Entscheidungsstichwort (Thema)

Eingruppierung eines Arbeiters in einer Fernheizanlage

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Soweit nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, werden technische Begriffe von den Tarifvertragsparteien in ihrer allgemeinen fachtechnischen Bedeutung verwendet. Demgemäß verwenden auch die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im MTL II die Begriffe des Heizkraftwerkes, des Fernheizwerkes und der Fernheizanlage im Sinne ihrer fachtechnischen Bedeutung.

2. Gleichwohl stellen die Tarifvertragsparteien aufgrund einer besonderen Regelung im MTL II Fernheizwerke und Fernheizanlagen einer bestimmten Größenordnung rechtlich gleich.

3. In den Fallgruppen 14.2 und 14.3 der Lohngruppe IX MTL II müssen die Aufgaben eines Kesselwärters und die eines Schalttafelwärters bzw Schichtführers gleichzeitig nebeneinander ausgeübt werden.

4. Schichtführer (Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.3) ist ein Arbeiter, der einem oder mehreren Arbeitern (Arbeitsgruppe) vorsteht, oder der die Verantwortung für die während seiner Schicht anfallenden Aufgaben trägt, ohne daß ihm jemand unterstellt ist (in Übereinstimmung mit BAG vom 9.2.1983 - 4 AZR 267/80 = BAGE 41, 358, 363 = AP Nr 1 zu § 21 MTL II).

 

Orientierungssatz

Pflicht zur Zuziehung eines Sachverständigen nach § 144 ZPO bei besonders schwierigen technischen Fachfragen und Zusammenhängen.

 

Normenkette

MTL § 21; ZPO §§ 144, 286; MTL 2 § 21

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 06.11.1987; Aktenzeichen 13 Sa 168/87)

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 24.09.1986; Aktenzeichen 14 Ca 632/82)

 

Tatbestand

Der der Gewerkschaft ÖTV angehörende Kläger ist gelernter Schreiner. Am 21. April 1977 hat er eine verwaltungseigene Prüfung im tariflich anerkannten Ausbildungsberuf des Schlossers abgelegt. Nachdem er zuvor als gewerblicher Arbeiter in den Diensten der Stadt F stand, ist der Kläger seit dem 1. Januar 1981 Arbeiter des beklagten Landes. Er erhält Vergütung nach Lohngruppe VIII a MTL II.

Der Kläger ist in der Energiezentrale des Klinikums der Universität in F tätig, die den Gesamtbereich der Universität mit Wärme, Kälte, Brauchwasser und Reindampf versorgt. Der Kläger verrichtet Wechselschichtarbeit und ist widerruflich zum Vorarbeiter bestellt worden. Ihm sind zwei weitere Arbeiter unterstellt. In der Energiezentrale findet keine Wärmeerzeugung durch Verbrennung (etwa fossiler Brennstoffe), durch Nutzung elektrischer Energie oder atomare Umwandlungsprozesse statt. Vielmehr handelt es sich bei der Energiezentrale um eine Fernheizungsverteilungs- und Reindampferzeugungs anlage ,die vom Heizkraftwerk der Stadt F von außen mit hochgespanntem Heißdampf (17 atü, 260 Grad) beliefert bzw. beschickt wird. In der Energiezentrale erfolgt die Dampfverteilung und Dampfreduzierung auf 11 atü für Heizwasser und 1 atü für Kältemaschinen bei einer Kapazität von 75 Millionen kcal/h. Die Wärmeabnahme der Energiezentrale und deren Versorgungsleistung entsprechen dem Verbrauch von 5.000 Einfamilienhäusern oder 15.000 Einwohnern.

