Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens wegen Anfechtung eines Umsatzsteuerbescheids bis zum Abschluß des Billigkeitsverfahrens

 

Leitsatz (NV)

1. Die Ablehnung durch das FG, ein Anfechtungs-Verfahren bis zum Abschluß eines zwischenzeitlich eingeleiteten Billigkeitsverfahrens auszusetzen, ist nicht zu beanstanden, wenn der Kläger den Aussetzungsantrag im wesentlichen auf Ausführungen stützt, die im Anfechtungsverfahren zu klären sind.

2. Die Ablehnung ist auch gerechtfertigt, wenn der Kläger zwar mit der Verfahrensaussetzung Zeitgewinn zur Ausübung des Optionsrechts (§9 UStG) hinsichtlich einer Grundstückslieferung bezweckt, aber die bereits lange Verfahrensdauer nicht zu der behaupteten angestrebten Regelung mit dem Erwerber genutzt hat.

 

Normenkette

FGO § 74; UStG 1980 §§ 9, 15 Abs. 2

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

I. Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) erwarb 1979 zwei Grundstücke und errichtete darauf zwei Gebäude, die zu gewerblichen Zwecken vermietet werden sollten. Ab 1981 vermietete er das eine Gebäude vollständig, das andere zu 22,85 v. H. der Nutzfläche. Die für die restliche Nutzfläche bereits mit anderen Unternehmern geschlossenen Mietverträge wurden nicht vollzogen, weil die Baubehörde zwischenzeitlich ein Nutzungsverbot für großflächigen Einzelhandel erließ. Nach Anordnung der Zwangsverwaltung ab Februar 1983 wurden die Grundstücke im Juni 1984 zwangsversteigert.

In den Umsatzsteuererklärungen für 1981 bis 1983 verzichtete der Kläger auf die Steuerfreiheit der Vermietungsumsätze und machte den Vorsteuerabzug aus dem Errichtungs- und Unterhaltungaufwand für die Gebäude geltend. Nach einer Außenprüfung im Jahr 1984 vertrat der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) die Auffassung, durch die Zwangsversteigerung seien die Gebäude an den Ersteigerer steuerfrei geliefert worden. Die Versteigerung sei hinsichtlich der nicht vermieteten Flächen des einen Gebäudes die erstmalige Verwendung, die insoweit zum Ausschluß vom Vorsteuerabzug nach §15 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1980) führe. Hinsichtlich der steuerpflichtig vermieteten Nutzflächen ergebe sich mit der Versteigerung eine Verwendungsänderung, die gemäß §15 a UStG 1980 für den Voranmeldezeitraum der Versteigerung zur Vorsteuerberichtigung führe. Demgemäß setzte das FA die Umsatzsteuer in den Jahresbescheiden für 1981 bis 1983 und im Vorauszahlungsbescheid für Juni 1984 fest.

Nach erfolglosem Einspruch vertrat der Kläger mit der Klage die Auffassung, der Zuschlag im Zwangsversteigerungsverfahren führe zu keinem steuerfreien Umsatz. Bei den Gebäuden habe es sich im Umfang der nicht vermieteten Flächen um eine sog. erfolglose Investition gehandelt. Für den Vorsteuerabzug komme es insoweit auf die ursprünglich beabsichtigte Nutzung an. Der Kläger verzichtete "hilfsweise" auf die Steuerfreiheit der Grundstückslieferung durch Zwangsversteigerung.

In der mündlichen Verhandlung vom 9. Juni 1993 beschloß das Finanzgericht (FG) auf Antrag des Klägers und mit Zustimmung des FA, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen. Das Ergebnis eines vom Kläger beabsichtigten Zivilprozesses sollte abgewartet werden.

Während des Klageverfahrens erging der Umsatzsteuerjahresbescheid 1984 (vom 23. Juli 1992). Der Kläger legte gegen diesen Bescheid Einspruch ein.

