Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Förderungsgesetze

 

Leitsatz (amtlich)

Der VI. Senat des Bundesfinanzhofs leitet das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ein zur Prüfung der Frage, ob die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955 betreffend die Höhe der Wohnungsbauprämie für Ehegatten mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist.

 

Normenkette

WoPG § 3 Abs. 2 S. 2, § 8; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 6

 

Tatbestand

I. Sachverhalt, Entscheidung des Finanzgerichts und Rechtsbeschwerdebegründung

Der Bf. ist seit dem Jahre 1956 verheiratet. Er und seine Ehefrau haben vor der Eheschließung jeder für sich einen Bausparvertrag abgeschlossen. Es haben im Streitjahr 1957 der Bf. auf seinen Vertrag 7.184,60 DM und die Ehefrau auf ihren Vertrag 4.103,50 DM eingezahlt.

Die Eheleute beantragten für 1957 eine Wohnungsbauprämie von je 400 DM. Das Finanzamt gewährte ihnen aber nur eine Prämie von insgesamt 400 DM und teilte davon gemäß Abschn. 10 der Richtlinien zur Durchführung des Wohnungsbau-Prämiengesetzes (WoPR) 1956 (BStBl 1956 I S. 365) dem Bf. 256 DM und seiner Ehefrau 144 DM zu. Es stützte seine Entscheidung auf § 3 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Gewährung von Prämien für Wohnbausparer in der Fassung vom 21. Dezember 1954 - WoPG 1955 - (BGBl 1954 I S. 482, BStBl 1954 I S. 709), wonach Ehegatten, die während des ganzen Kalenderjahres nicht dauernd getrennt gelebt haben, zusammen nur eine Prämie von höchstens 400 DM erhalten können.

Das Finanzgericht wies die Berufung des Bf., der die Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955 bestritt, als unbegründet zurück. Es schloß sich dabei dem Urteil des Senats VI 2/55 U vom 26. Juli 1957 (BStBl 1957 III S. 310, Slg. Bd. 65 S. 201) an, das § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955 als verfassungsgerecht bezeichnet. Das Finanzgericht führte aus, in Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) sei zwar der Schutz der Ehe garantiert. Daraus folge aber nicht, daß der Gesetzgeber Ehegatten auch bei Prämien und Unterstützungen wie zwei einander fremde Personen behandeln müsse. Die Schutzgarantie für die Ehe in Art. 6 GG bedeute nicht einen Förderungszwang für das Institut der Ehe. Die einem Bauvorhaben zuteil werdende Prämie habe der Gesetzgeber auf höchstens 400 DM jährlich begrenzt. In der Zusammenrechnung der prämienbegünstigten Aufwendungen von Ehegatten liege keine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen, weil den Ehegatten zusammen im allgemeinen für den Bau eines Hauses keine höheren Aufwendungen entstünden als einem Ledigen allein. Verlobte oder im Konkubinat lebende Personen könnten allerdings tatsächlich eine höhere Prämie erhalten als Ehegatten. Dabei handle es sich aber um Ausnahmen, die das Gesetz im Interesse der Vereinfachung in Kauf nehme. Der Bf. und seine Ehefrau hätten zwar vor der Ehe je 400 DM Prämie erhalten, während sie nach der Eheschließung zusammen nur noch 400 DM Prämien erhielten. Dieser Nachteil sei aber nicht eine Folge der Eheschließung, sondern beruhe darauf, daß der Bf. und seine Ehefrau nach der Eheschließung für ein gemeinsames Ziel sparten.

Der Bf. rügt mit der Rb. unrichtige Rechtsanwendung dadurch, daß das Finanzgericht § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955 angewandt habe. Der Bf. hält diese Vorschrift mit dem in Art. 6 Abs. 1 GG garantierten Schutz von Ehe und Familie für unvereinbar. Sie sei dem § 26 EStG a. F. nachgebildet, den das Bundesverfassungsgericht im Beschluß 1 BvL 4/54 vom 17. Januar 1957 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 6 S. 55, BStBl 1957 I S. 193) für verfassungswidrig erklärt habe. Es sei auch dem WoPG nicht zu entnehmen, daß der Gesetzgeber nur jeweils ein Bauvorhaben begünstigen wolle. Tatsächlich sei es kein Sonderfall, daß mehrere Personen für ein Bauvorhaben Prämien erhielten. Wenn z. B. die über 18 Jahre alten Kinder neben den Eltern für dasselbe Bauvorhaben sparten, werde jedem Beteiligten eine Prämie bis zu 400 DM gewährt.