Nachdem er diese Forderung erfolglos mit Schreiben vom 17. Dezember 1981 geltend gemacht hatte, hat der Kläger mit der Klage die Feststellung der Verpflichtung des beklagten Landes begehrt, an ihn ab 1. November 1981 Lohn nach Lohngruppe IX MTL II zu zahlen und die rückständigen Differenzbeträge mit 4 v.H. zu verzinsen. Dazu hat der Kläger vorgetragen, bei der Energiezentrale des Klinikums der Universität F handele es sich um eine Hochdruckkesselanlage und eine Fernheizanlage im tariflichen Sinne. Dabei komme es nicht darauf an, ob darin Wärme erzeugt werde oder nicht. Jedenfalls müsse die Energiezentrale als Teil einer Fernheizanlage angesehen werden, weil sie vom Fernheizwerk der Stadt F Primärenergie beziehe und mit diesem einen Verbund bilde. Damit kämen für ihn die Fallgruppen 14.2, 14.3 und 14.4 der Lohngruppe IX MTL II in Betracht. Da er als Schalttafelwärter tätig sei, gelte für ihn die Fallgruppe 14.2. Für diese Fallgruppe 14.3 gelte dasselbe, weil er selbständig und verantwortlich die Anlagen betreibe und deswegen als Schichtführer im tariflichen Sinne anzusehen sei. Ihm obliege als solchem die Wartung und Instandhaltung der gesamten Hochdruckdampfanlage mit den vier Reduzierstationen, der kompletten Heißwassererzeugungsanlage, der Warmwassererzeugungsanlage mit Speichern, Wasserkühler, Kondensatkühler und Sicherheitsabschaltung bei Temperaturüberschreitung, der gesamten kältetechnischen Einrichtungen mit zwei Absorptions-Kälteanlagen sowie des gesamten Kältekreislaufes mit 2 x 4.000.000 kcal/h Kälteleistung einschließlich der Kühltürme und Pumpen und der gesamten Steuer- und Regeleinrichtung. An der Hochdruckdampfanlage fahre er die Dampfabnahme auf den erforderlichen Verbrauch ein, überwache die Kondensateinspritzungen und nehme die Funktionsprüfung der Magnetventile, der elektrisch angetriebenen Stellantriebe, der Regeleinrichtungen, der Sicherheitsventile und der Hochdruck-Reduzieranlagen vor. An der Warmwassererzeugungsanlage oblägen ihm die Kontrolle und Schaltung u.a. der Zirkulationspumpen sowie die Messung der elektrolytischen Schutzeinrichtung für Boiler. Im Hinblick darauf sei er auch als Kesselwärter im tariflichen Sinne anzusehen. Aufgrund seiner Funktion als "Schichtführer an Hochdruckkesselanlagen" komme für ihn schließlich auch die Fallgruppe 14.4 der Lohngruppe IX MTL II in Betracht. Demgemäß hat der Kläger beantragt

festzustellen, daß das beklagte Land verpflichtet ist,

an den Kläger ab 1. November 1981 Lohn nach Lohngruppe

IX MTL II zu zahlen und die rückständigen Differenz-

beträge mit 4 v. H. zu verzinsen.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und erwidert, für das Klagebegehren fehle es an einer Rechtsgrundlage. Der Kläger verfüge bereits nicht über die in der Lohngruppe IX MTL II geforderte Berufsausbildung. Abgesehen davon komme diese Lohngruppe deswegen zu Gunsten des Klägers nicht in Betracht, weil die Energiezentrale der Universität F die Wärme nicht selbst erzeuge, sondern vom städtischen Fernheizwerk damit beliefert werde. Deswegen komme es auch auf die Einzelheiten der Tätigkeit des Klägers nicht an. Er sei aber auch weder als Schalttafelwärter noch als Schichtführer tätig.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger seine Zinsforderung auf Prozeßzinsen seit Rechtshängigkeit (29. Dezember 1982) aus den den eingeklagten Bruttobeträgen entsprechenden Nettobeträgen beschränkt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren mit der in der Berufungsinstanz vorgenommenen Beschränkung weiter. Das beklagte Land beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.

Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung gilt zwischen den Parteien der MTL II gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG unmittelbar und zwingend. Zudem haben die Parteien seine Geltung auch einzelvertraglich vereinbart. Dagegen gelten, wie die Parteien anhand der Personalakten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt haben, andere Tarifverträge zwischen ihnen - anders als bei Kollegen des Klägers - aufgrund vertraglicher Vereinbarung nicht. Die unmittelbare und zwingende Geltung des MTL II gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG würde dadurch, wie insoweit zutreffend auch das Landesarbeitsgericht hervorhebt, ohnehin nicht beeinträchtigt.

