Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen Nichtgewährung einer Milchquote

 

Leitsatz (NV)

1. Es ist zweifelhaft, ob Rechtsschutz gegen einen negativen Referenzmengen-Feststellungsbescheid durch Aussetzung der Vollziehung oder durch einstweilige Anordnung zu gewähren ist. Der Antrag kann jedenfalls keinen Erfolg haben, wenn er mit dem Vorliegen der Voraussetzungen für einen Härtefall (Nichtvermarkter) begründet wird.

2. In der stillschweigenden Entgegennahme der Mitteilung der Molkerei, sie habe die Referenzmenge des Milcherzeugers auf null Kilogramm berechnet, liegt ein Feststellungsbescheid des HZA, durch den die Referenzmenge entsprechend hoheitlich festgestellt wird.

3. Die Milch-Garantiemengen-Verordnung begründet keine Zuständigkeit der Landesverwaltungen. Sie ist nicht wegen Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 2 GG nichtig.

 

Normenkette

MGVO §§ 2, 4, 6, 9-10; FGO §§ 69, 114; GG Art. 80 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) ist Landwirt. Auf seinen Antrag vom 23. Dezember 1977 erhielt er eine Prämie für die Nichtvermarktung von Milch und Milcherzeugnissen für die Dauer von fünf Jahren. Während dieses Zeitraums tätigte der Antragsteller im Hinblick auf die Wiederaufnahme der Milchproduktion verschiedene Investitionen. Die Molkerei X. setzte die Anlieferungs-Referenzmenge nach § 4 der Milch-Garantiemengen-Verordnung (MGVO) mit Schreiben vom 4. September 1984 auf null Kilogramm fest. Den Antrag des Antragstellers auf Bescheinigung eines Härtefalls (vgl. § 9 Abs. 2 MGVO) lehnte das Amt für Landwirtschaft E. ab. Den Widerspruch des Antragstellers dagegen wies die Regierung von B. mit Bescheid vom 28. November 1984 zurück. Einen Antrag auf Zuteilung einer zusätzlichen Referenzmenge lehnte die Regierung von B. mit Bescheid vom 25. April 1985 ab. Mit Bescheid vom 19. August 1985 verweigerte das Landwirtschaftsamt E. die Ausstellung einer Bescheinigung, daß der Antragsteller Milcherzeuger i. S. der Verordnung (EWG) Nr.857/84 (VO Nr. 857/84) des Rates vom 31. März 1984 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 90/13) ist. Den Einspruch des Antragstellers vom 6. November 1984 gegen die Festsetzung der Referenzmenge auf null Kilogramm wies der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Hauptzollamt - HZA -) durch Einspruchsentscheidung vom 4. April 1986 zurück.

Mit Schreiben vom 18. Februar und 15. Mai 1985 an das Finanzgericht (FG) beantragte der Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung der Referenzmengen-Festsetzung, hilfsweise, ihn so zu behandeln, als sei eine Referenzmenge in Höhe von 31 656 Kilogramm berechnet worden. Zur Begründung führte er unter anderem aus, sein landwirtschaftlicher Betrieb sei nur durch Milchproduktion auf Dauer rentabel und überlebensfähig. Durch Beschluß vom 10. September 1985 wies das FG den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als unzulässig ab und erließ eine einstweilige Anordnung entsprechend dem Hilfsantrag. Diesen Beschluß hob das FG durch Beschluß vom 11. Juni 1986 III 47/85 (Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern - ZfZ - 1986, 278) auf und setzte die Vollziehung ,,der durch die Einspruchsentscheidung vom 4. April 1986 getroffenen Regelung über die dem Antragsteller zustehende Referenzmenge" mit der Maßgabe aus, daß einstweilig von einer Referenzmenge in Höhe von 31 656 Kilogramm auszugehen ist.