 

Entscheidungsgründe

II. Rechtsentwicklung

§ 3 Abs. 2 WoPG 1955 gilt - abgesehen von einer hier nicht interessierenden Neuformulierung - seit dem Gesetz vom 17. März 1952 (BGBl 1952 I S. 139, BStBl 1952 I S. 207), auf Grund dessen erstmals Wohnungsbauprämien gewährt wurden, sachlich unverändert. Die Regelung ist auch durch die änderungen des WoPG in den Gesetzen vom 16. Dezember 1954 (BGBl 1954 I S. 373, 388, BStBl 1954 I S. 575, 590), vom 24. Juli 1958 (BGBl 1958 I S. 539, BStBl 1958 I S. 508) und vom 30. Juli 1960 (BGBl 1960 I S. 616, BStBl 1960 I S. 514) nicht berührt worden.

Der Senat hat in dem Urteil VI 2/55 U, a. a. O., die Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1952 bejaht. Im Fachschrifttum hat diese Entscheidung Kritik gefunden (siehe die Zusammenstellung bei Grimm, Kommentar zum Wohnungsbau-Prämiengesetz, 1961, Anm. 4 zu § 3 WoPG).

Das Finanzgericht Düsseldorf hat in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1960 S. 125 ebenfalls die Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 WoPG bejaht, während das Oberlandesgericht Oldenburg die Vorschrift für verfassungswidrig hält und durch Beschluß vom 6. März 1962 gemäß Art. 100 Abs. 1 GG des Bundesverfassungsgericht angerufen hat.

III. Entscheidungserheblichkeit der Streitfrage

Dem Bf. und seiner Ehefrau steht, wenn § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955 rechtsgültig ist, nur eine Prämie von 400 DM zu. Die Rb. wäre dann als unbegründet zurückzuweisen. Ist dagegen die Vorschrift nichtig, so kann zwar zweifelhaft sein, ob dann der Bf. und seine Ehefrau jeder ohne weiteres eine Prämie bis zum Höchstbetrag von 400 DM fordern können oder ob, wenn das Bundesverfassungsgericht § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955 für nichtig erklärt hat, dadurch nicht eine Lücke im Gesetz entsteht, die der Gesetzgeber zunächst ausfüllen muß. Diese Frage braucht aber hier nicht geprüft zu werden. Denn wenn der Bf. und seine Ehefrau nach Nichtigerklärung des § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955 unmittelbar jeder für sich eine Prämie bis zum Höchstbetrag von 400 DM fordern können, so muß der Senat nach Aufhebung der Vorentscheidung in der Sache selbst entscheiden. Wenn aber ein Eingreifen des Gesetzgebers erforderlich ist, so muß nach Aufhebung der Vorentscheidung das Verfahren bis zu der gebotenen gesetzlichen Neuregelung ausgesetzt werden.

IV. Zur Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955

Der Senat hält an den Rechtsgrundsätzen seines Urteils VI 2/55 U, a. a. O., nicht fest, vor allem auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 betreffend die Nichtigkeit des § 26 EStG a. F. und der Fortbildung der Rechtsgrundsätze dieser Entscheidung in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Februar 1961 1 BvL 29/57, 1 BvL 20/60 (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 12 S. 151, BStBl 1961 I S. 55), vom 21. Februar 1961 1 BvR 314/60 (Bd. 12 S. 180, BStBl 1961 I S. 63) und vom 24. Januar 1962 1 BvR 845/58 und 1 BvR 232/60 (BStBl 1962 I S. 500 und 506).