Weiter ist mit dem Landesarbeitsgericht von § 21 Abs. 1 MTL II auszugehen, wonach sich der Lohn der Arbeiter nach der Tätigkeit, der Dienstzeit und dem Lebensalter richtet. Damit ist auf § 2 Abs. 1 des Tarifvertrages über das Lohngruppenverzeichnis zum MTL II verwiesen, wonach, soweit sich nicht aus den Tätigkeitsmerkmalen etwas anderes ergibt, auf die überwiegende Tätigkeit des Arbeiters abzustellen ist. Damit ist grundsätzlich diejenige Tätigkeit des Arbeiters tarifrechtlich zu beurteilen, die mehr als die Hälfte seiner Gesamtarbeitszeit in Anspruch nimmt. Dagegen ist der Begriff des "Arbeitsvorganges" (§ 22 BAT) in die Tarifwerke für die Arbeiter des öffentlichen Dienstes nicht eingegangen und daher auch vorliegend nicht zu verwenden (vgl. die Urteile des Senats BAGE 41, 358, 361 = AP Nr. 1 zu § 21 MTL II sowie vom 18. Februar 1970 - 4 AZR 257/69 - AP Nr. 1 zu § 21 MTB II, 22. Februar 1978 - 4 AZR 553/76 - AP Nr. 3 zu § 21 MTB II und 4. Juni 1980 - 4 AZR 497/78 - AP Nr. 4 zu § 21 MTB II).

Nach Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 sind zu vergüten

Kesselwärter (Heizer)

a) mit abgeschlossener Ausbildung als Schlosser

oder in einem artverwandten anerkannten me-

tallverarbeitenden oder in einem anerkannten

elektrotechnischen Ausbildungsberuf mit einer

Ausbildungsdauer von mindestens zweieinhalb

Jahren oder

b) mit Kesselwärterprüfung

an Hochdruckkesselanlagen, die zugleich Schalttafel-

wärter sind.

Bei der Anwendung dieser tariflichen Tätigkeitsmerkmale geht das Landesarbeitsgericht entgegen der Rechtsauffassung des beklagten Landes zutreffend davon aus, daß vom Kläger die entsprechenden subjektiven Tariferfordernisse erfüllt werden. Dabei verweist das Landesarbeitsgericht zu Recht auf Absatz 4 von Nr. 1 der Vorbemerkungen zum Lohngruppenverzeichnis des MTL II, worin die Tarifvertragsparteien bestimmen:

Zu den Arbeitern mit erfolgreich abgeschlossener

Ausbildung in einem einschlägigen anerkannten Aus-

bildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von min-

destens zweieinhalb Jahren gehören auch die Ar-

beiter der Lohngruppe IV Nr. 2 mit verwaltungsei-

gener Prüfung.

Eine derartige verwaltungseigene Prüfung als Schlosser hat der Kläger jedoch nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erfolgreich abgelegt. Also bestehen insoweit gegen die Heranziehung der vorstehenden tariflichen Tätigkeitsmerkmale keine Bedenken.

Gleichwohl hält das Landesarbeitsgericht diese tariflichen Tätigkeitsmerkmale (Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2) deswegen nicht für anwendbar, weil von diesen aus Gründen des tariflichen Gesamtzusammenhanges und insbesondere im Hinblick auf die Regelung in Lohngruppe VIII MTL II Fallgruppe 14.3.3 lediglich Schalttafelwärter in Heizkraftwerken erfaßt würden, zu denen die Energiezentrale der Universität F unstreitig nicht gehöre. Dazu bezieht sich das Landesarbeitsgericht auf die entsprechende Rechtsprechung einer anderen Kammer des Landesarbeitsgerichts Frankfurt a.M. sowie ein nicht veröffentlichtes Urteil des erkennenden Senats.

Dabei weist das Landesarbeitsgericht richtig darauf hin, daß der erkennende Senat, ohne diese Rechtsfrage bisher definitiv zu entscheiden, in den beiden unveröffentlichten Urteilen vom 6. März 1985 - 4 AZR 380/83 - und 8. Juni 1988 - 4 AZR 89/88 -, die vergleichbare Arbeiter in den Fernheizwerken der hessischen Universitäten M und G betreffen, ausgeführt hat, es spreche aus Gründen des tariflichen Gesamtzusammenhanges, insbesondere aufgrund der einschlägigen Regelungen im Bereich der Lohngruppe VIII, viel dafür, den Geltungsbereich der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 auf Arbeiter in Heizkraftwerken zu beschränken.

