Leitsatz (amtlich)

Hat das FG eine Klage wegen Fehlens der Prozeßvollmacht durch Prozeßurteil abgewiesen, so begründet die Tatsache, daß die Vollmacht im Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision nachgereicht worden ist, für sich allein keinen Zulassungsgrund im Sinne des § 115 Abs. 2 FGO.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers und Beschwerdeführers (Steuerpflichtiger) erhob nach Ergehen der Einspruchsentscheidung gegen den Bescheid des FA über die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs 1968 Klage und erklärte, daß die Begründung nachgereicht würde und daß in der Klagebegründung auch die erforderlichen Anträge gestellt würden. Der Vorsitzende des erkennenden Senats des FG forderte den Prozeßbevollmächtigten wiederholt vergeblich auf, die Begründung und die schriftliche Prozeßvollmacht vorzulegen. Zur mündlichen Verhandlung lud das FG sowohl den Prozeßbevollmächtigten als auch den Steuerpflichtigen persönlich. Es erschien jedoch niemand. Klagebegründung und schriftliche Prozeßvollmacht lagen bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nicht vor.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab und erlegte die Kosten des Verfahrens dem Prozeßbevollmächtigten auf. Es führte aus:

Die Prozeßvollmacht sei nicht nur ein Beweismittel, sondern ein wesentliches Formerfordernis der Klage und somit Prozeßvoraussetzung. Das Urteil habe auf den Namen des Steuerpflichtigen erlassen werden müssen, da der vollmachtlose Vertreter, der in fremdem Namen gehandelt habe, nicht dadurch selbst Partei werde, daß ihm die Vertretungsmacht fehle. Die Kosten seien dem Prozeßbevollmächtigten als vollmachtlosem Vertreter aufzuerlegen gewesen, weil er durch die Klageerhebung ohne Prozeßvollmacht und dadurch, daß er es trotz zweimaliger Aufforderung unterlassen habe, die schriftliche Vollmacht wenigstens bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung nachzureichen, die erfolglose Prozeßführung veranlaßt habe.

Im übrigen wäre die Klage auch bei vorliegender Prozeßvollmacht unzulässig gewesen, weil der Kläger den Streitgegenstand nicht angegeben habe, wie es § 65 Abs. 1 FGO zwingend vorschreibe. Es sei nicht Sache des Gerichts, sich aus den vom FA vorgelegten Steuerakten den möglichen Streitgegenstand zusammenzusuchen.

Weitere Ausführungen des FG beziehen sich auf den möglichen Prozeßausgang, wenn die Klage nicht als unzulässig abzuweisen gewesen wäre.

Der Streitwert erreicht nicht den Betrag von 1 000 DM. Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die Beschwerde. Der Prozeßbevollmächtigte hat eine Vollmacht eingereicht, in der der Steuerpflichtige ihn bevollmächtigt, ihn in seiner "Klagesache wegen LStJA 1968 in allen LSt-Fragen rechtsverbindlich zu vertreten". Er führt aus, zur ausreichenden Begründung der Klage sei es erforderlich gewesen, mit dem Steuerpflichtigen selbst über eine Bezirksstelle in Verbindung zu treten, um die erforderliche Prozeßvollmacht zu erhalten und einige Fragen in sachlicher und tatsächlicher Hinsicht zu klären. Es sei aus rein zeitlichen Gründen bisher nicht möglich gewesen, die Klage zu begründen. Die Entscheidung des FG stelle eine unbillige Härte dar. Darüber hinaus enthalte die Entscheidung formalrechtliche Fehler, da zunächst ein Urteil als Vorbescheid hätte ergehen müssen, gegen das die Möglichkeit bestanden hätte, Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen. Dies sei aber nicht geschehen. Er beantrage daher "die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. die Zulassung der Revision vor dem BFH".

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.

Soweit "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" beantragt wird, geht der Antrag ins Leere. Wiedereinsetzung kann nach § 56 Abs. 1 FGO gewährt werden, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Im Streitfall ist die Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde aber gewahrt worden, so daß insoweit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht erforderlich ist. Sollte der Prozeßbevollmächtigte mit seinem Antrag anstreben, daß Versäumnisse im Klageverfahren, z. B. durch Nichtvorlage der Prozeßvollmacht, nachträglich geheilt werden, so könnte darüber nicht im vorliegenden Beschwerdeverfahren, sondern allenfalls im Revisionsverfahren, falls dies zulässig sein sollte, entschieden werden.