Seine Bedenken, daß die streitige Vorschrift mit dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung, die dieser Grundsatz durch das Ehegatten- und Familiengrundrecht in Art. 6 Abs. 1 GG erfahren hat, vereinbar ist, stützt der Senat auf die folgenden Erwägungen:

In den bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ging es um die Mehrbelastung mit Steuern, die durch die Ehe ausgelöst wurden. Bei den Wohnungsbauprämien handelt es sich dagegen um eine Förderungsmaßnahme des Steuerfiskus zum Wohnungsbau.

Es fragt sich daher zunächst, ob Ehegatten auch bei Gewährung von Begünstigungen durch den Steuerfiskus nicht schlechtergestellt werden dürfen, als wenn sie zwei einzelstehende, unverheiratete Personen wären.

Diese Frage kann wohl weder allgemein bejaht noch verneint werden, vielmehr dürfte in jedem Fall zu prüfen sein, ob der Gesetzgeber nach den Wertungsprinzipien in Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG sachgerecht handelt, wenn er die Ehegatten als Einheit betrachtet und ihnen deshalb insgesamt eine Zuwendung nur in derselben Höhe macht wie einem Ledigen.

Auf jeden Fall würde es eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG bedeuten, wenn Ehegatten bei Begünstigungen nur deshalb, weil sie verheiratet sind, schlechtergestellt würden als unverheiratete Personen. Der Gesetzgeber darf zwar besonderen Verhältnissen, in denen sich Ehegatten gegenüber alleinstehenden Personen befinden, Rechnung tragen und kann darum z. B. bei der Festsetzung von Unterstützungen berücksichtigen, daß eine Haushaltsgemeinschaft von zwei Personen gewöhnlich weniger Aufwand verlangt als zwei Haushalte alleinstehender Personen. Er darf aber nicht allgemein ohne sachliche Gründe Ehegatten schlechterstellen als zwei Einzelpersonen.

Die Frage, ob der Gesetzgeber gezwungen gewesen wäre, für Ehegatten den Höchstbetrag der Prämie auf 800 DM festzusetzen, wenn er den Satz für Ledige auf 400 DM festsetzte, ist zu verneinen. Begünstigungen wie die Wohnungsbauprämien belasten die Ausgabenseite des Staatshaushalts; die Gesetzgebung kann und muß den Gesamtbetrag von Mitteln, die sie zur Förderung eines bestimmten Zweckes bereitstellt, in freier politischer Entscheidung bestimmen (vgl. § 7 WoPG 1955).

Eine andere Frage ist es allerdings, ob der Gesetzgeber die bereitgestellten Förderungsmittel nicht so an die begünstigten Personenkreise verteilen muß, daß die Wertungen des GG angemessen berücksichtigt werden, besonders also, daß unter dem Einfluß von Art. 3 Abs. 1 GG unsachliche Willkür vermieden und unter dem Einfluß von Art. 6 Abs. 1 GG Ehegatten nicht ohne zureichenden Grund benachteiligt werden.

Im Zusammenhang mit Förderungsmaßnahmen ist § 2 des Spar-Prämiengesetzes (SparPG) vom 5. Mai 1959 (BGBl 1959 I S. 241, BStBl 1959 I S. 199) von Bedeutung. Dieses Gesetz, das nach Inhalt, Zweck und Aufbau dem WoPG ähnlich ist, hat die Behandlung von Ehegatten sowie von Eltern und Kindern grundsätzlich anders geregelt als das WoPG.

Im SparPG ist nämlich für eine alleinstehende Person der Höchstbetrag auf 120 DM festgesetzt; für Ehegatten wird der Betrag verdoppelt; ferner ist für jedes Kind bis zu 18 Jahren ein weiterer Erhöhungsbetrag vorgesehen. Der Senat ist der Auffassung, daß die Regelung des SparPG im ganzen dem Wesen der Familie und dem Schutzgedanken des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG besser entspricht als die des WoPG.