Hieran hält der Senat jedoch nach nochmaliger Überprüfung der Rechtslage nicht fest. Er ist vielmehr zu der Überzeugung gelangt, daß von der Fallgruppe 14.2 der Lohngruppe IX MTL II nicht nur Arbeiter in Heizkraftwerken, sondern auch solche in Fernheizwerken erfaßt werden, sofern sie die sonstigen tariflichen Erfordernisse erfüllen. Das ergibt sich sowohl aus dem Tarifwortlaut, dem Sinn und Zweck der Tarifnorm als auch dem tariflichen Gesamtzusammenhang, auf die es bei der Tarifauslegung mit gleichem Gewicht entscheidend ankommt (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Dabei mißt der Senat maßgebliches Gewicht dem Umstand bei, daß nach dem Inhalt ihrer eindeutigen Überschrift ("In Fernheiz- und Heizkraftwerken") die Fallgruppe 14 der Lohngruppe IX MTL II ausdrücklich von den Tarifvertragsparteien auch auf entsprechende Arbeiter in Fernheizwerken ausgedehnt werden. Auch die Merkmale selbst enthalten eine diese allgemeine Geltung wieder irgendwie einschränkende Regelung nicht. Gegenteiliges kann entgegen der ursprünglichen Annahme des Senats auch nicht etwa aus der Regelung in Lohngruppe VIII Fallgruppe 14.3.3 hergeleitet werden, wonach zu vergüten sind

Schalttafelwärter in Heizkraftwerken, soweit

nicht in die Lohngruppe VIII a eingereiht.

Zwar beschränkt sich diese tarifliche Regelung auf Schalttafelwärter in Heizkraftwerken. Aus ihr kann jedoch eine entsprechende Einschränkung auch für den Regelungsbereich der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 nicht entnommen werden. Dasselbe gilt für die entsprechende Regelung in Lohngruppe VIII a MTL II Fallgruppe 14.2.2. Beide Regelungen betreffen nämlich Arbeiter, die in Heizkraftwerken die Funktion eines Schalttafelwärters innehaben. Demgegenüber erfaßt die Regelung in Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 unter der eindeutigen Überschrift "In Fernheiz- und Heizkraftwerken" Arbeiter, die an Hochdruckkesselanlagen zugleich als Kesselwärter und Schalttafelwärter tätig sind, also eine Doppelfunktion innehaben, die notwendigerweise eine erhöhte Qualifikation erfordert und auch eine herausgehobene Verantwortlichkeit begründet. Diese besonderen Erschwernisse, die die aufgezeigte Doppelfunktion mit sich bringt, wollen die Tarifvertragsparteien mit der Zuweisung dieser Tätigkeit in die Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 honorieren, wobei es ihnen - anders als in den niedrigeren Lohngruppen - nicht darauf ankommt, ob die Tätigkeit in einem Fernheizwerk oder in einem Heizkraftwerk geleistet wird. Auch aus den allgemeinen Merkmalen der Lohngruppen VIII MTL II Fallgruppen 3.1 und 3.2 bzw. VIII a MTL II Fallgruppen 2.1 und 2.2 kann nichts Gegenteiliges hergeleitet werden. Sie betreffen nämlich lediglich Kesselwärter mit näher beschriebenen Aufgaben und lassen keine Schlüsse zur Auslegung der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 zu.

Damit hängt die weitere Beurteilung davon ab, ob es sich bei der Energiezentrale der Universität F um ein "Fernheizwerk" im tariflichen Sinne handelt. Nach seinen weiteren Ausführungen wird auch das vom Landesarbeitsgericht verneint. Dazu führt das Landesarbeitsgericht aus, eine Heizanlage wie die Energiezentrale der Universität F falle deswegen unter diesen Begriff nicht, weil darin keine Wärme erzeugt werde, sondern unter Druckverminderung lediglich - vergleichbar der Funktion eines Umspann - oder Transformatorenwerkes - angelieferte Wärme zur Verteilung gelange.

