Entscheidungsstichwort (Thema)

Überwachungs- bzw. Erkundigungspflicht bei Erteilung einer Generalvollmacht

 

Leitsatz (NV)

1. Zur Frage der Erkundigungs- bzw. Überwachungspflicht des Steuerpflichtigen hinsichtlich der rechtzeitigen Klageerhebung bei Erteilung einer Generalvollmacht für den Prozeßbevollmächtigten, in allen ihn betreffenden Angelegenheiten fristgerecht Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel einzulegen.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

 

Normenkette

FGO § 56 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) gegen einen Lohnsteuerhaftungsbescheid wurde vom Finanzgericht (FG) wegen Versäumung der Klagefrist (§ 47 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) als unzulässig abgewiesen, weil die angefochtene Einspruchsentscheidung durch Niederlegung bei der Post am 12. Oktober 1995 zugestellt worden war, die Klageschrift aber erst am 11. März 1996 beim Gericht eingegangen ist. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) wurde vom FG abgelehnt.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, das FG habe ihm zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Klagefrist versagt. Er habe -- wie bereits im finanzgerichtlichen Verfahren vorgetragen -- die am 14. Oktober 1995 beim zuständigen Postamt abgeholte Einspruchsentscheidung abredegemäß noch am selben Tage durch einfachen Brief seinem Prozeßbevollmächtigten übersandt, der Generalvollmacht gehabt habe, in allen ihn (den Kläger) betreffenden Angelegenheiten fristgerecht Rechtsbehelfe bzw. Rechtsmittel für ihn einzulegen. Der Brief mit der Einspruchsentscheidung sei aber, womit er nicht habe rechnen können, bei dem Prozeßbevollmächtigten nicht eingegangen. Aufgrund der erteilten Generalvollmacht habe er darauf vertrauen können, daß der Prozeßbevollmächtigte rechtzeitig Klage erhebe, ohne daß es einer Mandatsüberwachung oder Rückversicherung seinerseits, ob der Prozeßbevollmächtigte die Einspruchsentscheidung erhalten habe, bedurft habe.

Die Auffassung des FG, daß er die Fristversäumung verschuldet habe, weil es ihm zuzumuten gewesen sei, sich über den Eingang der Postsendung beim Prozeßbevollmächtigten Gewißheit zu verschaffen, weiche ab von dem Beschluß des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 19. September 1994 II ZB 7/94 (Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1994, 3101). Nach dieser Entscheidung bestehe keine Überwachungspflicht hinsichtlich der vom Prozeßbevollmächtigten vorzunehmenden Maßnahmen, wenn diesem ein Generalmandat -- wie im Streitfall -- erteilt worden sei. Anhaltspunkte, die eine Überwachung der Klagefrist geboten hätten, hätten für ihn nicht bestanden. Soweit das FG unterstellt habe, daß im Dezember 1995 eine Besprechung zwischen ihm und dem Prozeßbevollmächtigten stattgefunden habe und daß hierbei über sämtliche Verfahren gesprochen worden sei, sei dies nicht zutreffend. Die Sache sei von grundsätzlicher Bedeutung, da das FG bei der Erteilung von Generalmandaten eine "restriktivere Überwachungspflicht" des Auftraggebers verlange als die Rechtsprechung des BGH.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage -- Umfang der Überwachungspflicht des Auftraggebers hinsichtlich der Rechtsbehelfseinlegung durch den Bevollmächtigten bei Erteilung von Generalmandaten -- ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), da sie in einem den Streitfall betreffenden Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 10 und 62, m. w. N.). Denn die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Klagefrist durch das FG im Streitfall beruht nicht -- wie der Kläger meint -- auf einer von der Rechtsprechung des BGH abweichenden Rechtsauffassung des FG über den Umfang der vorgenannten Überwachungspflicht, sondern auf einer zusätzlichen Würdigung von Tatsachen, wie sie in dem zitierten Entscheidungsfall des BGH nicht gegeben waren.

