Leitsatz (amtlich)

Einer Beschwerde darf das FG durch Aufhebung des angefochtenen und Erlaß eines neuen Beschlusses mit dem gleichen Tenor nur abhelfen, wenn die Beschwerde "begründet", d.h. der angefochtene Beschluß mit solchen Mängeln behaftet ist, daß er nicht aufrechterhalten werden kann. Eine solche Abhilfe ist dagegen nicht zulässig, wenn die Begründung des angefochtenen Beschlusses nur verbessert oder ergänzt werden soll.

 

Orientierungssatz

1. NVS: Für Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit einer Milch-Referenzmengenfestsetzung durch das HZA ist der Finanzrechtsweg gegeben. Begehrt ein Milcherzeuger, im Wege vorläufigen Rechtsschutzes eine höhere Referenzmenge festzusetzen, so ist dieser Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren (vgl. BFH-Beschluß vom 17.12.1985 VII B 116/85).

2. NVS: Die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts (hier: Milch-Referenzmengenfestsetzung) wegen unbilliger Härte ist nur zulässig, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts nicht ausgeschlossen werden können (BFH).

3. NV: Der Streitwert im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung eines Milch-Referenzmengen-Feststellungsbescheides beträgt im Regelfall 10 v.H. des in Frage stehenden Abgabenbetrages.

4. NV: Hat das FG einer Beschwerde dadurch abgeholfen, daß es den angefochtenen Beschluß aufgehoben und einen neuen Beschluß mit gleichem Tenor erlassen hatte, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben waren, und hat der BFH auf eine weitere Beschwerde diesen FG-Beschluß aufgehoben, ist es angemessen, den Streitwert dieses Verfahrens auf 1 000 DM festzusetzen, wenn die Aufhebung dieses Beschlusses für den Beschwerdeführer materiell-rechtlich keinen Vorteil darstellte.

 

Normenkette

FGO § 130 Abs. 1, § 33 Abs. 1 Nr. 4, § 69 Abs. 2 S. 4; MilchGarMV § 10 Abs. 3; FGO § 155; ZPO § 3; GKG § 13 Abs. 1 Fassung: 1975-12-15, § 25 Abs. 1 Fassung: 1975-12-15

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) beantragte beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung der Festsetzung einer Anlieferungs-Referenzmenge --sog. Milchquote-- nach der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGVO). Das FG wies mit Beschluß vom 22.Juli 1985 den Antrag mit der Begründung ab, er sei nicht statthaft, da es an einem aussetzbaren Verwaltungsakt fehle. Auf die Beschwerde des Antragstellers half das FG der Beschwerde durch Beschluß vom 16.August 1985 IV 133/85 S-H (vgl. den entsprechenden Beschluß des FG in einem Parallelverfahren in Entscheidungen der Finanzgerichte 1986, 31) ab, indem es den Beschluß vom 22.Juli 1985 aufhob und erneut entschied, der Antrag werde zurückgewiesen. Zur Begründung führte es aus, es sei nach § 130 Abs.1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu einer solchen Verfahrensweise befugt. Die erneute Zurückweisung des Antrags begründete das FG wiederum damit, es fehle an einem aussetzbaren Verwaltungsakt. Es ergänzte die Begründung mit dem Hinweis, auch die widerspruchslose Entgegennahme der Mitteilung der Molkerei nach § 4 Abs.5 MGVO durch den Antragsgegner und Beschwerdegegner (Hauptzollamt --HZA--) sei kein Verwaltungsakt; im übrigen wäre der Antrag auch dann nicht statthaft gewesen, wenn man von der Existenz eines Verwaltungsaktes hätte ausgehen müssen. Seine erneute Beschwerde begründete der Antragsteller damit, das FG sei nicht befugt gewesen, den Beschluß vom 16.Juli 1985 aufzuheben, ein Verwaltungsakt liege vor und die Voraussetzungen des § 69 Abs.2 und 3 FGO seien erfüllt. Das FG half dieser Beschwerde nicht ab.

