Entscheidungsstichwort (Thema)

Gründe für Revisionszulassung

 

Leitsatz (NV)

1. Divergenz als Grund für die Zulassung der Revision gegen ein Urteil wegen Geschäftsführerhaftung für Mineralöl- und Einfuhrumsatzsteuer.

2. Die Fragen, unter welchen Voraussetzungen einem Geschäftsführer grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann, und ob bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen ist, daß das Verschulden hinter dem anderer Haftender zurücktritt, sind nicht allgemein klärungsfähig und haben keine grundsätzliche Bedeutung.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 3

 

Tatbestand

Der Kläger war alleiniger Geschäftsführer der zur X-Gruppe gehörenden GmbH. Verfügungsbefugnis über deren Konten hatten (im Innenverhältnis) nur der Alleingesellschafter S und der steuerliche Betriebsleiter, Prokurist T. Als die X-Gruppe wirtschaftlich zusammenbrach, schuldete die GmbH rd. . . . Mio DM Mineralöl- und Einfuhrumsatzsteuer, entstanden durch Entnahmen aus ihren Mineralölsteuerlagern in den Monaten . . . Nachdem über das Vermögen der GmbH das Konkursverfahren eröffnet worden war, nahm das beklagte Hauptzollamt (HZA) den Kläger als Haftenden für die Steuerschulden in Anspruch. Die Haftungssumme wurde später auf zuletzt . . DM herabgesetzt. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) bejahte die Haftungsvoraussetzungen (§§ 69, 34 Abs. 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) und führte u. a. aus, der Kläger habe zumindest grob fahrlässig handelnd jegliche ernsthafte Kontrolle unterlassen und es damit S ermöglicht, der GmbH die Mittel zur Steuerzahlung zu entziehen. Mit den Pflichten des Geschäftsführers sei es grundsätzlich nicht vereinbar, wenn sich dieser - wie der Kläger - jeder Verfügungsmacht über die Finanzkonten der Gesellschaft begebe. Eine Einschränkung der Pflichtverletzung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der anteiligen Tilgung scheide aus, denn dieser Grundsatz sei nur anzuwenden, wenn der Umstand, daß nur noch begrenzte Mittel vorhanden seien, nicht auf ein (hier vorliegendes) schuldhaftes Verhalten des Geschäftsführers zurückzuführen sei. Die Ermessensentscheidung des HZA sei nicht zu beanstanden; dieses habe den Kläger, S und T wegen Uneinbringlichkeit der Steuerforderung in Anspruch genommen. Die Inanspruchnahme des Klägers sei um so weniger ermessensfehlerhaft, als bereits bei Erlaß des Haftungsbescheides abzusehen gewesen sei, daß die Forderung bei S nicht realisiert werden könnte (Konkurseröffnung über das Privatvermögen S). Eine Verletzung des Auswahlermessens liege nicht vor, S und T seien in voller Höhe in Anspruch genommen worden. Der Umstand, daß der Haftungsbescheid gegen T erst am . . . ergangen sei und die Entscheidung über den Einspruch des Klägers keinen Hinweis auf die Inhaftungnahme des T enthalte, mache die Inanspruchnahme des Klägers noch nicht ermessensfehlerhaft.

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision beruft der Kläger sich auf Divergenz und grundsätzliche Bedeutung.

Eine Abweichung sei zunächst gegenüber dem Senatsurteil vom 8. November 1988 VII R 141/85 (BFHE 155, 243, BStBl II 1989, 219) gegeben, und zwar insoweit, als das FG hinsichtlich des Auswahlermessens im Widerspruch zu dieser Entscheidung nur auf das Verhältnis zum Steuerschuldner (GmbH), nicht auf das zu anderen Haftungsschuldnern (S und T) abstelle. Dasselbe gelte, soweit das FG es für ausreichend erachte, daß sich Ausführungen zur Ermessensausübung wenigstens mittelbar ,,aus den Akten" ergäben. In Abweichung von dem Senatsurteil vom 9. November 1982 VII R 4/82 (BFH/NV 1986, 261) sei das FG von einer Pflicht des Geschäftsführers einer GmbH als Mineralölsteuerlagerinhaberin ausgegangen, für das Vorhandensein von Mitteln zur Entrichtung fälliger Mineralölsteuer für Lagerentnahmen zu sorgen. Schließlich setze sich das FG mit dem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsatz der anteiligen Tilgung nicht auseinander.

Grundsätzliche Bedeutung ,,für die Mineralölbranche" mißt der Kläger der Rechtsfrage bei, ob ein Haftungsbescheid ohne eine in ihm oder der Einspruchsentscheidung enthaltene (Ermessens-)Begründung formell rechtswidrig sei, und ob die Begründung ggf. durch ,,Notizen in den Verwaltungsakten oder mittelbaren Hinweisen darin" ersetzt werden könne. Grundsätzliche Bedeutung hätte auch die Frage, ob dem Geschäftsführer die Nichtentrichtung einer einzigen fälligen Mineralölsteuerschuld vorgeworfen werden könne, wenn seit langem ein von der Verwaltung als alleiniger Verhandlungspartner behandelter steuerlicher Beauftragter (§ 214 AO 1977) bestellt und die Steuer sonst rechtzeitig beglichen worden sei. Dasselbe gelte für die weitere Frage, ob für die Ermessensentscheidung über die Inhaftungnahme ein im Vergleich zu anderen Haftenden erheblich geringeres Verschulden entscheidend sei.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist nicht gegeben.

1. Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) liegt nicht vor.

a) Soweit eine Abweichung der Vorentscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Grundsatz der anteiligen Tilgung vorliegen soll, ist das Bezeichnungserfordernis (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO; dazu Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl. 1987, § 115 Anm. 63) nicht erfüllt. Der Kläger rügt lediglich, das FG habe sich offensichtlich mit diesem Grundsatz nicht auseinandergesetzt; einen abstrakten Rechtssatz der Vorentscheidung, der mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht in Einklang stände, hat die Beschwerde nicht dargetan. Im übrigen ergibt sich aus der Vorentscheidung, daß das FG von dem vorbezeichneten Rechtsgrundsatz ausgegangen ist und lediglich ausgesprochen hat, er finde dann keine Anwendung, wenn der Umstand, daß nur noch begrenzte Mittel vorhanden seien, auf ein schuldhaftes Verhalten des Geschäftsführers zurückzuführen sei (vgl. insoweit Bundesfinanzhof, Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, 448, BStBl II 1984, 776 - Nr. 3 a -).

b) Eine Divergenz zu dem Urteil in BFHE 155, 243 liegt nicht vor. Das FG hat nicht etwa - abweichend von der höchstrichterlichen Rechtsprechung - entschieden, daß im Haftungsbescheid bzw. in der Einspruchsentscheidung hinsichtlich des Auswahlermessens nicht zum Ausdruck zu gelangen brauche, aus welchem Grunde der Haftungsschuldner anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch genommen werde. Die Vorinstanz ist vielmehr davon ausgegangen, daß das HZA nach der Begründung seines Haftungsbescheides andere Gesamtschuldner nicht verschonen wollte, es die Inanspruchnahme des Alleingesellschafters S sogar deutlich gemacht hat. Wenn das FG es für unschädlich gehalten hat, daß in der Einspruchsentscheidung nicht auf die Inanspruchnahme eines weiteren Dritten - des Prokuristen T - hingewiesen worden ist, so liegt darin gleichfalls keine Abweichung von dem vorbezeichneten Senatsurteil, das lediglich Ausführungen für den Fall der Nichtinanspruchnahme Dritter fordert. Mit diesem Urteil zumindest nicht in Widerspruch steht auch die (die Vorentscheidung übrigens ersichtlich nicht tragende) Auffassung, es genüge, wenn sich Erwägungen zur Ermessensausübung den Verwaltungsakten - d. h. den angefochtenen Bescheiden - mittelbar entnehmen ließen (vgl. Senat, a. a. O., Nr. 2).

c) Auch von dem Urteil in BFH/NV 1986, 261 weicht die Vorentscheidung nicht ab. Es kann dahinstehen, ob der in dem vorbezeichneten Senatsurteil enthaltene Rechtssatz - keine Pflicht des Geschäftsführers einer GmbH mit Mineralölsteuerlager sicherzustellen, daß bei Fälligkeit der Mineralölsteuer für Lagerentnahmen Mittel zur Verfügung stehen - noch divergenzbegründend sein kann (vgl. die neueren Senatsurteile vom 4. März 1986 VII R 38/81, BFHE 146, 336, 339, BStBl II 1986, 577, und vom 21. Februar 1989 VII R 165/85, BFHE 156, 46, 48, BStBl II 1989, 491). Jedenfalls hat das FG keine derartige Pflichtverletzung angenommen, sondern die Pflichtwidrigkeit des Handelns des Klägers darin erblickt, daß dieser keinerlei Kontrollen ausgeübt und unter dem Einfluß des Alleingesellschafters die Verfügung über die Konten der GmbH aus der Hand gegeben habe (dies lediglich mit der Folge, daß bei Fälligkeit Mittel aus den erheblichen Umsätzen im . . . zur Entrichtung der Steuer nicht zur Verfügung standen). Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch zu dem Urteil in BFH/NV 1986, 261.

2. Die Sache hat auch keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Nicht klärungsbedürftig, weil durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bereits hinreichend geklärt, ist die Frage, welche formellen Anforderungen an die Ermessensentscheidung bei der Inhaftungnahme zu stellen sind (vgl. außer BFHE 155, 243 etwa auch Senat, Urteil vom 29. September 1987 VII R 54/84, BFHE 151, 111, 113, BStBl II 1988, 176). Im Hinblick auf die gesetzlichen Pflichten eines Geschäftsführers bedarf es auch nicht der Klärung, ob es den Geschäftsführer entlasten kann, wenn ein steuerlicher Beauftragter bestellt worden war und dieser die steuerlichen Verhandlungen geführt hat.

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen einem Geschäftsführer grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann, läßt sich nicht generell, sondern nur im jeweiligen Einzelfall entscheiden; sie ist nicht - allgemein - klärungsfähig. Dasselbe gilt für die Frage, ob bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen ist, daß das Verschulden hinter dem anderer Haftender zurücktritt. Es ist eindeutig, daß bei Erfüllung des Haftungstatbestandes (auch in subjektiver Hinsicht) eine Haftung in Betracht kommt; ob etwa eine Auswahlermessensentscheidung gegen den grob fahrlässig Handelnden im Hinblick auf vorsätzliche Pflichtverletzungen anderer Haftender ausnahmsweise zu beanstanden wäre, kann nur einzelfallbezogen entschieden werden (zur Berücksichtigung besonderer Umstände bei der Ausübung des Auswahlermessens etwa Senat, Urteil vom 29. Mai 1990 VII R 85/89, BFHE 161, 486, 489, BStBl II 1990, 1008).

 

Fundstellen

Haufe-Index 417765

BFH/NV 1992, 178

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