Daraus ergibt sich allerdings noch nicht, daß der Gesetzgeber, der das SparPG zeitlich nach dem WoPG erlassen hat, den im SparPG gewählten Weg auch im WoPG von vornherein hätte gehen oder daß er wenigstens nach Erlaß des SparPG das WoPG dem hätte anpassen müssen. Denn in welcher Form und in welchem Umfang Vergünstigungen gewährt werden, ist an sich grundsätzlich eine Frage des gesetzgeberischen und politischen Ermessens. Die Gerichte dürfen dabei nur nachprüfen, ob der Gesetzgeber sich von unsachlicher Willkür freigehalten und die Wertungen des GG, wie sie in den Grundrechten niedergelegt sind, ausreichend beachtet hat. Die Abgrenzung der Funktionen des Gesetzgebers und des Richters, der den Gesetzgeber auf die Beachtung der Grundrechte zu überwachen hat (siehe Art. 1 Abs. 3 GG), ist hier besonders schwierig. Die Rechtsprechung darf dabei nur mit Vorsicht vorgehen und nicht in den politischen Streit der Gesetzgebung einzudringen versuchen (vgl. Urteil des Senats VI 20/58 U vom 28. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 196, Slg. Bd. 66 S. 512).

Bei der Beurteilung von § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG im Verhältnis zu § 2 SparPG kann aber nicht außer Betracht bleiben, daß bei dem im Jahre 1959 erlassenen SparPG sich offenbar die geänderte Beurteilung ausgewirkt hat, die für die Behandlung von Ehegatten im Steuerrecht mit dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 betreffend die Nichtigkeit des § 26 EStG a. F. zum Durchbruch gekommen ist. Bis dahin war es eine fest eingewurzelte und fast allgemein anerkannte Vorstellung, daß im Bereich des Steuerrechts zusammenlebende Ehegatten eine Einheit bilden, weil sie in einen Topf wirtschaften. Nachdem das Bundesverfassungsgericht diesen Grundsatz als mit Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar bezeichnet hatte, und Gesetzgebung und Rechtsprechung sich auf diese Wertung des Bundesverfassungsgerichts einstellten, wäre es allerdings sachgerecht gewesen, den neuen Anschauungen über die Auswirkungen der Ehe im Steuerrecht auch durch eine änderung des § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG Rechnung zu tragen, und zwar in der Richtung, die später in § 2 SparPG eingeschlagen worden ist.

Man kann sogar darüber streiten, ob die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG überhaupt von vornherein sachgerecht war, weil sie zu einer Sonderbehandlung bestimmter Gruppen von Ehegatten führt und dadurch möglicherweise Art. 3 Abs. 1 GG verletzt. In diesem Zusammenhang ist das Folgende zu bedenken: Bausparverträge, die im WoPG durch die Gewährung von Prämien begünstigt sind, werden auch dadurch begünstigt, daß sie als Sonderausgaben (ß 10 Abs. 1 Ziff. 3 EStG 1955) vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgesetzt werden können und daher zu einer niedrigeren Einkommensteuer führen. Nach § 8 Abs. 1 WoPG 1955 schließen beide Vergünstigungen einander aus; der Sparende muß sich für eine von ihnen entscheiden. Entschließt er sich für die Absetzung als Sonderausgaben, so wirkt sich der Familienstand bei der Höhe des Sonderausgabenhöchstbetrags und damit bei der Höhe der Einkommensteuer aus (vgl. § 10 Abs. 3 Ziff. 3 a EStG). Es ist nicht ersichtlich, warum angesichts der engen wirtschaftlichen Verwandtschaft zwischen beiden Formen der Begünstigung von Bausparverträgen nicht auch die Höhe der Prämien parallel ausgestaltet worden ist.

Der Gedanke, die Verwaltungsarbeit für die Prämien zu vereinfachen, ist wohl kein zureichender sachlicher Grund für die verschiedene Behandlung von Sonderausgaben und Prämien. Auch nicht die Tatsache, daß Prämien im allgemeinen nur von Bürgern mit geringem Einkommen, also in sogenannten "kleineren Fällen" in Anspruch genommen werden, weil in "größeren Fällen" der Abzug als Sonderausgaben vorteilhafter ist. Auch die überlegung, daß niemand gezwungen sei, die Prämienvergütungen zu wählen, sondern jeder den Abzug als Sonderausgaben wählen könne, rechtfertigt die Verschiedenheit im Aufbau der beiden ähnlichen Vergünstigungen wohl nicht ausreichend.

