Entscheidungsstichwort (Thema)

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewilligung von PKH

 

Leitsatz (NV)

1. Im PKH-Verfahren ist für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung (§ 114 ZPO) von dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auszugehen. Es kommt deshalb grundsätzlich nicht darauf an, ob im Zeitpunkt der Stellung des PKH-Antrages die Klage Aussicht auf Erfolg hatte.

2. Zur Frage der Berücksichtigung einer zwischenzeitlichen Änderung der Verhältnisse bei Verzögerung der Entscheidung durch das Gericht.

 

Normenkette

FGO § 142; ZPO § 114

 

Tatbestand

Durch Abrechnungsbescheide des Beklagten, Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) vom 23. März 1990 wurden gegen die Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) Säumniszuschläge nach dem Stande vom ... in Höhe von ... DM festgesetzt. Der Einspruch gegen die Abrechnungsbescheide wurde nicht beschieden. Teilbeträge der gegen die Klägerin festgesetzten Steuern und der darauf entfallenden Säumniszuschläge wurden getilgt, die Vollziehung der noch offenen Steuerschulden wurde in der Folgezeit ausgesetzt. Mit Schreiben des FA vom 30. Juli 1991 wurde der Klägerin auf ihren Erlaßantrag mitgeteilt, daß durch Aussetzung der Vollziehung bzw. durch "Korrekturerlaß" alle offenen Säumniszuschläge auf 0 DM berichtigt worden seien. Die Oberfinanzdirektion (OFD) stellte mit Schreiben vom 4. Januar 1993 klar, daß das FA alle Säumniszuschläge, auch bereits getilgte, erlassen habe. Das aufgrund des Erlasses von Säumniszuschlägen entstandene Guthaben werde aber der Klägerin vorerst nicht ausgezahlt, sondern bis zum Abschluß noch anhängiger Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) ggf. zur Tilgung von Steuerschulden zurückbehalten.

Nachdem die Klägerin das FA mit Schreiben vom 15. Februar 1993 aufgefordert hatte, ihr binnen drei Tagen eine Abrechnung hinsichtlich der bereits getilgten, zwischenzeitlich aufgehobenen Säumniszuschläge zu erteilen bzw. ihren Einspruch hinsichtlich der zwischenzeitlich aufgehobenen Säumniszuschläge zu bescheiden, hat sie am 24. Februar 1993 Klage erhoben, mit der sie begehrt, das FA zu verurteilen, "unter Aufhebung der Abrechnungsbescheide vom 23. März 1990 geänderte bzw. neue Abrechnungsbescheide zu erteilen über sämtliche aus den Zeiträumen ... und aus den Steuerarten Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Lohnsteuer resultierenden, per ... vollumfänglich aufgehobenen Säumniszuschläge". Zur Begründung führte sie u. a. aus:

Die Klage sei als Untätigkeitsklage zulässig; über ihre Rechtsbehelfe gegen die Abrechnungsbescheide vom 23. März 1990 sei nicht befunden worden. Mit Bescheid vom 30. Juli 1991 seien die Säumniszuschläge zwar aufgehoben worden. Aus den mitübersandten Kontoauszügen ergebe sich allerdings, daß als zu diesem Zeitpunkt noch offen bezeichnete Säumniszuschläge lediglich in Höhe von insgesamt ... DM aufgehoben worden seien. Daraus folge, daß zwischen dem 23. März 1990 und dem 30. Juli 1991 Tilgungen auf Säumniszuschläge in Höhe von ca. ... DM erfolgt sein müßten. Außerdem bestehe das vom FA anerkannte, aber nicht ausgezahlte Guthaben, das ca. ... DM betrage.

Unter dem 30. April 1993 erließ das FA einen neuen Abrechnungsbescheid zu den Säumniszuschlägen zur Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Lohnsteuer jeweils für die Jahre ... Darin ist u. a. ausgeführt: Säumniszuschläge seien nicht mehr offen. Von den im Abrechnungsbescheid vom 23. März 1990 angegebenen Säumniszuschlägen von ... DM seien ... DM erlassen worden. Der Rest sei ausschließlich durch die umfassende Gewährung von Aussetzung der Vollziehung entfallen. Echte Tilgungen im Sinne von Zahlungen oder Zubuchungen lägen insoweit nicht vor. Aus erlassenen Säumniszuschlägen bestehe ein Guthaben in Höhe von ... DM. Dieses verbleibe bis zur Entscheidung über die anhängigen Verfahren auf dem Sonderkonto. Eine Erstattung der Beträge komme nicht in Betracht. Die Klägerin hat gegen den Abrechnungsbescheid vom 30. April 1993 Einspruch erhoben.