 

Entscheidungsgründe

Die angefochtene Entscheidung vom 16.August 1985 verletzt § 130 FGO, soweit durch sie der Beschluß des FG vom 22.Juli 1985 aufgehoben worden ist. Sie ist daher insoweit aufzuheben.

Das FG hat nach § 130 Abs.1 FGO einer Beschwerde abzuhelfen, soweit es sie für "begründet" hält. Begründet in diesem Sinne ist eine Beschwerde, wenn der angefochtene Beschluß mit solchen Mängeln behaftet ist, daß er nicht aufrechterhalten werden kann. Das ist dann der Fall, wenn sich die Entscheidungsformel als unrichtig erweist oder das Verfahren, das zur Entscheidung geführt hat, an wesentlichen Mängeln leidet, insbesondere an Mängeln i.S. des § 119 FGO, bei deren Vorliegen unterstellt wird, daß die Entscheidung auf diesem Mangel beruht. Dagegen ist eine durch Beschwerde angefochtene Entscheidung nicht schon dann "begründet" i.S. des § 130 Abs.1 FGO, wenn einzelne Argumente der Beschwerdebegründung gegen die Gründe der angefochtenen Entscheidung zutreffend sind oder das FG der Meinung ist, die Begründung seiner Entscheidung müsse verbessert oder ergänzt werden.

Allein eine solche "Nachbesserung" der Gründe seines Beschlusses vom 22.Juli 1985 hat das FG im vorliegenden Fall mit seinem Beschluß vom 16.August 1985 vorgenommen. Es hat die wesentliche Begründung des ersten Beschlusses aufrechterhalten und diese lediglich ergänzt. Aus den Gründen des zweiten Beschlusses ergibt sich, daß das FG nicht etwa seinen ersten Beschluß für unbegründet i.S. des § 130 Abs.1 FGO gehalten hat, sondern daß es im Gegenteil der Meinung war, seine Begründetheit lasse sich durch weitere Argumente stützen.

Zu Unrecht beruft sich das FG auf den Beschluß des erkennenden Senats vom 30.März 1976 VII B 105/75 (BFHE 119, 122, BStBl II 1976, 595). Dieser Beschluß betraf einen Fall, in dem die Beschwerde deswegen begründet war, weil das FG der Antragstellerin das rechtliche Gehör versagt hatte und die angefochtene Entscheidung des FG daher zu Unrecht ergangen war, das FG aber, nachdem sich die Antragstellerin Gehör verschafft hatte, seine Entscheidung unter einem neuen Gesichtspunkt für richtig hielt. Die Erkenntnis des Senats, daß in einem solchen Fall das FG nach § 130 Abs.1 FGO berechtigt ist, eine neue Entscheidung mit neuer Begründung zu erlassen, ist, wie sich aus den Gründen seines Beschlusses deutlich ergibt, allein auf diesen Fall abgestellt. Daß dieser Beschluß nicht ohne weiteres verallgemeinert werden kann, hat der Senat überdies auch in den beiden späteren vom FG zitierten Entscheidungen deutlich gemacht (Beschlüsse vom 30.November 1976 VII B 1/75, BFHE 120, 460, BStBl II 1977, 164, und vom 2.Februar 1977 VII B 13/75, BFHE 121, 167, BStBl II 1977, 331).

