Leitsatz

Die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift ist nicht Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage, wenn der Kläger sich bei Nennung der Anschrift der konkreten Gefahr einer Verhaftung aussetzen würde. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Identität des Klägers feststeht und die Möglichkeit der Zustellung durch einen Zustellungs- oder Prozessbevollmächtigten sichergestellt ist (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 28.1.1997, VII R 33/96, BFH/NV 1997, 585).

 

Normenkette

§ 65 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO

 

Sachverhalt

Gegen die Klägerin war im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen ungeklärter Auslandsguthaben ein internationaler Haftbefehl ergangen. Die Klägerin hielt sich an einem unbekannten Ort auf. Gegen eine Arrestanordnung sowie Einkommensteueränderungsbescheide erhob die Klägerin Klage, ohne ihren Aufenthaltsort anzugeben. Zustellungen sollten an einen Inlandsbevollmächtigten bewirkt werden. Mit einem Zwischengerichtsbescheid entschied das FG, die Klagen seien zulässig.

Die Revision des FA hielt der BFH für unbegründet, die Anschlussrevision der Klägerin, mit der diese die Verweisung an das OLG sowie die Aufhebung sämtlicher Vollstreckungsmaßnahmen begehrte, für unzulässig.

 

Entscheidung

Die Entscheidung 1. Die ordnungsmäßige Klageerhebung erfordere regelmäßig die Bezeichnung des Klägers unter Angabe der ladungsfähigen Anschrift. Die Anschrift diene einerseits zur Identifizierung des Klägers, die aber auch auf andere Weise sichergestellt werden könne. Andererseits solle die Zustellung von Schriftstücken im Prozess ermöglicht werden. Diesem Zweck könne weitgehend durch Bestellung eines Bevollmächtigten Rechnung getragen werden. Weiter diene die Anschrift dazu, das persönliche Erscheinen des Klägers anordnen und durchsetzen sowie die gerichtliche Entscheidung als Vollstreckungstitel verwenden zu können. Wenn die Identität des Klägers feststehe und die Möglichkeit der Zustellung durch einen Prozessbevollmächtigten sichergestellt sei, könne es aber ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse geben, wenn sich der Kläger bei Nennung der Anschrift der konkreten Gefahr einer Verhaftung aussetze. Aus § 258 Abs. 5 StGB, wonach sich niemand der Strafverfolgung ausliefern müsse, folge, dass auch das Recht auf effektiven Rechtsschutz nicht davon abhängig gemacht werden dürfe, dass sich der Kläger der konkreten Gefahr der Verhaftung aussetze. Da sich die Klägerin durch Nennung ihrer Anschrift der konkreten Gefahr einer Verhaftung aussetzen würde und bei der Kommunikation über einen Prozessbevollmächtigten keine Schwierigkeiten aufgetreten seien, habe das FG zu Recht die Klagen für zulässig gehalten. 2. Die Anschlussrevision der Klägerin sei wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig.

 

Hinweis

1. Die Entscheidung betrifft nur den Fall, dass die konkrete Gefahr einer Verhaftung besteht. Davon ist erst dann auszugehen, wenn bereits ein Haftbefehl gegen den Kläger vorliegt. Für alle anderen Fälle bleibt es bei dem Grundsatz, dass die Angabe der ladungsfähigen Anschrift zum Muss-Inhalt der Klage nach § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO gehört.

2. Aus § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO ist zu schließen, dass bei Fehlen der ladungsfähigen Anschrift die Klage noch nicht unheilbar unzulässig ist. Die Angabe kann vielmehr bis zur mündlichen Verhandlung, spätestens aber bis zum Ablauf einer für die Ergänzung des Klageinhalts gesetzten Frist mit ausschließender Wirkung nachgeholt werden.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 19.10.2000, IV R 25/00

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