Auf Anfrage vom 22. Dezember 1994 erklärte der Kläger, noch keinen Zivilprozeß angestrengt zu haben. Vergleichsverhandlungen mit dem Ersteigerer seien ohne befriedigendes Ergebnis unterbrochen worden. Der Grund für das Ruhen des Verfahrens bestehe aber weiterhin. Für ihn, den Kläger, stelle sich zudem die Frage, ob der Leistungsempfänger trotz der §§51 und 52 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) im Fall einer Option berechtigt sei, eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis zu verlangen und so den Nettowert der Grundstücksersteigerung zu verbessern, während er, der Steuerpflichtige, die Steuer auch abführen müsse. Verhandlungen zu dieser Frage mit dem FA hatten keinen Erfolg.

Am 6. März 1996 teilte der Kläger mit, beim FA einen "Erlaßantrag gemäß §163 AO" gestellt zu haben. Mit Schriftsatz vom 31. Juli 1996 beantragte der Kläger, das Anfechtungsverfahren auszusetzen, damit zunächst die Entscheidung des FA über den Erlaßantrag und -- im Fall einer negativen Entscheidung -- deren gerichtliche Überprüfung abgewartet werden könne. Zur Begründung trug der Kläger vor, die beantragte Billigkeitsentscheidung nach §163 der Abgabenordnung (AO 1977) sei Grundlagenbescheid für die das Anfechtungsverfahren betreffenden Umsatzsteuerbescheide. Eine Fortführung des Anfechtungsverfahrens zwänge ihn, wegen drohenden Fristablaufs zu optieren, obwohl über den Erlaßantrag nicht befunden worden sei. Nachverhandlungen mit dem Erwerber über eine Nachentrichtung von Umsatzsteuer drohten zur Einklagung einer Rechnung mit Steuerausweis durch diesen und damit zur Minderung seines, des Klägers, Entgelts zu führen. Werde die Entscheidung über Billigkeitsmaßnahmen abgewartet, könnten dann andere Lösungen der Sachprüfung unterzogen werden. Die Aussetzung des Verfahrens sei auch im Hinblick auf das beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) anhängige Vorabentscheidungsverfahren in der Rechtssache C-37/95, Ghent Coal Terminal, das für den Streitfall erhebliche Bedeutung habe, geboten.

Das FG setzte mit dem angefochtenen Beschluß das Verfahren bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens betreffend den Umsatzsteuerbescheid 1984 vom 23. Juli 1992 aus. Im übrigen lehnte es den Antrag ab.

Zur Begründung führte das FG im wesentlichen aus: Die Entscheidung über die Aussetzung nach §74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stehe grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Dabei sei zu berücksichtigen, daß in entsprechender Anwendung der Vorschrift das Verfahren über den angefochtenen ursprünglichen Bescheid bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens über einen Änderungsbescheid auszusetzen sei, wenn dieser mit dem Einspruch angefochten und ein Antrag nach §68 FGO nicht gestellt werde. Diese Situation bestehe hinsichtlich des Vorauszahlungsbescheids für Juni 1984 nach Ergehen des Jahresbescheids 1984. Letzterer sei nicht nach §68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden. Nach Entscheidung über den Einspruch sei das Klageverfahren gegen den Jahresbescheid anhängig. Daraus folge die Aussetzung des Verfahrens gegen den Vorauszahlungsbescheid für Juni 1984 bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens gegen den Umsatzsteuerbescheid 1984. Darüber hinaus sei es sachgerecht, das gesamte Verfahren (auch zur Umsatzsteuer 1981 bis 1983) bis zu diesem Zeitpunkt auszusetzen.

Eine darüber hinausgehende Aussetzung -- etwa bis zum Abschluß des Verfahrens nach §163 AO 1977 oder bis zum Abschluß des EuGH-Verfahrens -- sei dagegen nicht gerechtfertigt.

Zwar ergebe eine Billigkeitsmaßnahme nach §163 AO 1977 einen Grundlagenbescheid für den betreffenden Steuerbescheid. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Januar 1989 IV R 87/87 (BFHE 155, 487, BStBl II 1990, 261) sei es grundsätzlich sachgerecht, ein Verfahren auszusetzen, wenn der Ausgang eines Billigkeitsverfahrens Einfluß auf den Inhalt eines Bescheids haben könne. Da Billigkeitsmaßnahmen gemäß §163 AO 1977 nicht darauf ausgerichtet seien, das im Einzelfall maßgebende materielle Steuerrecht erst festzulegen, sei für die Entscheidung nach §74 FGO der Ermessensspielraum nicht auf Null reduziert. Es komme vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, bei denen die Prozeßökonomie und die Beteiligungsinteressen abzuwägen seien (BFH-Beschluß vom 21. September 1994 IV B 95/93, BFH/NV 1995, 325).