Den zugleich mit der Klage gestellten Antrag der Klägerin, ihr Prozeßkostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihres Prozeßbevollmächtigten zu bewilligen, wurde vom FG abgelehnt. Das FG führte u. a. aus: Es könne dahingestellt bleiben, ob die Klage zulässig sei, denn sie biete in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.

Die Aufhebung der Abrechnungsbescheide vom 23. März 1990 könne die Klägerin im vorliegenden Klageverfahren nicht mehr verlangen, weil diese bereits vor Klageerhebung gegenstandslos geworden seien. Das FA habe der Klägerin mit Schreiben vom 30. Juli 1991 mitgeteilt, daß durch Aussetzung der Vollziehung bzw. durch entsprechenden Korrekturerlaß alle offenen Säumniszuschläge durch die Finanzkasse auf 0 DM berichtigt worden seien. Dabei sei dem Begehren der Klägerin hinsichtlich der in den Abrechnungsbescheiden vom 23. März 1990 auf geführten Säumniszuschlägen in vollem Umfang entsprochen worden. Auch wenn in diesem Schreiben die Abrechnungsbescheide vom 23. März 1990 hinsichtlich der allein streitbefangenen Säumniszuschläge nicht wörtlich aufgehoben worden seien, stelle dieses Schreiben gleichwohl in der Sache eine Abhilfeentscheidung auf den Einspruch der Klägerin gegen diese Abrechnungsbescheide dar.

Der von der Klägerin in ihrer Klageschrift darüber hinaus begehrte neue Abrechnungsbescheid sei vom FA unter dem 30. April 1993 erlassen worden. Ob dieser Bescheid auch Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sein solle oder noch werden könne, könne dahingestellt bleiben. Auch gegen den Bescheid vom 30. April 1993 biete die Klage nämlich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die von der Klägerin eingelegte Beschwerde gegen die Versagung von PKH für ihre Untätigkeitsklage durch das FG ist unbegründet.

Die Gewährung von PKH setzt nach § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 Satz 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) u. a. voraus, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Das FG hat zu Recht ausgeführt, daß die Klage nach bisherigem Sach- und Streitstand voraussichtlich abzuweisen sein wird.

1. Es kann dahinstehen, ob die ohne Durchführung des außergerichtlichen Vorverfahrens erhobene Klage als Untätigkeitsklage (§ 46 Abs. 1 FGO) zulässig ist. Daran bestehen deshalb Zweifel, weil die angefochtenen Abrechnungsbescheide vom 23. März 1990, hinsichtlich derer die Entscheidung über den Einspruch der Klägerin seit längerer Zeit aussteht (Untätigkeit i. S. des § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO) und die Abrechnungsbescheide, deren Erlaß die Klägerin mit ihrer Klage begehrt, auf einen unterschiedlichen Regelungsinhalt gerichtet sind. Während die angefochtenen, ursprünglichen Abrechnungsbescheide die angefallenen Säumniszuschläge nach dem Stande vom ... ausweisen, richtet sich das Klagebegehren auf die Verurteilung des FA zum Erlaß von "geänderten bzw. neuen Abrechnungsbescheiden ... über die ... per 30. 7. 1991 vollumfänglich aufgehobenen Säumniszuschläge". In ihrer Klagebegründung geht die Klägerin ausdrücklich auf die Veränderung der Sachlage durch zwischenzeitliche Tilgungen und die inzwischen verfügte Aufhebung (Erlaß) sämtlicher Säumniszuschläge ein. Sollte die Untätigkeitsklage aber dennoch trotz der unterschiedlichen zeitlichen und sachlichen Regelungsinhalte hinsichtlich der die Klägerin betreffenden Säumniszuschläge in den angefochtenen und in den begehrten Abrechnungsbescheiden zulässig sein, so ist jedenfalls mit dem FG davon auszugehen, daß sie der Sache nach keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

2. Denn das FA hat der Klägerin unter dem 30. April 1993 den neuen Abrechnungsbescheid über sämtliche Säumniszuschläge zur Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Lohnsteuer für die Zeiträume ... , zu dessen Erlaß es mit der Klage verpflichtet werden sollte, erteilt. Mit diesem Abrechnungsbescheid wird festgestellt und im einzelnen hinsichtlich der Teilbeträge erläutert, daß die Säumniszuschläge nach dem Stande des jeweiligen Abrechnungsbescheides vom 23. März 1990 durch Aussetzung der Vollziehung (der Steuer) bzw. durch Erlaß entfallen sind und nunmehr 0 DM betragen. Ferner weist der Abrechnungsbescheid die Tilgungen auf die inzwischen erlassenen Säumniszuschläge sowie die sich daraus ergebenden Umbuchungen und das verbleibende Guthaben der Klägerin, das nach den Ausführungen im Bescheid auf ein Sonderkonto umgebucht worden ist, aus. Mit dem Erlaß des Abrechnungsbescheids vom 30. April 1993 ist somit dem Klageantrag der Klägerin, der nur auf die Verurteilung zur Erteilung neuer Abrechnungsbescheide, nicht aber solcher mit einem bestimmten Inhalt, gerichtet war, entsprochen worden.

