Leitsatz

1. Ein Zinsbescheid über Prozesszinsen enthält nicht zugleich eine stillschweigende Ablehnung weiterer Zinsen, insbesondere auf unionsrechtlicher Grundlage.

2. Sieht eine Richtlinie eine obligatorische Steuerbefreiung vor, die der Mitgliedstaat nicht rechtzeitig in nationales Recht umgesetzt hat, und kann sich der Steuerpflichtige deshalb unmittelbar auf die entsprechende Richtlinienbestimmung berufen, stehen ihm nach den unionsrechtlichen Grundsätzen Zinsen auf den Entlastungsbetrag zu, wenn der Mitgliedstaat anfänglich dessen Auszahlung verweigert.

3. Der Behörde steht eine angemessene Frist für die Bearbeitung des – vollständigen – Entlastungsantrags zu, die bei der Zinsberechnung zu berücksichtigen ist.

4. In Fällen der Energiesteuerentlastung beginnt der Zinslauf 4 Monate und 10 Arbeitstage nach Eingang des vollständigen Entlastungsantrags.

 

Normenkette

Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EGRL 96/2003, Art. 19 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 1 EGRL 9/2008, § 124 Abs. 1 Satz 2, § 236, § 238 AO, § 133 BGB, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 49, § 53 EnergieStG.

 

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt Motorenprüfstände, in denen die durch die Verbrennung von versteuertem Benzin erzeugte mechanische Energie unter Einsatz angeschlossener Generatoren in Strom umgewandelt wird. Sie beantragte am 25.7.2011 beim HZA, ihr für den Zeitraum vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2010 Energiesteuer nach § 49 EnergieStG und nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EnergieStG i.V.m. § 49 Abs. 2a EnergieStG zu vergüten. Diese Anträge lehnte das HZA ab. Nachdem der Einspruch hiergegen erfolglos geblieben war, hatte die am 26.2.2015 erhobene Klage Erfolg (FG Düsseldorf, Urteil vom 9.12.2015, 4 K 625/15 VE). Das FG verpflichtete das HZA, der Klägerin Energiesteuer i.H.v. 68.834,75 EUR zu vergüten. Dieser Anspruch ergebe sich unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EGRL 96/2003.

In der Folge setzte das HZA mit Bescheid vom 22.1.2016 für die Klägerin eine Entlastung von Energiesteuer fest. Zugleich erließ es einen "Zinsbescheid über Prozesszinsen" nach "Maßgabe von § 236 AO" und setzte zugunsten der Klägerin Prozesszinsen für den Zeitraum vom 26.2.2015 (Rechtshängigkeit der Klage) bis zum 25.1.2016 (Auszahlungstag) i.H.v. 3.784 EUR fest.

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 11.3.2016, die Zinsen bereits für den Zeitraum ab dem 1.8.2011 festzusetzen. Nach dem Unionsrecht stünden ihr Zinsen nicht erst ab Rechtshängigkeit des Entlastungsanspruchs zu.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG urteilte, das HZA habe in dem Zinsbescheid stillschweigend eine Verzinsung für einen früheren Zeitraum abgelehnt (FG Düsseldorf, Urteil vom 13.6.2018, 4 K 1304/17 AO, Haufe-Index 11875027). Dabei sei unerheblich, auf welcher Rechtsgrundlage (§ 236 AO oder Unionsrecht) die Zinsen festgesetzt worden seien.

 

Entscheidung

Der BFH hat das Urteil teilweise aufgehoben und der Klägerin weitere Zinsen nach Unionsrecht zugesprochen.

 

Hinweis

In letzter Zeit hatte der BFH verstärkt über Fälle zu entscheiden, in denen die Beteiligten Zinsen auf Erstattungsbeträge geltend machen (neben dem Streitfall z.B. VII R 17/18, VII R 38/18). Im Mittelpunkt steht zunehmend der von der Rechtsprechung entwickelte unionsrechtliche Zinsanspruch.

1. Im vorliegenden Fall hatte das HZA von Amts wegen ausdrücklich Prozesszinsen unter Verweis auf § 236 AO festgesetzt, nachdem die Klägerin vor dem FG erfolgreich einen Energiesteuererstattungsbetrag erstritten hatte. Der BFH hat klargestellt, dass dieser Zinsbescheid nicht zugleich die konkludente Ablehnung der weiteren Verzinsung enthielt. Der Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts bestimmt sich nicht nach dem, was die Behörde mit ihrer Erklärung gewollt hat. Vielmehr wird ein Verwaltungsakt nur mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird (vgl. § 124 Abs. 1 Satz 2 AO). Maßgebend ist, wie der Adressat selbst nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben (§ 133 BGB) verstehen konnte.

2. Der Kern des Falls betraf den auf Unionsrecht gestützten Zinsanspruch. In ständiger Rechtsprechung geht der EuGH davon aus, dass sich im Fall von Steuerbeträgen, die unter Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts erhoben worden sind, ein Anspruch auf Erstattung nicht nur der zu Unrecht erhobenen Beträge, sondern auch der Beträge ergibt, die im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Steuer an den Mitgliedstaat gezahlt oder von diesem einbehalten worden sind. Darunter fallen auch Einbußen aufgrund mangelnder Verfügbarkeit von Geldbeträgen. Der Anspruch auf Erstattung der Beträge einschließlich der Zinsen ergibt sich unmittelbar aus dem Unionsrecht (EuGH, Urteil vom 27.9.2012, C-113/10, C- 147/10, C-234/10, Zuckerfabrik Jülich, EU:C:2012:591, Rz. 66, Haufe-Index 3335668; EuGH, Urteil vom 8.3.2001, C-397/98, C-410/98, Metallgesellschaft Ltd. u.a., EU:C:2001:134, BFH/NV Beilage 2001, 6, Rz. 84 ff.; EuGH, Urteil vom 19.7.2012, C-591/10, Littlewoods Retail Ltd. u.a., EU:C:2012:478, BFH/NV 2012, 1563, Rz. 24 ff.; EuGH, ...

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