Dieser Beurteilung des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Wie die Revision zutreffend ausführt, unterscheiden vielmehr die Tarifvertragsparteien in den anzuwendenden tariflichen Bestimmungen genau zwischen drei verschiedenen Begriffen, nämlich denen des "Fernheizwerkes", des "Heizkraftwerkes" und der "Fernheizanlage". Da die Tarifvertragsparteien diese Begriffe weder selbst definieren noch dazu ihrerseits - etwa in Protokollnotizen - Erläuterungen geben, ist davon auszugehen, daß sie insoweit diese Begriffe in ihrer fachtechnischen Bedeutung verwenden und angewendet wissen wollen (vgl. dazu die Urteile des Senats BAGE 42, 349, 360 = AP Nr. 21 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag, BAGE 42, 272, 277 = AP Nr. 61 zu § 616 BGB, BAGE 45, 330, 335 = AP Nr. 8 zu § 611 Musiker sowie vom 8. Februar 1984 - 4 AZR 369/83 - AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel und 4. Dezember 1974 - 4 AZR 120/74 - AP Nr. 5 zu § 611 Musiker). Dieser Rechtsgrundsatz gilt nach der angezogenen ständigen Senatsrechtsprechung immer dann, wenn die Tarifvertragsparteien Fachbegriffe einer bestimmten Sparte oder Branche in tariflichen Regelungen verwenden, also auch - wie vorliegend - für technische Fachbegriffe.

Demgemäß ist als "Heizkraftwerk" ein Kraftwerk anzusehen, in dem über dessen allgemeine Funktionen hinaus elektrischer Strom zum Zwecke der Wärmenutzung gewonnen wird (vgl. Begriffsbestimmungen der Energiewirtschaft, Teil 2 (Begriffe der Fernwärmewirtschaft), 5. Aufl. 1981, S. 12; Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Band 3, S. 465; Enzyklopädie Naturwissenschaft und Technik, Band 5, S. 4958 sowie Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 8, S. 655). Da in der Energiezentrale der Universität F kein Strom erzeugt wird, handelt es sich dabei auch nicht um ein Heizkraftwerk im technischen und tariflichen Sinne, wie insoweit zutreffend das Landesarbeitsgericht hervorhebt. Demgegenüber ist ein "Fernheizwerk" im technischen und damit auch im tariflichen Sinne ein Kraftwerk, in dem Heizwärme für eine Fernheizung erzeugt bzw. aus anderen Energieformen gewonnen wird (vgl. Begriffsbestimmungen in der Energiewirtschaft, Teil 2 (Begriffe der Fernwärmewirtschaft), aaO, S. 12; Brockhaus/Wahrig, aaO, Band 2, S. 713; Brockhaus der Naturwissenschaften und Technik, 7. Aufl., S. 237; Enzyklopädie Naturwissenschaft und Technik, aaO, Band 5, S. 4956 sowie Meyers Enzyklopädisches Lexikon, aaO, Band 8, S. 655 und Band 14, S. 285). Damit steht fest, daß die Energiezentrale der Universität F auch kein "Fernheizwerk" im technischen und tariflichen Sinne ist, weil dort Heizwärme nicht gewonnen, sondern lediglich der vom Heizkraftwerk der Stadt F gelieferte Heißdampf unter Reduzierung zur Verteilung gelangt.

Gleichwohl kommen jedoch zugunsten des Klägers die Merkmale der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 in Betracht. Das ergibt sich aus der Vorbemerkung Nr. 3 zum Lohngruppenverzeichnis der sowohl das Landesarbeitsgericht als auch das beklagte Land eine unrichtige rechtliche Bedeutung beimessen. In der Vorbemerkung bestimmen die Tarifvertragsparteien:

Fernheizwerke im Sinne des Lohngruppenverzeichnisses

sind auch Fernheizanlagen mit einer Kapazität von

mindestens 62,802 Mio kJ/h (15 Mio kcal/h).

