auszurichten.

3. Im Vergleich zu diesen Ausführungen ist das FG von einem zu engen Begriff der wirtschaftlichen Eingliederung ausgegangen. Das FG kann sich für seine Auffassung auch nicht auf die BFH-Urteile vom 24. Oktober 1963 V 300/60 U (BFHE 78, 587, BStBl III 1964, 222) und vom 15. Dezember 1966 V 51/63 (BFHE 87, 462, BStBl III 1967, 191) berufen. Denn diese Urteile schließen die Annahme einer Organschaft nicht aus, wenn eine Kapitalgesellschaft der Leitungsmacht eines anderen Unternehmens unterworfen ist. Sie befassen sich außerdem mit der besonderen umsatzsteuerrechtlichen Frage, ob eine Unternehmereinheit oder ein Organschaftsverhältnis besteht.

4. Die Klägerin hat vor dem FG ausweislich des Tatbestandes des Urteils des FG vorgetragen, das Einzelunternehmen J L übe eine aktive gewerbliche Betätigung aus, in deren Bereich der Klägerin die Funktion einer Geschäftsabteilung "Glas" zukomme. Damit würden im unternehmerischen Zielsystem die Bestrebungen nach optimaler Rentabilität und Wirtschaftlichkeit und insbesondere nach Sicherheit durch Risikoausgleich verwirklicht.

Diese Ausführungen, die noch der Darlegung im einzelnen durch die Klägerin bedürfen und deren Richtigkeit in tatsächlicher Hinsicht das FG noch zu prüfen hat, sprechen für die wirtschaftliche Eingliederung. Die Sache geht daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Das FG wird bei der erneuten Verhandlung auch die tatsächlichen Feststellungen zu den übrigen Voraussetzungen der Organschaft, insbesondere nach § 7 a Abs. 5 KStG, vervollständigen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71822

BStBl II 1976, 389

BFHE 1976, 169

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