Mit der Beschränkung der Prämie auf 400 DM für Ehegatten hängt es zusammen, daß Ehegatten nach der Auffassung von Rechtsprechung und Verwaltung das Wahlrecht des § 8 WoPG 1955 nur einheitlich ausüben können (vgl. Abschn. 26 Abs. 6 WoPR 1956/1960; Abschn. 103 Abs. 2 EStR 1960; Entscheidung des Senats VI 2/55 U, a. a. O.). Welche Schwierigkeiten diese Regelung mit sich bringen kann, hat Grimm, a. a. O., in Anm. 4 zu § 8 WoPG dargestellt. Abgesehen davon, daß bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ehegatten kaum eine vernünftige Lösung der dann auftretenden Schwierigkeiten möglich ist, können Ehegatten auch sachlich benachteiligt werden, wenn sie zur Einkommensteuer getrennt veranlagt werden, und der eine Ehegatte beim Abzug der Sonderausgaben und der andere bei der Inanspruchnahme der Prämie besser fährt.

Bei der Gesamtbeurteilung des Problems ist also auch der Grundsatz der Einheit des Wahlrechts unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG nicht bedenkenfrei.

In der vorliegenden Sache braucht nicht erörtert zu werden, ob § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955 nicht auch dadurch die Grundrechte des Art. 3 Abs. 1 und des Art. 6 Abs. 1 GG verletzt, daß auch Kinder bis zu 18 Jahren mit ihren Eltern als Einheit behandelt werden. In § 3 Abs. 1 WoPG 1955 ist zwar der Vomhundertsatz für die Prämien nach der Zahl der Kinder gestaffelt. Der Höchstbetrag von 400 DM (ß 3 Abs. 2 WoPG 1955) ist dagegen von der Zahl der Kinder unabhängig. Die Vorschrift hat insoweit eine gewisse ähnlichkeit mit § 27 EStG. Da die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift ebenfalls zweifelhaft ist, hat der Senat inzwischen beschlossen, auch hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 27 EStG das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG einzuleiten.

Der Senat hat im Urteil VI 126/61 U vom 19. Januar 1962 (BStBl 1962 III S. 174) ausgesprochen, daß über 18 Jahre alten Kindern eine eigene Prämie zusteht, wenn sie einen eigenen Bausparvertrag abgeschlossen haben, auch wenn ihnen die Sparmittel von den Eltern zur Verfügung gestellt werden. Es ist nicht einzusehen, warum für Kinder unter 18 Jahren allgemein etwas anderes gelten soll, wenn sie rechtswirksam einen eigenen Sparvertrag abschließen und die Einzahlungen aus eigenen Mitteln leisten.

Im übrigen gilt das oben in Ziffern IV 3. und 5. für Ehegatten Ausgeführte auch für Kinder unter 18 Jahren: Die Sparprämien und die Sonderausgabenhöchstsätze werden erhöht, wenn Kinder unter 18 Jahren vorhanden sind, während in dem Parallelfall der Wohnungsbauprämie es auf den Höchstsatz der Prämie ohne Einfluß ist, ob der Prämienberechtigte Kinder unter 18 Jahren hat.

Die Erwägungen, mit denen das Finanzgericht im Anschluß an die bisherige Rechtsprechung des Senats die Verfassungsmäßigkeit des § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG begründet, greifen wohl nicht durch.

Das Finanzgericht leugnet zu Unrecht, daß der Bf. und seine Ehefrau durch die Eheschließung benachteiligt worden sind, obgleich sie statt bisher 800 DM in Zukunft nur noch 400 DM als Prämie erhalten. Diese Wirkung ist auch keine Besonderheit des Streitfalls, sondern tritt infolge der Fassung des Gesetzes in allen gleichgelagerten Fällen ein.