Soweit die Klägerin mit dem Inhalt dieses Bescheides (Höhe der ausgewiesenen Tilgungen) nicht einverstanden ist und sie sich insbesondere dagegen wendet, daß das auf dem Sonderkonto ausgewiesene Guthaben vorerst nicht an sie ausgezahlt werden soll, wird ihr Rechtsschutzbegehren von der vorliegenden Klage nicht umfaßt. Die Klägerin hat deshalb -- folgerichtig -- Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid vom 30. April 1993 eingelegt. Über einen Antrag nach § 68 FGO, der bei der Verpflichtungsklage entsprechende Anwendung findet (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Juli 1991 III R 3/87, BFHE 165, 143, BStBl II 1991, 854), kann der Abrechnungsbescheid vom 30. April 1993 schon deshalb nicht zum Gegenstand des Klageverfahrens gemacht werden, weil die Antragsfrist von einem Monat nach Bekanntgabe des neuen Verwaltungsakts (§ 68 Satz 2 FGO) inzwischen abgelaufen ist; das gilt auch für die mangels entsprechender Rechtsbehelfsbelehrung etwa geltende Jahresfrist (vgl. § 68 Satz 3 i. V. m. § 55 Abs. 2 FGO; Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 68 Rz. 30 a). Es ist deshalb für das vorliegende Verfahren unerheblich, ob auch die Klage gegen den Abrechnungsbescheid vom 30. April 1993 -- wie das FG ausgeführt hat -- keine hinreichende Aussicht auf Erfolg böte. Das FG ist dagegen zutreffend davon ausgegangen, daß mit dem Erlaß des Abrechnungsbescheids vom 30. April 1993 auch der Klageantrag, soweit er auf Aufhebung der ursprünglichen Abrechnungsbescheide vom 23. März 1990 gerichtet war, gegenstandslos geworden ist. Wenn auch die ursprünglichen Abrechnungsbescheide nicht ausdrücklich aufgehoben worden sind, so sind doch ihre Rechtswirkungen durch die Erteilung des neuen Abrechnungsbescheids, mit dem sämtliche in den ursprünglichen Bescheiden ausgewiesenen Säumniszuschläge auf 0 DM festgesetzt und darüber hinaus noch ein Guthaben der Klägerin festgestellt worden ist, entfallen. Mit dem Erlaß des Abrechnungsbescheids vom 30. April 1993 ist jedenfalls nach der im PKH-Verfahren gebotenen summarischen Betrachtung das Rechtsschutzinteresse der Klägerin für die von ihr erhobene Klage entfallen. Das FG hat ihr deshalb zu Recht die beantragte PKH für das Klageverfahren versagt.

3. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerde steht der Ablehnung der PKH durch das FG nicht entgegen, daß der Erlaß des neuen Abrechnungsbescheids, auf den die Verpflichtungsklage der Klägerin gerichtet war und der zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses geführt hat, erst am 30. April 1993 und damit nach Klageerhebung erfolgt ist, die Klägerin aber Bewilligung von PKH unter Beiordnung des Prozeßbevollmächtigten ab Antragstellung, die zeitgleich mit der Klageerhebung am 24. Februar 1993 erfolgte, beantragt hatte.

a) Wenn auch die Bewilligung von PKH in der Regel auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurückwirkt (vgl. Zöller/Philippi, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 119 Rdnr. 40, m. w. N.), so ist doch davon der Zeitpunkt zu unterscheiden, auf den das Gericht für die Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen abzustellen hat. Der Senat hat in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum entschieden, daß für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung (§ 114 ZPO) die Verhältnisse und der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über den PKH-Antrag maßgeblich sind (Beschluß vom 6. November 1991 VII B 207/91, BFH/NV 1992, 489, m. w. N.). Von dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Entscheidung ist sowohl hinsichtlich der festgestellten Tatsachen als auch hinsichtlich der rechtlichen Entscheidungsgrundlagen deshalb auszugehen, weil kein Gericht befugt ist, seine Entscheidung wider besseres Wissen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu treffen (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 142 FGO Tz. 73; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 142 Rdnr. 22; Zöller/Philippi, a. a. O., § 119 Rdnr. 44, 45, 46, m. w. N.). Demgemäß hat der Senat im Beschluß vom 7. August 1984 VII B 27/84 (BFHE 141, 494, BStBl II 1984, 838) in einem PKH-Beschwerdeverfahren wegen der inzwischen erfolgten rechtskräftigen Abweisung der Klage in der Hauptsache die Beschwerde gegen die Versagung der PKH durch das FG zurückgewiesen.

