Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassungsfreie Revision wegen fehlender Begründung der Entscheidung

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Fehlen von Entscheidungsgründen liegt nur vor, wenn das FG seine Entscheidung überhaupt nicht oder jedenfalls zu einem wesentlichen Teil nicht begründet hat, indem es selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat.

2. Die Rüge einer zu kurzen, lücken- oder fehlerhaften Begründung berechtigt nicht zu einer zulassungsfreien Revision.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 18.10.2001; Aktenzeichen 2 BvR 592/98)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wohnte mit seiner Familie in X. Er ist seit dem 1. Januar 1992 in Y berufstätig und bewohnte seitdem dort eine von ihm erworbene Eigentumswohnung.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) lehnte es ab, auf der Lohnsteuerkarte für das Streitjahr 1996 wegen der Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung einen Freibetrag einzutragen.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage zunächst durch einen Gerichtsbescheid ab. Es hielt die Neuregelung der doppelten Haushaltsführung durch §9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 i. V. m. §52 Abs. 11 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) i. d. F. des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BGBl I, 1250, BStBl I, 438) abweichend von der Auffassung der Klägerin nicht für verfassungswidrig. Der Kläger beantragt mündliche Verhandlung. Das FG wies die Klage durch Urteil ab und sah gemäß §90 a Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unter Hinweis auf die Begründung des Gerichtsbescheides von einer weiteren Darstellung des Tatbestands und der Entscheidungsgründe ab. Die Revision ließ es "wegen fehlender Gründe (§115 Abs. 2 FGO)" nicht zu.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner auf §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO gestützten Revision vor: Zwar gestatte §90 a FGO die Verweisung auf den Gerichtsbescheid; dies setze aber voraus, daß dieser mit Gründen versehen sei. Die Begründung bestehe im Streitfall allein in der Mitteilung, nach Überzeugung des Gerichts lägen die von ihm, dem Kläger, gerügten Verfassungsverstöße nicht vor. Eine Auseinandersetzung mit seinem, des Klägers, ausführlichen schriftlichen und mündlichen Sachvortrag fehle. Auch der Hinweis des Gerichts auf die Aufsätze von Schmidt/Drenseck, Zitzelsberger, Lange und König ersetze die fehlende Begründung nicht.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Das FA beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

1. Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEnltG) findet abweichend von §115 Abs. 1 FGO die Revision nur statt, wenn das FG oder auf die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Ohne Zulassung durch das FG oder den BFH ist die Revision daher nur zulässig, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i. S. von §116 Abs. 1 FGO gerügt werden. Ein solcher wesentlicher Verfahrensmangel ist nur dann schlüssig gerügt, wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen der in §116 Abs. 1 FGO genannten Mängel ergeben. Im Streitfall ergibt der Vortrag des Klägers nicht schlüssig einen Verfahrensmangel i. S. von §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.

Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe zwar nicht nur dann, wenn die Entscheidung überhaupt nicht mit Gründen versehen ist. Diese Voraussetzung ist vielmehr bereits dann erfüllt, wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat. Der selbständige Anspruch oder das selbständige Verteidigungsmittel muß ein wesentlicher Streitpunkt des Verfahrens sein (vgl. BFH-Beschluß vom 12. April 1991 III R 181/90, BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638, m. w. N.).

Im Streitfall trägt der Kläger selbst vor, daß das FG die Entscheidung des FA, wegen der Aufwendungen für die doppelte Haushaltsführung keinen Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen, für rechtmäßig gehalten hat, weil es seine, des Klägers, verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung der doppelten Haushaltsführung durch das JStG 1996 nicht teilt. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich ferner, daß das FG sich für die Richtigkeit seiner Auffassung auf Äußerungen in der Literatur berufen hat. Das bedeutet aber, daß das FG das Begehren des Klägers beschieden und nicht mit Stillschweigen übergangen hat. Soweit der Kläger die Begründung für zu kurz, lücken- oder fehlerhaft hält, eröffnet diese Rüge die Revision nach §116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Dezember 1995 VIII R 26/95, BFH/NV 1996, 427).

2. Der Kläger hat neben der vorliegenden Verfahrensrevision Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt. Der Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde wirkt sich nicht auf die wegen mangelhafter Begründung unzulässig erhobene Verfahrensrevision aus (BFH-Beschlüsse in BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638; vom 30. August 1995 VIII R 83/93, BFH/NV 1996, 223; in BFH/NV 1996, 427, 428).

 

Fundstellen

BFH/NV 1998, 874

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