Da sie auch bei diesem Begriff von einer eigenen Definition und Erläuterung absehen, ist aus den dargelegten Rechtsgründen davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien auch den Rechtsbegriff der "Fernheizanlage" im Sinne des entsprechenden technischen Fachbegriffes verwenden. Anknüpfend an den allgemeinen Begriff der "Heizanlage" (vgl. Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bd. 3, S. 465) wird im technischen Sinne unter einer Fernheizanlage eine Anlage verstanden, die der zentralen Beheizung von Gebäudegruppen dient, wobei von einer zentralen Heizstelle die verschiedenen Gebäude durch Rohrleitungen mit Wärme versorgt werden und als Wärmeträger Warmwasser, Heißwasser und Dampf in Betracht kommen (vgl. Kammerer, Hans, Netzbau und Hausanschlüsse von Fernheizanlagen, Hänchen und Jäh 1959, S. 3 ff., 11 ff. und 19 ff. sowie Meyers Enzyklopädisches Lexikon, aaO, Band 8, S. 655). Damit halten die Tarifvertragsparteien streng an dem jeweiligen fachtechnischen Unterschied zwischen den von ihnen herangezogenen Begriffen der Heizkraftwerke, Fernheizwerke und Fernheizanlagen fest. Sie stellen jedoch im Rahmen ihrer autonomen Rechtssetzungsmöglichkeiten ungeachtet der technischen Unterschiede in der Vorbemerkung Nr. 3 zum Lohngruppenverzeichnis Fernheizwerke und Fernheizanlagen rechtlich gleich, wobei sie freilich diese rechtliche Gleichstellung auf Fernheizanlagen einer besonders weitreichenden Größenordnung bzw. Kapazität von mindestens 15 Mio kcal/h beschränken, während sonst z.B. bei Heizungsanlagen nur mindestens drei oder sieben Mio kcal/h gefordert werden (Gr. VIII a 2.1 und 2.2). Dabei gehen die Tarifvertragsparteien ersichtlich davon aus, daß in derartigen, besonders großen und leistungsfähigen Fernheizanlagen an das Bedienungspersonal höhere Anforderungen gestellt werden.

Damit ist entgegen der Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts und des beklagten Landes die Energiezentrale der Universität F als rechtlich gleichgestellte "Fernheizanlage" im Sinne der Vorbemerkung Nr. 3 zum Lohngruppenverzeichnis zum MTL II anzusehen. Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts entsprechen auch ihre Größe und Kapazität, die über die Ausmaße entsprechender kommunaler Einrichtungen sogar in Großstädten weit hinausgehen, den tariflichen Erfordernissen. Somit sind grundsätzlich auf die Tätigkeit des Klägers auch die Merkmale der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.2 anwendbar.

Das Landesarbeitsgericht wird daher nunmehr Feststellungen dazu zu treffen und darüber zu entscheiden haben, ob der Kläger als Kesselwärter und Schalttafelwärter tätig ist. Wenn die Tarifvertragsparteien in der Fallgruppe 14.2 der Lohngruppe IX MTL II fordern, daß der betreffende Arbeiter Kesselwärter und "zugleich Schalttafelwärter" sein muß, dann ist aus dem Wortlaut der Norm, dem tariflichen Gesamtzusammenhang und insbesondere dem Sinn und Zweck der Regelung, die bei der Tarifauslegung gleichgewichtig und gleichbedeutend zu berücksichtigen sind (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung), zu folgern, daß zur Erfüllung der tariflichen Anforderungen beide Funktionen gleichzeitig nebeneinander ausgeübt werden müssen. Das begründet sich aus der erhöhten Verantwortung eines Arbeiters, der zugleich nebeneinander die Aufgaben eines Kesselwärters und eines Schalttafelwärters wahrnimmt (vgl. die entsprechenden Ausführungen in dem unveröffentlichten Urteil des Senats vom 8. Juni 1988 - 4 AZR 89/88 -, das einen Schalttafelwärter im Fernheizwerk der Universität G betrifft). Schließlich wird das Landesarbeitsgericht auch noch festzustellen haben, ob der Kläger an "Hochdruckkesselanlagen" tätig ist, wobei ebenfalls vom entsprechenden technischen Fachbegriff auszugehen ist.

Nach Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.3, auf die sich der Kläger zur Begründung des Klagebegehrens ebenfalls stützt, sind zu vergüten

Kesselwärter (Heizer)

a) mit abgeschlossener Ausbildung als Schlosser

oder einem artverwandten anerkannten metall-

verarbeitenden oder einem anerkannten elek-

trotechnischen Ausbildungsberuf mit einer

Ausbildung von mindestens zweieinhalb Jahren

oder

b) mit Kesselwärterprüfung

an Hochdruckkesselanlagen, die zugleich Schichtführer

sind.

Auch die Anwendung dieser tariflichen Tätigkeitsmerkmale verneint das Landesarbeitsgericht mit der Begründung, die Energiezentrale der Universität F sei weder ein Fernheizwerk noch eine Fernheizanlage im tariflichen Sinne.

