a) Haftung infolge unterlassener Berichtigung der vom früheren GF erstellten Steuererklärungen

Mangelnde Sachverhaltsaufklärung: Um eine fehlerfreie Ermessensentscheidung bei der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners treffen zu können, ist es seitens der Finanzbehörde erforderlich, den Sachverhalt umfassend und einwandfrei zu ermitteln. Mangelt es an Sachverhaltsermittlungen, die den Beitrag eines Haftungsschuldners zur eingetretenen Steuerverkürzung betreffen und die deshalb bei der Ermessenswürdigung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehlen, so ist der Haftungsbescheid ermessensfehlerhaft und deswegen aufzuheben.

Bei einer Haftungsinanspruchnahme des ehemaligen GF für KSt-Verbindlichkeiten einer UG ist es ermessensfehlerhaft, wenn das FA nicht spätestens in seiner Einspruchsentscheidung weitere konkret sachverhaltsbezogene Ausführungen zu dem Einwand des GF gemacht hat, er habe sich bei der Unterzeichnung und Einreichung der KSt-Erklärung bezüglich schwieriger steuerlicher Fragen (u.a. Vorliegen einer vGA; Bewertung erworbener Gesellschaftsanteile) auf die fachliche Einschätzung der Sach- und Rechtslage durch die für die UG tätige Sozietät aus Steuerberatern und Rechtsanwälten verlassen und wenn das FA die Haftungsinanspruchnahme einer weiteren späteren Mit-GF’in mit teils rechtlich unrichtigen Argumenten abgelehnt hat.

Die Nachfolge-GF’in einer Kapitalgesellschaft kann ggf. vom Finanzamt unter Berufung auf § 69 AO i.V.m. § 34 AO persönlich in Haftung genommen werden, wenn sie es pflichtwidrig unterlässt, fehlerhafte Steuererklärungen ihres Vorgängers, deren Unrichtigkeit sie erkannt hat, gem. § 153 Abs. 1 S. 1 AO zu berichtigen. Dies gilt selbst dann, wenn der vorherige GF um die Unrichtigkeit der von ihm abgegebenen Steuererklärungen gewusst hat (vgl. BFH v. 7.3.2007 – I B 99/06, BFH/NV 2007, 1801).

Vermögensvorsorgepflicht: Verletzt eine UG-Mit-GF’in als gesetzliche Vertreterin der UG ihre Pflicht, finanzielle Mittel zur Entrichtung geschuldeter Steuern der UG bereitzuhalten, obwohl sie bereits vor Erlass entsprechender Steuerbescheide für die UG positive Kenntnis von der Existenz entsprechender Abgabenverbindlichkeiten der UG hat, wirkt die Verletzung dieser sog. Vermögensvorsorgepflicht – unabhängig von der Fälligkeit der Steuern – haftungsbegründend.

FG Berlin-Bdb. v. 9.5.2023 – 9 K 9157/22

b) Bekanntgabe eines Haftungsbescheids an den Haftungsschuldner persönlich trotz vorliegender Vollmacht des StB

Heilung mit Weiterleitung: Wird ein Verwaltungsakt dem Inhaltsadressaten selbst bekanntgegeben und bleibt hierdurch eine dem Bevollmächtigten erteilte und der Finanzbehörde bekannte Empfangsvollmacht ohne besondere Gründe unbeachtet, wird dieser Bekanntgabemangel durch die Weiterleitung des Verwaltungsakts an den Bevollmächtigten geheilt. Dann beginnt die Einspruchsfrist in dem Zeitpunkt, zu welchem der Bevollmächtigte den Verwaltungsakt nachweislich erhalten hat.

Besonderheit im Haftungsverfahren: Eine dem FA vorliegende Empfangsvollmacht einer Steuerberatungsgesellschaft ist in einem Haftungsverfahren unbeachtlich, wenn sie sich ausdrücklich auf eine Steuernummer bezieht, die für die laufend veranlagten Steuern zugeteilt und der Haftungsbescheid unter einer anderen Steuernummer erlassen worden ist.

Die für einen Steuerpflichtigen vergebene Steuernummer betrifft nur einen Teil möglicher abgabenrechtlicher Verfahren und stellt keine für sämtliche möglichen Rechtsbeziehungen mit der Behörde geltende Ordnungsnummer dar, unter welcher durchgängig von allen Stellen der Finanzbehörde zu beachtende Grunddaten abgelegt werden.

Wenn ein Bevollmächtigter für einen Steuerpflichtigen auftritt, ohne der Finanzbehörde eine schriftliche Vollmacht vorzulegen, steht es im Ermessen der Behörde, ob sie den Verwaltungsakt dem Steuerpflichtigen selbst oder dessen Bevollmächtigten zustellt. Denn die Behörde soll nicht über das notwendige Maß hinaus gebunden werden und ihr soll die Möglichkeit belassen werden, den vielfältigen Erscheinungen des Massenverfahrens individuell Rechnung zu tragen.

Einem Steuerpflichtigen ist es i.d.R. möglich und zumutbar, sich nach Erhalt eines Haftungsbescheids bei seinem Steuerberater zu erkundigen, ob auch dieser eine Bescheidausfertigung erhalten hat und sich zu vergewissern, dass der Berater einen Einspruch für ihn einlegt bzw. eingelegt hat. Andernfalls ist kein Raum für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist.

FG Münster v. 7.9.2023 – 5 K 2915/22

c) Haftung des Steuerhinterziehers

Streitig ist, ob das FA die frühere Mit-GF’in der B-GmbH wegen rückständiger Umsatzsteuervorauszahlungen unter Berufung auf § 71 AO persönlich in Haftung nehmen kann.

Die Haftung des Steuerhinterziehers bringt eine Schadensersatzpflicht in Höhe des vollständigen Steuerschadens mit sich.

"Vorgeprägtes Ermessen": Im Falle einer persönlichen Haftung wegen Steuerhinterziehung ist das Ermessen der Finanzbehörde dahingehend "vorgeprägt", dass es bei einem eventuellen Vorhandensein mehrerer Haftungsschuldner in jedem Fall sachgerecht ist, den Steuerhinterzieher persönlich in Haftung zu nehmen.

FG Berlin-Bdb. v. 30.3.2023 – 9 K 9006/22

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