Das WoPG läßt nicht erkennen, daß es durch die Prämie nur ein Bauvorhaben gefördert wissen will. Bei Bausparverträgen ist weder für die Begünstigung in Form der Sonderausgaben noch für die Begünstigung in Form von Prämien Voraussetzung, daß der Sparende überhaupt baut; denn nach Ablauf der Sperrfrist wird nicht mehr geprüft, zu welchem Zweck der Sparer die Bausparsumme verwendet (siehe Grimm, a. a. O., Anm. 2 a zu § 5 WoPG). Der Gesetzgeber sieht es dann offenbar als zureichenden Grund für die gewährte Vergünstigung an, daß während der Sperrfrist die Sparmittel anderen Bausparern zur Finanzierung des Wohnungsbaus zur Verfügung gestanden haben. Ebensowenig läßt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ableiten, daß ein Bausparvertrag mit einem bestimmten Bauvorhaben in Verbindung zu setzen ist oder nur für ein Bauvorhaben eine Vergünstigung gewährt werden darf.

Der Senat hat erwogen, ob er, um im Streitfall zu einem den Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG entsprechenden Ergebnis zu kommen, die Fälle von Ehegatten, die bereits vor der Ehe eigene Bausparverträge geschlossen hatten, die sie nach der Eheschließung fortführen, als Sonderfälle behandeln soll, die nicht unter § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955 gebracht und in denen deshalb beiden Ehegatten je eine Prämie bis zum Höchstbetrag von 400 DM gewährt werden kann (sogenannte verfassungskonforme Auslegung). Der Senat verneint die Zulässigkeit einer solchen Auslegungsmethode aus den folgenden Gründen:

Der Gesetzgeber hat für Fälle der hier streitigen Art offenbar keine Sonderregelung treffen wollen. Er hat sich vielmehr bei Erlaß der Vorschrift von der Vorstellung der Einheit leiten lassen, die damals für die Behandlung der Ehegatten im Steuerrecht allgemein anerkannt und üblich war. Eine sogenannte verfassungskonforme Auslegung würde darum den Gesetzgeber überspielen und die ihm nach dem GG allein zustehende Rechtssetzungsbefugnis umgehen. Der Senat würde aber bei einer solchen Handhabung die Grenze des Auftrags überschreiten, der den Gerichten in Art. 20 GG erteilt ist.

Nach den allgemeinen Grundsätzen über die Auslegung von Gesetzen muß der Richter zwar auch die "Entwicklung der Verhältnisse" bei der Auslegung berücksichtigen. Den Steuergerichten ist das sogar ausdrücklich in § 1 Abs. 2 des Steueranpassungsgesetzes aufgetragen. Das kann aber nicht dazu führen, ein klares Gesetz, dessen Verfassungsmäßigkeit auf Grund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachträglich zweifelhaft geworden ist, unter Berufung auf die "Entwicklung der Verhältnisse" als nicht mehr vorhanden anzusehen. In solchen Fällen müssen es die Gerichte vielmehr dem Gesetzgeber überlassen, im Wege der Gesetzgebung die verfassungsmäßige Ordnung herzustellen. Soweit etwa dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts 2 BvF 1/60 vom 16. Mai 1961 betreffend die Zusatzbesteuerung für mehrstufige Unternehmen - unter B IV - (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 12 S. 341, BStBl 1961 I S. 432) eine andere Rechtsauffassung zugrunde liegen sollte, tritt der Senat ihr nicht bei.

Der Versuch einer verfassungskonformen Auslegung in dem erwähnten Sinn würde zu großer Rechtsunsicherheit führen. Wenn erst § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955 entgegen seinem klaren Wortlaut und dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers für Fälle der vorliegenden Art nicht angewandt würde, könnte die Rechtsprechung keine klare Linie mehr halten. Denn wenn man die vor der Ehe von Ehegatten geschlossenen Bausparverträge, die während der Ehe fortgeführt werden, selbständig prämienbegünstigen wollte, so gäbe es keinen vernünftigen Grund, nach der Ehe geschlossene eigene Bausparverträge von Ehegatten nicht in gleicher Weise zu begünstigen, vor allem, wenn die Ehegatten die Sparmittel aus ihrem eigenen Einkommen und Vermögen aufbringen. Nähme man das aber an, so wäre § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG vollständig ausgehöhlt und bedeutungslos.

Zusammenfassung Der Senat hält aus allen diesen Gründen die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 WoPG 1955 für mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG unvereinbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410463

BStBl III 1962, 329

BFHE 1963, 170

BFHE 75, 170

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