Auch diese Beurteilung des Landesarbeitsgerichts ist aus den dargelegten Gründen rechtsfehlerhaft, wobei darauf hinzuweisen ist, daß sich die Merkmale der Fallgruppen 14.2 und 14.3 der Lohngruppe IX MTL II nur dadurch unterscheiden, daß der Arbeiter im ersten Falle Kesselwärter und Schalttafelwärter und im zweiten Falle Kesselwärter und Schichtführer sein muß.

Demgemäß wird das Landesarbeitsgericht auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Fallgruppe 14.3 der Lohngruppe IX MTL II nur noch zu prüfen haben, ob der Kläger Kesselwärter und zugleich Schichtführer ist. Auch hier müssen beide Funktionen gleichzeitig nebeneinander ausgeübt werden (vgl. auch dazu das unveröffentlichte Urteil des Senats vom 8. Juni 1988 - 4 AZR 89/88 -). Sollte das, wie in Parallelprozessen vorgetragen worden ist, aufgrund der fortgeschrittenen technischen Entwicklung in der Arbeitspraxis nur noch selten oder ausnahmsweise der Fall sein, so ist eine entsprechende Anpassung oder Änderung der Tarifnormen ausschließliche Angelegenheit der Tarifvertragsparteien und nicht Sache der staatlichen Gerichte für Arbeitssachen (vgl. das Urteil des Senats vom 10. Februar 1988 - 4 AZR 538/87 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

Im übrigen wird das Landesarbeitsgericht Bedacht darauf zu nehmen haben, daß unter einem Schichtführer ein Arbeiter zu verstehen ist, der einem oder mehreren Arbeitern (Arbeitsgruppe) vorsteht, oder der die Verantwortung für die während seiner Schicht anfallenden Aufgaben trägt, ohne daß ihm jemand unterstellt ist (vgl. BAGE 41, 358, 363 = AP Nr. 1 zu § 21 MTL II sowie die unveröffentlichten Urteile des Senats vom 6. März 1985 - 4 AZR 380/85 - und 8. Juni 1988 - 4 AZR 89/88 -).

Nach diesen Rechtsgrundsätzen wird das Landesarbeitsgericht schließlich noch zu überprüfen haben, ob der Kläger die Merkmale der Lohngruppe IX MTL II Fallgruppe 14.4 erfüllt, wonach zu vergüten sind

Schichtführer an Hochdruckkesselanlagen.

Da aus Gründen des materiellen Rechts die Zurückverweisung der Sache geboten ist, kommt es auf die prozessualen Rügen der Revision nicht mehr an. Ohnehin ist entgegen der Rechtsauffassung des Klägers vorliegend für prozessuale Rügen nach § 286 ZPO deswegen kein Raum, weil der Sachverhalt unstreitig ist (vgl. die Urteile des Senats BAGE 46, 292, 307 = AP Nr. 93 zu §§ 22, 23 BAT 1975 sowie vom 28. April 1982 - 4 AZR 707/79 - AP Nr. 62 zu §§ 22, 23 BAT 1975 mit weiteren Nachweisen). Indessen weist die Revision zutreffend darauf hin, daß es trotz des insoweit bestehenden weiten Ermessensbereiches der Instanzgerichte (vgl. die Urteile des Senats BAGE 46, 292, 307 = AP Nr. 93 zu §§ 22, 23 BAT 1975 sowie vom 1. September 1982 - 4 AZR 1134/79 - AP Nr. 68 zu §§ 22, 23 BAT 1975 mit weiteren Nachweisen) je nach den Umständen geboten sein kann, daß sich das Landesarbeitsgericht bei der Aufklärung besonders schwieriger und ungewöhnlicher technischer Fachbegriffe bzw. technischer Zusammenhänge gemäß § 144 ZPO sachverständiger Hilfe zu bedienen hat.

Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten mitzuentscheiden haben.

Dr. Neumann Dr. Freitag Dr. Feller

Lehmann Wax

 

Fundstellen

Haufe-Index 438965

RdA 1989, 70

ZTR 1989, 110-112 (LT1-4)

AP § 21 MTL II (LT1-4), Nr 5

PersR 1990, 85 (L)

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