Entscheidungsstichwort (Thema)

Beiordnung eines Notanwalts zur Wahrnehmung der Rechte vor dem BFH; Geschäftsfähigkeit nach Aufhebung einer Entmündigung

 

Leitsatz (NV)

1. Die Beiordnung eines Notanwalts für die durchzuführende Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde setzt die hinreichende Darlegung voraus, daß eine gewisse Anzahl von zur Vertretung vor dem BFH befugten Personen vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht worden sei.

2. Zur Frage der mangelnden Vertretung vor dem FG nach Aufhebung einer Entmündigung.

 

Normenkette

BFHEntlG Art. 1 Nr. 1 S. 2; FGO §§ 58, 115 Abs. 2 Nr. 2, § 116 Abs. 1 Nr. 3, § 155; ZPO § 78b

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den Erlaß von gezahlten Steuern für die Jahre 1948 bis 1963.

Der Kläger und Antragsteller (Kläger) wurde am . . . 1922 geboren. Er ist ledig. Er bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente und betreibt nebenher eine . . . Die Einnahmen daraus werden seit 1964 nicht mehr zur Besteuerung herangezogen. Für die Jahre 1948 bis 1963 beliefen sich die festgesetzten Einkommen-, Kirchen- und Umsatzsteuern nebst Zuschlägen auf insgesamt . . . DM. Davon bezahlte der Kläger . . . DM. Wegen dieser Steuern waren mehrere Verfahren anhängig, u. a. auch vor dem Bundesfinanzhof (BFH). Mit dem als Urteil wirkenden Vorbescheid . . . vom 11. Februar 1971 hatte das FG die Ablehnung eines durch den Kläger beantragten Erlasses der Steuern aufgehoben und die Sache zu erneuter Prüfung an den Beklagten (Finanzamt - FA -) zurückverwiesen. Im Rahmen einer Gesamtbereinigung aller gegenseitigen Ansprüche erließ das FA auf Antrag (vom 10. Februar 1979) hin mit Bescheid vom 1. März 1979 rückständige Einkommensteuern 1963 in Höhe von . . . DM, nachdem der Kläger die noch beim FG anhängigen Klagen zurückgenommen hatte.

Mit Schreiben vom 10. Januar 1988 beantragte der Kläger erneut den Erlaß der gezahlten Steuern. Er begründete dies u. a. damit, das FA habe ausweislich des FG-Urteils . . . noch über den Steuererlaß zu entscheiden, und wies außerdem auf seine schlechte finanzielle Lage hin. Das FA lehnte den begehrten Erlaß ab. Die Beschwerde des Klägers blieb erfolglos.

Mit der Klage machte der Kläger u. a. geltend: Die Voraussetzungen für den begehrten Erlaß der gezahlten Steuern seien gegeben, weil die Steuereinziehung im Zeitpunkt der Zahlung unbillig gewesen sei. Er, der Kläger, sei im Jahr 1941 wegen § 104 Nr. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) als schwerkriegsbeschädigt und erwerbsunfähig von der Wehrmacht entlassen worden. Diese Erwerbsunfähigkeit, die zu der Erwerbsunfähigkeitsrente geführt habe, hätte jedoch auch im Steuerrecht zum Fortfall der Steuerpflicht führen müssen.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG begründete seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt: Die angegriffenen Entscheidungen hielten sich im Rahmen der gesetzlichen Grenzen des Ermessens. Nach der Rechtsprechung des BFH hätten sich die Finanzbehörden im Streitfall darauf berufen dürfen, daß der Kläger zwischen 1979 und 1988 einen unverhältnismäßig langen Zeitraum habe verstreichen lassen, zumal 1979 eine Gesamtbereinigung aller gegenseitigen Ansprüche erfolgt sei. Die aktuelle Finanznot des Klägers rechtfertige keinen Erlaß. - Die Revision ließ das FG nicht zu.

Dagegen wendet sich der Kläger mit dem von ihm persönlich unterzeichneten Schriftsatz vom 10. August 1990. Darin heißt es: ,,In dem Rechtsstreit . . . ergeht Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision sowie Revision gegen das am 3. 8. 1990 zugestellte Urteil vom 27. 6. 1990 mit den Anträgen, sämtliche Vorentscheidungen aufzuheben und eingezogene Steuern zu erstatten. Für die Rechtsmittel muß die Beiordnung des erforderlichen Anwalts beantragt werden, weil der Kläger aufgrund seiner Geisteskrankheit in Ermangelung der Geschäftsfähigkeit keine wirksame Prozeßvollmacht erteilen kann."

