Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung Berufsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Steuerbevollmächtigter, den das FG als Vertreter zurückweist, kann gegen die zurückweisende Verfügung im eigenen Namen Beschwerde beim BFH einlegen.

Nach § 62 Abs. 2 FGO in Verbindung mit § 107 Abs. 3 AO in der ab 1. Januar 1966 geltenden Fassung kann das FG einen Steuerbevollmächtigten nicht von der Vertretung eines Steuerpflichtigen zurückweisen, weil es ihn für ungeeignet hält.

 

Normenkette

FGO § 62 Abs. 2; AO § 107 Abs. 3; StBerG §§ 14, 46-47

 

Tatbestand

Bei dem Finanzgericht (FG) ist eine Klage anhängig, mit der sich der Steuerpflichtige (Stpfl.) gegen die Nachforderung von Lohnsteuer wehrt, die der Stpfl. nach Ansicht des Finanzamts (FA) hätte einbehalten müssen oder einbehalten, aber nicht abgeführt hat. In diesem Klageverfahren wird der Stpfl. von seinem Bruder vertreten der bis zum Jahre 1953 Steuerinspektor war und, nachdem er wegen Krankheit aus dem Dienst ausgeschieden war, als Helfer in Steuersachen zugelassen wurde und heute Steuerbevollmächtigter ist.

Vom Stpfl. war schon früher nach einer Fahndungsprüfung Lohnsteuer mit rd. 71.000 DM nachgefordert worden. Im Verlauf des damaligen Berufungsverfahrens wurde der Bruder des Stpfl. von dem Vorsitzenden des FG als Bevollmächtigter des Stpfl. zurückgewiesen, weil er zur Prozeßführung ungeeignet sei, da er die streitigen Steuerbeträge veruntreut habe und deshalb dem Stpfl. schadensersatzpflichtig sei. Unter diesen Umständen sei sein eigenes Interesse an einem für den Stpfl. günstigen Ausgang des Berufungsverfahrens so groß, daß er den Prozeß nicht objektiv führen könne. Der Bruder trat daraufhin mit Zustimmung des FG nur als Beistand des Stpfl. auf.

In dem jetzt schwebenden Klageverfahren sandte der Vorsitzende dem Stpfl. das folgende Schreiben:

"Nach der am 1. 1. 1966 in Kraft getretenen FGO bedarf es für die Bestellung eines Prozeßbevollmächtigten einer schriftlichen Vollmachterteilung (§ 62 Abs. 3 FGO). Ihr Bruder kann also nicht von sich aus erklären, er führe diesen Steuerprozeß für Sie als Ihr Bevollmächtigter.

Wenn Sie demgemäß Ihrem Bruder noch eine Vollmacht zu erteilen beabsichtigen, so erinnern Sie sich zweckmäßigerweise daran, daß das FG in dem früheren Prozeß Ihren Bruder, der ausdrücklich zugegeben hatte, die damals umstrittenen Steuerbeträge in Höhe von mindestens 130.000 DM zu Ihrem Nachteil unterschlagen zu haben, als Bevollmächtigten zurückgewiesen hat. Mit einer entsprechenden Maßnahme müssen Sie auch jetzt rechnen, weshalb ich Ihnen empfehle, auf eine Prozeßvertretung durch Ihren Bruder zu verzichten. Das FG hatte aus den seinerzeit beigezogenen Strafakten usw. festgestellt, daß gegen Ihren Bruder wegen der eingestandenen Unterschlagungen ein Strafverfahren und im Zusammenhang damit und aus anderen Gründen auch ein Verfahren mit dem Ziele der Entziehung seiner Zulassung als Steuerbevollmächtigter anhängig war, welch beide Verfahren nur im Hinblick auf den damals schlechten Gesundheitszustand Ihres Bruders noch nicht zum Abschluß gekommen waren. Ich lasse zunächst dahingestellt, ob Ihr Bruder noch als Steuerbevollmächtigter zugelassen ist. Als Ihren Bevollmächtigten werde ich ihn jedenfalls so lange zurückweisen, als er nicht von dem Vorwurf der seinerzeit selbst eingestandenen Unterschlagung ausdrücklich rehabilitiert worden ist. Solange ich davon ausgehen muß, daß er Ihre Steuerbeträge unterschlagen hat, muß ich auch davon ausgehen, daß er Ihnen zum Schadensersatz verpflichtet ist, ohne diesen tatsächlich leisten zu können. Wenn er auf Grund Ihrer Vollmacht sich bemüht, Sie - im wirtschaftlichen Ergebnis zu seiner eigenen Entlastung - von einer in der Sache berechtigten Nachforderung des FA freizustellen, so verstößt eine derartige Vollmacht eindeutig gegen die guten Sitten und ist demgemäß nach § 138 BGB nichtig. Eine nichtige Vollmacht kann und darf das FG nicht berücksichtigen."

Auf dieses Schreiben antwortete der Bruder des Stpfl., er sei noch als Steuerbevollmächtigter zugelassen. Infolgedessen könne er unbeschränkt vor dem FG auftreten, zumal die Strafverfolgung inzwischen verjährt sei.