Mit seiner Beschwerde machte das HZA im wesentlichen folgendes geltend: Die Milchgarantiemengenregelung verstoße weder gegen Art. 39 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV) noch gegen Art. 3, 12 und 14 des Grundgesetzes (GG). Der Ansicht des FG, daß dem Antragsteller im Rahmen der Milchgarantiemengenregelung eine Referenzmenge zugeteilt werden müsse, könne nicht gefolgt werden. Art. 4 Abs. 1c VO Nr. 857/84 könne hier nicht angewendet werden, weil, wie der Wortlaut dieser Vorschrift besage, die neue Referenzmenge zu einer anderen schon vorhandenen hinzukommen müsse. Das HZA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzuweisen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Land A. nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zur vorläufigen Ausstellung einer Härtefallbescheinigung nach § 9 Abs. 2 MGVO zu verpflichten und insoweit den Rechtsstreit nach § 34 Abs. 3 und 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an das Verwaltungsgericht (VG) C. zu verweisen. Zur Begründung trägt der Antragsteller u. a. vor:

Sein Betrieb sei nur durch Milchproduktion auf Dauer rentabel zu führen und überlebensfähig. Er habe von 1981 bis 1986 Investitionen getätigt, die nur durch Zuteilung einer ausreichenden Referenzmenge abbezahlt werden könnten. Er habe die Nichtvermarktungsprämie nur in Anspruch genommen, um während des fünfjährigen Nichtvermarktungszeitraums den Hof zu sanieren. Das Amt für Landwirtschaft habe ihm versichert, daß er nach Ablauf dieses Zeitraums die Milchproduktion jederzeit wieder aufnehmen könne. Art. 4 Abs. 1 VO Nr. 857/84 und §§ 6, 9 Abs. 2 MGVO verstießen in ihrer Anwendung durch das HZA gegen den EWGV (Art. 39). Die Ausführungen des HZA zu Art. 14 GG bedürften einer eingehenden Analyse. Das HZA ignoriere insoweit den vom FG verwendeten Anknüpfungspunkt. Die Abgabe nach der Milchgarantiemengenregelung (im folgenden: Milchabgabe) habe erdrosselnde Wirkung. Die Festsetzung der Referenzmenge auf null Kilogramm verletzte ihn, den Antragsteller, auch in seinem Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).

Die Geschäftsstelle des erkennenden Senats übersandte den Beteiligten Abdrucke des Senatsurteils vom 28. Oktober 1986 VII R 41/86 (BFHE 148, 84, Recht der Internationalen Wirtschaft - RIW - 1987, 71) mit dem Anheimgeben, sich dazu zu äußern.

Der Antragsteller trug dazu vor: Die Bescheinigung der zuständigen Landesbehörde sei nach § 10 Abs. 3 Satz 2 MGVO für die Finanzverwaltung bindend. Daher sei die Mitwirkung der Landesstellen im Rahmen der Milchgarantiemengenregelung im Gegensatz zur Auffassung des Senats Teilhabe an der Finanzverwaltung i. S. des Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG. Dementsprechend sei das Gesetz zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen vom 31. August 1971 (MOG) wie auch das Gesetz zur Änderung des MOG vom 27. August 1986 (BGBl I 1986, 1389) nach Art. 108 Abs. 4 GG mit Zustimmung des Bundesrates erlassen worden. Auch die MGVO hätte nach Art. 80 Abs. 2 GG nur mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden können. Es spreche viel dafür, daß die MGVO wegen Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 2 GG nichtig sei. Überdies enthalte das MOG keine Ermächtigungsgrundlage für die Begründung von Zuständigkeiten der Länderverwaltungen durch Durchführungsverordnungen. In § 12 Abs. 2 Satz 2 (?) MOG i. d. F. des Änderungsgesetzes vom 27. August 1986 sei nun ausdrücklich eine Ermächtigungsgrundlage enthalten. Selbst wenn man das MOG als ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Begründung von Länderzuständigkeiten in der MGVO ansähe, seien die Regelungen der MGVO, die Zuständigkeiten der Länderverwaltung regelten, wegen Verstoßes gegen das GG nichtig. Falls nämlich das MOG in der ursprünglichen Fassung Regelungen über die Länderverwaltung enthalte, sei es nach Art. 84 und 85 GG ein zustimmungspflichtiges Gesetz. Rechtsverordnungen aufgrund von Bundesgesetzen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürften oder die von den Ländern im Auftrage des Bundes oder als eigene Angelegenheit ausgeführt würden, bedürften aber nach Art. 80 Abs. 2 GG der Zustimmung des Bundesrats. Der Bundesrat habe der MGVO nicht zugestimmt. Die Hinweise des Senats auf parallele Regelungen im Steuerrecht änderten an diesem Ergebnis nichts. Der Senat übersehe, daß das Einkommensteuergesetz (EStG), das Zweite Wohnungsbaugesetz (II. WoBauG) und Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) mit Zustimmung des Bundesrates erlassen worden seien. Dasselbe gelte von der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV).

