Entscheidungsstichwort (Thema)

NZB -- abgelehnte Aussetzung des Klageverfahrens als Verfahrensmangel, Anforderung an die ordnungsgemäße Bezeichnung

 

Leitsatz (NV)

1. Der Antrag auf abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen erzeugt für sich noch keine Pflicht des Finanzgerichts zur Aussetzung des Klageverfahrens gegen den Steuerbescheid.

2. § 74 der Finanzgerichtsordnung räumt dem Finanzgericht hinsichtlich der Aussetzungsentscheidung ein Ermessen ein. Das FG muß bei seiner Entscheidung prozeßökonomische Gesichtspunkte einerseits und die Interessen der Beteiligten andererseits gegeneinander abwägen.

3. Die abgelehnte Aussetzung des Verfahrens ist nur dann als Verfahrensmangel ordnungsgemäß bezeichnet, wenn die Tatsachen, die die fehlerhafte Ermessensausübung durch das Finanzgericht ergeben, in der Beschwerdeschrift vollständig angegeben werden.

 

Normenkette

FGO §§ 74, 115 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 S. 3; AO 1977 § 163

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Erbin eines Heilpraktikers. Die Praxis sollte nach dem Tod des Praxisinhabers veräußert werden. Deswegen führte die Klägerin die Praxis bis zum Verkauf fort. Da der Klägerin die hierzu erforderliche Qualifikation nach dem Heilpraktikergesetz fehlte, war sie auf die Unterstützung durch einen Praxisvertreter angewiesen. Die Erlöse aus dem Praxisverkauf wurden von der Klägerin nicht der Umsatzsteuer unterworfen. Dagegen behandelte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) den Praxisverkauf als steuerpflichtig und erließ einen geänderten Umsatzsteuerbescheid 1987. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos.

Mit ihrer Klage machte die Klägerin u. a. geltend, die Steuerbefreiung der Umsätze aus dem Praxisverkauf könne nicht daran scheitern, daß sie die Praxis nach dem Tod ihres Ehemannes nicht stillgelegt, sondern bis zum Verkauf weiterbetrieben habe. Die Besteuerung des Praxisverkaufs eines Erben ohne entsprechende Berufsqualifikation führe im Vergleich zu dem Berufsträger, der die von ihm selbst betriebene Praxis verkaufe, zu einer willkürlichen Schlechterstellung, die zumindest im Billigkeitswege korrigiert werden müsse. In der mündlichen Verhandlung regte die Klägerin an, das Verfahren bis zur Entscheidung des FA über den zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung gestellten Erlaßantrag nach § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) auszusetzen.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus, die Befreiungsvorschrift des § 4 Nr. 28 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 mache die Steuerbefreiung davon abhängig, daß die gelieferten Gegenstände ausschließlich für eine steuerfreie Tätigkeit i. S. von § 4 Nr. 14 UStG 1980 verwendet worden sind. Die Klägerin erfülle diese Voraussetzungen nicht, da sie nicht Heilpraktikerin sei. Die nach dem Tod des Ehemannes erzielten Einkünfte beruhten nicht auf Umsätzen aus der Tätigkeit als Heilpraktiker, sondern seien Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Das Gericht habe davon absehen können, das Verfahren nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen, denn die Entscheidung in einem Billigkeitsverfahren könne keine materiell-rechtlichen Auswirkungen auf das Steuerfestsetzungsverfahren haben.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin, das FG sei von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. Juli 1994 XI R 90/92 (BFHE 176, 63, BStBl II 1995, 84) abgewichen, nach dem der Regelung des § 4 Nr. 14 UStG 1980 eine Bindung an die einkommensteuerrechtliche Qualifizierung der Einkünfte nicht entnommen werden könne. Außerdem macht die Klägerin als Verfahrensmangel geltend, das FG hätte nicht entscheiden dürfen, sondern das Verfahren bis zur Entscheidung über den gestellten Erlaßantrag aussetzen müssen.