Das FG hat auch bei Vorliegen einer Ge neralvollmacht für den Prozeßbevollmächtigten ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden des Klägers an der Fristversäumung (§ 56 Abs. 1 FGO) deshalb angenommen, weil es dem Kläger bei fristbehafteten Schriftstücken (hier: Einspruchsentscheidung) zuzumuten gewesen sei, sich über den Eingang der Postsendung beim Prozeßbevollmächtigten Gewißheit zu verschaffen, damit im Verlustfall sofort Gegenmaßnahmen hätten eingeleitet werden können. Soweit der Kläger sich in diesem Zusammenhang auf den Beschluß des BGH in NJW 1994, 3101 berufe, sei darauf hinzuweisen, daß der BGH zwar keine Überwachung hinsichtlich der vom Prozeßbevollmächtigten vorzunehmenden Maßnahmen verlange, daß er aber eine Überwachung der Fristen durch den Absender für den Fall vorsehe, daß sich Anhaltspunkte dafür ergäben, daß etwas nicht in Ordnung ist. Ein derartiger Anhaltspunkt habe sich für den Kläger bei seinen -- nach seinem Vortrag regelmäßigen -- Treffen mit seinem Prozeßbevollmächtigten daraus ergeben müssen, daß er von diesem keine Klageschrift zu dem Lohnsteuerhaftungsbescheid ausgehändigt erhalten habe. Wenn man vom Vortrag des Prozeßbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung ausgehe, müßten sich der Kläger und dieser spätestens im Dezember 1995 zur Besprechung der Situation des Klägers getroffen haben. Dabei hätte aus der Sicht des Klägers der Lohnsteuerhaftungsbescheid erwähnt werden müssen, weil er trotz Übersendung an den Prozeßbevollmächtigten kein entsprechendes Schriftstück mit einer Reaktion erhalten hätte. Wenn man schon einvernehmlich diesen unüblichen Weg des Postaustausches gewählt habe, habe es dem Kläger bei einer fehlenden Reaktion seines Prozeßbevollmächtigten oblegen, entsprechende Erkundigungen einzuholen.

Diese Ausführungen des FG zeigen, daß die Vorentscheidung mit der Rechtsprechung des BGH in Einklang steht, daß sie aber für den Streitfall -- anders als in dem zitierten Entscheidungsfall des BGH -- vom Vorliegen besonderer Umstände ausgegangen ist, aus denen sich trotz des Vorliegens einer Generalvollmacht eine Erkundigungspflicht des Klägers hinsichtlich der an den Prozeßbevollmächtigten abgesandten Einspruchsentscheidung ergab. Die Beschwerde hat zwar das Vorliegen von Anhaltspunkten, aus denen sich -- auch nach der Rechtsprechung des BGH -- eine Erkundigungspflicht des Klägers hätte ergeben können, bestritten. Sie hat aber hinsichtlich der vom FG angenommenen und festgestellten Tatsachen keine Verfahrensrüge erhoben und insbesondere zu der Aussage des Prozeßbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung über die regelmäßig alle zwei bis drei Monate stattfindenden Treffen mit dem Kläger zur Besprechung aller Angelegenheiten und zur Aushändigung des gesamten in der Zwischenzeit vom Prozeßbevollmächtigten angefertigten Schriftverkehrs nicht Stellung genommen.

Hilfsweise hat das FG die Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch darauf gestützt, daß die Antragsfrist von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) verstrichen sei. Denn hätte der Kläger bei dem einschlägigen Treffen mit dem Prozeßbevollmächtigten spätestens im Dezember 1995 den Lohnsteuerhaftungsbescheid erwähnt, so hätte bereits zu diesem Zeitpunkt -- spätestens Mitte Januar 1996 -- ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt werden müssen. Die Klageerhebung am 11. März 1996 (nachdem der Kläger durch den die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids ablehnenden Beschluß des FG vom 2. Februar 1996 von der eingetretenen Bestandskraft des Haftungsbescheids erfahren hat) sei damit in jedem Falle verspätet. Hinsichtlich dieser, die Vorentscheidung ebenfalls tragenden Begründung des FG sind Zulassungsgründe i. S. des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO nicht vorgetragen worden.

 

Fundstellen

BFH/NV 1997, 355

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