Auch im Streitfall hat demnach das FG der Klägerin die beantragte PKH für die Verpflichtungsklage zu Recht versagt, weil im Zeitpunkt seiner Entscheidung über den PKH-Antrag der Abrechnungsbescheid der Gegenstand des Verpflichtungsbegehrens war, vom FA bereits erlassen worden ist und somit das Rechtsschutzinteresse für die Klage entfallen war. Entgegen der Auffassung der Beschwerde kommt es deshalb nicht darauf an, ob im Zeitpunkt der Stellung des PKH-Antrages (hier zeitgleich mit der Klageerhebung) die Klage Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Im Schrifttum wird zu Recht darauf hingewiesen, daß der Antragsteller selbst hinreichende prozessuale Möglichkeiten hat, den ihm ungünstigen Folgen einer erst später ergehenden PKH-Entscheidung vorzubeugen. Er kann sich von vornherein auf die Stellung eines PKH-Antrages beschränken; denn bei Bewilligung von PKH wäre Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (vgl. Zöller/Philippi, a. a. O., § 119 Rdnr. 47, m. w. N.).

b) Von einem Teil der Rechtsprechung wird indes die Auffassung vertreten, daß im Falle einer Verzögerung der Entscheidung über das PKH-Gesuch durch das Gericht für die Prüfung der Erfolgsaussicht die Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, wie sie zum Zeitpunkt einer rechtzeitigen Entscheidung bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf bestanden hätte (Zeitpunkt der Entscheidungsreife). Eine zwischenzeitliche Veränderung der Tatsachengrundlage soll in diesem Falle nicht berücksichtigt werden, wenn die Entscheidung ohne schuldhaftes Versäumnis des Antragstellers unterblieben ist oder wenn das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (Oberlandesgericht -- OLG -- Karlsruhe, Beschluß vom 21. Dezember 1993 2 WF 65/93, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht -- FamRZ -- 1994, 1123--1125; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 53. Aufl., § 114 Rdnr. 82, 83, § 119 Rdnr. 5; weitere Nachweise bei Zöller/Philippi, a. a. O., § 119 Rdnr. 45, der allerdings stets auf den tatsächlichen Entscheidungszeitpunkt abstellt). Der Senat braucht zu der Frage, ob der Zeitpunkt der tatsächlichen Entscheidung über den PKH-Antrag oder der der Entscheidungs- bzw. Bewilligungsreife für die Erfolgsprognose maßgeblich ist, nicht abschließend Stellung zu nehmen. Denn er gelangt im Streitfall zu dem Ergebnis, daß eine Verzögerung der Entscheidung durch das FG mit der Folge, daß die Erfolgsaussicht der Klage im Zeitpunkt der Beschlußfassung anders zu beurteilen wäre als im Zeitpunkt der Entscheidungsreife nicht vorliegt.