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung des Antrags.

Bereits in der stillschweigenden Entgegennahme der Mitteilung der Molkerei, sie habe die Referenzmenge des Antragstellers mit null Kilogramm berechnet, lag ein Feststellungsbescheid des HZA, durch den die Referenzmenge des Antragstellers entsprechend hoheitlich festgesetzt wurde (Beschluß des Senats vom 25. März 1986 VII B 164-165/85, BFHE 146, 188). Ob im Falle eines solchen negativen Referenzmengen-Feststellungsbescheids vorläufiger Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung, wie das FG meint (vgl. auch Beschluß des FG Rheinland-Pfalz vom 26. Mai 1986 3 V 7/86, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1986, 461), oder durch einstweilige Anordnung zu gewähren ist, ist zweifelhaft (vgl. Beschluß des Senats vom 18. Februar 1986 VII B 114/85, BFHE 146, 1). Der Senat braucht jedoch diese Frage im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Denn das Begehren des Antragstellers kann keinen Erfolg haben, gleichgültig, ob es durch Antrag auf Aussetzung der Vollziehung oder durch Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung verfolgt wird.

Der Antragsteller hat Aussetzung der Vollziehung des negativen Referenzmengen-Feststellungsbescheids des HZA mit der Maßgabe beantragt, vorläufig so behandelt zu werden, wie wenn ihm eine Referenzmenge in Höhe von 31 656 Kilogramm zugeteilt worden wäre. Unterstellt, dem Antragsteller könnte grundsätzlich entsprechender vorläufiger Rechtsschutz im Wege der Aussetzung der Vollziehung gewährt werden, kann sein Antrag keinen Erfolg haben, weil die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 und 3 FGO nicht erfüllt sind. An der Rechtmäßigkeit des negativen Feststellungsbescheids des HZA bestehen nämlich weder ernstliche Zweifel noch hat der Bescheid eine unbillige Härte zur Folge. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil in BFHE 148, 84, RIW 1987, 71, in dem er sich auch mit den Argumenten der Vorentscheidung auseinandergesetzt hat. Die Einwendungen des Antragstellers gegen dieses Urteil sind nicht begründet.

Der Senat hält an der Auffassung fest, seinem Argument, das HZA sei im Fall der Behauptung eines Härtefalles zur Festsetzung einer höheren Referenzmenge nur nach Vorlage einer Bescheinigung der zuständigen Landesstelle befugt, könne nicht mit dem FG entgegengehalten werden, die Landesstellen seien zu einer solchen Mitwirkung an der Erhebung der Milchabgabe nicht befugt. Durch ihre Einschaltung im Bescheinigungsverfahren wirken die Landesstellen nicht bei der Abgabenverwaltung mit, sondern treffen nur Maßnahmen, die der Vorbereitung der Abgabenerhebung dienen (vgl. auch Urteil des FG Hamburg vom 15. Januar 1986 IV 249/85 N, EFG 1986, 460). Die Bindungswirkung der Bescheinigungen der Landesstellen für das zuständige HZA ist für sich allein kein Grund, in der Erteilung der Bescheinigung etwas anderes zu sehen als eine Mitwirkung im Vorfeld der Abgabenerhebung.