Das FG kann sich nicht mit Erfolg auf Stimmen im Schrifttum zu der dem § 130 FGO entsprechenden Vorschrift des § 571 der Zivilprozeßordnung (ZPO) berufen. Im Schrifttum wird --übereinstimmend mit dem Beschluß in BFHE 119, 122, BStBl II 1976, 595-- teilweise die Auffassung vertreten, daß das Gericht der Beschwerde durch Erlaß eines neuen Beschlusses mit Gründen abhelfen kann, wenn es den angefochtenen Beschluß im Ergebnis für richtig hält, aber aus einem anderen Grund, als in ihm dargelegt (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 13.Aufl., § 571 Anm.1 c; Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 44.Aufl., § 571 Anm.1 A; Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 20.Aufl., § 571 Anm.6; Rosenberg/Schwab, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 13.Aufl., § 149 ZPO IV 1; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2.Aufl., § 105 ZPO III 1). Es ergibt sich jedoch aus dem angeführten Schrifttum auch, daß das --entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift-- nur gilt, wenn das Gericht die Beschwerde für begründet erachtet (vgl. insbesondere Rosenberg/Schwab, a.a.O.). Dies trifft aber, wie dargelegt, nicht schon dann zu, wenn das Gericht allein die Begründung seiner Entscheidung für teilweise nicht richtig und für verbesserungs- oder ergänzungsbedürftig hält.

++/ Da die Beschwerde des Antragstellers hinsichtlich des Beschlusses vom 16.August 1985 Erfolg hatte, waren die Kosten dieses Verfahrens dem HZA aufzuerlegen (§ 135 Abs.1 FGO). Im Hinblick darauf, daß die Aufhebung dieses Beschlusses für den Antragsteller materiell-rechtlich keinen Vorteil darstellt, hält es der Senat für angemessen, den Streitwert dieses Beschwerdeverfahrens auf 1 000 DM festzusetzen (§ 13 Abs.1, § 25 Abs.1 des Gerichtskostengesetzes --GKG--). /++

Da der Beschluß vom 16.August 1985 aufgehoben worden ist, besteht der Beschluß vom 22.Juli 1985 weiter. Auch gegen diesen Beschluß hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt. Dieser Beschwerde hat das FG im Ergebnis nicht abgeholfen, wie dem (aufgehobenen) Beschluß vom 16.August 1985 im Zusammenhang mit dem diesen Beschluß betreffenden Nichtabhilfebeschluß des FG vom 3.September 1985 zu entnehmen ist. Die Besonderheiten des Falles rechtfertigen die Annahme, daß hinsichtlich der Beschwerde gegen den Beschluß vom 22.Juli 1985 zugleich ein Nichtabhilfebeschluß ergangen und daß auch insoweit eine Vorlage an den Bundesfinanzhof (BFH) i.S. des § 130 Abs.1 FGO gegeben ist. Ein anderes Ergebnis erscheint auch im Interesse der Prozeßökonomie nicht vertretbar.

Die Beschwerde gegen den Beschluß des FG vom 22.Juli 1985 ist nicht begründet. Das FG hat den Antrag des Antragstellers, die Vollziehung der streitigen Referenzmengen-Feststellung auszusetzen, im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

++/ Der Antragsteller begehrt sinngemäß, die Vollziehung der Referenzmengen-Feststellung auszusetzen und auszusprechen, daß das HZA bei der Festsetzung der Abgabe nach der MGVO vorläufig von einer Referenzmenge auszugehen habe, die die festgestellte Referenzmenge um 40 757 kg übersteigt. Für ein solches Begehren ist der Finanzrechtsweg gegeben. Auch ist grundsätzlich richtig, daß dem Antragsteller, falls die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind, vorläufiger Rechtsschutz im Wege der Aussetzung der Vollziehung zu gewähren ist (vgl. Beschluß des Senats vom 17.Dezember 1985 VII B 116/85, BFHE 145, 289). Dieser Antrag ist jedoch unbegründet. Es bestehen weder ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Referenzmengen-Feststellung noch liegt eine unbillige Härte i.S. des § 69 Abs.2 und 3 FGO vor.

