Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Richterablehnung bei unsubstantiierter Vermutung eines Zusammenwirkens mit dem FA

 

Leitsatz (NV)

Befangenheit kann nicht angenommen werden, wenn ein ,,Zusammenwirken" des Richters mit einem Prozeßbeteiligten lediglich behauptet wird, aber keine Umstände erkennbar sind, die auf ein solches Zusammenwirken zu Lasten des anderen Prozeßbeteiligten hindeuten.

Aus der im Rahmen einer früheren richterlichen Entscheidung vertretenen, für den Betroffenen ungünstigen Rechtsansicht allein kann selbst dann kein Ablehnungsgrund hergeleitet werden, wenn diese Auffassung falsch sein sollte (Anschluß an BFH-Beschluß vom 7. April 1988 X B 4/88, BFH/NV 1989, 587). Etwas anderes gilt nur dann, wenn Gründe dargetan sind, die dafür sprechen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (Anschluß an BFH in BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638, und in BFH/NV 1989, 708).

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2, § 44

 

Tatbestand

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehren vor dem Finanzgericht (FG) die steuermindernde Anrechnung eines Verlustrücktrags aus 1978 im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung 1977. Sie lehnten in diesem Verfahren den Vorsitzenden des zuständigen Senats, Vorsitzender Richter am FG X, und den Berichterstatter, Richter am FG Y, wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die beiden Richter hatten an folgenden die Kläger betreffenden Entscheidungen des . . . Senats mitgewirkt: Klageabweisendes Urteil vom 5. Februar 1986 in Sachen Einkommensteuer 1972, 1973, 1975 und 1977; Beschluß vom 10. Mai 1990 (A), durch den die Kosten nach Erledigung der Hauptsache in Sachen Einkommensteuer 1978 dem Finanzamt (- FA -) auferlegt wurden, und Beschluß vom 10. Mai 1990 (B), durch den die Kosten nach Erledigung der Hauptsache in Sachen Gewerbesteuermeßbetrag 1978 dem Kläger auferlegt wurden.

Zur Begründung ihres Ablehnungsantrags führten die Kläger im wesentlichen aus, der Senat habe in seinem klageabweisenden Urteil ohne ein einziges Wort der Begründung drei nicht veräußerte Grundstücke in das gewerbliche Betriebsvermögen einbezogen. Im Verfahren A, in dem es wieder um die Zugehörigkeit dieser Grundstücke zum Betriebsvermögen gegangen sei, hätten die abgelehnten Richter oder einer von ihnen veranlaßt, daß das FA den angeblichen Gewinn aus der angeblichen Entnahme der Grundstücke aus dem Betriebsvermögen im Jahre 1978 so weit herabgesetzt habe, daß sich keine Einkommensteuer 1978 mehr ergeben habe. Im Verfahren B habe das Gericht kurzerhand eine Kostenentscheidung getroffen, obgleich sie (Kläger) angekündigt hätten, daß sie ihre Erklärung der Erledigung der Hauptsache zurücknehmen würden, wenn sich das Gericht der geänderten Auffassung des FA anschließen sollte. Mangels beiderseitiger Erledigungserklärungen hätte eine Kostenentscheidung nicht ergehen dürfen. Im anhängigen Verfahren gehe es darum, ob den Klägern für 1977 die steuermindernde Anrechnung eines Verlustrücktrags aus 1978 zustehe, weil ein Gewinn aus der angeblichen Entnahme der strittigen Grundstücke im Jahre 1978 nicht angefallen sei und sich deshalb für 1978 ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte ergebe. Die beiden abgelehnten Richter hätten sich durch die vorangegangenen Verfahren in so starkem Maße in einen offensichtlich falschen Standpunkt verstrickt, daß von ihnen nicht zu erwarten sei, daß sie ihn nochmals überdenken und dann aufgeben könnten, zumal sie damit zugeben müßten, daß ihre Entscheidung im Verfahren i. S. Einkommensteuer falsch gewesen sei.

X und Y gaben dienstliche Äußerungen des Inhalts ab, daß sie sich bei ihren Entscheidungen ausschließlich von rechtlichen Erwägungen hätten leiten lassen.

Das FG hat den Ablehnungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Es führt im wesentlichen aus, selbst wenn das Urteil vom 5. Februar 1986 fehlerhaft wäre, sei nicht ersichtlich, daß diese Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung oder auf Willkür der abgelehnten Richter gegenüber den Klägern beruhe. Die Richtigkeit der Behauptung der Kläger unterstellt, daß X oder Y im Verfahren A die vom FA in Aussicht gestellte Steuerfestsetzung veranlaßt hätten, sei auch insoweit nicht erkennbar, daß X und Y der Sache der Kläger nicht unvoreingenommen und unparteiisch gegenüberständen. Letztlich hätten sie das Obsiegen der Kläger befürwortet. Im Verfahren B hätte außer der Erledigungserklärung der Kläger vom 1. Juli 1989 eine Erledigungserklärung des FA vom 23. August 1989 vorgelegen, die den Klägern zugeleitet worden sei. Da nach Eingang beider Erledigungserklärungen ein Widerruf nicht mehr zulässig gewesen wäre, habe auch kein Anlaß bestanden, sich mit der im Schriftsatz vom 16. September 1989 in Aussicht gestellten Rücknahme der Erledigungserklärung der Kläger zu befassen.

Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde der Kläger. Dieser hat das FG nicht abgeholfen.