Im Gegensatz zur Auffassung des Antragstellers begründet die MGVO auch keine Zuständigkeiten der Landesverwaltungen. § 2 Abs. 1 Satz 2 MGVO sagt ausdrücklich, die Zuständigkeiten der Landesstellen blieben von dieser Verordnung unberührt; § 9 Abs. 2 MGVO spricht nur von der ,,zuständigen Landesstelle", ohne diese Zuständigkeit etwa zu begründen. Es bedarf keines Eingehens auf die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage die Zuständigkeit der Länder zur Ausstellung der Bescheinigungen beruht (vgl. Urteil des FG Hamburg in EFG 1986, 460). Jedenfalls kann Rechtsgrundlage nicht die MGVO sein. Das Vorbringen des Antragstellers, die MGVO sei nichtig, weil sie ohne die erforderliche Zustimmung des Bundesrates Zuständigkeitsregelungen für Länderbehörden getroffen habe, ist daher nicht stichhaltig.

Die MGVO ist entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht wegen Verstoßes gegen Art. 80 Abs. 2 GG nichtig. Sie beruht zwar auf einem Bundesgesetz, das mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen worden ist. Deswegen allein bedurfte die MGVO aber nicht selbst der Zustimmung des Bundesrates, da nach Art. 80 Abs. 2 GG durch bundesgesetzliche Regelung auf die Zustimmung des Bundesrates verzichtet werden kann. Von dieser Möglichkeit ist im MOG Gebrauch gemacht worden. Die Ermächtigungen des MOG, auf denen die MGVO beruht, enthalten ausdrücklich den Zusatz, daß die entsprechenden Rechtsverordnungen nicht der Zustimmung des Bundesrates bedürfen (vgl. auch Beschluß des Senats vom 17. Dezember 1985 VII B 116/85, BFHE 145, 289, 296).

Nach allem fehlen ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 FGO an der Rechtmäßigkeit des negativen Referenzmengen-Feststellungsbescheids des HZA. Auch eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte ist im Gegensatz zur Auffassung des FG nicht möglich. Eine solche Aussetzung wäre nur zulässig, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes nicht ausgeschlossen werden können (vgl. BFHE 146, 1, 4, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Diese Voraussetzung ist hier aber, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt, nicht erfüllt.

Auch falls davon auszugehen wäre, daß vorläufiger Rechtsschutz im vorliegenden Fall nur durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO gewährt werden könnte, wäre dem Begehren des Antragstellers der Erfolg zu versagen. Denn es fehlt jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches. Zur Begründung wird auf die obigen Ausführungen zur Frage hingewiesen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des negativen Referenzmengen-Feststellungsbescheides vorliegen (vgl. auch BFHE 146, 1, 4).

Der erst in der Beschwerdeinstanz gestellte Hilfsantrag des Antragstellers, das Land A. nach § 123 VwGO zur vorläufigen Ausstellung einer Härtefallbescheinigung nach § 9 Abs. 2 MGVO zu verpflichten, ist unzulässig. Dem Hilfsantrag fehlt es an dem erforderlichen Zusammenhang mit dem Hauptantrag. Im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 69 FGO gegen einen negativen Referenzmengen-Feststellungsbescheid des HZA kann nicht hilfsweise der Antrag gestellt werden, eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO wegen eines anderen Verwaltungsaktes gegen einen anderen Gegner (Land A.) zu erlassen. Da dieser Antrag unzulässig ist, kommt eine Verweisung des Rechtsstreits insoweit an das VG C. nicht in Betracht. Überdies fehlt es an den Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 FGO dafür, da der Senat im Einklang mit dem FG für den Hauptantrag den Finanzrechtsweg für gegeben erachtet hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415000

BFH/NV 1987, 678

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