Zur Begründung bringt der Kläger u. a. vor: Der unheilbare Krankheitszustand sei den Steuerbehörden und auch dem BFH aus den Verfahren . . . und . . . bekannt gewesen. Mit dem Verfahren . . . sei seine kostenrechtliche Nichtverantwortlichkeit zwischen denselben Parteien höchstrichterlich entschieden. - Auf Anfrage der Senatsgeschäftsstelle des erkennenden Senats teilte der Kläger mit, eine Pflegschaft zur Wahrung der gerichtlichen Angelegenheiten sei nicht angeordnet.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts i. S. des § 78 b der Zivilprozeßordnung (ZPO) für die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Revision wird abgelehnt.

Für die Wirksamkeit des gestellten Antrags kommt es zunächst nicht darauf an, ob der Kläger prozeßfähig i. S. von § 58 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist (vgl. BFH-Urteil vom 3. Dezember 1971 III R 44/68, BFHE 105, 230, BStBl II 1972, 541).

Gemäß § 155 FGO i. V. m. § 78 b ZPO hat das Prozeßgericht einem Beteiligten auf Antrag für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrung seiner Rechte beizuordnen, soweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, er einen zu seiner Vertretung bereiten Anwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Seit der Einführung des Vertretungszwanges vor dem BFH hat dieser als Prozeßgericht für die durchzuführende Revision bzw. Nichtzulassungsbeschwerde über die Beiordnung zu entscheiden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. November 1977 III S 6/77, BFHE 123, 433, BStBl II 1978, 57; vom 9. Dezember 1988 VI S 10/88, BFH/NV 1989, 381, und vom 27. November 1989 IX S 15/89, BFH/NV 1990, 503).

Der Kläger hat nicht - wie erforderlich - glaubhaft gemacht, daß er eine gewisse Anzahl von zur Vertretung vor dem BFH befugte Pesonen vergeblich um die Übernahme des Mandates gebeten hat (BFH-Beschluß in BFH/NV 1989, 381).

Die vom Kläger angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde bzw. Revision muß zudem aufgrund des vorliegenden Sach- und Streitstandes auch als aussichtslos beurteilt werden. Die vom Kläger bereits persönlich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde, ebenso die Revision, sind mangels Postulationsfähigkeit unzulässig. Denn gemäß Art. 1 Nr. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) hätte er sich durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vertreten lassen müssen. Auf dieses Erfordernis war er in der Rechtsmittelbelehrung des FG-Urteils ordnungsgemäß hingewiesen worden.

Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) kommt wegen Verschuldens des Klägers nicht in Betracht. Innerhalb der Revisions- bzw. Beschwerdefrist hat der Kläger nicht alles ihm Zumutbare getan, um das mögliche Hindernis fehlender Bereitschaft eines postulationsfähigen Prozeßvertreters zu seiner Vertretung vor dem BFH zu beseitigen. Voraussetzung wäre insoweit, wie für die Beiordnung eines Notanwalts, daß der Kläger zumindest eine gewisse Zahl von zur Vertretung vor dem BFH befugte Personen nachweisbar vergeblich um die Übernahme des Mandats ersucht hat (BFH-Beschlüsse vom 27. Januar 1988 VIII S 12/87, BFH/NV 1988, 383, und in BFH/NV 1989, 381).