Nunmehr erließ das FG den Beschluß: "Dem Kläger wird aufgegeben, einen Prozeßbevollmächtigten zu bestellen, der nicht mit seinem Bruder identisch ist." In der Begründung führte es aus: Wegen der eingestandenen Veruntreuungen würde die Prozeßführung des Bruders möglicherweise sogar ein neuer Versuch einer Steuerhinterziehung werden. Das Sittenwidrige, wenn nicht sogar Rechtswidrige seiner Prozeßführung liege darin, daß sich der Stpfl. eines Bevollmächtigten bediene, der wegen seiner eigenen kriminellen Beteiligung an dem dem Prozeß zugrunde liegenden Sachverhalt gar nicht zu einer objektiven Mitwirkung fähig sei. Es sei jedenfalls dem Gericht nicht zuzumuten, sich auf Prozeßhandlungen eines derartigen Bevollmächtigten einzulassen. Darum sei dem Stpfl. aufzugeben, einen anderen Bevollmächtigten zu bestellen.

Mit der Beschwerde wendet sich der bevollmächtigte Bruder gegen diesen Beschluß. Die ihm vom Stpfl. erteilte Vollmacht hat er inzwischen nachgereicht. Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde muß zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führen.

Beschlüsse des FG sind mit der Beschwerde angreifbar (§ 128 Abs. 1 FGO). Ein Fall, in dem die Anfechtung kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, liegt nicht vor, insbesondere ist die angefochtene Verfügung nicht bloß eine "prozessleitende Verfügung" im Sinne von § 128 Abs. 2 FGO. Da durch den Beschluß nicht bloß der Stpfl., sondern auch der bevollmächtigte Bruder beschwert ist, kann auch er den Beschluß angreifen.

Die Gründe des FG rechtfertigen nach dem Gesetz nicht, den Bruder als Prozeßbevollmächtigten zurückzuweisen. Seit 1. Januar 1966 kann ein zugelassener Steuerbevollmächtigter vor den FGen allgemein auftreten (§ 62 Abs. 2 FGO in Verbindung mit § 107 Abs. 3 AO n. F.). Nach § 62 Abs. 2 FGO kann das FG zwar einen Bevollmächtigten zurückweisen, dem die Fähigkeit zum geeigneten schriftlichen oder mündlichen Vortrag fehlt. Dies gilt aber nicht für zugelassene Steuerbevollmächtigte (vgl. Ziemer-Birkholz, Finanzgerichtsordnung, Randnummern 1 und 21 ff, zu § 62; Barske- Woerner, Finanzgerichtsordnung, S. 27/28), die das Recht zum Auftreten vor den Steuergerichten nur durch "Zurücknahme der Bestellung" (§ 14 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten - StBerG - vom 16. August 1961) oder durch "Ausschließung aus dem Berufe" (§ 47 StBerG) verlieren. Die Entscheidung über diese Maßnahmen hat der Gesetzgeber nicht den Steuergerichten zugewiesen, sondern den Verwaltungsbehörden (§ 14 Abs. 3 StBerG) oder der Berufsgerichtsbarkeit (§§ 46 ff. StBerG).

Die Strafgerichte können zwar einen Rechtsanwalt ausnahmsweise als Verteidiger zurückweisen, wenn er an der Straftat, die seinem Mandanten zur Last gelegt wird, selbst beteiligt ist (Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Bd. 53 S. 17), weil der Verteidiger ein "öffentliches Organ der Strafrechtspflege" ist. Mit der Stellung eines Strafverteidigers ist aber die Stellung eines Bevollmächtigten im Steuerprozeß nicht zu vergleichen. Mögen auch den Steuerprozeßbevollmächtigten (Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Steuerbevollmächtigten) bestimmte Berufspflichten auferlegt sein, so sind sie doch im Rahmen der für alle geltenden Gesetze in erster Linie Vertreter der Interessen ihrer Auftraggeber gegenüber dem Steuergläubigern. Allein die Tatsache, daß der Bevollmächtigte an dem Ausgang des für seinen Auftraggeber geführten Steuerprozesses interessiert ist, macht seine Mitwirkung in dem Steuerprozeß nicht unzulässig, vor allem wenn der Auftraggeber ihn trotz Kenntnis dieser Tatsache berufen hat, seine Interessen zu vertreten. Aus eben diesem Grunde kann die Vertretung des Stpfl. durch seinen Bruder auch nicht als sittenwidrig angesehen werden, ganz abgesehen davon, daß es ohnehin zweifelhaft ist, ob allein die Gefahr, daß der Bruder den Prozeß nicht objektiv führen wird, eine derartige Annahme rechtfertigen kann. Selbst wenn der Bruder wegen seiner Mittäterschaft an der Steuerhinterziehung als Beteiligter (Mithaftender) hinzugezogen würde, so würde das nicht ausschließen, daß der Stpfl. sich durch ihn vertreten läßt. Das FG wird allerdings den Vortrag eines so interessierten Prozeßbevollmächtigten mit besonderer Vorsicht werten können.

Das FG hat bisher nicht geprüft, ob gegen den Bruder ein Verfahren auf Entziehung der Zulassung als Steuerbevollmächtigter schwebt oder ob ihm gar die Zulassung bereits entzogen ist. Es hat nunmehr entsprechende Feststellungen zu treffen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412537

BStBl III 1967, 295

BFHE 1967, 79

BFHE 88, 79

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