Der Antragsteller begehrt, daß bei der Referenzmengen-Feststellung die aufgrund eines Pachtvertrages auf ihn angeblich nach § 7 MGVO übergegangene Referenzmenge berücksichtigt wird. Das HZA ist nach den § 9 Abs.2 Nr.3, § 10 Abs.3 MGVO dazu aber nur befugt, wenn ihm eine entsprechende Bescheinigung der zuständigen Landesstelle vorgelegt wird (vgl. den zitierten Senatsbeschluß). Eine solche Bescheinigung liegt aber unstreitig nicht vor. Die Rechtmäßigkeit der Referenzmengen-Feststellung ohne Berücksichtigung der genannten Menge ist also nicht zweifelhaft. Dem Antragsteller bleibt es unbenommen, vorläufigen Rechtsschutz insoweit vor dem VG zu suchen (vgl. den zitierten Senatsbeschluß).

Die Vollziehung der Referenzmengen-Feststellung hat auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge. Die Härten, die die gemeinschaftsrechtliche und nationale Milchquotenregelung für die Milcherzeuger unzweifelhaft mit sich bringen, sind, wie das HZA zu Recht ausgeführt hat, von den Normgebern im Interesse der Sanierung des Marktes für Milch und Milcherzeugnisse bewußt in Kauf genommen worden. Außerdem ist die Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte ohnehin nur zulässig, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht ausgeschlossen werden können (vgl. BFH-Beschluß vom 19.April 1968 IV B 3/66, BFHE 92, 314, BStBl II 1968, 539); diese Voraussetzung ist hier aber, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, nicht gegeben.

Mit Recht hat das FG auch entschieden, daß, soweit der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung der Abgabenfestsetzung begehrt, sich sein Antrag gegen ein unzuständiges HZA richtet. Zuständig ist allein das HZA Hamburg-Jonas (§ 2 Abs.2 MGVO). Der Antragsteller hat hierzu nichts Neues vorgetragen.

Der Hinweis des Antragstellers, er habe mit Schreiben vom 26.März 1985 an das HZA mit dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gleichzeitig den Hilfsantrag gestellt, ihm Stundung zu gewähren, kann zu keiner anderen Entscheidung führen. Diese Frage hat der Antragsteller nicht zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht.

Da der Antrag jedenfalls aus diesen Gründen keinen Erfolg haben kann, braucht der Senat auf die --in seiner Hauptbegründung durch das FG verneinte-- Frage nicht näher einzugehen, ob in der Entgegennahme der Mitteilung der Molkerei nach § 4 Abs.5 MGVO durch das HZA ein die Feststellung der Referenzmenge umfassender Verwaltungsakt liegt (vgl. BFHE 142, 534, BStBl II 1985, 258; Senatsbeschluß vom 16.Juli 1985 VII B 53/85, BFHE 143, 523, BStBl II 1985, 553). Dies gilt um so mehr, als das HZA im vorliegenden Fall durch seine die Aussetzung der Vollziehung ablehnende Entscheidung vom 5.Juni 1985 deutlich gemacht hat, daß es von der Existenz eines der Mitteilung der Milchzentrale vom 30.Juni 1985 inhaltlich entsprechenden Verwaltungsakts mit unmittelbarer Rechtswirkung gegenüber dem Antragsteller ausging.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs.2 FGO. Bei der Streitwertfestsetzung ist der Senat davon ausgegangen, daß es sich um ein Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung handelt, bei dem der Streitwert im Regelfall auf 10 v.H. des in Frage stehenden Abgabenbetrages festzusetzen ist. Für die Zeit vom 2.April 1984 bis 31.März 1985 ist vom Antragsteller eine Abgabe nach der MGVO in Höhe von 20 181,04 DM gefordert worden. Der Senat hält es daher für angemessen, den Streitwert dieses Beschwerdeverfahrens auf 2 018 DM festzusetzen (§ 13 Abs.1, § 25 Abs.1 GKG). /++

 

Fundstellen

BStBl II 1986, 413

BFHE 145, 574

BFHE 1986, 574

BB 1986, 793-793 (ST)

DB 1986, 1160-1160 (ST)

DStR 1986, 334-335 (ST)

HFR 1986, 306-307 (ST)

StRK, R.13 (LT)

BayVBl 1986, 507-507 (LT1)

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