Wenn, wie im Streitfall, der Wert des Streitgegenstandes 1 000 DM nicht übersteigt, ist die Revision nach § 115 Abs. 2 FGO nur zuzulassen bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, bei Abweichung des finanzgerichtlichen Urteils von einer Entscheidung des BFH oder bei einem Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht. In der Beschwerdeschrift muß nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des BFH, von der das Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Der Senat stimmt mit dem FA darin überein, daß keiner der vorbezeichneten Zulassungsgründe vorliegt.

Mit der Darlegung, daß die Entscheidung des FG eine unbillige Härte darstelle, wird lediglich das Urteil allgemein angegriffen, aber nicht grundsätzliche Bedeutung oder Divergenz geltend gemacht.

Auch ein Verfahrensmangel liegt nicht vor. Die Ausführungen, warum Prozeßvollmacht und Klagebegründung nicht rechtzeitig eingereicht worden sind, könnten dahin verstanden werden, daß damit mangelndes rechtliches Gehör geltend gemacht werden soll. Diese Rüge ist aber unbegründet, nachdem der Prozeßbevollmächtigte zweimal zur Einreichung der Prozeßvollmacht und der Klagebegründung aufgefordert worden ist und er sowie der Steuerpflichtige selbst in der mündlichen Verhandlung noch Gelegenheit gehabt hätten, die Versäumnisse nachzuholen, wenn sie zu der Verhandlung erschienen wären. Beide waren ordnungsgemäß geladen. Es ist daher allein auf ihr Verhalten zurückzuführen, daß eine Entscheidung in der Sache nicht ergehen konnte.

Nach § 90 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Vorbescheid entscheiden. Das Gericht ist also nicht verpflichtet, zunächst einen Vorbescheid ergehen zu lassen. Vielmehr steht die Entscheidung, ob ein Vorbescheid ergehen soll oder nicht, im Ermessen des Gerichts. Es stellt keinen Verfahrensmangel dar, wenn das Gericht sein Ermessen dahin ausübt, daß es keinen Vorbescheid erläßt, sondern mündliche Verhandlung anberaumt.

Im Urteil V R 62, 107/67 - V B 23, 36/67 vom 28. September 1967 (BFH 90, 280, BStBl II 1968, 63) hat der V. Senat anerkannt, daß die Prozeßvollmacht für das Klageverfahren noch in der Revisionsinstanz nachgereicht werden kann. In diesem Fall soll (außer bei Verschleppungsabsicht oder grober Nachlässigkeit) die vollmachtlose und damit schwebend unwirksame Klageerhebung rückwirkend geheilt werden. Der V. Senat hat die Prozeßurteile des FG aufgehoben und die Rechtsstreitigkeiten zur sachlichen Entscheidung zurückverwiesen, da die Klagen nunmehr endgültig als zulässig zu beurteilen seien. Für den vorliegenden Fall kann der Senat es dahingestellt lassen, ob er dieser Rechtsauffassung zustimmt, da es hier auf die Richtigkeit der Auffassung nicht ankommt.

In dem Urteil des V. Senats wird auf die Frage, ob die bezeichneten Rechtsfolgen nur bei einer zulassungsfreien oder vom FG zugelassenen Revision eintreten, nicht eingegangen. In dem Fall war die Zulässigkeit der Revision offensichtlich nicht zweifelhaft. In der Tat können die vom V. Senat bezeichneten Rechtsfolgen, wenn überhaupt, nur im Revisionsverfahren selbst eintreten. Wenn - wie im Streitfall - keine zulassungsfreie Revision vorliegt, so kann die nachträgliche rückwirkende Beibringung einer Vollmacht nur daraufhin untersucht werden, ob darin ein Zulassungsgrund im Sinne des § 115 Abs. 2 FGO liegt. Dies ist indessen zu verneinen. Die Tatsache, daß das FG wegen Fehlens der Vollmacht durch Prozeßurteil entschieden hat, begründet keinen Verfahrensmangel. Das Vorgehen des FG war vielmehr, weil die Vollmacht nicht vorlag, richtig. Dies ändert sich auch nicht dadurch, daß die Prozeßvollmacht nachträglich im Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision beigebracht worden ist. Erst die Beibringung im Rahmen des zulässigen Revisionsverfahrens könnte auf das Verfahren des FG zurückwirken.

 

Fundstellen

BStBl II 1970, 849

BFHE 1971, 182

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