Das FA hat sich zu der Beschwerde nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Der Senat kann unerörtert lassen, ob die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde den Anforderungen genügt, die von der Rechtsprechung für eine hinreichende Darlegung (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO) der Divergenz i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO aufgestellt worden sind (vgl. dazu Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 63 ff., m. w. N.).

Denn die von der Klägerin gerügte Abweichung liegt nicht vor. Das FG hat sich in seinem Urteil mit dem BFH-Urteil in BFHE 176, 63, BStBl II 1995, 84 auseinandergesetzt und hat dessen Grundsätze beachtet. Es hat darauf hingewiesen, nach den von dem BFH-Urteil aufgestellten Grundsätzen sei umsatzsteuerrechtlich für die Steuerbefreiung Voraussetzung, daß die Merkmale des Berufs und die Art der ausgeübten Tätigkeit den Erfordernissen des § 18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes entsprechen. Nicht erforderlich sei lediglich, daß die Einkünfte aus dieser Tätigkeit einkommensteuerrechtlich als Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit zu qualifizieren seien. Außerdem ist das FG aufgrund seiner Würdigung des Sachverhalts zu der Überzeugung gelangt, daß der Streitfall mit dem Sachverhalt im Fall des BFH-Urteils nicht vergleichbar sei. Während der BFH darüber zu entscheiden gehabt habe, ob eine gemischte Tätigkeit einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts aus Freiberuflern, die einkommensteuerrechtlich insgesamt als gewerbliche Tätigkeit angesehen werde, auch umsatzsteuerrechtlich zur Versagung der Steuerbefreiung führe, gehe es im Streitfall darum, welche Folgen sich aus dem Fehlen der Berufsqualifikation und damit der fehlenden freiberuflichen Tätigkeit überhaupt für die Umsatzbesteuerung ergeben.

Diese Würdigung des FG beruht nicht auf abweichenden Rechtsgrundsätzen. Sie ist auch nicht -- gestützt auf andere Zulassungsgründe -- wirksam angegriffen worden.

2. Die Revision kann nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zugelassen werden.

Der von der Klägerin gerügte Verfahrensfehler liegt nicht vor. Die Klägerin hat vorgetragen, das FG habe § 74 FGO dadurch verletzt, daß trotz eines laufenden Verfahrens nach § 163 AO 1977 das Klageverfahren nicht ausgesetzt worden sei. Die Ausführungen der Klägerin sind so zu verstehen, daß sie eine durch diese Sachlage statuierte Pflicht des FG zur Aussetzung annimmt.

Eine derartige Pflicht des FG zur Aussetzung besteht nicht. Der Senat hat mit Beschluß vom 4. Dezember 1987 V S 9/85 (BFH/NV 1988, 466, BStBl II 1988, 702) entschieden, daß eine Aussetzung des Verfahrens abzulehnen sein kann, obwohl der Verwaltungsakt über Billigkeitsmaßnahmen als Grundlagenbescheid für den Steuerbescheid anzusehen ist.

§ 74 FGO räumt dem FG hinsichtlich der Aussetzungsentscheidung ein Ermessen ein. Das FG muß bei seiner Entscheidung prozeßökonomische Gesichtspunkte einerseits und die Interessen der Beteiligten andererseits gegeneinander abwägen. Sprechen alle Erwägungen ausschließlich oder doch ganz überwiegend für die Aussetzung des Verfahrens, so ist das Ermessen des FG in dem Sinne auf Null reduziert, daß das Klageverfahren ausgesetzt werden muß (BFH-Urteil vom 18. Juli 1990 I R 12/90, BFHE 161, 409, BStBl II 1990, 986).

Verfahrensfehler bezüglich der Ermessensausübung durch das FG hat die Klägerin nicht gerügt. Insoweit entspricht die Beschwerdeschrift nicht den Erfordernissen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO. Denn die Tatsachen, die den Verfahrensmangel ergeben, sind so vollständig anzugeben, daß es dem Revisionsgericht möglich ist, allein anhand der Beschwerdeschrift zu prüfen, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die Behauptungen zutreffen. Dies ist im Hinblick auf fehlerhafte Ermessensausübung durch das FG nicht der Fall.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421321

BFH/NV 1996, 571

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