Unter diesen Umständen sei es nicht gerechtfertigt, das bereits seit 1985 anhängige Verfahren bis zum Abschluß des Verfahrens zu dem erst im November 1995 gestellten Antrag nach §163 AO 1977, bei dem noch nicht einmal das Verwaltungsverfahren abgeschlossen sei, auszusetzen. Der Kläger habe die Zeit der Verfahrensruhe nicht genutzt, einen Interessenausgleich mit dem Ersteigerer herbeizuführen. Seine Interessen seien ausreichend dadurch geschützt, daß die Steuerbescheide im Fall einer ihm günstigen Billigkeitsentscheidung auch nach Bestandskraft entsprechend zu ändern wären.

Es sei auch nicht gerechtfertigt, das Verfahren bis zur EuGH-Entscheidung in der Rechtssache C-37/95 auszusetzen. Denn das Vorlageverfahren betreffe nicht die gleiche Rechtsfrage.

Mit der Beschwerde beantragt der Kläger sinngemäß, seinem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens im vollen Umfang stattzugeben. Ein ganz entscheidender Grund für die Aussetzung des Verfahrens ist nach seiner Ansicht, daß nur die Aussetzung sein Optionsrecht gemäß §9 UStG 1980 auch nach der Entscheidung über den Grundlagenbescheid sichere, nicht hingegen die Änderungsmöglichkeit nach §175 AO 1977. Die überlange Verfahrensdauer sei für sich genommen kein "besonderer Umstand" im Sinne der BFH-Rechtsprechung, auf die das FG die Ablehnung stütze. Im übrigen werde die Ablehnung des Erlaßantrags durch das FA aufgrund des BFH-Urteils vom 9. Januar 1997 IV R 5/96 (BFHE 182, 520, BStBl II 1997, 353) als nicht mehr haltbar angesehen. Entgegen dem angefochtenen Beschluß sei das EuGH-Verfahren für seinen, des Klägers, Fall einschlägig.

Das FA tritt der Beschwerde entgegen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Beschwerde des Klägers ist unbegründet.

Die Entscheidung des FG, die Aussetzung des Verfahrens nach §74 FGO bis zum Abschluß des Billigkeitverfahrens abzulehnen, läßt keinen Rechtsfehler erkennen. Der Kläger macht im wesentlichen Ausführungen zu Rechtsfragen, die für das beim FG anhängige Anfechtungsverfahren maßgeblich und in diesem zu klären sind. Das spricht gegen eine weitere Verfahrensaussetzung. Soweit es dem Kläger offenbar um Zeitgewinn zur Frage der Ausübung des Optionsrechts geht, verweist das FG ohne Rechtsverstoß darauf, daß der Kläger die lange Verfahrensdauer und die Zeit der Verfahrensruhe nicht zu der von ihm angestrebten Regelung mit dem Ersteigerer genutzt hat, falls sie überhaupt rechtlich in Betracht kommt. Die Erheblichkeit des Billigkeitsverfahrens als Grundlagenentscheidung für die geltend gemachten Rechtsfragen legt er im übrigen nicht weiter dar. Sein Vortrag macht auch nicht ersichtlich, inwieweit das BFH-Urteil in BFHE 182, 520, BStBl II 1997, 353 einen "gleichgelagerten Fall" betrifft. Eine Aussetzung des Verfahrens bis zum Abschluß des EuGH-Verfahrens in der Rechtssache C-37/95, Ghent Coal Terminal, erübrigt sich; denn dieses Verfahren wurde durch Urteil vom 15. Januar 1998 entschieden (veröffentlicht in Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht 1998, 95). Der Senat braucht nicht weiter darauf einzugehen, ob das Verfahren gleiche Rechtsfragen betrifft.

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen (vgl. BFH-Beschluß vom 4. August 1988 VIII B 83/87, BFHE 154, 15, BStBl II 1988, 947).

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 1253

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