Außerdem erscheint die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos. Aus der Begründung des Klägers ist nicht - wie erforderlich - ansatzweise erkennbar (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 123, 430, BStBl II 1978, 57, und vom 29. Oktober 1986 VII S 15/86, BFH/NV 1987, 519), daß die wegen wesentlicher Mängel des Verfahrens vor dem FG erhobene Revision als zulassungsfreie Revision gemäß § 116 FGO zulässig sein könnte. Insbesondere ist nicht erkennbar, daß der Kläger im Verfahren vor dem FG nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO). Wie sich aus den vom Kläger eingereichten Unterlagen, insbesondere dem Beschluß des Verwaltungsgerichts . . . vom 5. November 1987, betreffend eine Gerichtskostenrechnung vom 17. April 1958, ergibt, war der Vorinstanz zwar bekannt, daß der Kläger in der Zeit von 1972 bis 1977 entmündigt worden war. Der Entmündigungsbeschluß des Landgerichts . . . vom 26. Juli 1972 ist aber ausweislich der vorgelegten Akten durch Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) vom 1. Juni 1977 aufgehoben worden, und zwar mit der Begründung, daß ein die Entmündigung des Klägers rechtfertigender ,,Querulantenwahn" nicht angenommen werden kann. Deshalb hat der Kläger in der Folgezeit die Verfahren vor dem FG wieder in eigener Person betreiben können. Zu seiner Geschäftsfähigkeit hat der Kläger auf die Anfrage der Senatsgeschäftsstelle vom 3. September 1990 angegeben, eine Pflegschaft bestehe nicht. Die vom Kläger eingereichten Schriftsätze lassen ungeachtet des Umstandes, daß die Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint, entgegen der Behauptung der vom BFH bereits höchstrichterlich entschiedenen Geschäftsunfähigkeit Zweifel in dieser Richtung oder an seiner Verständigkeit nicht zu.

Demgegenüber kann sich der Kläger nicht auf das ihn selbst betreffende Urteil des erkennenden Senats vom 17. April 1969 . . . für die behauptete Geschäftsunfähigkeit berufen. Zwar ist dort unter Bezug auf ein im Strafverfahren . . . erstattetes Gutachten ausgeführt, daß sich der Kläger ,,wegen der tendenziös-querulatorischen Züge mit Krankheitswert" bereits seit 1964 in einem die Geschäftsfähigkeit und damit die Prozeßfähigkeit ausschließenden, andauernden Zustand gestörter Geistestätigkeit befunden habe, der eine - nach dem Urteil verständiger Menschen - normale Willensbildung nicht zulasse. Von der Fortdauer dieses Zustandes, und zwar in den Jahren 1955 und 1967, ging auch der vom Kläger erwähnte Beschluß des erkennenden Senats . . . u. a. vom 15. Dezember 1970 betreffend die Nichterhebung von Kosten noch aus. Dieser Befund liegt jedoch nach dem Urteil des OLG . . . seit 1977 nicht mehr vor. Der Kläger hat zudem seither die von ihm betriebenen Verfahren - so die vor dem FG, aber auch das 1987 vor dem VG . . . wegen Nichterhebung von Kosten - selbständig geführt.

Die vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 10. August 1990 ausdrücklich erwähnte Nichtzulassungsbeschwerde (§ 115 Abs. 3 FGO) erscheint aus diesen Gründen ebenfalls aussichtslos i. S. von § 78 b ZPO. Daß das FG den Kläger als prozeßfähig i. S. von § 58 FGO angesehen hat, kann keinen Verfahrensmangel i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO darstellen. Im übrigen hat der Kläger den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) oder den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) nicht hinreichend oder auch nur ansatzweise erkennbar gemacht. Der Zulassungsgrund der Abweichung von einer Entscheidung des BFH liegt nur dann vor, wenn das FG in einer Rechtsfrage eine andere Auffassung als der BFH vertritt (BFH-Beschluß vom 20. Februar 1980 II B 26/79, BFHE 129, 313, BStBl II 1980, 211). Bei der Frage, ob der Kläger zur Zeit prozeßfähig ist, handelt es sich jedoch um die Würdigung eines Sachverhalts. Im übrigen entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BFH, daß ein unverhältnismäßig spät gestellter Antrag auf Erstattung gezahlter Steuern aus Billigkeitsgründen schon mit Rücksicht auf den Zeitablauf zwischen Zahlung und Antragstellung abgelehnt werden kann (BFH-Urteil vom 17. März 1987 VII R 26/84, BFH/NV 1987, 620, m. w. N.). Das gilt ebenso hinsichtlich des Rechtssatzes, daß bestandskräftig festgesetzte Steuern im Billigkeitsverfahren nur dann nachgeprüft werden können, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wenden (BFH-Urteil vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512).

 

Fundstellen

Haufe-Index 417546

BFH/NV 1992, 471

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