Die Kläger machen im wesentlichen geltend, sie hätten keine Gelegenheit erhalten, zum Inhalt der dienstlichen Äußerungen der Richter X und Y Stellung zu nehmen. Schon wegen dieses erheblichen Verfahrensmangels sei der angefochtene Beschluß aufzuheben. Im übrigen hätten sie ein Zusammenwirken der Richter X und Y oder eines von ihnen mit dem FA behauptet. Dazu würden die Richter X und Y wohl noch Genaueres in ihren dienstlichen Äußerungen anzugeben haben; ggf. sei auch der Leiter der Rechtsbehelfsstelle des FA zu diesem Zusammenwirken zu hören.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Es kann offenbleiben, ob das FG das rechtliche Gehör der Kläger dadurch verletzt hat, daß es ihnen die dienstlichen Äußerungen der Richter X und Y nicht vor der Entscheidung zur Kenntnis gebracht hat (vgl. dazu Baumbach / Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 48. Aufl., § 44 Anm. 3 B). Ein solcher Verstoß wäre jedenfalls geheilt; denn die Kläger hatten im vorliegenden Beschwerdeverfahren, das nicht den Beschränkungen des Revisionsverfahrens unterliegt, die Möglichkeit, sich zu den dienstlichen Erklärungen der Richter zu äußern (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. September 1976 I B 113/75, BFHE 120, 134, BStBl II 1977, 83, und vom 6. Juni 1989 VII B 25/89, BFH/NV 1990, 77).

2. Zutreffend hat das FG das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen.

Nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) setzt die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit einen Grund voraus, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Unerheblich ist, ob ein solcher Grund wirklich vorliegt (BFH-Beschlüsse vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12, und vom 30. August 1989 IX B 82/89, BFH/NV 1990, 317). Durch das Institut der Richterablehnung sollen die Beteiligten vor Unsachlichkeit geschützt werden. Es ist kein geeignetes Mittel, sich gegen unrichtige bzw. für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren, gleichgültig, ob diese Ansichten formelles oder materielles Recht betreffen (BFH-Beschlüsse vom 17. Juli 1974 VIII B 29/74, BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638, und vom 16. Februar 1989 X B 99/88, BFH/NV 1989, 708). Es ist auch nicht Sinn dieses Instituts, den Beteiligten die Möglichkeit zu eröffnen, nach ihrem Belieben Einfluß auf die Besetzung der Richterbank zu nehmen (BFH-Beschlüsse vom 10. März 1972 VI B 141/70, BFHE 105, 316, BStBl II 1972, 570, und vom 7. April 1988 X B 4/88, BFH/NV 1989, 587). Aus der im Rahmen einer früheren richterlichen Entscheidung vertretenen, für den Betroffenen ungünstigen Rechtsansicht allein kann selbst dann kein Ablehnungsgrund hergeleitet werden, wenn diese Auffassung falsch sein sollte (BFH-Beschlüsse vom 2. März 1978 IV R 120/76, BFHE 125, 12, BStBl II 1978, 404; vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555, und in BFH/NV 1989, 587 m. w. N.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn Gründe dargetan sind, die dafür sprechen, daß die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (BFH in BFHE 112, 457, BStBl II 1974, 638, und in BFH/NV 1989, 708).

Bei Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze rechtfertigen die von den Klägern vorgetragenen Gründe nicht die Besorgnis der Befangenheit. Die Kläger haben keine Umstände dargetan, die auf eine unsachliche oder willkürliche Einstellung der Richter X und Y bei der Entscheidung im Verfahren i. S. Einkommensteuer deuten. Hierbei kann offenbleiben, ob bei der Beurteilung der Tätigkeit des Klägers als gewerblichen Grundstückshandel die drei nicht veräußerten Objekte nicht zu Recht als Betriebsvermögen behandelt worden sind. Abgesehen davon, daß allein das Festhalten an einer Rechtsmeinung kein Ablehnungsgrund wäre, läßt eine mangelnde Begründung weder auf ein solches Festhalten noch auf fehlende Objektivität schließen.

Der Vortrag der Kläger zum ,,Zusammenwirken" der Richter X und Y oder eines von ihnen mit dem FA im Verfahren A ist nicht geeignet, Parteilichkeit und Unvoreingenommenheit gegenüber den Klägern anzunehmen. Für 1978 wurde die Einkommensteuer durch den Änderungsbescheid des FA auf 0 DM herabgesetzt. Für dieses Streitjahr hätte sich eine Sachentscheidung des Gerichts, selbst wenn es der Rechtsmeinung der Kläger gefolgt wäre, nicht günstiger auswirken können. Für die Einkommensteuer 1977 wäre die Sachentscheidung nicht bindend gewesen, da über die Höhe des Verlustes, dessen Abzug im Wege des Verlustrücktrags begehrt wird, im Abzugsjahr zu entscheiden ist (BFH-Urteil vom 8. Dezember 1982 VIII R 53/82, BFHE 139, 28, BStBl II 1983, 710).

Inwiefern das Verhalten der abgelehnten Richter im Verfahren B Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit gibt, ist nicht erkennbar, zumal zwischen dem Inaussichtstellen der Rücknahme der Erledigungserklärung und dem Kostenbeschluß mehr als acht Monate vergingen.

Schließlich läßt auch die Gesamtwürdigung der Ablehnungsgründe die Unvoreingenommenheit und objektive Einstellung der Richter X und Y nicht als zweifelhaft erscheinen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 124

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