Das FG hat zwar über den mit der Klageerhebung am 24. Februar 1993 gestellten PKH-Antrag erst am 5. Dezember 1994 entschieden. Der späte Entscheidungszeitpunkt war aber nicht ursächlich dafür, daß die Erfolgsaussichten der Klage wegen der inzwischen eingetretenen Erledigung des Klagebegehrens durch den Erlaß des beantragten Abrechnungsbescheids anders zu beurteilen wären, als dies im Zeitpunkt der Entscheidungsreife der Fall gewesen wäre. Wie oben ausgeführt, bestimmt sich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife danach, wann "bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf" frühestens über das PKH-Gesuch hätte entschieden werden können. Dabei sind einerseits die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen, andererseits das Gebot der Zügigkeit des Verfahrens zu beachten; ferner setzt die Entscheidungsreife voraus, daß dem Antragsgegner Gelegenheit zur Stellungnahme (§ 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO) innerhalb eines angemessenen Zeitraums gegeben worden ist (OLG Karlsruhe, FamRZ 1994, 1123, 1125; Hartmann in Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, a. a. O., § 114 Rdnr. 82, § 119 Rdnr. 5). Daraus folgt für den Streitfall, daß das FG unter Berücksichtigung sowohl der notwendigen Zügigkeit der Bearbeitung als auch der gebotenen Sorgfalt bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage unter Gewährung rechtlichen Gehörs für das FA über das PKH-Gesuch der Klägerin vom 24. Februar 1993 jedenfalls nicht vor Ergehen des Abrechnungsbescheids vom 30. April 1993 hätte entscheiden können. Denn vor Ablauf eines Zeitraums von gut zwei Monaten seit Klageerhebung und Antragstellung konnte bei ordnungsgemäßem Verfahrensablauf unter Zubilligung nur einer Mindestbearbeitungszeit für das Gericht eine Entscheidung über das PKH-Gesuch der Klägerin nicht erwartet werden. Die Entscheidungsreife war demnach erst eingetreten, nachdem sich das Klagebegehren durch die Erteilung des Abrechnungsbescheids erledigt hatte. Nach den vorstehenden Ausführungen (vgl. 2., 3. a) wäre somit der PKH- Antrag der Klägerin auch dann abzulehnen gewesen, wenn die Erfolgsaussichten der Klage nicht nach dem Zeitpunkt der tatsächlichen Entscheidung durch das FG, sondern nach dem Zeitpunkt der Entscheidungsreife zu beurteilen wären. Soweit das FG über den Zeitpunkt der Entscheidungsreife hinaus seine Entscheidung verzögert hat, war dies für das Ergebnis seiner Entscheidung und damit für das vorliegende Beschwerdeverfahren unerheblich, weil zwischen der Entscheidungsreife und dem FG-Beschluß vom 5. Dezember 1994 keine weitere Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse zu Lasten der Klägerin eingetreten ist.

c) Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist der vorliegende PKH- und Beiordnungs-Antrag auch nach Ergehen des Abrechnungsbescheids vom 30. April 1994 nicht deshalb begründet, weil die Klägerin nunmehr sachkundigen Beistand hinsichtlich der sachdienlichen Verfahrenshandlungen (Fortsetzung des Klageverfahrens, Klagerücknahme, Erledigungserklärung, Antrag nach § 68 FGO oder sonstige -Leistungs-Klage) bedürfte. Nach § 142 Abs. 1 FGO i. V. m. § 114 ZPO kann PKH nicht für einzelne Verfahrenshandlungen, sondern nur für die beabsichtigte Rechtsverfolgung insgesamt -- hier für die anhängige Klage -- bewilligt werden. Da die Klage auch unter Zugrundelegung der für die Klägerin günstigsten Rechtsauffassung -- Maßgeblichkeit der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidungsreife -- keine Aussicht auf Erfolg hat, hat das FG den PKH-Antrag zu Recht abgelehnt.

Für die Richtigkeit der Vorentscheidung spricht schließlich auch die Tatsache, daß die anhängige Klage auch unter Berücksichtigung des Rechtsschutzinteresses der Klägerin von vornherein hätte vermieden werden können. Die Klägerin hat das FA mit Schreiben vom 15. Februar 1993 aufgefordert, ihr "binnen drei Tagen" eine Abrechnung hinsichtlich der bereits getilgten, zwischenzeitlich aufgehobenen Säumniszuschläge zu erteilen, dem das FA schließlich mit Abrechnungsbescheid vom 30. April 1993 entsprochen hat. Die gesetzte Frist von drei Tagen, nach deren Ablauf die Klägerin alsbald Klage erhoben hat, war im Hinblick auf den erforderlichen umfangreichen Inhalt des Abrechnungsbescheids, der den Anforderungen der Klägerin noch immer nicht genügt, völlig unangemessen, auch wenn man berücksichtigt, daß die Klägerin die Abrechnung seit längerer Zeit angemahnt hatte. Die kurze Frist vor Klageerhebung, deren Einhaltung dem FA offensichtlich nicht möglich war, kann auch nicht mit dem Beschwerdevorbringen damit gerechtfertigt werden, daß die OFD mit Verfügung vom 4. Januar 1993 eine Abrechnung gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) kategorisch abgelehnt habe. Eine derartige definitive Ablehnung vermag der Senat aus der genannten Verfügung, die sich im übrigen auf Amtshaftungsansprüche der Klägerin bezog, nicht zu erkennen. Es ist deshalb davon auszugehen, daß der von der Klägerin begehrte Abrechnungsbescheid auch ohne Klageerhebung ergangen wäre. Die kurzfristige gerichtliche Rechtsverfolgung erscheint dem Senat damit mutwillig i. S. des § 114 ZPO.

 

Fundstellen

BFH/NV 1996, 66

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